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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Zuhälterwesen und die Gesetzgebung

gethan zu haben. Dem hat aber, ob nun gegengezeichnet oder nicht, der Erlaß
des Kaisers hoffentlich ein Ende gemacht.

Denn in der That ist nichts falscher, als die Meinung, man könne mit
den geltenden Gesetzen etwas nachhaltiges erreichen. Im Gegenteil, gerade
unsre Gesetze sind es, die die gefährlichste und die verwerflichste Seite
der Prostitution, das Zuhülterwesen, großgezogen haben. Das muß mit aller
Schärfe und mit rückhaltloser Offenheit ausgesprochen werde", darüber
darf keine Unklarheit herrschen, denn nnr dann werden wir es erreichen,
allen Vorurteilen, allen berechtigten und unberechtigten Empfindungen und
Empfindeleien zum Trotz zu eiuer vernünftigen Gesetzgebung zu gelangen. Die
bestehende Gesetzgebung hegt einerseits geradezu das Zuhnltertum, und die
Handhaben, die sie allerdings andrerseits dagegen gewährt, reichen ganz und
gar nicht aus.

Über die Prostitutivusfrage ist schon sehr viel gestritten worden. Sie
läßt sich von den verschiedensten Gesichtspunkten aus beleuchten und beant¬
worten. Der Gesetzgeber aber hat im Grunde nur die Wahl zwischen zwei
Standpunkten. Entweder er tritt der nicht geringen Anzahl derer bei. die
die Prostitution als einen unerträglichen Schandflecken an unserm öffentlichen
Leben und für einen Krebsschaden halten, der lieber heute als morgen gänz¬
lich beseitigt werden müßte. Gut, dann untersage man jede Prostitution mit
klaren Worten und (was allerdings das wichtigste ist) führe das Verbot mit
aller Strenge durch. Das ist nicht möglich, sagen die Gegner, und wie mir
scheint, dürfte alle seitherige Erfahrung ihnen Recht geben; wer so etwas will,
der kennt die menschliche Natur nicht, der beachtet nicht die sozialen Bedin¬
gungen des heutigen Lebens. Die Prostitution mag ein Übel sein, aber sie ist
notwendig, um Schlimmeres zu vermeiden.

Unsre Gesetzgebung steht bekanntlich auf dem zweiten Standpunkte, aber
sie hat sich bis jetzt leider nicht entschließen können, den gewählten Stand¬
punkt streng festzuhalten. In § 301 Ur. 6 bestimmt das Strafgesetzbuch
eine sittenpolizeiliche Kontrolle. Der Paragraph bestraft die gewerbsmäßige
Unzucht nur an Frauenspersonen, die nicht unter polizeiliche Aufsicht gestellt
sind. Statt nun aber die Folgen dieser Bestimmung zu ziehen, bedroht
das Strafgesetzbuch in 8 180 ohne Unterschied jeden mit Strafe, der
den Dirnen die zur Ausübung ihres Gewerbes unentbehrlichen Räum¬
lichkeiten gewährt, vorausgesetzt nur, daß er es uicht ein einzelnes vor¬
übergehendes mal völlig unentgeltlich thut. Das ist ein unerträglicher
Widerspruch, allerdings kein logischer, wie der zweite Senat des Reichs¬
gerichts in seinem Urteil vom 23. Mai 1880 so schön sagt: "Der vom
ersten Richter angeführte Grund, daß die der polizeilichen Kontrolle unter¬
stehenden Frauenzimmer doch Mietwohnungen haben müßten, ist ein Argu¬
ment, welches gegenüber der bestehenden Gesetzgebung, die jede Art der Vor-


Grenzboten 1 1892 21
Das Zuhälterwesen und die Gesetzgebung

gethan zu haben. Dem hat aber, ob nun gegengezeichnet oder nicht, der Erlaß
des Kaisers hoffentlich ein Ende gemacht.

Denn in der That ist nichts falscher, als die Meinung, man könne mit
den geltenden Gesetzen etwas nachhaltiges erreichen. Im Gegenteil, gerade
unsre Gesetze sind es, die die gefährlichste und die verwerflichste Seite
der Prostitution, das Zuhülterwesen, großgezogen haben. Das muß mit aller
Schärfe und mit rückhaltloser Offenheit ausgesprochen werde», darüber
darf keine Unklarheit herrschen, denn nnr dann werden wir es erreichen,
allen Vorurteilen, allen berechtigten und unberechtigten Empfindungen und
Empfindeleien zum Trotz zu eiuer vernünftigen Gesetzgebung zu gelangen. Die
bestehende Gesetzgebung hegt einerseits geradezu das Zuhnltertum, und die
Handhaben, die sie allerdings andrerseits dagegen gewährt, reichen ganz und
gar nicht aus.

Über die Prostitutivusfrage ist schon sehr viel gestritten worden. Sie
läßt sich von den verschiedensten Gesichtspunkten aus beleuchten und beant¬
worten. Der Gesetzgeber aber hat im Grunde nur die Wahl zwischen zwei
Standpunkten. Entweder er tritt der nicht geringen Anzahl derer bei. die
die Prostitution als einen unerträglichen Schandflecken an unserm öffentlichen
Leben und für einen Krebsschaden halten, der lieber heute als morgen gänz¬
lich beseitigt werden müßte. Gut, dann untersage man jede Prostitution mit
klaren Worten und (was allerdings das wichtigste ist) führe das Verbot mit
aller Strenge durch. Das ist nicht möglich, sagen die Gegner, und wie mir
scheint, dürfte alle seitherige Erfahrung ihnen Recht geben; wer so etwas will,
der kennt die menschliche Natur nicht, der beachtet nicht die sozialen Bedin¬
gungen des heutigen Lebens. Die Prostitution mag ein Übel sein, aber sie ist
notwendig, um Schlimmeres zu vermeiden.

Unsre Gesetzgebung steht bekanntlich auf dem zweiten Standpunkte, aber
sie hat sich bis jetzt leider nicht entschließen können, den gewählten Stand¬
punkt streng festzuhalten. In § 301 Ur. 6 bestimmt das Strafgesetzbuch
eine sittenpolizeiliche Kontrolle. Der Paragraph bestraft die gewerbsmäßige
Unzucht nur an Frauenspersonen, die nicht unter polizeiliche Aufsicht gestellt
sind. Statt nun aber die Folgen dieser Bestimmung zu ziehen, bedroht
das Strafgesetzbuch in 8 180 ohne Unterschied jeden mit Strafe, der
den Dirnen die zur Ausübung ihres Gewerbes unentbehrlichen Räum¬
lichkeiten gewährt, vorausgesetzt nur, daß er es uicht ein einzelnes vor¬
übergehendes mal völlig unentgeltlich thut. Das ist ein unerträglicher
Widerspruch, allerdings kein logischer, wie der zweite Senat des Reichs¬
gerichts in seinem Urteil vom 23. Mai 1880 so schön sagt: „Der vom
ersten Richter angeführte Grund, daß die der polizeilichen Kontrolle unter¬
stehenden Frauenzimmer doch Mietwohnungen haben müßten, ist ein Argu¬
ment, welches gegenüber der bestehenden Gesetzgebung, die jede Art der Vor-


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[0169] Das Zuhälterwesen und die Gesetzgebung gethan zu haben. Dem hat aber, ob nun gegengezeichnet oder nicht, der Erlaß des Kaisers hoffentlich ein Ende gemacht. Denn in der That ist nichts falscher, als die Meinung, man könne mit den geltenden Gesetzen etwas nachhaltiges erreichen. Im Gegenteil, gerade unsre Gesetze sind es, die die gefährlichste und die verwerflichste Seite der Prostitution, das Zuhülterwesen, großgezogen haben. Das muß mit aller Schärfe und mit rückhaltloser Offenheit ausgesprochen werde», darüber darf keine Unklarheit herrschen, denn nnr dann werden wir es erreichen, allen Vorurteilen, allen berechtigten und unberechtigten Empfindungen und Empfindeleien zum Trotz zu eiuer vernünftigen Gesetzgebung zu gelangen. Die bestehende Gesetzgebung hegt einerseits geradezu das Zuhnltertum, und die Handhaben, die sie allerdings andrerseits dagegen gewährt, reichen ganz und gar nicht aus. Über die Prostitutivusfrage ist schon sehr viel gestritten worden. Sie läßt sich von den verschiedensten Gesichtspunkten aus beleuchten und beant¬ worten. Der Gesetzgeber aber hat im Grunde nur die Wahl zwischen zwei Standpunkten. Entweder er tritt der nicht geringen Anzahl derer bei. die die Prostitution als einen unerträglichen Schandflecken an unserm öffentlichen Leben und für einen Krebsschaden halten, der lieber heute als morgen gänz¬ lich beseitigt werden müßte. Gut, dann untersage man jede Prostitution mit klaren Worten und (was allerdings das wichtigste ist) führe das Verbot mit aller Strenge durch. Das ist nicht möglich, sagen die Gegner, und wie mir scheint, dürfte alle seitherige Erfahrung ihnen Recht geben; wer so etwas will, der kennt die menschliche Natur nicht, der beachtet nicht die sozialen Bedin¬ gungen des heutigen Lebens. Die Prostitution mag ein Übel sein, aber sie ist notwendig, um Schlimmeres zu vermeiden. Unsre Gesetzgebung steht bekanntlich auf dem zweiten Standpunkte, aber sie hat sich bis jetzt leider nicht entschließen können, den gewählten Stand¬ punkt streng festzuhalten. In § 301 Ur. 6 bestimmt das Strafgesetzbuch eine sittenpolizeiliche Kontrolle. Der Paragraph bestraft die gewerbsmäßige Unzucht nur an Frauenspersonen, die nicht unter polizeiliche Aufsicht gestellt sind. Statt nun aber die Folgen dieser Bestimmung zu ziehen, bedroht das Strafgesetzbuch in 8 180 ohne Unterschied jeden mit Strafe, der den Dirnen die zur Ausübung ihres Gewerbes unentbehrlichen Räum¬ lichkeiten gewährt, vorausgesetzt nur, daß er es uicht ein einzelnes vor¬ übergehendes mal völlig unentgeltlich thut. Das ist ein unerträglicher Widerspruch, allerdings kein logischer, wie der zweite Senat des Reichs¬ gerichts in seinem Urteil vom 23. Mai 1880 so schön sagt: „Der vom ersten Richter angeführte Grund, daß die der polizeilichen Kontrolle unter¬ stehenden Frauenzimmer doch Mietwohnungen haben müßten, ist ein Argu¬ ment, welches gegenüber der bestehenden Gesetzgebung, die jede Art der Vor- Grenzboten 1 1892 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/169>, abgerufen am 23.07.2024.