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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Schweizer Dichter

gabung auch guten Geschmack, Natürlichkeit und Adel des Gefühls verbinden,
sind auf dem Gebiete der Unterhaltungslitteratur selten geworden.

Das Bild, das man von der Persönlichkeit Sommers gewinnt, nachdem
man seine Geschichten gelesen hat, stimmt mit der Charakteristik des Menschen
überein, die der dein Dichter offenbar nahe stehende Herausgeber entworfen
hat. Sommer schrieb nicht aus Not, um mit der Feder Geld zu verdienen,
sondern aus Freude an der Sache, ans dem Drange zu erzählen. Er
stammte aus einer gute" Berner Familie und genoß eine gute Erziehung.
Er sollte Techniker werden und kam auf die Züricher Hochschule. Weil er
es aber in jugendlichem Übermut mit den Studien nicht gleich ernst nahm,
rief ihn sein Vater von der Schule ab und machte ihn zum Kaufmann.
Wilhelm wußte sich darein zu finden und als ganzer Mann seinen Beruf zu
erfüllen. Dieser führte ihn dazu, als Vertreter jüdischer Geschäftshäuser in
der Schweiz, im Elsaß und in Süddeutschland herumzureisen, und zwar waren
es Lumpenhändler, die er zu besuchen und zu vertreten hatte. Diese biographische
Notiz ist deswegen interessant, weil Sommer sich selbst als den Geschäfts¬
reisenden Meyer für Lumpenhändler in einzelnen Erzählungen mitwirkend ein¬
führt, und ferner erklärt sie, wie der Berner Bürgersohn dazu kam, das Elsaß
und die Juden, die er in seinen Erzählungen humoristisch schildert, so gut zu
kennen. Sommer wurde aber bald von Krankheiten heimgesucht, die ihn am
Reisen hinderten und in die Stube bannten. Diese erzwungene Muße benutzte
er dazu, durch Lektüre seine Kenntnisse zu vervollständigen, und in der stillen
Einsamkeit der Krankenstube besuchte ihn die Muse.

Was seine Erzählungen auszeichnet, ist, daß man es ihnen anmerkt, daß
der Erzähler selbst eine behagliche Freude am Erzählen hatte. Er wendet
jede Geschichte so, daß sie angenehm und versöhnlich wirkt; es sind zum
größten Teile gute Menschen, liebenswürdige Charaktere, die er schildert, weil er
sich an ihnen freut. Er ist kein Originalgenie, und den Dilettantismus in der
Form hat er nicht immer ganz überwunden; so z. B. versteht er die Ichform
in der Erzählung nicht und vermischt sie mit der objektiven. Aber er heuchelt
nicht eine Größe, die er nicht besitzt, und giebt sich schlicht und wahr in aller
Gemütlichkeit. Seine Erfindungen haben immer eine kleine originelle Wen¬
dung, die überrascht. Er spannt seinen Horizont selten weiter als ans die
nächste Umgebung der Gruppe, vou der er gerade erzählt. Doch manchmal
läßt er auch in seine Dorfgeschichten politische Motive einfließen, und dann
versteht er es, mit nicht gewöhnlicher Anmut und Feinheit sein deutsches
Nationalgefühl gegenüber den elsässischen Franzosenschwärmern zum Ausdruck
zu bringen (wir verweisen ans die Geschichte vom alten Potassier im zweiten
Bande). Seine Elsüsser schildert er mit großer Sicherheit als ein tüchtiges,
gesundes, charaktervolles Volk, aber er ist kein eigentlicher Sittenmaler, wie
es z. B. Rosegger für seine Steierer geworden ist. Sommers Gestalten stehen


Schweizer Dichter

gabung auch guten Geschmack, Natürlichkeit und Adel des Gefühls verbinden,
sind auf dem Gebiete der Unterhaltungslitteratur selten geworden.

Das Bild, das man von der Persönlichkeit Sommers gewinnt, nachdem
man seine Geschichten gelesen hat, stimmt mit der Charakteristik des Menschen
überein, die der dein Dichter offenbar nahe stehende Herausgeber entworfen
hat. Sommer schrieb nicht aus Not, um mit der Feder Geld zu verdienen,
sondern aus Freude an der Sache, ans dem Drange zu erzählen. Er
stammte aus einer gute» Berner Familie und genoß eine gute Erziehung.
Er sollte Techniker werden und kam auf die Züricher Hochschule. Weil er
es aber in jugendlichem Übermut mit den Studien nicht gleich ernst nahm,
rief ihn sein Vater von der Schule ab und machte ihn zum Kaufmann.
Wilhelm wußte sich darein zu finden und als ganzer Mann seinen Beruf zu
erfüllen. Dieser führte ihn dazu, als Vertreter jüdischer Geschäftshäuser in
der Schweiz, im Elsaß und in Süddeutschland herumzureisen, und zwar waren
es Lumpenhändler, die er zu besuchen und zu vertreten hatte. Diese biographische
Notiz ist deswegen interessant, weil Sommer sich selbst als den Geschäfts¬
reisenden Meyer für Lumpenhändler in einzelnen Erzählungen mitwirkend ein¬
führt, und ferner erklärt sie, wie der Berner Bürgersohn dazu kam, das Elsaß
und die Juden, die er in seinen Erzählungen humoristisch schildert, so gut zu
kennen. Sommer wurde aber bald von Krankheiten heimgesucht, die ihn am
Reisen hinderten und in die Stube bannten. Diese erzwungene Muße benutzte
er dazu, durch Lektüre seine Kenntnisse zu vervollständigen, und in der stillen
Einsamkeit der Krankenstube besuchte ihn die Muse.

Was seine Erzählungen auszeichnet, ist, daß man es ihnen anmerkt, daß
der Erzähler selbst eine behagliche Freude am Erzählen hatte. Er wendet
jede Geschichte so, daß sie angenehm und versöhnlich wirkt; es sind zum
größten Teile gute Menschen, liebenswürdige Charaktere, die er schildert, weil er
sich an ihnen freut. Er ist kein Originalgenie, und den Dilettantismus in der
Form hat er nicht immer ganz überwunden; so z. B. versteht er die Ichform
in der Erzählung nicht und vermischt sie mit der objektiven. Aber er heuchelt
nicht eine Größe, die er nicht besitzt, und giebt sich schlicht und wahr in aller
Gemütlichkeit. Seine Erfindungen haben immer eine kleine originelle Wen¬
dung, die überrascht. Er spannt seinen Horizont selten weiter als ans die
nächste Umgebung der Gruppe, vou der er gerade erzählt. Doch manchmal
läßt er auch in seine Dorfgeschichten politische Motive einfließen, und dann
versteht er es, mit nicht gewöhnlicher Anmut und Feinheit sein deutsches
Nationalgefühl gegenüber den elsässischen Franzosenschwärmern zum Ausdruck
zu bringen (wir verweisen ans die Geschichte vom alten Potassier im zweiten
Bande). Seine Elsüsser schildert er mit großer Sicherheit als ein tüchtiges,
gesundes, charaktervolles Volk, aber er ist kein eigentlicher Sittenmaler, wie
es z. B. Rosegger für seine Steierer geworden ist. Sommers Gestalten stehen


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[0143] Schweizer Dichter gabung auch guten Geschmack, Natürlichkeit und Adel des Gefühls verbinden, sind auf dem Gebiete der Unterhaltungslitteratur selten geworden. Das Bild, das man von der Persönlichkeit Sommers gewinnt, nachdem man seine Geschichten gelesen hat, stimmt mit der Charakteristik des Menschen überein, die der dein Dichter offenbar nahe stehende Herausgeber entworfen hat. Sommer schrieb nicht aus Not, um mit der Feder Geld zu verdienen, sondern aus Freude an der Sache, ans dem Drange zu erzählen. Er stammte aus einer gute» Berner Familie und genoß eine gute Erziehung. Er sollte Techniker werden und kam auf die Züricher Hochschule. Weil er es aber in jugendlichem Übermut mit den Studien nicht gleich ernst nahm, rief ihn sein Vater von der Schule ab und machte ihn zum Kaufmann. Wilhelm wußte sich darein zu finden und als ganzer Mann seinen Beruf zu erfüllen. Dieser führte ihn dazu, als Vertreter jüdischer Geschäftshäuser in der Schweiz, im Elsaß und in Süddeutschland herumzureisen, und zwar waren es Lumpenhändler, die er zu besuchen und zu vertreten hatte. Diese biographische Notiz ist deswegen interessant, weil Sommer sich selbst als den Geschäfts¬ reisenden Meyer für Lumpenhändler in einzelnen Erzählungen mitwirkend ein¬ führt, und ferner erklärt sie, wie der Berner Bürgersohn dazu kam, das Elsaß und die Juden, die er in seinen Erzählungen humoristisch schildert, so gut zu kennen. Sommer wurde aber bald von Krankheiten heimgesucht, die ihn am Reisen hinderten und in die Stube bannten. Diese erzwungene Muße benutzte er dazu, durch Lektüre seine Kenntnisse zu vervollständigen, und in der stillen Einsamkeit der Krankenstube besuchte ihn die Muse. Was seine Erzählungen auszeichnet, ist, daß man es ihnen anmerkt, daß der Erzähler selbst eine behagliche Freude am Erzählen hatte. Er wendet jede Geschichte so, daß sie angenehm und versöhnlich wirkt; es sind zum größten Teile gute Menschen, liebenswürdige Charaktere, die er schildert, weil er sich an ihnen freut. Er ist kein Originalgenie, und den Dilettantismus in der Form hat er nicht immer ganz überwunden; so z. B. versteht er die Ichform in der Erzählung nicht und vermischt sie mit der objektiven. Aber er heuchelt nicht eine Größe, die er nicht besitzt, und giebt sich schlicht und wahr in aller Gemütlichkeit. Seine Erfindungen haben immer eine kleine originelle Wen¬ dung, die überrascht. Er spannt seinen Horizont selten weiter als ans die nächste Umgebung der Gruppe, vou der er gerade erzählt. Doch manchmal läßt er auch in seine Dorfgeschichten politische Motive einfließen, und dann versteht er es, mit nicht gewöhnlicher Anmut und Feinheit sein deutsches Nationalgefühl gegenüber den elsässischen Franzosenschwärmern zum Ausdruck zu bringen (wir verweisen ans die Geschichte vom alten Potassier im zweiten Bande). Seine Elsüsser schildert er mit großer Sicherheit als ein tüchtiges, gesundes, charaktervolles Volk, aber er ist kein eigentlicher Sittenmaler, wie es z. B. Rosegger für seine Steierer geworden ist. Sommers Gestalten stehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/143>, abgerufen am 23.07.2024.