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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

Kaiseridee zu Grunde. Varthold hebt mit Recht die tiefe symbolische Bedeu¬
tung der Thatsache hervor, daß der letzte, der mit voller Überzeugung die
Kaiserrechte in ihrem weitumfassenden Umfange geltend machte, zugleich auch
der römischen Gesetzsammlung, "diesem ewigen Buche," das letzte Blatt ein¬
fügen mußte, (Seine beiden Konstitutionen: Huomoöo in lagWv M!ej08ta.t,i8
vriimno xrovoclawr und Hui sint rsdsllö", sind als I^xtiAvagÄntv" ins L!arxu8
,M-is aufgenommen worden; sie stehen, falsch datirt, vor dem I^ibsr <1g xues
Lonstantmg).

Aus diesem Schiffbruch imperialistischer Jdealpolitik erhob sich nnn in
Italien die königliche Realpolitik mit klarem Bewußtsein. Die eignen Freunde
des Kaisers wurden irre an der Richtigkeit der Politik, die sie befolgt hatten.
Mit welchen Empfindungen er in Genua erwartet worden war, davon giebt
ein kindlich frommes Gedicht Kunde, worin er als der von Gott gesandte
Retter begrüßt wird; seine Ankunft sei ein erfrischendes Bad, das Gottes Liebe
dem vertrockneten Erdreich bereitet habe. Aber schon wenige Wochen darnach
jammern die Genueser, sich selbst anklagend: ob sie denn blind gewesen seien,
da sie ihre alte Freiheit ohne Schwertstreich hingegeben und sich freiwillig
dem Joche gebeugt hätten! Durch "diese Pest" werde ihr Handel vernichtet;
die lombardischen Städte, Tnszien, Sizilien hätten alle Verbindungen mit
ihnen abgebrochen; Geld zu erpressen sei der Hauptzweck des Königs. Wenn
Dante die Lage seines Vaterlandes vor Heinrichs Ankunft höchst elend findet
(^Ili 8srv!l Italie, 61 äolors ostollo, Mvo 8SNW ncxzom'sro in ^ran tsiiMiZtli,
Uou ckoium al xrovmois, eng. ooräöllo, ?mZ. VI, 76), so schaut er eben die
Dinge mit dem Auge des verbitterten Verbannten. Ganz andrer Meinung ist
Albertinus Mussatus, der Dichter und Geschichtschreiber Paduas, der nicht
ohne Entsetzen an die Zeiten Friedrichs II. denken kaun, die herrliche Blüte
Paduas nach Ezzelins Tode und die fünfzigjährige glückliche Friedenszeit in
glühenden Farben schildert und durch den Lauf der Ereignisse aus einem be¬
geisterten Verehrer in einen erbitterten Gegner Heinrichs verwandelt wird.
In Cane della Scala, dein Herrn von Verona, dem Heinrich das Vikariat
der Stadt Vieenza übergiebt, sehen sich die Padnaner einen zweiten Ezzelino
erstehen. Der Podestä des belagerten Brescia erwidert dem Kardinal von
Ostia auf dessen Mahnung zur Unterwerfung: der sogenannte Kaiser sei nur
ein Zerstörer; er verwüste die Städte, vergebe sie an Tyrannen und wecke "das
Schisina Friedrichs," die Parteiung der Guelfen und Ghibellinen wieder auf.

Eine grundsätzliche Widerlegung der Kaiseridee aber hat der Angiovine
Robert von Neapel geliefert, in einer Instruktion für seine Gesandten an der
Kurie, die seinen Widerstand gegen Heinrich rechtfertigen sollen, und in einer
Proklamation, die er nach seiner Achtung in Italien verbreiten ließ. Sein
Gedankengang ist folgender. Wenn wir auf deu Ursprung des Imperiums
zurückgehen, so finden wir, daß es dnrch gewaltsame Besitznahme entstanden ist.


Geschichtsphilosophische Gedanken

Kaiseridee zu Grunde. Varthold hebt mit Recht die tiefe symbolische Bedeu¬
tung der Thatsache hervor, daß der letzte, der mit voller Überzeugung die
Kaiserrechte in ihrem weitumfassenden Umfange geltend machte, zugleich auch
der römischen Gesetzsammlung, „diesem ewigen Buche," das letzte Blatt ein¬
fügen mußte, (Seine beiden Konstitutionen: Huomoöo in lagWv M!ej08ta.t,i8
vriimno xrovoclawr und Hui sint rsdsllö«, sind als I^xtiAvagÄntv« ins L!arxu8
,M-is aufgenommen worden; sie stehen, falsch datirt, vor dem I^ibsr <1g xues
Lonstantmg).

Aus diesem Schiffbruch imperialistischer Jdealpolitik erhob sich nnn in
Italien die königliche Realpolitik mit klarem Bewußtsein. Die eignen Freunde
des Kaisers wurden irre an der Richtigkeit der Politik, die sie befolgt hatten.
Mit welchen Empfindungen er in Genua erwartet worden war, davon giebt
ein kindlich frommes Gedicht Kunde, worin er als der von Gott gesandte
Retter begrüßt wird; seine Ankunft sei ein erfrischendes Bad, das Gottes Liebe
dem vertrockneten Erdreich bereitet habe. Aber schon wenige Wochen darnach
jammern die Genueser, sich selbst anklagend: ob sie denn blind gewesen seien,
da sie ihre alte Freiheit ohne Schwertstreich hingegeben und sich freiwillig
dem Joche gebeugt hätten! Durch „diese Pest" werde ihr Handel vernichtet;
die lombardischen Städte, Tnszien, Sizilien hätten alle Verbindungen mit
ihnen abgebrochen; Geld zu erpressen sei der Hauptzweck des Königs. Wenn
Dante die Lage seines Vaterlandes vor Heinrichs Ankunft höchst elend findet
(^Ili 8srv!l Italie, 61 äolors ostollo, Mvo 8SNW ncxzom'sro in ^ran tsiiMiZtli,
Uou ckoium al xrovmois, eng. ooräöllo, ?mZ. VI, 76), so schaut er eben die
Dinge mit dem Auge des verbitterten Verbannten. Ganz andrer Meinung ist
Albertinus Mussatus, der Dichter und Geschichtschreiber Paduas, der nicht
ohne Entsetzen an die Zeiten Friedrichs II. denken kaun, die herrliche Blüte
Paduas nach Ezzelins Tode und die fünfzigjährige glückliche Friedenszeit in
glühenden Farben schildert und durch den Lauf der Ereignisse aus einem be¬
geisterten Verehrer in einen erbitterten Gegner Heinrichs verwandelt wird.
In Cane della Scala, dein Herrn von Verona, dem Heinrich das Vikariat
der Stadt Vieenza übergiebt, sehen sich die Padnaner einen zweiten Ezzelino
erstehen. Der Podestä des belagerten Brescia erwidert dem Kardinal von
Ostia auf dessen Mahnung zur Unterwerfung: der sogenannte Kaiser sei nur
ein Zerstörer; er verwüste die Städte, vergebe sie an Tyrannen und wecke „das
Schisina Friedrichs," die Parteiung der Guelfen und Ghibellinen wieder auf.

Eine grundsätzliche Widerlegung der Kaiseridee aber hat der Angiovine
Robert von Neapel geliefert, in einer Instruktion für seine Gesandten an der
Kurie, die seinen Widerstand gegen Heinrich rechtfertigen sollen, und in einer
Proklamation, die er nach seiner Achtung in Italien verbreiten ließ. Sein
Gedankengang ist folgender. Wenn wir auf deu Ursprung des Imperiums
zurückgehen, so finden wir, daß es dnrch gewaltsame Besitznahme entstanden ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/80>, abgerufen am 23.07.2024.