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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

Vormundschaft als eine Gewaltherrschaft Hütten sie über die Völker ausgeübt.
Übrigens sei ihre göttliche Sendung sowohl durch Wunder erwiesen worden
(unter den Wundern nennt er auch die Rettung des Kapitvls durch die Gänse),
wie auch durch ihre Siege, denn wenn schon der Sieg im Zweikampf mit
Recht als Gottesurteil angesehen werde, um wie viel mehr der im Völker¬
kampf, dessen richtiger Ausgnng Gott ja noch weit mehr am Herzen liegen
müsse. Daher begründe die Eroberung ein wirkliches Besitzrecht. Höhnend
fordert er die Juristen heraus, ihm das Gegenteil zu beweisen. Der Rest
des zweiten Buches und das dritte sind der Widerlegung der übertriebenen
Ansprüche der Päpste gewidmet, die des Kaisers Unabhängigkeit und den Ur¬
sprung der Kaisergewalt unmittelbar aus Gott bestreiten.

Der Hauptsache uach war das ja die allgemeine, tief gewurzelte Meinung,
wie sie der Sachsenspiegel ausspricht, und wie sie auch in Italien bis in die den
Deutschen und ihrem Herrscher feindlichen Kreise auch damals noch ihr Ansehen be¬
hauptete. Johannes von Cermenate, ein Mailänder Notar, der auf die Deutschen
sehr schlecht zu sprechen ist, sagt in seinem Geschichtswerke, wer immer sich
zu den Menschen rechne, der müsse sich als Unterthanen des Reiches der Römer
bekennen. Durch ihre feige Lässigkeit in jener Zeit, da der Papst von den
Langobarden bedrängt ward, sei das Reich den Römern verloren gegangen
und den Deutschen übertragen worden. Wie das Wahlrecht der sieben Kur¬
fürsten entstanden sei, gesteht er ein, nicht zu wissen.

Es ist nun interessant, zu beobachten, wie sich Heinrich von der Kaiser¬
idee, der er mit aufrichtigem Glauben anhing, ganz im Sinne Dantes erfüllt
zeigt. Bis in den Sommer 1312 hinein mit dem Papste verbündet, mußte
er sich mit diesem entzweien, sobald er im Kirchenstaate die unmittelbare Re¬
gierungsgewalt ausübte und Miene machte, das Königreich Neapel zu unter-
werfen. Der Papst gebot Waffenstillstand, und nun trat der Konflikt ein,
dem überhaupt kein Kaiser und kein Papst entgehen konnte, denn, sagt Ranke,
ihre Ansprüche waren schlechthin unvereinbar: der eine, der Papst, wollte keine
Richter, der andre, der Kaiser, kein Gesetz über sich anerkennen. Heinrich ließ
von seinen Juristen eine Antwort an den Papst aufsetzen, deren Hauptgedanken
folgende sind. (Einen Teil der im folgenden benutzten Urkunden hat schon
lange vor Bonaini Dönniges herausgegeben; einiges hat auch in die Ncmu-
msntA von Pertz Aufnahme gefunden.) Er wundre sich sehr, wie der Papst
von Waffenstillstand sprechen könne, da er doch mit niemand Krieg führe; die
Züchtigung eines rebellischen Vasallen sei kein Krieg. Überdies stehe das
Recht, Krieg zu führen und Frieden zu schließen, allein dem römischen Kaiser
zu, der es vom römischen Volke geerbt habe; ohne seine Erlaubnis dürfe
niemand Waffen weder tragen noch gebrauchen. Die MöstW Aaclii, sei ein
t>6wxc>rg,Is, und alle töilixorslig, gehörten dem Kaiser. Dein Petrus habe
Christus uicht ein Schwert, sondern die Schlüssel übergeben. Das Königreich


Geschichtsphilosophische Gedanken

Vormundschaft als eine Gewaltherrschaft Hütten sie über die Völker ausgeübt.
Übrigens sei ihre göttliche Sendung sowohl durch Wunder erwiesen worden
(unter den Wundern nennt er auch die Rettung des Kapitvls durch die Gänse),
wie auch durch ihre Siege, denn wenn schon der Sieg im Zweikampf mit
Recht als Gottesurteil angesehen werde, um wie viel mehr der im Völker¬
kampf, dessen richtiger Ausgnng Gott ja noch weit mehr am Herzen liegen
müsse. Daher begründe die Eroberung ein wirkliches Besitzrecht. Höhnend
fordert er die Juristen heraus, ihm das Gegenteil zu beweisen. Der Rest
des zweiten Buches und das dritte sind der Widerlegung der übertriebenen
Ansprüche der Päpste gewidmet, die des Kaisers Unabhängigkeit und den Ur¬
sprung der Kaisergewalt unmittelbar aus Gott bestreiten.

Der Hauptsache uach war das ja die allgemeine, tief gewurzelte Meinung,
wie sie der Sachsenspiegel ausspricht, und wie sie auch in Italien bis in die den
Deutschen und ihrem Herrscher feindlichen Kreise auch damals noch ihr Ansehen be¬
hauptete. Johannes von Cermenate, ein Mailänder Notar, der auf die Deutschen
sehr schlecht zu sprechen ist, sagt in seinem Geschichtswerke, wer immer sich
zu den Menschen rechne, der müsse sich als Unterthanen des Reiches der Römer
bekennen. Durch ihre feige Lässigkeit in jener Zeit, da der Papst von den
Langobarden bedrängt ward, sei das Reich den Römern verloren gegangen
und den Deutschen übertragen worden. Wie das Wahlrecht der sieben Kur¬
fürsten entstanden sei, gesteht er ein, nicht zu wissen.

Es ist nun interessant, zu beobachten, wie sich Heinrich von der Kaiser¬
idee, der er mit aufrichtigem Glauben anhing, ganz im Sinne Dantes erfüllt
zeigt. Bis in den Sommer 1312 hinein mit dem Papste verbündet, mußte
er sich mit diesem entzweien, sobald er im Kirchenstaate die unmittelbare Re¬
gierungsgewalt ausübte und Miene machte, das Königreich Neapel zu unter-
werfen. Der Papst gebot Waffenstillstand, und nun trat der Konflikt ein,
dem überhaupt kein Kaiser und kein Papst entgehen konnte, denn, sagt Ranke,
ihre Ansprüche waren schlechthin unvereinbar: der eine, der Papst, wollte keine
Richter, der andre, der Kaiser, kein Gesetz über sich anerkennen. Heinrich ließ
von seinen Juristen eine Antwort an den Papst aufsetzen, deren Hauptgedanken
folgende sind. (Einen Teil der im folgenden benutzten Urkunden hat schon
lange vor Bonaini Dönniges herausgegeben; einiges hat auch in die Ncmu-
msntA von Pertz Aufnahme gefunden.) Er wundre sich sehr, wie der Papst
von Waffenstillstand sprechen könne, da er doch mit niemand Krieg führe; die
Züchtigung eines rebellischen Vasallen sei kein Krieg. Überdies stehe das
Recht, Krieg zu führen und Frieden zu schließen, allein dem römischen Kaiser
zu, der es vom römischen Volke geerbt habe; ohne seine Erlaubnis dürfe
niemand Waffen weder tragen noch gebrauchen. Die MöstW Aaclii, sei ein
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Christus uicht ein Schwert, sondern die Schlüssel übergeben. Das Königreich


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[0076] Geschichtsphilosophische Gedanken Vormundschaft als eine Gewaltherrschaft Hütten sie über die Völker ausgeübt. Übrigens sei ihre göttliche Sendung sowohl durch Wunder erwiesen worden (unter den Wundern nennt er auch die Rettung des Kapitvls durch die Gänse), wie auch durch ihre Siege, denn wenn schon der Sieg im Zweikampf mit Recht als Gottesurteil angesehen werde, um wie viel mehr der im Völker¬ kampf, dessen richtiger Ausgnng Gott ja noch weit mehr am Herzen liegen müsse. Daher begründe die Eroberung ein wirkliches Besitzrecht. Höhnend fordert er die Juristen heraus, ihm das Gegenteil zu beweisen. Der Rest des zweiten Buches und das dritte sind der Widerlegung der übertriebenen Ansprüche der Päpste gewidmet, die des Kaisers Unabhängigkeit und den Ur¬ sprung der Kaisergewalt unmittelbar aus Gott bestreiten. Der Hauptsache uach war das ja die allgemeine, tief gewurzelte Meinung, wie sie der Sachsenspiegel ausspricht, und wie sie auch in Italien bis in die den Deutschen und ihrem Herrscher feindlichen Kreise auch damals noch ihr Ansehen be¬ hauptete. Johannes von Cermenate, ein Mailänder Notar, der auf die Deutschen sehr schlecht zu sprechen ist, sagt in seinem Geschichtswerke, wer immer sich zu den Menschen rechne, der müsse sich als Unterthanen des Reiches der Römer bekennen. Durch ihre feige Lässigkeit in jener Zeit, da der Papst von den Langobarden bedrängt ward, sei das Reich den Römern verloren gegangen und den Deutschen übertragen worden. Wie das Wahlrecht der sieben Kur¬ fürsten entstanden sei, gesteht er ein, nicht zu wissen. Es ist nun interessant, zu beobachten, wie sich Heinrich von der Kaiser¬ idee, der er mit aufrichtigem Glauben anhing, ganz im Sinne Dantes erfüllt zeigt. Bis in den Sommer 1312 hinein mit dem Papste verbündet, mußte er sich mit diesem entzweien, sobald er im Kirchenstaate die unmittelbare Re¬ gierungsgewalt ausübte und Miene machte, das Königreich Neapel zu unter- werfen. Der Papst gebot Waffenstillstand, und nun trat der Konflikt ein, dem überhaupt kein Kaiser und kein Papst entgehen konnte, denn, sagt Ranke, ihre Ansprüche waren schlechthin unvereinbar: der eine, der Papst, wollte keine Richter, der andre, der Kaiser, kein Gesetz über sich anerkennen. Heinrich ließ von seinen Juristen eine Antwort an den Papst aufsetzen, deren Hauptgedanken folgende sind. (Einen Teil der im folgenden benutzten Urkunden hat schon lange vor Bonaini Dönniges herausgegeben; einiges hat auch in die Ncmu- msntA von Pertz Aufnahme gefunden.) Er wundre sich sehr, wie der Papst von Waffenstillstand sprechen könne, da er doch mit niemand Krieg führe; die Züchtigung eines rebellischen Vasallen sei kein Krieg. Überdies stehe das Recht, Krieg zu führen und Frieden zu schließen, allein dem römischen Kaiser zu, der es vom römischen Volke geerbt habe; ohne seine Erlaubnis dürfe niemand Waffen weder tragen noch gebrauchen. Die MöstW Aaclii, sei ein t>6wxc>rg,Is, und alle töilixorslig, gehörten dem Kaiser. Dein Petrus habe Christus uicht ein Schwert, sondern die Schlüssel übergeben. Das Königreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/76>, abgerufen am 26.08.2024.