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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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zu lesen, ob Dante der letzte mittelalterliche oder der erste moderne Mensch
gewesen sei. Ich erkläre mir diese läppische Frage daraus, daß die Männer,
die sie aufwerfen, auszer der Göttlichen Komödie kein mittelalterliches Buch
kennen und das Mittelalter für ganz unvernünftig, die Neuzeit für vernünftig
halten; da sie nur in Dante einige ganz vernünftige Ansichten finden, so
kommt er ihnen ein wenig modern vor. Der letzte mittelalterliche Mensch
war er freilich nicht, denn die Herren vom IInivor8, Edmund Jörg und Ouro
.Klopp sind ja anch noch da, von den Päpsten und den Jesuiten gar nicht
zu reden, aber ein mittelalterlicher, orthodox römisch-katholischer Mensch war
er durch und durch. Die Kaiseridee, in der er lebte und webte, ist, weil die
Ergänzung der hierarchischen, ohne diese gar uicht zu denken. Was Alfred
von Neumond in Beziehung auf Florenz sagt, daß Dante diese seine Vater¬
stadt in zürnender Liebe und liebendem Zorne gescholten habe, das trifft auch
beim Papsttum zu: nicht dem Institut gelten seine Strafreden, sondern dessen
seiner Ansicht nach unwürdigen Vertretern und dem Abfall von der Idee. Zu
diesem Abfall nun rechnet Dante auch den Kampf der Päpste gegen die Kaiser,
da ohne das Kaisertum auch die Kirche, das Reich Gottes auf Erden, uicht
bestehen könne. Denn im Gottesreiche, so führt er im ersten Buche seiner
Schrift v<z Noimrolüg, aus, soll der Mensch seine höchste Bestimmung erreichen,
die in der Entfaltung der Erkenntniskraft zur gottähnlichen Weisheit bestehe.
Diese Erkenntnisthütigkeit erfordere aber Ruhe und Sicherheit des Daseins,
daher sei der Friede das höchste Ziel aller Politik. (Dante meint also eigentlich,
alle Menschen müßten Philosophen und die Erde ein einziges großes, stilles
Studirzimmer werden; die Leser wissen, daß wir ungefähr das Gegenteil für
richtig halten.) Der Universalfriede könne aber nur durch einen Universal¬
monarchen gesichert werden. Denn so lange noch zwei gleichberechtigte Fürsten
auf Erden vorhanden sind, können sie mit einander in Streit geraten. Aber
udlouncuic! potout vsss litiAium, ibi clöbst vsss ^'uclieium; sonst würde an
dieser Stelle des Weltalls etwas Unentbehrliebes fehlen. Das ist nicht möglich,
da Gott nichts Unvollkommenes schafft. Demnach muß zwischen und über
jenen ein Höherer stehen, der keinen andern mehr weder über noch neben sich
hat. Nur dieser Höchste kann gerecht richten, also die wichtigste Herrscher¬
pflicht vollkommen erfüllen. Denn alle Ungerechtigkeit entspringt ans der
Begierde. Der Universalmouarch aber, dessen Reich keine andre Grenze kennt
als den Ozean, besitzt alles, kann also nichts mehr begehren, noch durch selbst¬
süchtiges Interesse von der Gerechtigkeit abgelenkt werden. Übrigens darf,
meint Dante, die Universalmonarchie nicht hindern, daß sich jedes Volk seine
besondern und nnr ihm zuträglichen Gesetze und Einrichtungen gebe, denn es
sei doch klar, daß die Bewohner des kalten Nordens und die Menschen im
Himmelsstrich der Tag- und Nachtgleiche, wo die Hitze kaum Kleider zu tragen
gestattet, nicht nach denselben Sitten leben können; nur das allen Menschen


zu lesen, ob Dante der letzte mittelalterliche oder der erste moderne Mensch
gewesen sei. Ich erkläre mir diese läppische Frage daraus, daß die Männer,
die sie aufwerfen, auszer der Göttlichen Komödie kein mittelalterliches Buch
kennen und das Mittelalter für ganz unvernünftig, die Neuzeit für vernünftig
halten; da sie nur in Dante einige ganz vernünftige Ansichten finden, so
kommt er ihnen ein wenig modern vor. Der letzte mittelalterliche Mensch
war er freilich nicht, denn die Herren vom IInivor8, Edmund Jörg und Ouro
.Klopp sind ja anch noch da, von den Päpsten und den Jesuiten gar nicht
zu reden, aber ein mittelalterlicher, orthodox römisch-katholischer Mensch war
er durch und durch. Die Kaiseridee, in der er lebte und webte, ist, weil die
Ergänzung der hierarchischen, ohne diese gar uicht zu denken. Was Alfred
von Neumond in Beziehung auf Florenz sagt, daß Dante diese seine Vater¬
stadt in zürnender Liebe und liebendem Zorne gescholten habe, das trifft auch
beim Papsttum zu: nicht dem Institut gelten seine Strafreden, sondern dessen
seiner Ansicht nach unwürdigen Vertretern und dem Abfall von der Idee. Zu
diesem Abfall nun rechnet Dante auch den Kampf der Päpste gegen die Kaiser,
da ohne das Kaisertum auch die Kirche, das Reich Gottes auf Erden, uicht
bestehen könne. Denn im Gottesreiche, so führt er im ersten Buche seiner
Schrift v<z Noimrolüg, aus, soll der Mensch seine höchste Bestimmung erreichen,
die in der Entfaltung der Erkenntniskraft zur gottähnlichen Weisheit bestehe.
Diese Erkenntnisthütigkeit erfordere aber Ruhe und Sicherheit des Daseins,
daher sei der Friede das höchste Ziel aller Politik. (Dante meint also eigentlich,
alle Menschen müßten Philosophen und die Erde ein einziges großes, stilles
Studirzimmer werden; die Leser wissen, daß wir ungefähr das Gegenteil für
richtig halten.) Der Universalfriede könne aber nur durch einen Universal¬
monarchen gesichert werden. Denn so lange noch zwei gleichberechtigte Fürsten
auf Erden vorhanden sind, können sie mit einander in Streit geraten. Aber
udlouncuic! potout vsss litiAium, ibi clöbst vsss ^'uclieium; sonst würde an
dieser Stelle des Weltalls etwas Unentbehrliebes fehlen. Das ist nicht möglich,
da Gott nichts Unvollkommenes schafft. Demnach muß zwischen und über
jenen ein Höherer stehen, der keinen andern mehr weder über noch neben sich
hat. Nur dieser Höchste kann gerecht richten, also die wichtigste Herrscher¬
pflicht vollkommen erfüllen. Denn alle Ungerechtigkeit entspringt ans der
Begierde. Der Universalmouarch aber, dessen Reich keine andre Grenze kennt
als den Ozean, besitzt alles, kann also nichts mehr begehren, noch durch selbst¬
süchtiges Interesse von der Gerechtigkeit abgelenkt werden. Übrigens darf,
meint Dante, die Universalmonarchie nicht hindern, daß sich jedes Volk seine
besondern und nnr ihm zuträglichen Gesetze und Einrichtungen gebe, denn es
sei doch klar, daß die Bewohner des kalten Nordens und die Menschen im
Himmelsstrich der Tag- und Nachtgleiche, wo die Hitze kaum Kleider zu tragen
gestattet, nicht nach denselben Sitten leben können; nur das allen Menschen


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[0074] zu lesen, ob Dante der letzte mittelalterliche oder der erste moderne Mensch gewesen sei. Ich erkläre mir diese läppische Frage daraus, daß die Männer, die sie aufwerfen, auszer der Göttlichen Komödie kein mittelalterliches Buch kennen und das Mittelalter für ganz unvernünftig, die Neuzeit für vernünftig halten; da sie nur in Dante einige ganz vernünftige Ansichten finden, so kommt er ihnen ein wenig modern vor. Der letzte mittelalterliche Mensch war er freilich nicht, denn die Herren vom IInivor8, Edmund Jörg und Ouro .Klopp sind ja anch noch da, von den Päpsten und den Jesuiten gar nicht zu reden, aber ein mittelalterlicher, orthodox römisch-katholischer Mensch war er durch und durch. Die Kaiseridee, in der er lebte und webte, ist, weil die Ergänzung der hierarchischen, ohne diese gar uicht zu denken. Was Alfred von Neumond in Beziehung auf Florenz sagt, daß Dante diese seine Vater¬ stadt in zürnender Liebe und liebendem Zorne gescholten habe, das trifft auch beim Papsttum zu: nicht dem Institut gelten seine Strafreden, sondern dessen seiner Ansicht nach unwürdigen Vertretern und dem Abfall von der Idee. Zu diesem Abfall nun rechnet Dante auch den Kampf der Päpste gegen die Kaiser, da ohne das Kaisertum auch die Kirche, das Reich Gottes auf Erden, uicht bestehen könne. Denn im Gottesreiche, so führt er im ersten Buche seiner Schrift v<z Noimrolüg, aus, soll der Mensch seine höchste Bestimmung erreichen, die in der Entfaltung der Erkenntniskraft zur gottähnlichen Weisheit bestehe. Diese Erkenntnisthütigkeit erfordere aber Ruhe und Sicherheit des Daseins, daher sei der Friede das höchste Ziel aller Politik. (Dante meint also eigentlich, alle Menschen müßten Philosophen und die Erde ein einziges großes, stilles Studirzimmer werden; die Leser wissen, daß wir ungefähr das Gegenteil für richtig halten.) Der Universalfriede könne aber nur durch einen Universal¬ monarchen gesichert werden. Denn so lange noch zwei gleichberechtigte Fürsten auf Erden vorhanden sind, können sie mit einander in Streit geraten. Aber udlouncuic! potout vsss litiAium, ibi clöbst vsss ^'uclieium; sonst würde an dieser Stelle des Weltalls etwas Unentbehrliebes fehlen. Das ist nicht möglich, da Gott nichts Unvollkommenes schafft. Demnach muß zwischen und über jenen ein Höherer stehen, der keinen andern mehr weder über noch neben sich hat. Nur dieser Höchste kann gerecht richten, also die wichtigste Herrscher¬ pflicht vollkommen erfüllen. Denn alle Ungerechtigkeit entspringt ans der Begierde. Der Universalmouarch aber, dessen Reich keine andre Grenze kennt als den Ozean, besitzt alles, kann also nichts mehr begehren, noch durch selbst¬ süchtiges Interesse von der Gerechtigkeit abgelenkt werden. Übrigens darf, meint Dante, die Universalmonarchie nicht hindern, daß sich jedes Volk seine besondern und nnr ihm zuträglichen Gesetze und Einrichtungen gebe, denn es sei doch klar, daß die Bewohner des kalten Nordens und die Menschen im Himmelsstrich der Tag- und Nachtgleiche, wo die Hitze kaum Kleider zu tragen gestattet, nicht nach denselben Sitten leben können; nur das allen Menschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/74>, abgerufen am 23.07.2024.