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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Gerichtssaal und Presse

Anblick ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen und das tägliche Brot
sie anekeln mußte. Die Presse stellte sich willig in den Dienst des öffentlichen
Bedürfnisses und veröffentlichte als getreue Magd der niedrigsten Neugier
und des Wohlgefallens an unsittlicher Aufregung ganze Spalten von Berichten,
die um das Haupt der Verbrecher, wenn nicht eine Märthrerkroue, so doch
den prunkenden .Kranz einer Tagesgröße wanden. Die Zelle, die den Mörder
umfing, wurde zum Empfangsraum für Zeileuschreiber, und das verworfene
Frauenzimmer, dessen Mitwirkung an der Unthat dem Ganzen den feinsten
Reiz für den Kenner verlieh, hätte gewiß auf irgend einem Vorstadttheater
ein passendes Unterkommen gefunden, wenn nicht das Gericht dem durch die
Zeitungen so angenehm erregten wollüstigen Grausen der Menge gar so wenig
Rücksicht entgegengebracht hätte.

Die deutsche Presse hatte damals für diese Verirrungen ihrer Kollegen
an der Seine und der anfregungslustigen Menge ein einmütiges, bedauerliches
Achselzucken, das auf den Philister entschieden beruhigend und erhebend wirken
mußte. Mit dem erwähnten angenehmen Pharisäergefühl konnte er, ohne es
als solches zu erkennen, in behaglicher Ruhe am Frühstückstisch seine Zeitung
lesen und den Abschnitt "Gerichtssaal" mit besonderm Wohlgefallen zu sich
nehmen. Denn das war doch etwas ganz andres, besseres und gediegneres
als jene verdammenswerten Pariser Plaudereien aus dem Hofe der Assisen.
Da standen interessante Fälle, über die die Rechtsgelehrten und die richter¬
lichen Behörden sich selbst nicht klar oder doch wenigstens nicht einig waren,
namentlich waren die Fülle aus dem bürgerlichen Recht für den Mieter, für
den Händler, den Hausbesitzer recht lehrreich, und man konnte darüber nach¬
denken, wie schön und praktisch doch alles in unserm privaten und öffentlichen
Leben von Staats wegen eingerichtet sei, oder noch besser mit Behagen dar¬
über schimpfen, daß dein leider noch nicht so sei, und daß alles noch besser
werden müsse.

Wir wollen den biedern Philister in seinen Betrachtungen nicht stören,
müssen aber dennoch behaupten, daß unsre Presse keinerlei Anlaß hat, sich
gegenüber dem französischen Vorbild in den Mantel der Unschuld zu hüllen
und sich darin zu brüsten. In ihrer Stellung zu den Vorgängen vor Gericht,
namentlich vor den Strafkammern und Schwurgerichten nimmt die deutsche
Zeitung unstreitig einen ernstern, der Sache mehr angemessenen Standpunkt
ein, als die französische, selbst wenn wir das durch die Stammeseigenart ge¬
steigerte Sensativnsbedürfnis des Südländers als Milderungsgruud in An-
rechnung bringen; aber davon, daß alles hier so wäre, wie es sein sollte,
davon sind wir doch weit entfernt.

Vor allem gilt dies von den Berichten der Presse ans dem Bereiche des
Strafrechtes. Man darf ohne weiteres behaupten, daß die wesentlichen Be¬
stimmungen desselben dem öffentlichen Bewußtsein so tief eingeprägt sind wie


Gerichtssaal und Presse

Anblick ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen und das tägliche Brot
sie anekeln mußte. Die Presse stellte sich willig in den Dienst des öffentlichen
Bedürfnisses und veröffentlichte als getreue Magd der niedrigsten Neugier
und des Wohlgefallens an unsittlicher Aufregung ganze Spalten von Berichten,
die um das Haupt der Verbrecher, wenn nicht eine Märthrerkroue, so doch
den prunkenden .Kranz einer Tagesgröße wanden. Die Zelle, die den Mörder
umfing, wurde zum Empfangsraum für Zeileuschreiber, und das verworfene
Frauenzimmer, dessen Mitwirkung an der Unthat dem Ganzen den feinsten
Reiz für den Kenner verlieh, hätte gewiß auf irgend einem Vorstadttheater
ein passendes Unterkommen gefunden, wenn nicht das Gericht dem durch die
Zeitungen so angenehm erregten wollüstigen Grausen der Menge gar so wenig
Rücksicht entgegengebracht hätte.

Die deutsche Presse hatte damals für diese Verirrungen ihrer Kollegen
an der Seine und der anfregungslustigen Menge ein einmütiges, bedauerliches
Achselzucken, das auf den Philister entschieden beruhigend und erhebend wirken
mußte. Mit dem erwähnten angenehmen Pharisäergefühl konnte er, ohne es
als solches zu erkennen, in behaglicher Ruhe am Frühstückstisch seine Zeitung
lesen und den Abschnitt „Gerichtssaal" mit besonderm Wohlgefallen zu sich
nehmen. Denn das war doch etwas ganz andres, besseres und gediegneres
als jene verdammenswerten Pariser Plaudereien aus dem Hofe der Assisen.
Da standen interessante Fälle, über die die Rechtsgelehrten und die richter¬
lichen Behörden sich selbst nicht klar oder doch wenigstens nicht einig waren,
namentlich waren die Fülle aus dem bürgerlichen Recht für den Mieter, für
den Händler, den Hausbesitzer recht lehrreich, und man konnte darüber nach¬
denken, wie schön und praktisch doch alles in unserm privaten und öffentlichen
Leben von Staats wegen eingerichtet sei, oder noch besser mit Behagen dar¬
über schimpfen, daß dein leider noch nicht so sei, und daß alles noch besser
werden müsse.

Wir wollen den biedern Philister in seinen Betrachtungen nicht stören,
müssen aber dennoch behaupten, daß unsre Presse keinerlei Anlaß hat, sich
gegenüber dem französischen Vorbild in den Mantel der Unschuld zu hüllen
und sich darin zu brüsten. In ihrer Stellung zu den Vorgängen vor Gericht,
namentlich vor den Strafkammern und Schwurgerichten nimmt die deutsche
Zeitung unstreitig einen ernstern, der Sache mehr angemessenen Standpunkt
ein, als die französische, selbst wenn wir das durch die Stammeseigenart ge¬
steigerte Sensativnsbedürfnis des Südländers als Milderungsgruud in An-
rechnung bringen; aber davon, daß alles hier so wäre, wie es sein sollte,
davon sind wir doch weit entfernt.

Vor allem gilt dies von den Berichten der Presse ans dem Bereiche des
Strafrechtes. Man darf ohne weiteres behaupten, daß die wesentlichen Be¬
stimmungen desselben dem öffentlichen Bewußtsein so tief eingeprägt sind wie


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[0068] Gerichtssaal und Presse Anblick ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen und das tägliche Brot sie anekeln mußte. Die Presse stellte sich willig in den Dienst des öffentlichen Bedürfnisses und veröffentlichte als getreue Magd der niedrigsten Neugier und des Wohlgefallens an unsittlicher Aufregung ganze Spalten von Berichten, die um das Haupt der Verbrecher, wenn nicht eine Märthrerkroue, so doch den prunkenden .Kranz einer Tagesgröße wanden. Die Zelle, die den Mörder umfing, wurde zum Empfangsraum für Zeileuschreiber, und das verworfene Frauenzimmer, dessen Mitwirkung an der Unthat dem Ganzen den feinsten Reiz für den Kenner verlieh, hätte gewiß auf irgend einem Vorstadttheater ein passendes Unterkommen gefunden, wenn nicht das Gericht dem durch die Zeitungen so angenehm erregten wollüstigen Grausen der Menge gar so wenig Rücksicht entgegengebracht hätte. Die deutsche Presse hatte damals für diese Verirrungen ihrer Kollegen an der Seine und der anfregungslustigen Menge ein einmütiges, bedauerliches Achselzucken, das auf den Philister entschieden beruhigend und erhebend wirken mußte. Mit dem erwähnten angenehmen Pharisäergefühl konnte er, ohne es als solches zu erkennen, in behaglicher Ruhe am Frühstückstisch seine Zeitung lesen und den Abschnitt „Gerichtssaal" mit besonderm Wohlgefallen zu sich nehmen. Denn das war doch etwas ganz andres, besseres und gediegneres als jene verdammenswerten Pariser Plaudereien aus dem Hofe der Assisen. Da standen interessante Fälle, über die die Rechtsgelehrten und die richter¬ lichen Behörden sich selbst nicht klar oder doch wenigstens nicht einig waren, namentlich waren die Fülle aus dem bürgerlichen Recht für den Mieter, für den Händler, den Hausbesitzer recht lehrreich, und man konnte darüber nach¬ denken, wie schön und praktisch doch alles in unserm privaten und öffentlichen Leben von Staats wegen eingerichtet sei, oder noch besser mit Behagen dar¬ über schimpfen, daß dein leider noch nicht so sei, und daß alles noch besser werden müsse. Wir wollen den biedern Philister in seinen Betrachtungen nicht stören, müssen aber dennoch behaupten, daß unsre Presse keinerlei Anlaß hat, sich gegenüber dem französischen Vorbild in den Mantel der Unschuld zu hüllen und sich darin zu brüsten. In ihrer Stellung zu den Vorgängen vor Gericht, namentlich vor den Strafkammern und Schwurgerichten nimmt die deutsche Zeitung unstreitig einen ernstern, der Sache mehr angemessenen Standpunkt ein, als die französische, selbst wenn wir das durch die Stammeseigenart ge¬ steigerte Sensativnsbedürfnis des Südländers als Milderungsgruud in An- rechnung bringen; aber davon, daß alles hier so wäre, wie es sein sollte, davon sind wir doch weit entfernt. Vor allem gilt dies von den Berichten der Presse ans dem Bereiche des Strafrechtes. Man darf ohne weiteres behaupten, daß die wesentlichen Be¬ stimmungen desselben dem öffentlichen Bewußtsein so tief eingeprägt sind wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/68>, abgerufen am 23.07.2024.