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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Der Stand der Arbeiterbewegung

soll die Sozialdemokratie immer mehr an Terrain gewinnen. Auch auf West-
Preußen hat sich die Agitation geworfen.

Weitere Vorgänge weisen auf ein Erstarken der Organisation der Partei
hin. So sind neue Fachvereine gegründet worden in Leipzig von den Textil¬
arbeitern und Vergoldern und im graphischen Gewerbe, in Stuttgart von den
Nadelarbcitern, in Barmer von den Schmieden, in Mannheim von den Ma¬
trosen und Schiffern, in Hamburg von den Quaiarbeitern. Außerdem siud
allgemeine deutsche Verbände der Nadler, der Kürschner und der Klavier¬
arbeiter in der Bildung begriffen. Der Verband der Sattler umfaßt, obwohl
er erst ein Jahr besteht, bereits 37 Lokalvereine. Kongresse haben abgehalten
die Textilarbeiter in Pösueck, die Tischler in Hannover, die Buchbinder in
Altenburg, die Steinmetzen in Stuttgart, die Maurer in Gotha, die Zimmer-
leute in Halle. Diese Verbandstage waren gut besucht. Es brach die Über¬
zeugung durch, daß der bloß örtlichen eine zentrale Organisation vorzuziehen
sei. Nur die Berliner Maurer verhalten sich noch ablehnend. Ferner ist man
bemüht, die Arbeiter nahestehender Gewerbe durch Kartelle zu vereinige".
Eine Vereinigtlug der Berliner Bauarbeiter ist bereits zu stände gekommen,
sie umfaßt die Maurer, Zimmerer, Töpfer, Maler, Stuckateure, Steinmetzen,
Tapezierer und Bauschläger. Endlich ist der Plan gefaßt worden, alle Ge¬
werbe zu einem Kongresse zusammenzuberufen.

Die weitere Ausbildung der politischen Organisation ist gleichfalls nicht ver¬
nachlässigt worden. Der Vorstand der Partei hat sich, entsprechend den Ve-
stimmuugen des Organisationsentwurfes, neu gebildet. Dagegen scheinen die
Wahlen der Vertrauensmänner noch nicht zum Abschlüsse gekommen zu sein.
Ferner wurden Parteitage in Neumünster (für Schleswig-Holstein), Wriezen
(für Brandenburg), Chemnitz, Magdeburg, Hannover und Köln abgehalten,
die im ganzen gut besucht waren. Auch die Beteiligung deutscher, der Sozial-
demokratie angehörender Bergarbeiter an dem internationalen Bergarbeiter¬
kongresse zu Paris ist zu erwähnen.

Weiter hat die Parteileitung die Art der Beitragseinziehuug verbessert.
Bekanntlich werden von jedem Mitglied eines Fachvereins wöchentlich 10 bis
15 Pfennige an regelmäßigen Beiträgen erhoben. Visher wurden diese ein¬
gesammelt. Jetzt sind Zahlstellen errichtet worden, die Qnittnngsmarken von
10, 20, 30 und 50 Pfennigen verkaufen. Die Beiträge flössen zwar zeit¬
weise etwas spärlich; dennoch ist die Opferfreudigkeit in diesen Kreisen noch
immer als groß zu bezeichnen. So sind allein bei der Hamburger Zentralkassc
in der Zeit vom 20. November bis zum 18. Februar 174850 Mark eingegangen.

Ferner wird berichtet, daß die von den Bergarbeitern an verschiednen
Orten bereits gegründeten Produktenverteilnngsvereine gute Geschäfte macheu.
In Chemnitz und Umgebung hat jeder größere Ort seine Arbeiterhalle, wo
von Sozialisten das Schaukgeschäft schwunghaft betrieben wird. Ähnliche


Der Stand der Arbeiterbewegung

soll die Sozialdemokratie immer mehr an Terrain gewinnen. Auch auf West-
Preußen hat sich die Agitation geworfen.

Weitere Vorgänge weisen auf ein Erstarken der Organisation der Partei
hin. So sind neue Fachvereine gegründet worden in Leipzig von den Textil¬
arbeitern und Vergoldern und im graphischen Gewerbe, in Stuttgart von den
Nadelarbcitern, in Barmer von den Schmieden, in Mannheim von den Ma¬
trosen und Schiffern, in Hamburg von den Quaiarbeitern. Außerdem siud
allgemeine deutsche Verbände der Nadler, der Kürschner und der Klavier¬
arbeiter in der Bildung begriffen. Der Verband der Sattler umfaßt, obwohl
er erst ein Jahr besteht, bereits 37 Lokalvereine. Kongresse haben abgehalten
die Textilarbeiter in Pösueck, die Tischler in Hannover, die Buchbinder in
Altenburg, die Steinmetzen in Stuttgart, die Maurer in Gotha, die Zimmer-
leute in Halle. Diese Verbandstage waren gut besucht. Es brach die Über¬
zeugung durch, daß der bloß örtlichen eine zentrale Organisation vorzuziehen
sei. Nur die Berliner Maurer verhalten sich noch ablehnend. Ferner ist man
bemüht, die Arbeiter nahestehender Gewerbe durch Kartelle zu vereinige».
Eine Vereinigtlug der Berliner Bauarbeiter ist bereits zu stände gekommen,
sie umfaßt die Maurer, Zimmerer, Töpfer, Maler, Stuckateure, Steinmetzen,
Tapezierer und Bauschläger. Endlich ist der Plan gefaßt worden, alle Ge¬
werbe zu einem Kongresse zusammenzuberufen.

Die weitere Ausbildung der politischen Organisation ist gleichfalls nicht ver¬
nachlässigt worden. Der Vorstand der Partei hat sich, entsprechend den Ve-
stimmuugen des Organisationsentwurfes, neu gebildet. Dagegen scheinen die
Wahlen der Vertrauensmänner noch nicht zum Abschlüsse gekommen zu sein.
Ferner wurden Parteitage in Neumünster (für Schleswig-Holstein), Wriezen
(für Brandenburg), Chemnitz, Magdeburg, Hannover und Köln abgehalten,
die im ganzen gut besucht waren. Auch die Beteiligung deutscher, der Sozial-
demokratie angehörender Bergarbeiter an dem internationalen Bergarbeiter¬
kongresse zu Paris ist zu erwähnen.

Weiter hat die Parteileitung die Art der Beitragseinziehuug verbessert.
Bekanntlich werden von jedem Mitglied eines Fachvereins wöchentlich 10 bis
15 Pfennige an regelmäßigen Beiträgen erhoben. Visher wurden diese ein¬
gesammelt. Jetzt sind Zahlstellen errichtet worden, die Qnittnngsmarken von
10, 20, 30 und 50 Pfennigen verkaufen. Die Beiträge flössen zwar zeit¬
weise etwas spärlich; dennoch ist die Opferfreudigkeit in diesen Kreisen noch
immer als groß zu bezeichnen. So sind allein bei der Hamburger Zentralkassc
in der Zeit vom 20. November bis zum 18. Februar 174850 Mark eingegangen.

Ferner wird berichtet, daß die von den Bergarbeitern an verschiednen
Orten bereits gegründeten Produktenverteilnngsvereine gute Geschäfte macheu.
In Chemnitz und Umgebung hat jeder größere Ort seine Arbeiterhalle, wo
von Sozialisten das Schaukgeschäft schwunghaft betrieben wird. Ähnliche


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[0064] Der Stand der Arbeiterbewegung soll die Sozialdemokratie immer mehr an Terrain gewinnen. Auch auf West- Preußen hat sich die Agitation geworfen. Weitere Vorgänge weisen auf ein Erstarken der Organisation der Partei hin. So sind neue Fachvereine gegründet worden in Leipzig von den Textil¬ arbeitern und Vergoldern und im graphischen Gewerbe, in Stuttgart von den Nadelarbcitern, in Barmer von den Schmieden, in Mannheim von den Ma¬ trosen und Schiffern, in Hamburg von den Quaiarbeitern. Außerdem siud allgemeine deutsche Verbände der Nadler, der Kürschner und der Klavier¬ arbeiter in der Bildung begriffen. Der Verband der Sattler umfaßt, obwohl er erst ein Jahr besteht, bereits 37 Lokalvereine. Kongresse haben abgehalten die Textilarbeiter in Pösueck, die Tischler in Hannover, die Buchbinder in Altenburg, die Steinmetzen in Stuttgart, die Maurer in Gotha, die Zimmer- leute in Halle. Diese Verbandstage waren gut besucht. Es brach die Über¬ zeugung durch, daß der bloß örtlichen eine zentrale Organisation vorzuziehen sei. Nur die Berliner Maurer verhalten sich noch ablehnend. Ferner ist man bemüht, die Arbeiter nahestehender Gewerbe durch Kartelle zu vereinige». Eine Vereinigtlug der Berliner Bauarbeiter ist bereits zu stände gekommen, sie umfaßt die Maurer, Zimmerer, Töpfer, Maler, Stuckateure, Steinmetzen, Tapezierer und Bauschläger. Endlich ist der Plan gefaßt worden, alle Ge¬ werbe zu einem Kongresse zusammenzuberufen. Die weitere Ausbildung der politischen Organisation ist gleichfalls nicht ver¬ nachlässigt worden. Der Vorstand der Partei hat sich, entsprechend den Ve- stimmuugen des Organisationsentwurfes, neu gebildet. Dagegen scheinen die Wahlen der Vertrauensmänner noch nicht zum Abschlüsse gekommen zu sein. Ferner wurden Parteitage in Neumünster (für Schleswig-Holstein), Wriezen (für Brandenburg), Chemnitz, Magdeburg, Hannover und Köln abgehalten, die im ganzen gut besucht waren. Auch die Beteiligung deutscher, der Sozial- demokratie angehörender Bergarbeiter an dem internationalen Bergarbeiter¬ kongresse zu Paris ist zu erwähnen. Weiter hat die Parteileitung die Art der Beitragseinziehuug verbessert. Bekanntlich werden von jedem Mitglied eines Fachvereins wöchentlich 10 bis 15 Pfennige an regelmäßigen Beiträgen erhoben. Visher wurden diese ein¬ gesammelt. Jetzt sind Zahlstellen errichtet worden, die Qnittnngsmarken von 10, 20, 30 und 50 Pfennigen verkaufen. Die Beiträge flössen zwar zeit¬ weise etwas spärlich; dennoch ist die Opferfreudigkeit in diesen Kreisen noch immer als groß zu bezeichnen. So sind allein bei der Hamburger Zentralkassc in der Zeit vom 20. November bis zum 18. Februar 174850 Mark eingegangen. Ferner wird berichtet, daß die von den Bergarbeitern an verschiednen Orten bereits gegründeten Produktenverteilnngsvereine gute Geschäfte macheu. In Chemnitz und Umgebung hat jeder größere Ort seine Arbeiterhalle, wo von Sozialisten das Schaukgeschäft schwunghaft betrieben wird. Ähnliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/64>, abgerufen am 26.08.2024.