Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches irgendwelchen begründeten Beschwerden oder berechtigten Forderungen der Arbeiter Wir wagen die Frage nicht zu entscheiden, sondern wollen nur noch auf zwei Maßgebliches und Unmaßgebliches irgendwelchen begründeten Beschwerden oder berechtigten Forderungen der Arbeiter Wir wagen die Frage nicht zu entscheiden, sondern wollen nur noch auf zwei <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0629" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290398"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1931" prev="#ID_1930"> irgendwelchen begründeten Beschwerden oder berechtigten Forderungen der Arbeiter<lb/> nicht mehr die Rede sein kann; wenn alle bisherigen Reformen so ausschließlich<lb/> aus dem freiwilligen Wohlwollen der Regierung und der „bürgerlichen" Parteien<lb/> hervorgegangen sind, daß sie auch ohne die Arbeiterbewegung erfolgt sein würden,<lb/> wenn die Führer der Sozinldemokratcn die grundschlechter Menschen sind, als die<lb/> .Haus Blum sie darstellt, dann ist die ganze Arbeiterbewegung nur eine krankhafte<lb/> Ncrirrung, die über kurz oder laug überwunden werden wird, und das vorliegende<lb/> Buch wird seinen Anteil des Verdienstes dafür beanspruchen dürfen. Sollte es<lb/> sich aber Heransstellen, daß wirklich ein großer Teil unsers Volkes von argen<lb/> sozialen Übelständen bedrückt wird, und daß sich unter dem Wust sozialdemvkra-<lb/> tischer Lügen, Phantastereien und Phrasen auch mancher vernünftige Gedanke<lb/> findet, der zur Abstellung jener Adelstände verwendet werden konnte, sollten „Wandel<lb/> und Verkehr" so erbärmlich gehen, daß selbst die allerkonservativsten und national-<lb/> liberalsten Männer kein rechtes Vertrauen darein zu setze» vermöchten, so würde wahr¬<lb/> scheinlich auch in Zukunft eine große Partei der Uuzufrieduen fortbestehen, und es<lb/> wäre nicht viel damit gewonnen, wenn sie ihren jetzigen Namen mit einem andern<lb/> vertauschte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1932" next="#ID_1933"> Wir wagen die Frage nicht zu entscheiden, sondern wollen nur noch auf zwei<lb/> Lücken des Buches hinweisen, die der überzeugenden Kraft seiner Beweisführung<lb/> Eintrag thu», und die sich der Verfasser vielleicht bei einer zweiten Auflage aus¬<lb/> zufüllen bewogen fühlen wird. Ans Seile 165—175 kritisirt er die Grundlehre<lb/> der deutschen Sozialdemokratie, worunter er, wie die Ausführung ergiebt, die<lb/> Tauschwertthevrie des „Dalai Lamas" der Svzinldcmokrnteu, Karl Marx, versteht;<lb/> er widerlegt diese Werttheorie in klarer und schlagender Beweisführung. Nun ist<lb/> aber diese Theorie eine scholastische Düftelei, die unsereiner zur Not, vou den<lb/> anderthalb Millionen sozialdemokratischer Neichstagswähler aber wahrscheinlich<lb/> keiner versteht, und eine völlig uuverstandne Lehre kann unmöglich eine besondre<lb/> Wirkung ausüben. Dagegen steckt in dem Hauptwerke des großen sozialistischen<lb/> Theoretikers außer der Tauschwertthevrie noch ein andrer Gegenstand, dein eine<lb/> große agitatorische Kraft innewohnt, und der dabei ganz leicht verständlich ist- die<lb/> geschichtliche Darlegung des Prozesses, worin das englische Kapital auf Kohle»<lb/> andrer Völker und des einheimischen Arbeiterstandes aufgehäuft wordeu ist. Und<lb/> dieser historische Beweis ist keineswegs Marxens alleiniges Eigentum oder seine<lb/> eigne Erfindung, sondern man kann ihn vollständig ans andern historische» und<lb/> volkswirtschaftlichen Werke» schöpfen, deren Verfasser der Sozialdemokratie fern<lb/> stehen. Die Frage, ob nicht doch vielleicht die englische Kapitalbildung typisch sei<lb/> für die moderne Kapitalbildnng im allgemeine» (wir verstehe» hier uiiter Kapital<lb/> uicht das Vollsvermögeu, sondern das Großkapital), darf nicht nmgange» werden,<lb/> wo es darauf ankommt, die Sozialdemokratie vollständig ins Unrecht zu setzen'.<lb/> Die andre Lücke findet sich in der Polemik gegen den Atheismus der Sozicil-<lb/> demokrateu. Haus Blum sagt, die gegenwärtige Taktik der Parteiführer verspottend,<lb/> auf Seite 2: „Unsre Sozialdemokratin sind also sehr religiös. Nur behalten sie<lb/> sich kleine Freiheiten der Begriffsbestimmung darüber vor, was »lau unter Gott,<lb/> Religion, Glaube, Kirche u. f. w. zu verstehen habe, und überall dn, wo ihre eignen<lb/> Begriffe von diesen Dingen und unsre Begriffe von einander abweichen, begnügen<lb/> sie sich damit, Recht zu haben und uns wegen der bei uns hervortretenden »un¬<lb/> wissenschaftlichen Gehirnvergiftnng« zu bemitleiden." Da Hans Blum mit dem<lb/> „unsre" und „uus" offenbar die „bürgerlichen" Parteien meint, so setzt er also<lb/> diese als eine Gesamtheit gläubiger Christe» den ungläubigen Sozinldemvkrate»</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0629]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
irgendwelchen begründeten Beschwerden oder berechtigten Forderungen der Arbeiter
nicht mehr die Rede sein kann; wenn alle bisherigen Reformen so ausschließlich
aus dem freiwilligen Wohlwollen der Regierung und der „bürgerlichen" Parteien
hervorgegangen sind, daß sie auch ohne die Arbeiterbewegung erfolgt sein würden,
wenn die Führer der Sozinldemokratcn die grundschlechter Menschen sind, als die
.Haus Blum sie darstellt, dann ist die ganze Arbeiterbewegung nur eine krankhafte
Ncrirrung, die über kurz oder laug überwunden werden wird, und das vorliegende
Buch wird seinen Anteil des Verdienstes dafür beanspruchen dürfen. Sollte es
sich aber Heransstellen, daß wirklich ein großer Teil unsers Volkes von argen
sozialen Übelständen bedrückt wird, und daß sich unter dem Wust sozialdemvkra-
tischer Lügen, Phantastereien und Phrasen auch mancher vernünftige Gedanke
findet, der zur Abstellung jener Adelstände verwendet werden konnte, sollten „Wandel
und Verkehr" so erbärmlich gehen, daß selbst die allerkonservativsten und national-
liberalsten Männer kein rechtes Vertrauen darein zu setze» vermöchten, so würde wahr¬
scheinlich auch in Zukunft eine große Partei der Uuzufrieduen fortbestehen, und es
wäre nicht viel damit gewonnen, wenn sie ihren jetzigen Namen mit einem andern
vertauschte.
Wir wagen die Frage nicht zu entscheiden, sondern wollen nur noch auf zwei
Lücken des Buches hinweisen, die der überzeugenden Kraft seiner Beweisführung
Eintrag thu», und die sich der Verfasser vielleicht bei einer zweiten Auflage aus¬
zufüllen bewogen fühlen wird. Ans Seile 165—175 kritisirt er die Grundlehre
der deutschen Sozialdemokratie, worunter er, wie die Ausführung ergiebt, die
Tauschwertthevrie des „Dalai Lamas" der Svzinldcmokrnteu, Karl Marx, versteht;
er widerlegt diese Werttheorie in klarer und schlagender Beweisführung. Nun ist
aber diese Theorie eine scholastische Düftelei, die unsereiner zur Not, vou den
anderthalb Millionen sozialdemokratischer Neichstagswähler aber wahrscheinlich
keiner versteht, und eine völlig uuverstandne Lehre kann unmöglich eine besondre
Wirkung ausüben. Dagegen steckt in dem Hauptwerke des großen sozialistischen
Theoretikers außer der Tauschwertthevrie noch ein andrer Gegenstand, dein eine
große agitatorische Kraft innewohnt, und der dabei ganz leicht verständlich ist- die
geschichtliche Darlegung des Prozesses, worin das englische Kapital auf Kohle»
andrer Völker und des einheimischen Arbeiterstandes aufgehäuft wordeu ist. Und
dieser historische Beweis ist keineswegs Marxens alleiniges Eigentum oder seine
eigne Erfindung, sondern man kann ihn vollständig ans andern historische» und
volkswirtschaftlichen Werke» schöpfen, deren Verfasser der Sozialdemokratie fern
stehen. Die Frage, ob nicht doch vielleicht die englische Kapitalbildung typisch sei
für die moderne Kapitalbildnng im allgemeine» (wir verstehe» hier uiiter Kapital
uicht das Vollsvermögeu, sondern das Großkapital), darf nicht nmgange» werden,
wo es darauf ankommt, die Sozialdemokratie vollständig ins Unrecht zu setzen'.
Die andre Lücke findet sich in der Polemik gegen den Atheismus der Sozicil-
demokrateu. Haus Blum sagt, die gegenwärtige Taktik der Parteiführer verspottend,
auf Seite 2: „Unsre Sozialdemokratin sind also sehr religiös. Nur behalten sie
sich kleine Freiheiten der Begriffsbestimmung darüber vor, was »lau unter Gott,
Religion, Glaube, Kirche u. f. w. zu verstehen habe, und überall dn, wo ihre eignen
Begriffe von diesen Dingen und unsre Begriffe von einander abweichen, begnügen
sie sich damit, Recht zu haben und uns wegen der bei uns hervortretenden »un¬
wissenschaftlichen Gehirnvergiftnng« zu bemitleiden." Da Hans Blum mit dem
„unsre" und „uus" offenbar die „bürgerlichen" Parteien meint, so setzt er also
diese als eine Gesamtheit gläubiger Christe» den ungläubigen Sozinldemvkrate»
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