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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zeugnis seiner Religiosität; die roäivivu. ist, wenn auch nicht gerade ein
schlechter, so doch ein geistreicher Witz, immerhin aber nur ein Witz und ein
zierlicher -- Scherz. An solchem hat gewiß auch der eine oder der andre
Leser dieser Blätter seine Freude. Ich bitte also, die Göttin ihm vorstellen
zu dürfen.

An den schlechten Witz erinnert eigentlich nur der Titel des Büchleins,
an das dieser Aufsatz anknüpft: Das enthüllte Geheimnis der Pythia.
Da fallen einem natürlich die Traum- und Punktirbücher unsrer Großmütter
ein, die verlockend zum Studium der Sieben Siegel Salomonis vermittelst der
geoffenbarten Weissagung des Propheten Daniel einluden. Und eigentlich
erinnert er uicht nur an einen schlechten Witz, sondern er ist auch einer. Die
heilige Pythia von Delphi trank aus der kastalischen Quelle und kaute, ehe
sie zum Dreifuß über der rauchenden Schlucht trat, Lorbeerblätter, Herr
F. Mohr, der Priester der recllvivg., wird sich wohl an einem Glase Echten
begeistert und an einer Havana in seine mathematische Ekstase hiueingedampft
haben. Immerhin hat der Titel seines Büchleins nicht allgemein abschreckend
gewirkt. Denn es steckt etwas hinter seiner Sache. Man liest, syllabirt nach
seiner Anleitung, addirt, staunt: da springt der glatte Vers heraus; dünn
reibt man sich verwundert die Stirn und lacht, aber man bewundert doch
auch den sinnigen Scherz nud das schlaue Bravourstückchen. Die Mathematiker
von Fach mögen zusehen, ob sie diese Nuß eines Vermessungsrevisors a. D.,
der zugleich ein tüchtiger Lateiner sein muß, zu knacken vermögen. Bis jetzt
haben die, die sich daran versucht haben, wenn ich recht sehe, das ganze Rätsel
noch nicht gelöst.

Die griechische Divination hatte, wie der Name sagt, etwas Göttliches
an sich; sie war ein Geschenk der Götter, eine Offenbarung:


Lu.vvtuztmr v^dös, wÄAiniw ^vvtorv xossit
IZxousstLso <Isuw.

(Seherin rast, ob wohl aus der Brust sie die mächtige Gottheit
Korne entschütteln.)


Die Divination der modernem Pythia giebt sich als Wissenschaft und will
bis zu einem gewissen Grade ernst genommen sein. Damit habe ich also nichts
zu thun. Ich halte mich nicht an den schwindelhafter Hanpttitel. Der
Nebentitel aber hält, was er verspricht: "die Kunst, ohne Kenntnis der latei¬
nischen Sprache auf mathematischem Wege lateinische Hexameter zu mache",
die zugleich weissagend auf eine vorgelegte Frage die Autwort erteilen."
(Hannover, Schmorls und Seefelds Nachfolger.) Dabei kommt mir eine klassische
Erinnerung. Tacitus berichtet (Annal. II, 54), daß sich der weissagende Priester
im Heiligtum des klarischen Apollo nur die Namen und die Zahl derer, die deu
Gott befragten, sagen ließ; dann stieg er in eine Höhle, trank von der dort
rauschenden Quelle und erteilte nun, obwohl er von Hans aus ein ruge-


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Zeugnis seiner Religiosität; die roäivivu. ist, wenn auch nicht gerade ein
schlechter, so doch ein geistreicher Witz, immerhin aber nur ein Witz und ein
zierlicher — Scherz. An solchem hat gewiß auch der eine oder der andre
Leser dieser Blätter seine Freude. Ich bitte also, die Göttin ihm vorstellen
zu dürfen.

An den schlechten Witz erinnert eigentlich nur der Titel des Büchleins,
an das dieser Aufsatz anknüpft: Das enthüllte Geheimnis der Pythia.
Da fallen einem natürlich die Traum- und Punktirbücher unsrer Großmütter
ein, die verlockend zum Studium der Sieben Siegel Salomonis vermittelst der
geoffenbarten Weissagung des Propheten Daniel einluden. Und eigentlich
erinnert er uicht nur an einen schlechten Witz, sondern er ist auch einer. Die
heilige Pythia von Delphi trank aus der kastalischen Quelle und kaute, ehe
sie zum Dreifuß über der rauchenden Schlucht trat, Lorbeerblätter, Herr
F. Mohr, der Priester der recllvivg., wird sich wohl an einem Glase Echten
begeistert und an einer Havana in seine mathematische Ekstase hiueingedampft
haben. Immerhin hat der Titel seines Büchleins nicht allgemein abschreckend
gewirkt. Denn es steckt etwas hinter seiner Sache. Man liest, syllabirt nach
seiner Anleitung, addirt, staunt: da springt der glatte Vers heraus; dünn
reibt man sich verwundert die Stirn und lacht, aber man bewundert doch
auch den sinnigen Scherz nud das schlaue Bravourstückchen. Die Mathematiker
von Fach mögen zusehen, ob sie diese Nuß eines Vermessungsrevisors a. D.,
der zugleich ein tüchtiger Lateiner sein muß, zu knacken vermögen. Bis jetzt
haben die, die sich daran versucht haben, wenn ich recht sehe, das ganze Rätsel
noch nicht gelöst.

Die griechische Divination hatte, wie der Name sagt, etwas Göttliches
an sich; sie war ein Geschenk der Götter, eine Offenbarung:


Lu.vvtuztmr v^dös, wÄAiniw ^vvtorv xossit
IZxousstLso <Isuw.

(Seherin rast, ob wohl aus der Brust sie die mächtige Gottheit
Korne entschütteln.)


Die Divination der modernem Pythia giebt sich als Wissenschaft und will
bis zu einem gewissen Grade ernst genommen sein. Damit habe ich also nichts
zu thun. Ich halte mich nicht an den schwindelhafter Hanpttitel. Der
Nebentitel aber hält, was er verspricht: „die Kunst, ohne Kenntnis der latei¬
nischen Sprache auf mathematischem Wege lateinische Hexameter zu mache»,
die zugleich weissagend auf eine vorgelegte Frage die Autwort erteilen."
(Hannover, Schmorls und Seefelds Nachfolger.) Dabei kommt mir eine klassische
Erinnerung. Tacitus berichtet (Annal. II, 54), daß sich der weissagende Priester
im Heiligtum des klarischen Apollo nur die Namen und die Zahl derer, die deu
Gott befragten, sagen ließ; dann stieg er in eine Höhle, trank von der dort
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/610>, abgerufen am 23.07.2024.