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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Katholizismus

zu Linz (September 1850) mit den Worten zurück: "Es wird in dieser Ver¬
sammlung nicht leicht jemand sein, dein dieser Vorwurf häufiger gemacht
worden wäre, als dem, der eben zu Ihnen spricht. Ich habe mich vergeblich
bemüht, auch nur ein einziges mal von denen, die dieses Wort im Munde
führen, eine Erklärung zu hören, was Ultramontanismus sei, oder worin denn
der Unterschied zwischen einem Katholiken und einem Ultramontanen liege.
Die einzige einigermaßen faßliche Erklärung wurde mir einmal in der Frank¬
furter Nationalversammlung mit den Worten gegeben: Ultramvntanc seien
die, welche den Papst zum deutschen Kaiser machen wollten. Gleichwohl aber
kaun ich mir eine Bedeutung dieses Ausdrucks deuten, die mich veranlassen
würde, mich auf das entschiedenste gegen den Ultrcnnvntanismus -- wenn eine
solche Gesinnung nud Richtung existirt -- zu erklären. Ich würde nämlich
sagen, ich verstünde unter Ultramontanismus das Bestreben, mit gänzlicher
Zurücksetzung und Vernachlässigung der Eigentümlichkeiten des deutschen Volkes
ihm dasjenige, was eine andre Nation nach ihrer Eigentümlichkeit in religiöser
Beziehung gestaltet und entwickelt hat, aufdrängen und wie einen fremden
Rock dein sich sträubenden deutschet? Volke anziehen zu wollen. Das wäre der
Ultramontanismus, gegen den ich als der erste mich entschieden erklären würde.
Denn wir Deutschen wollen als Mitglieder der katholischen Kirche nicht auf¬
hören, Deutsche zu sein, sondern Deutsche im wahren und vollsten Sinne des
Wortes bleiben und auch kein Jota unsrer nationalen Eigentümlichkeit, so
weit sie gut und rechtmäßig ist und mit dem Geiste der katholischen Kirche
im Einklange steht, aufgeben."

Der Indikativ steht wohl nicht zufällig in dem Satze "wenn eine solche
Gesinnung und Richtung existirt," anstatt des Konjunktivs, den man erwarten
dürfte. Döllinger scheint damals schon bemerkt zu haben, daß die von ihm
verurteilte Richtung wirklich existirte, wenn er sie anch noch nicht für ge¬
fährlich hielt, und jeuer hypothetische Satz klingt wie eine leise Warnung.
Dreizehn Jahre später sieht er sich veranlaßt, ihre Existenz und ihre steigende
Macht öffentlich anzuerkennen und ausdrücklich vor ihr zu warnen. Das ge¬
schah auf der Gelehrtenversammlung zu München in der um 28. September
1863 gehaltenen Rede über die Vergangenheit und Gegenwart der katholischen
Theologie, die zusammen mit seinen berühmten Musenmsvvrträgen über den
Kirchenstaat (5. und 9. April 1861) den Wendepunkt in seinem öffentlichen
Leben bildet; in der Sammlung von Reusch eröffnet sie die zweite Abteilung.
Beim Rückblick auf die Vergangenheit muß er bekennen, daß die mittelalter¬
liche Theologie eigentlich einäugig gewesen sei, da sie nur das spekulative
Auge besessen, des historischen aber entbehrt habe. Und über die Reformation,
die er jetzt schon mit diesem Name" zu nennen wagt, sagt er: "Im ganzen
und großen müssen wir doch bekennen, daß, wenn wir die Interessen der
Wissenschaft zum Maßstabe nehmen, die Trennung der Christenheit weit eher


Zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Katholizismus

zu Linz (September 1850) mit den Worten zurück: „Es wird in dieser Ver¬
sammlung nicht leicht jemand sein, dein dieser Vorwurf häufiger gemacht
worden wäre, als dem, der eben zu Ihnen spricht. Ich habe mich vergeblich
bemüht, auch nur ein einziges mal von denen, die dieses Wort im Munde
führen, eine Erklärung zu hören, was Ultramontanismus sei, oder worin denn
der Unterschied zwischen einem Katholiken und einem Ultramontanen liege.
Die einzige einigermaßen faßliche Erklärung wurde mir einmal in der Frank¬
furter Nationalversammlung mit den Worten gegeben: Ultramvntanc seien
die, welche den Papst zum deutschen Kaiser machen wollten. Gleichwohl aber
kaun ich mir eine Bedeutung dieses Ausdrucks deuten, die mich veranlassen
würde, mich auf das entschiedenste gegen den Ultrcnnvntanismus — wenn eine
solche Gesinnung nud Richtung existirt — zu erklären. Ich würde nämlich
sagen, ich verstünde unter Ultramontanismus das Bestreben, mit gänzlicher
Zurücksetzung und Vernachlässigung der Eigentümlichkeiten des deutschen Volkes
ihm dasjenige, was eine andre Nation nach ihrer Eigentümlichkeit in religiöser
Beziehung gestaltet und entwickelt hat, aufdrängen und wie einen fremden
Rock dein sich sträubenden deutschet? Volke anziehen zu wollen. Das wäre der
Ultramontanismus, gegen den ich als der erste mich entschieden erklären würde.
Denn wir Deutschen wollen als Mitglieder der katholischen Kirche nicht auf¬
hören, Deutsche zu sein, sondern Deutsche im wahren und vollsten Sinne des
Wortes bleiben und auch kein Jota unsrer nationalen Eigentümlichkeit, so
weit sie gut und rechtmäßig ist und mit dem Geiste der katholischen Kirche
im Einklange steht, aufgeben."

Der Indikativ steht wohl nicht zufällig in dem Satze „wenn eine solche
Gesinnung und Richtung existirt," anstatt des Konjunktivs, den man erwarten
dürfte. Döllinger scheint damals schon bemerkt zu haben, daß die von ihm
verurteilte Richtung wirklich existirte, wenn er sie anch noch nicht für ge¬
fährlich hielt, und jeuer hypothetische Satz klingt wie eine leise Warnung.
Dreizehn Jahre später sieht er sich veranlaßt, ihre Existenz und ihre steigende
Macht öffentlich anzuerkennen und ausdrücklich vor ihr zu warnen. Das ge¬
schah auf der Gelehrtenversammlung zu München in der um 28. September
1863 gehaltenen Rede über die Vergangenheit und Gegenwart der katholischen
Theologie, die zusammen mit seinen berühmten Musenmsvvrträgen über den
Kirchenstaat (5. und 9. April 1861) den Wendepunkt in seinem öffentlichen
Leben bildet; in der Sammlung von Reusch eröffnet sie die zweite Abteilung.
Beim Rückblick auf die Vergangenheit muß er bekennen, daß die mittelalter¬
liche Theologie eigentlich einäugig gewesen sei, da sie nur das spekulative
Auge besessen, des historischen aber entbehrt habe. Und über die Reformation,
die er jetzt schon mit diesem Name» zu nennen wagt, sagt er: „Im ganzen
und großen müssen wir doch bekennen, daß, wenn wir die Interessen der
Wissenschaft zum Maßstabe nehmen, die Trennung der Christenheit weit eher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/600>, abgerufen am 26.08.2024.