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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Körners Vater

auszuführen, war der an den Rand der Verzweiflung getriebne Schiller damals
sehr nahe. In einem Briefe an Körner, den dieser mich lesen ließ, schrieb er:
"Von der Brücke bei Sachsenhauser sah ich mut- und trostlos hinunter in
den Fluß und war entschlossen, einem qualvollen Leben ein Ende zu machen; --
da traten eure Bilder mir vor die Seele, ich gedachte eurer Liebe und
Freundschaft; sie riefen mich in das Leben zurück und retteten mich." Als
der Vater Körner mich damit betraut hatte, aus dem damals nur hand¬
schriftlich vorhandenen Briefwechsel Auszüge für Frau von Wolzogen zu machen,
hatte ich diese Stelle als vom größten Interesse zur Veröffentlichung aus¬
gezogen; Körner legte jedoch den Brief zurück, wie er meinte, aus schonender
Rücksicht für den Freund."

So war der Aufenthalt Schillers bei Körner in Leipzig und Dresden
ein Ereignis von noch viel schwerer wiegender Bedeutung, als gewöhnlich
angenommen wird. Niemand hat aber auch von vornherein so scharf und
klar Schillers Größe erkannt, wie sein Freund Körner. Schon nach kurzer
Zeit ihrer Bekanntschaft äußerte dieser in aufrichtiger Bewunderung, daß
"alles, was die Geschichte in Charakteren und Situationen Großes liefere und
Shakespeare noch nicht erschöpft habe, auf Schillers Pinsel warte." Der
Briefwechsel zwischen den beiden Freunden und die philosophischen Briefe
zwischen Julius und Raphael (Schillers Thalia, drittes Heft, 1787, und
siebentes Heft, 1789), abgedruckt in Christian Gottfried Körners Gesammelten
Schriften, unter uns an, wie das erhebende Geläut zweier harmonisch
gestimmten Glocken; die "Nachrichten von Schillers Leben" aber, die kein
Würdigerer schreiben konnte als Körner, und mit denen dieser die erste Ge¬
samtausgabe der Werke seines Freundes begleitete, können wohl mit Goethes
berühmtem Epilog zu Schillers Glocke verglichen werden, wenn sie auch in
schlichter Prosa abgefaßt sind.

Während Schiller mit Körner und Huber zusammenlebte und sein Lied
an die Freude dichtete, vollzog sich der Bund fürs Leben zwischen Minna
Stock und ihrem Verlobten. Durch den Tod der Eltern zu Anfang des Jahres
1785 war Körner in den Besitz eines nicht unbeträchtlichen Vermögens gelangt,
dessen er freilich auch zur Begründung eines Hallsstandes bedürfte, denn sein
Gehalt betrug damals, einschließlich eines Nebenamtes, nur zweihundert Thaler.
Die Opfer, die er Schiller brachte, waren also nicht ganz gering anzuschlagen.
Aber noch einem zweiten Freunde stand er bei, dem Buchhändler Göschen,
dem spätern Verleger der "Knospen" seines Sohnes, wenn er bei dieser Unter¬
stützung auch hoffte, sein Geld leidlich zu verzinsen.

Das Haus, das er nun in Dresden begründete, wird mit Recht als eine
Oase in der damaligen "Wüste der Geister" geschildert. Die Persönlichkeiten,
die darin ein- und ausgingen oder längere und kürzere Zeit dort verweilten
- außer Schiller noch Goethe, Wilhelm von Humboldt, Graf Geßler, die Herzogin


Theodor Körners Vater

auszuführen, war der an den Rand der Verzweiflung getriebne Schiller damals
sehr nahe. In einem Briefe an Körner, den dieser mich lesen ließ, schrieb er:
»Von der Brücke bei Sachsenhauser sah ich mut- und trostlos hinunter in
den Fluß und war entschlossen, einem qualvollen Leben ein Ende zu machen; —
da traten eure Bilder mir vor die Seele, ich gedachte eurer Liebe und
Freundschaft; sie riefen mich in das Leben zurück und retteten mich.« Als
der Vater Körner mich damit betraut hatte, aus dem damals nur hand¬
schriftlich vorhandenen Briefwechsel Auszüge für Frau von Wolzogen zu machen,
hatte ich diese Stelle als vom größten Interesse zur Veröffentlichung aus¬
gezogen; Körner legte jedoch den Brief zurück, wie er meinte, aus schonender
Rücksicht für den Freund."

So war der Aufenthalt Schillers bei Körner in Leipzig und Dresden
ein Ereignis von noch viel schwerer wiegender Bedeutung, als gewöhnlich
angenommen wird. Niemand hat aber auch von vornherein so scharf und
klar Schillers Größe erkannt, wie sein Freund Körner. Schon nach kurzer
Zeit ihrer Bekanntschaft äußerte dieser in aufrichtiger Bewunderung, daß
„alles, was die Geschichte in Charakteren und Situationen Großes liefere und
Shakespeare noch nicht erschöpft habe, auf Schillers Pinsel warte." Der
Briefwechsel zwischen den beiden Freunden und die philosophischen Briefe
zwischen Julius und Raphael (Schillers Thalia, drittes Heft, 1787, und
siebentes Heft, 1789), abgedruckt in Christian Gottfried Körners Gesammelten
Schriften, unter uns an, wie das erhebende Geläut zweier harmonisch
gestimmten Glocken; die „Nachrichten von Schillers Leben" aber, die kein
Würdigerer schreiben konnte als Körner, und mit denen dieser die erste Ge¬
samtausgabe der Werke seines Freundes begleitete, können wohl mit Goethes
berühmtem Epilog zu Schillers Glocke verglichen werden, wenn sie auch in
schlichter Prosa abgefaßt sind.

Während Schiller mit Körner und Huber zusammenlebte und sein Lied
an die Freude dichtete, vollzog sich der Bund fürs Leben zwischen Minna
Stock und ihrem Verlobten. Durch den Tod der Eltern zu Anfang des Jahres
1785 war Körner in den Besitz eines nicht unbeträchtlichen Vermögens gelangt,
dessen er freilich auch zur Begründung eines Hallsstandes bedürfte, denn sein
Gehalt betrug damals, einschließlich eines Nebenamtes, nur zweihundert Thaler.
Die Opfer, die er Schiller brachte, waren also nicht ganz gering anzuschlagen.
Aber noch einem zweiten Freunde stand er bei, dem Buchhändler Göschen,
dem spätern Verleger der „Knospen" seines Sohnes, wenn er bei dieser Unter¬
stützung auch hoffte, sein Geld leidlich zu verzinsen.

Das Haus, das er nun in Dresden begründete, wird mit Recht als eine
Oase in der damaligen „Wüste der Geister" geschildert. Die Persönlichkeiten,
die darin ein- und ausgingen oder längere und kürzere Zeit dort verweilten
- außer Schiller noch Goethe, Wilhelm von Humboldt, Graf Geßler, die Herzogin


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[0571] Theodor Körners Vater auszuführen, war der an den Rand der Verzweiflung getriebne Schiller damals sehr nahe. In einem Briefe an Körner, den dieser mich lesen ließ, schrieb er: »Von der Brücke bei Sachsenhauser sah ich mut- und trostlos hinunter in den Fluß und war entschlossen, einem qualvollen Leben ein Ende zu machen; — da traten eure Bilder mir vor die Seele, ich gedachte eurer Liebe und Freundschaft; sie riefen mich in das Leben zurück und retteten mich.« Als der Vater Körner mich damit betraut hatte, aus dem damals nur hand¬ schriftlich vorhandenen Briefwechsel Auszüge für Frau von Wolzogen zu machen, hatte ich diese Stelle als vom größten Interesse zur Veröffentlichung aus¬ gezogen; Körner legte jedoch den Brief zurück, wie er meinte, aus schonender Rücksicht für den Freund." So war der Aufenthalt Schillers bei Körner in Leipzig und Dresden ein Ereignis von noch viel schwerer wiegender Bedeutung, als gewöhnlich angenommen wird. Niemand hat aber auch von vornherein so scharf und klar Schillers Größe erkannt, wie sein Freund Körner. Schon nach kurzer Zeit ihrer Bekanntschaft äußerte dieser in aufrichtiger Bewunderung, daß „alles, was die Geschichte in Charakteren und Situationen Großes liefere und Shakespeare noch nicht erschöpft habe, auf Schillers Pinsel warte." Der Briefwechsel zwischen den beiden Freunden und die philosophischen Briefe zwischen Julius und Raphael (Schillers Thalia, drittes Heft, 1787, und siebentes Heft, 1789), abgedruckt in Christian Gottfried Körners Gesammelten Schriften, unter uns an, wie das erhebende Geläut zweier harmonisch gestimmten Glocken; die „Nachrichten von Schillers Leben" aber, die kein Würdigerer schreiben konnte als Körner, und mit denen dieser die erste Ge¬ samtausgabe der Werke seines Freundes begleitete, können wohl mit Goethes berühmtem Epilog zu Schillers Glocke verglichen werden, wenn sie auch in schlichter Prosa abgefaßt sind. Während Schiller mit Körner und Huber zusammenlebte und sein Lied an die Freude dichtete, vollzog sich der Bund fürs Leben zwischen Minna Stock und ihrem Verlobten. Durch den Tod der Eltern zu Anfang des Jahres 1785 war Körner in den Besitz eines nicht unbeträchtlichen Vermögens gelangt, dessen er freilich auch zur Begründung eines Hallsstandes bedürfte, denn sein Gehalt betrug damals, einschließlich eines Nebenamtes, nur zweihundert Thaler. Die Opfer, die er Schiller brachte, waren also nicht ganz gering anzuschlagen. Aber noch einem zweiten Freunde stand er bei, dem Buchhändler Göschen, dem spätern Verleger der „Knospen" seines Sohnes, wenn er bei dieser Unter¬ stützung auch hoffte, sein Geld leidlich zu verzinsen. Das Haus, das er nun in Dresden begründete, wird mit Recht als eine Oase in der damaligen „Wüste der Geister" geschildert. Die Persönlichkeiten, die darin ein- und ausgingen oder längere und kürzere Zeit dort verweilten - außer Schiller noch Goethe, Wilhelm von Humboldt, Graf Geßler, die Herzogin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/571>, abgerufen am 23.07.2024.