Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Richterstand und die öffentliche Meinung

der Volksschule. Welche Opfer ein Amtsrichter zu bringen hat, dem die
Kinder heranwachsen, und der sie nun in einem Alter von zehn Jahren in
einer andern Stadt in einer Familie unterbringen muß, davon wird klug ge¬
schwiegen, wenn über die Zurücksetzung des Lehrerstandes geklagt wird.

Die unaufhörlichem Klagen ans den Kreisen dieses Standes werden sicher¬
lich schließlich den erstrebten Erfolg haben; in Preußen soll ja schon durch
den nächsten Staatshaushaltsentwurf die Gleichstellung eingeführt werden.
Man darf wohl begierig sein, ob dabei auch den Lehrern eine der Resereudar-
zeit entsprechende drei- bis vierjährige Wartezeit auferlegt werden wird, in der
sie im Staatsdienste thätig sein müssen, ohne einen Pfennig Gehalt zu be¬
kommen. Und auch darauf darf man gespannt sein, ob dann das jetzt geradezu
anstößig betrielme Erteilen von Sondernnterricht, wem? auch nicht an die
eignen, so doch -- unter Verbürgung gegenseitiger Forthilfe bei der Versetzung
u. dergl. -- an die Schüler der Kollegen, und die ebenfalls an vielen
Anstalten betriebne anstößige Ausnutzung der Lehrerstellung, Schüler als
Hanszöglinge zu erstaunlichen Preisen anzunehmen, wegfallen wird. Wenn
jetzt solche Ungehörigkeiten getadelt werden, dann wird der Vorwurf mit der
Berufung auf die ungünstige materielle Stellung der Lehrer zurückgewiesen.
Immerhin wäre zu wünschen, daß nach Besserung der letztern die Aufsichts¬
behörde unnachsichtig gegen solche Mißstände einschritte, am besten ein allge¬
meines Verbot gegen Ungehörigkeiten dieser Art erließe, denn sonst ist zu
befürchten, daß mancher trotzdem einen so einträglichen Nebenerwerb nicht
aufgeben möchte.

Wenn die Richter nicht ebenso wie die Lehrer fortwährend ihre Klagen
nach Besserung ihrer Stellung laut werden lassen, so liegt das wahrlich nicht
an einem Mangel an Veranlassung dazu. Die Bevorzugung der Verwaltungs¬
beamten ihnen gegenüber sowohl im Rang wie im Gehalt liegt offen zu Tage.
Der im Dienst ergraute älteste Amts- oder Landgerichtsrat steht (wenigstens
in Preußen) dem jüngsten Landrat nach; und was den Gehalt betrifft, so
muß ein Richter ebenfalls schon lange Jahre thätig gewesen sein, ehe er die
unterste Gehaltsstufe der Verwnltungsbeamten erreicht.

Welche Achtung man überhaupt in preußischen Verwaltungskreisen dem
Richterstand und den Ausgaben der Rechtspflege entgegenbringt, dafür liefert
der uns gerade vorliegende amtliche Staatsdienstkalender für den Regierungs¬
bezirk Kassel auf das Jahr 1890/91 einen recht bezeichnenden Beitrag. Ist die
darin gegebne Zusammenstellung der Behörden in ihrer Reihenfolge auch ein
wahres Muster von Systemlosigkeit (königliche und kaiserliche, weltliche und
kirchliche, staatliche und Selbstverwaltnngsbehörden bilden ein buntes Durch¬
einander), so ist es doch sicherlich kein Zufall, daß die Justizbehörden erst an
allerletzter Stelle unter Nummer 31 aufgeführt werden, hinter dem Hanpt-
gestüt zu Bererbeck, der Direktion des Hanpthofhvspitals, der Intendantur der


Der Richterstand und die öffentliche Meinung

der Volksschule. Welche Opfer ein Amtsrichter zu bringen hat, dem die
Kinder heranwachsen, und der sie nun in einem Alter von zehn Jahren in
einer andern Stadt in einer Familie unterbringen muß, davon wird klug ge¬
schwiegen, wenn über die Zurücksetzung des Lehrerstandes geklagt wird.

Die unaufhörlichem Klagen ans den Kreisen dieses Standes werden sicher¬
lich schließlich den erstrebten Erfolg haben; in Preußen soll ja schon durch
den nächsten Staatshaushaltsentwurf die Gleichstellung eingeführt werden.
Man darf wohl begierig sein, ob dabei auch den Lehrern eine der Resereudar-
zeit entsprechende drei- bis vierjährige Wartezeit auferlegt werden wird, in der
sie im Staatsdienste thätig sein müssen, ohne einen Pfennig Gehalt zu be¬
kommen. Und auch darauf darf man gespannt sein, ob dann das jetzt geradezu
anstößig betrielme Erteilen von Sondernnterricht, wem? auch nicht an die
eignen, so doch — unter Verbürgung gegenseitiger Forthilfe bei der Versetzung
u. dergl. — an die Schüler der Kollegen, und die ebenfalls an vielen
Anstalten betriebne anstößige Ausnutzung der Lehrerstellung, Schüler als
Hanszöglinge zu erstaunlichen Preisen anzunehmen, wegfallen wird. Wenn
jetzt solche Ungehörigkeiten getadelt werden, dann wird der Vorwurf mit der
Berufung auf die ungünstige materielle Stellung der Lehrer zurückgewiesen.
Immerhin wäre zu wünschen, daß nach Besserung der letztern die Aufsichts¬
behörde unnachsichtig gegen solche Mißstände einschritte, am besten ein allge¬
meines Verbot gegen Ungehörigkeiten dieser Art erließe, denn sonst ist zu
befürchten, daß mancher trotzdem einen so einträglichen Nebenerwerb nicht
aufgeben möchte.

Wenn die Richter nicht ebenso wie die Lehrer fortwährend ihre Klagen
nach Besserung ihrer Stellung laut werden lassen, so liegt das wahrlich nicht
an einem Mangel an Veranlassung dazu. Die Bevorzugung der Verwaltungs¬
beamten ihnen gegenüber sowohl im Rang wie im Gehalt liegt offen zu Tage.
Der im Dienst ergraute älteste Amts- oder Landgerichtsrat steht (wenigstens
in Preußen) dem jüngsten Landrat nach; und was den Gehalt betrifft, so
muß ein Richter ebenfalls schon lange Jahre thätig gewesen sein, ehe er die
unterste Gehaltsstufe der Verwnltungsbeamten erreicht.

Welche Achtung man überhaupt in preußischen Verwaltungskreisen dem
Richterstand und den Ausgaben der Rechtspflege entgegenbringt, dafür liefert
der uns gerade vorliegende amtliche Staatsdienstkalender für den Regierungs¬
bezirk Kassel auf das Jahr 1890/91 einen recht bezeichnenden Beitrag. Ist die
darin gegebne Zusammenstellung der Behörden in ihrer Reihenfolge auch ein
wahres Muster von Systemlosigkeit (königliche und kaiserliche, weltliche und
kirchliche, staatliche und Selbstverwaltnngsbehörden bilden ein buntes Durch¬
einander), so ist es doch sicherlich kein Zufall, daß die Justizbehörden erst an
allerletzter Stelle unter Nummer 31 aufgeführt werden, hinter dem Hanpt-
gestüt zu Bererbeck, der Direktion des Hanpthofhvspitals, der Intendantur der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290324"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Richterstand und die öffentliche Meinung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1651" prev="#ID_1650"> der Volksschule. Welche Opfer ein Amtsrichter zu bringen hat, dem die<lb/>
Kinder heranwachsen, und der sie nun in einem Alter von zehn Jahren in<lb/>
einer andern Stadt in einer Familie unterbringen muß, davon wird klug ge¬<lb/>
schwiegen, wenn über die Zurücksetzung des Lehrerstandes geklagt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1652"> Die unaufhörlichem Klagen ans den Kreisen dieses Standes werden sicher¬<lb/>
lich schließlich den erstrebten Erfolg haben; in Preußen soll ja schon durch<lb/>
den nächsten Staatshaushaltsentwurf die Gleichstellung eingeführt werden.<lb/>
Man darf wohl begierig sein, ob dabei auch den Lehrern eine der Resereudar-<lb/>
zeit entsprechende drei- bis vierjährige Wartezeit auferlegt werden wird, in der<lb/>
sie im Staatsdienste thätig sein müssen, ohne einen Pfennig Gehalt zu be¬<lb/>
kommen. Und auch darauf darf man gespannt sein, ob dann das jetzt geradezu<lb/>
anstößig betrielme Erteilen von Sondernnterricht, wem? auch nicht an die<lb/>
eignen, so doch &#x2014; unter Verbürgung gegenseitiger Forthilfe bei der Versetzung<lb/>
u. dergl. &#x2014; an die Schüler der Kollegen, und die ebenfalls an vielen<lb/>
Anstalten betriebne anstößige Ausnutzung der Lehrerstellung, Schüler als<lb/>
Hanszöglinge zu erstaunlichen Preisen anzunehmen, wegfallen wird. Wenn<lb/>
jetzt solche Ungehörigkeiten getadelt werden, dann wird der Vorwurf mit der<lb/>
Berufung auf die ungünstige materielle Stellung der Lehrer zurückgewiesen.<lb/>
Immerhin wäre zu wünschen, daß nach Besserung der letztern die Aufsichts¬<lb/>
behörde unnachsichtig gegen solche Mißstände einschritte, am besten ein allge¬<lb/>
meines Verbot gegen Ungehörigkeiten dieser Art erließe, denn sonst ist zu<lb/>
befürchten, daß mancher trotzdem einen so einträglichen Nebenerwerb nicht<lb/>
aufgeben möchte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1653"> Wenn die Richter nicht ebenso wie die Lehrer fortwährend ihre Klagen<lb/>
nach Besserung ihrer Stellung laut werden lassen, so liegt das wahrlich nicht<lb/>
an einem Mangel an Veranlassung dazu. Die Bevorzugung der Verwaltungs¬<lb/>
beamten ihnen gegenüber sowohl im Rang wie im Gehalt liegt offen zu Tage.<lb/>
Der im Dienst ergraute älteste Amts- oder Landgerichtsrat steht (wenigstens<lb/>
in Preußen) dem jüngsten Landrat nach; und was den Gehalt betrifft, so<lb/>
muß ein Richter ebenfalls schon lange Jahre thätig gewesen sein, ehe er die<lb/>
unterste Gehaltsstufe der Verwnltungsbeamten erreicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1654" next="#ID_1655"> Welche Achtung man überhaupt in preußischen Verwaltungskreisen dem<lb/>
Richterstand und den Ausgaben der Rechtspflege entgegenbringt, dafür liefert<lb/>
der uns gerade vorliegende amtliche Staatsdienstkalender für den Regierungs¬<lb/>
bezirk Kassel auf das Jahr 1890/91 einen recht bezeichnenden Beitrag. Ist die<lb/>
darin gegebne Zusammenstellung der Behörden in ihrer Reihenfolge auch ein<lb/>
wahres Muster von Systemlosigkeit (königliche und kaiserliche, weltliche und<lb/>
kirchliche, staatliche und Selbstverwaltnngsbehörden bilden ein buntes Durch¬<lb/>
einander), so ist es doch sicherlich kein Zufall, daß die Justizbehörden erst an<lb/>
allerletzter Stelle unter Nummer 31 aufgeführt werden, hinter dem Hanpt-<lb/>
gestüt zu Bererbeck, der Direktion des Hanpthofhvspitals, der Intendantur der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0555] Der Richterstand und die öffentliche Meinung der Volksschule. Welche Opfer ein Amtsrichter zu bringen hat, dem die Kinder heranwachsen, und der sie nun in einem Alter von zehn Jahren in einer andern Stadt in einer Familie unterbringen muß, davon wird klug ge¬ schwiegen, wenn über die Zurücksetzung des Lehrerstandes geklagt wird. Die unaufhörlichem Klagen ans den Kreisen dieses Standes werden sicher¬ lich schließlich den erstrebten Erfolg haben; in Preußen soll ja schon durch den nächsten Staatshaushaltsentwurf die Gleichstellung eingeführt werden. Man darf wohl begierig sein, ob dabei auch den Lehrern eine der Resereudar- zeit entsprechende drei- bis vierjährige Wartezeit auferlegt werden wird, in der sie im Staatsdienste thätig sein müssen, ohne einen Pfennig Gehalt zu be¬ kommen. Und auch darauf darf man gespannt sein, ob dann das jetzt geradezu anstößig betrielme Erteilen von Sondernnterricht, wem? auch nicht an die eignen, so doch — unter Verbürgung gegenseitiger Forthilfe bei der Versetzung u. dergl. — an die Schüler der Kollegen, und die ebenfalls an vielen Anstalten betriebne anstößige Ausnutzung der Lehrerstellung, Schüler als Hanszöglinge zu erstaunlichen Preisen anzunehmen, wegfallen wird. Wenn jetzt solche Ungehörigkeiten getadelt werden, dann wird der Vorwurf mit der Berufung auf die ungünstige materielle Stellung der Lehrer zurückgewiesen. Immerhin wäre zu wünschen, daß nach Besserung der letztern die Aufsichts¬ behörde unnachsichtig gegen solche Mißstände einschritte, am besten ein allge¬ meines Verbot gegen Ungehörigkeiten dieser Art erließe, denn sonst ist zu befürchten, daß mancher trotzdem einen so einträglichen Nebenerwerb nicht aufgeben möchte. Wenn die Richter nicht ebenso wie die Lehrer fortwährend ihre Klagen nach Besserung ihrer Stellung laut werden lassen, so liegt das wahrlich nicht an einem Mangel an Veranlassung dazu. Die Bevorzugung der Verwaltungs¬ beamten ihnen gegenüber sowohl im Rang wie im Gehalt liegt offen zu Tage. Der im Dienst ergraute älteste Amts- oder Landgerichtsrat steht (wenigstens in Preußen) dem jüngsten Landrat nach; und was den Gehalt betrifft, so muß ein Richter ebenfalls schon lange Jahre thätig gewesen sein, ehe er die unterste Gehaltsstufe der Verwnltungsbeamten erreicht. Welche Achtung man überhaupt in preußischen Verwaltungskreisen dem Richterstand und den Ausgaben der Rechtspflege entgegenbringt, dafür liefert der uns gerade vorliegende amtliche Staatsdienstkalender für den Regierungs¬ bezirk Kassel auf das Jahr 1890/91 einen recht bezeichnenden Beitrag. Ist die darin gegebne Zusammenstellung der Behörden in ihrer Reihenfolge auch ein wahres Muster von Systemlosigkeit (königliche und kaiserliche, weltliche und kirchliche, staatliche und Selbstverwaltnngsbehörden bilden ein buntes Durch¬ einander), so ist es doch sicherlich kein Zufall, daß die Justizbehörden erst an allerletzter Stelle unter Nummer 31 aufgeführt werden, hinter dem Hanpt- gestüt zu Bererbeck, der Direktion des Hanpthofhvspitals, der Intendantur der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/555
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/555>, abgerufen am 26.08.2024.