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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Fast in allen den deutsch-französischen Krieg behandelnden Werten werden
gegen die deutsche Heeresleitung gewöhnlich drei Vorwürfe erhoben: die Ka¬
vallerie sei nicht schnell und energisch genug zur unmittelbaren Verfolgung
des geschlagner Feindes ausgenützt worden; das übereilte schneidige Drnnf-
gehen habe fast immer Opfer und Verluste gekostet, die in gnr keinem Ver¬
hältnis zu den erreichten Erfolgen standen; die Belagerung und Beschießung
der Hauptstadt Paris sei nicht mit genug Entschlossenheit und Nachdruck be¬
trieben worden. Moltke kommt im Laufe seiner Darstellung auch auf diese
Vorwürfe zu sprechen und sucht sie, wenn auch gerade nicht zu beseitigen, so
doch bedeutend durch den Zusammenhang der Thatsachen abzuschwächen. Bei
Se. Quentin wurde z. B. die Verfolgung des geschlagner Feindes erst am
nächsten Tage durch den General von Goebeu aufgenommen. Hierzu bemerkt
Moltke: "Nach der Theorie soll dem Siege die Verfolgung sich unmittelbar
anschließen, eine Forderung, der alle, besonders auch die Laien, zustimmen,
und doch wird ihr in der Praxis selten entsprochen. Die Kriegsgeschichte
weist wenige Beispiele ans wie das berühmte von Velle-Alliame. Es gehört
ein sehr starker, mitleidsloser Wille dazu, einer Truppe, die zehn bis zwölf
Stunden marschiert, gefochten und gehungert hat, statt der erhofften Ruhe und
Sättigung aufs neue Anstrengung und Gefahren aufzuerlegen. Aber auch
diesen Willen vorausgesetzt, hängt die Verfolgung noch ab von der Art, wie
der Sieg gewonnen wurde. Sie wird schwer ausführbar, wenn alle Ab¬
teilungen ans dem Schlachtfelds, wie bei Königgrätz, so durcheinander geraten
sind, daß Stunde" erforderlich werden, um sie erst wieder in taktischen Ver¬
bänden herzustellen, oder wenn, wie bei Se. Quentin, alle, auch die legten
Truppen in das Gefecht verwickelt waren, sodaß eine intakte geschlossene
Jnfanterieabteilung nicht mehr verfügbar ist. Ohne die Unterstützung einer
solchen wird die Kavallerie, vollends bei Nacht von allen Bodenhindernissen
und jeder kleinsten Postirung des Feindes aufgehalten, allem die Aufgabe
selten lösen."

Auch den zweiten Vorwurf, daß unsre Truppen oft zu voreilig drauflos-
gegange" seien, sucht er durch die Bemerkung zu entkräftigen, daß überall,
wo die feindlichen Parteien so nahe aneinander gerückt seien, wie bei Wörth,
der Kampf nur zu leicht auch gegen deu entschiednen Willen der obern Leitung zu
entbrennen Pflege. Man habe nachträglich behauptet, die Schlacht bei Spicheren
sei am unrechten Orte geschlagen worden und habe höhere Pläne durchkreuzt.
"Allerdings, sagt er, war sie nicht vorgesehen. Im allgemeinen aber wird es
wenig Fälle geben, wo der taktische Sieg nicht in den strategischen Plan
Paßt. Der Wafsenerfolg wird immer dankbar acceptirt und ausgenutzt werden."
Den dritten Tadel, daß Paris nicht früh genug beschossen worden sei, weist
er durch die Bemerkung zurück, daß der Angriff eines großen Kriegsplatzes
im Innern des feindlichen Landes geradezu unmöglich werde, so lange man


Fast in allen den deutsch-französischen Krieg behandelnden Werten werden
gegen die deutsche Heeresleitung gewöhnlich drei Vorwürfe erhoben: die Ka¬
vallerie sei nicht schnell und energisch genug zur unmittelbaren Verfolgung
des geschlagner Feindes ausgenützt worden; das übereilte schneidige Drnnf-
gehen habe fast immer Opfer und Verluste gekostet, die in gnr keinem Ver¬
hältnis zu den erreichten Erfolgen standen; die Belagerung und Beschießung
der Hauptstadt Paris sei nicht mit genug Entschlossenheit und Nachdruck be¬
trieben worden. Moltke kommt im Laufe seiner Darstellung auch auf diese
Vorwürfe zu sprechen und sucht sie, wenn auch gerade nicht zu beseitigen, so
doch bedeutend durch den Zusammenhang der Thatsachen abzuschwächen. Bei
Se. Quentin wurde z. B. die Verfolgung des geschlagner Feindes erst am
nächsten Tage durch den General von Goebeu aufgenommen. Hierzu bemerkt
Moltke: „Nach der Theorie soll dem Siege die Verfolgung sich unmittelbar
anschließen, eine Forderung, der alle, besonders auch die Laien, zustimmen,
und doch wird ihr in der Praxis selten entsprochen. Die Kriegsgeschichte
weist wenige Beispiele ans wie das berühmte von Velle-Alliame. Es gehört
ein sehr starker, mitleidsloser Wille dazu, einer Truppe, die zehn bis zwölf
Stunden marschiert, gefochten und gehungert hat, statt der erhofften Ruhe und
Sättigung aufs neue Anstrengung und Gefahren aufzuerlegen. Aber auch
diesen Willen vorausgesetzt, hängt die Verfolgung noch ab von der Art, wie
der Sieg gewonnen wurde. Sie wird schwer ausführbar, wenn alle Ab¬
teilungen ans dem Schlachtfelds, wie bei Königgrätz, so durcheinander geraten
sind, daß Stunde» erforderlich werden, um sie erst wieder in taktischen Ver¬
bänden herzustellen, oder wenn, wie bei Se. Quentin, alle, auch die legten
Truppen in das Gefecht verwickelt waren, sodaß eine intakte geschlossene
Jnfanterieabteilung nicht mehr verfügbar ist. Ohne die Unterstützung einer
solchen wird die Kavallerie, vollends bei Nacht von allen Bodenhindernissen
und jeder kleinsten Postirung des Feindes aufgehalten, allem die Aufgabe
selten lösen."

Auch den zweiten Vorwurf, daß unsre Truppen oft zu voreilig drauflos-
gegange» seien, sucht er durch die Bemerkung zu entkräftigen, daß überall,
wo die feindlichen Parteien so nahe aneinander gerückt seien, wie bei Wörth,
der Kampf nur zu leicht auch gegen deu entschiednen Willen der obern Leitung zu
entbrennen Pflege. Man habe nachträglich behauptet, die Schlacht bei Spicheren
sei am unrechten Orte geschlagen worden und habe höhere Pläne durchkreuzt.
„Allerdings, sagt er, war sie nicht vorgesehen. Im allgemeinen aber wird es
wenig Fälle geben, wo der taktische Sieg nicht in den strategischen Plan
Paßt. Der Wafsenerfolg wird immer dankbar acceptirt und ausgenutzt werden."
Den dritten Tadel, daß Paris nicht früh genug beschossen worden sei, weist
er durch die Bemerkung zurück, daß der Angriff eines großen Kriegsplatzes
im Innern des feindlichen Landes geradezu unmöglich werde, so lange man


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[0547] Fast in allen den deutsch-französischen Krieg behandelnden Werten werden gegen die deutsche Heeresleitung gewöhnlich drei Vorwürfe erhoben: die Ka¬ vallerie sei nicht schnell und energisch genug zur unmittelbaren Verfolgung des geschlagner Feindes ausgenützt worden; das übereilte schneidige Drnnf- gehen habe fast immer Opfer und Verluste gekostet, die in gnr keinem Ver¬ hältnis zu den erreichten Erfolgen standen; die Belagerung und Beschießung der Hauptstadt Paris sei nicht mit genug Entschlossenheit und Nachdruck be¬ trieben worden. Moltke kommt im Laufe seiner Darstellung auch auf diese Vorwürfe zu sprechen und sucht sie, wenn auch gerade nicht zu beseitigen, so doch bedeutend durch den Zusammenhang der Thatsachen abzuschwächen. Bei Se. Quentin wurde z. B. die Verfolgung des geschlagner Feindes erst am nächsten Tage durch den General von Goebeu aufgenommen. Hierzu bemerkt Moltke: „Nach der Theorie soll dem Siege die Verfolgung sich unmittelbar anschließen, eine Forderung, der alle, besonders auch die Laien, zustimmen, und doch wird ihr in der Praxis selten entsprochen. Die Kriegsgeschichte weist wenige Beispiele ans wie das berühmte von Velle-Alliame. Es gehört ein sehr starker, mitleidsloser Wille dazu, einer Truppe, die zehn bis zwölf Stunden marschiert, gefochten und gehungert hat, statt der erhofften Ruhe und Sättigung aufs neue Anstrengung und Gefahren aufzuerlegen. Aber auch diesen Willen vorausgesetzt, hängt die Verfolgung noch ab von der Art, wie der Sieg gewonnen wurde. Sie wird schwer ausführbar, wenn alle Ab¬ teilungen ans dem Schlachtfelds, wie bei Königgrätz, so durcheinander geraten sind, daß Stunde» erforderlich werden, um sie erst wieder in taktischen Ver¬ bänden herzustellen, oder wenn, wie bei Se. Quentin, alle, auch die legten Truppen in das Gefecht verwickelt waren, sodaß eine intakte geschlossene Jnfanterieabteilung nicht mehr verfügbar ist. Ohne die Unterstützung einer solchen wird die Kavallerie, vollends bei Nacht von allen Bodenhindernissen und jeder kleinsten Postirung des Feindes aufgehalten, allem die Aufgabe selten lösen." Auch den zweiten Vorwurf, daß unsre Truppen oft zu voreilig drauflos- gegange» seien, sucht er durch die Bemerkung zu entkräftigen, daß überall, wo die feindlichen Parteien so nahe aneinander gerückt seien, wie bei Wörth, der Kampf nur zu leicht auch gegen deu entschiednen Willen der obern Leitung zu entbrennen Pflege. Man habe nachträglich behauptet, die Schlacht bei Spicheren sei am unrechten Orte geschlagen worden und habe höhere Pläne durchkreuzt. „Allerdings, sagt er, war sie nicht vorgesehen. Im allgemeinen aber wird es wenig Fälle geben, wo der taktische Sieg nicht in den strategischen Plan Paßt. Der Wafsenerfolg wird immer dankbar acceptirt und ausgenutzt werden." Den dritten Tadel, daß Paris nicht früh genug beschossen worden sei, weist er durch die Bemerkung zurück, daß der Angriff eines großen Kriegsplatzes im Innern des feindlichen Landes geradezu unmöglich werde, so lange man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/547>, abgerufen am 23.07.2024.