Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Homunculus und Herr Nemo

Die Doktoren und Homunculus traten an die Telephone, und der Ge¬
heimrat rückte an einem Zeiger. Sofort begann sich die Walze langsam zu
drehen. Zunächst war nichts zu bemerken. Das Gehirn mit den Nerven
daran lag unbeweglich, als ob nicht das Geringste in ihm vorginge. Man
hörte nur das Summen der elektrischen Maschinen. Der Geheimrat nahm
ebenfalls ein Telephon zur Hand.

Nach etwa einer Minute vernahm man einen Seufzer. So Hans -- sagte
dann eine tiefe Stimme --, nun hätten wir ja die Hauptsache überstanden
und müssen gleich oben sein. Siebenundvierzigtausend Fuß über dem Meeres¬
spiegel ist freilich keine Kleinigkeit, und noch dazu bei der Hitze, die Sonne
brennt ja wie noch nie. Als ich das letztemal oben war, vor fünfzig Jahren,
war ich freilich noch rüstiger.

Nun erfolgte eine Pause. Jetzt antwortet ihm sein Freund, sagte der
Geheimrat.

Ah, siehst du, um kommt die Aussicht heraus -- ließ sich die Stimme
wieder vernehmen --, herrlich, wirklich herrlich, sieh nur das Meer unten mit
den unzähligen Schiffen, die wie kleine Punkte aussehen, und dann die Berge
drüben! Ja, der hohe hier rechts ist der Nephelvphoros, der höchste Berg
des Gebirges. Wie wundervoll es sich macht, der Fuß im ewigen Schnee
und der Gipfel mit Palmen und Chpresseu bedeckt! Du möchtest mein Glas,
warte, gleich werde ich es abmachen, so, du mußt noch etwas mehr schrauben,
denn ich bin kurzsichtig. Aber lehne dich nicht so über das Geländer, du
könntest hinunterstürzen, und die Tiefe ist wirklich schauerlich.

Alle diese Reden erfolgten mit kleinen Pansen. Nun blieb es einige Zeit
lang stille.

Sie gehen jetzt in die Restauration, um sich von den Strapazen ein
wenig zu erholen, sagte der Geheunrat.

Nein, nicht an jenen Tisch -- begann die Stimme wieder --, da sitzt
ja der verrückte Mensch, der Professor Tanne, mit dem ich mich neulich so
gestritten habe. -- Weshalb? -- Denke dir, dieser Mensch behauptete, die ganze
Welt existire gar nicht, das Leben wäre nur ein Traum, eine Einbildung, und
was dergleichen Unsinn mehr war. Nun, ich diente ihm gehörig. Ins Narren¬
haus sperren sollte man solche Leute, anstatt ihnen von Staats wegen Geld
dafür zu geben, daß sie mit ihrem Blödsinn den jungen Leuten die Köpfe
verdrehen. -- Du hast recht, wir wollen lieber die Aussicht genießen, als uns
ärgern. Sieh nur, eben geht die erste Sonne unter und die zweite auf. . . .

Genug, Herr Geheimrnt -- rief Wirklich und ließ sein Telephon fallen --,
genug, mir schwindelt!

Eine halbe Stunde später stiegen beide Freunde die Treppe des Labora¬
toriums wieder herab.

Wie steht es nun um die Unabhängigkeit des Geistes von den Physischen


Homunculus und Herr Nemo

Die Doktoren und Homunculus traten an die Telephone, und der Ge¬
heimrat rückte an einem Zeiger. Sofort begann sich die Walze langsam zu
drehen. Zunächst war nichts zu bemerken. Das Gehirn mit den Nerven
daran lag unbeweglich, als ob nicht das Geringste in ihm vorginge. Man
hörte nur das Summen der elektrischen Maschinen. Der Geheimrat nahm
ebenfalls ein Telephon zur Hand.

Nach etwa einer Minute vernahm man einen Seufzer. So Hans — sagte
dann eine tiefe Stimme —, nun hätten wir ja die Hauptsache überstanden
und müssen gleich oben sein. Siebenundvierzigtausend Fuß über dem Meeres¬
spiegel ist freilich keine Kleinigkeit, und noch dazu bei der Hitze, die Sonne
brennt ja wie noch nie. Als ich das letztemal oben war, vor fünfzig Jahren,
war ich freilich noch rüstiger.

Nun erfolgte eine Pause. Jetzt antwortet ihm sein Freund, sagte der
Geheimrat.

Ah, siehst du, um kommt die Aussicht heraus — ließ sich die Stimme
wieder vernehmen —, herrlich, wirklich herrlich, sieh nur das Meer unten mit
den unzähligen Schiffen, die wie kleine Punkte aussehen, und dann die Berge
drüben! Ja, der hohe hier rechts ist der Nephelvphoros, der höchste Berg
des Gebirges. Wie wundervoll es sich macht, der Fuß im ewigen Schnee
und der Gipfel mit Palmen und Chpresseu bedeckt! Du möchtest mein Glas,
warte, gleich werde ich es abmachen, so, du mußt noch etwas mehr schrauben,
denn ich bin kurzsichtig. Aber lehne dich nicht so über das Geländer, du
könntest hinunterstürzen, und die Tiefe ist wirklich schauerlich.

Alle diese Reden erfolgten mit kleinen Pansen. Nun blieb es einige Zeit
lang stille.

Sie gehen jetzt in die Restauration, um sich von den Strapazen ein
wenig zu erholen, sagte der Geheunrat.

Nein, nicht an jenen Tisch — begann die Stimme wieder —, da sitzt
ja der verrückte Mensch, der Professor Tanne, mit dem ich mich neulich so
gestritten habe. — Weshalb? — Denke dir, dieser Mensch behauptete, die ganze
Welt existire gar nicht, das Leben wäre nur ein Traum, eine Einbildung, und
was dergleichen Unsinn mehr war. Nun, ich diente ihm gehörig. Ins Narren¬
haus sperren sollte man solche Leute, anstatt ihnen von Staats wegen Geld
dafür zu geben, daß sie mit ihrem Blödsinn den jungen Leuten die Köpfe
verdrehen. — Du hast recht, wir wollen lieber die Aussicht genießen, als uns
ärgern. Sieh nur, eben geht die erste Sonne unter und die zweite auf. . . .

Genug, Herr Geheimrnt — rief Wirklich und ließ sein Telephon fallen —,
genug, mir schwindelt!

Eine halbe Stunde später stiegen beide Freunde die Treppe des Labora¬
toriums wieder herab.

Wie steht es nun um die Unabhängigkeit des Geistes von den Physischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0532" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290301"/>
          <fw type="header" place="top"> Homunculus und Herr Nemo</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1582"> Die Doktoren und Homunculus traten an die Telephone, und der Ge¬<lb/>
heimrat rückte an einem Zeiger. Sofort begann sich die Walze langsam zu<lb/>
drehen. Zunächst war nichts zu bemerken. Das Gehirn mit den Nerven<lb/>
daran lag unbeweglich, als ob nicht das Geringste in ihm vorginge. Man<lb/>
hörte nur das Summen der elektrischen Maschinen. Der Geheimrat nahm<lb/>
ebenfalls ein Telephon zur Hand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1583"> Nach etwa einer Minute vernahm man einen Seufzer. So Hans &#x2014; sagte<lb/>
dann eine tiefe Stimme &#x2014;, nun hätten wir ja die Hauptsache überstanden<lb/>
und müssen gleich oben sein. Siebenundvierzigtausend Fuß über dem Meeres¬<lb/>
spiegel ist freilich keine Kleinigkeit, und noch dazu bei der Hitze, die Sonne<lb/>
brennt ja wie noch nie. Als ich das letztemal oben war, vor fünfzig Jahren,<lb/>
war ich freilich noch rüstiger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1584"> Nun erfolgte eine Pause. Jetzt antwortet ihm sein Freund, sagte der<lb/>
Geheimrat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1585"> Ah, siehst du, um kommt die Aussicht heraus &#x2014; ließ sich die Stimme<lb/>
wieder vernehmen &#x2014;, herrlich, wirklich herrlich, sieh nur das Meer unten mit<lb/>
den unzähligen Schiffen, die wie kleine Punkte aussehen, und dann die Berge<lb/>
drüben! Ja, der hohe hier rechts ist der Nephelvphoros, der höchste Berg<lb/>
des Gebirges. Wie wundervoll es sich macht, der Fuß im ewigen Schnee<lb/>
und der Gipfel mit Palmen und Chpresseu bedeckt! Du möchtest mein Glas,<lb/>
warte, gleich werde ich es abmachen, so, du mußt noch etwas mehr schrauben,<lb/>
denn ich bin kurzsichtig. Aber lehne dich nicht so über das Geländer, du<lb/>
könntest hinunterstürzen, und die Tiefe ist wirklich schauerlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1586"> Alle diese Reden erfolgten mit kleinen Pansen. Nun blieb es einige Zeit<lb/>
lang stille.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1587"> Sie gehen jetzt in die Restauration, um sich von den Strapazen ein<lb/>
wenig zu erholen, sagte der Geheunrat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1588"> Nein, nicht an jenen Tisch &#x2014; begann die Stimme wieder &#x2014;, da sitzt<lb/>
ja der verrückte Mensch, der Professor Tanne, mit dem ich mich neulich so<lb/>
gestritten habe. &#x2014; Weshalb? &#x2014; Denke dir, dieser Mensch behauptete, die ganze<lb/>
Welt existire gar nicht, das Leben wäre nur ein Traum, eine Einbildung, und<lb/>
was dergleichen Unsinn mehr war. Nun, ich diente ihm gehörig. Ins Narren¬<lb/>
haus sperren sollte man solche Leute, anstatt ihnen von Staats wegen Geld<lb/>
dafür zu geben, daß sie mit ihrem Blödsinn den jungen Leuten die Köpfe<lb/>
verdrehen. &#x2014; Du hast recht, wir wollen lieber die Aussicht genießen, als uns<lb/>
ärgern.  Sieh nur, eben geht die erste Sonne unter und die zweite auf. . . .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1589"> Genug, Herr Geheimrnt &#x2014; rief Wirklich und ließ sein Telephon fallen &#x2014;,<lb/>
genug, mir schwindelt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1590"> Eine halbe Stunde später stiegen beide Freunde die Treppe des Labora¬<lb/>
toriums wieder herab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1591" next="#ID_1592"> Wie steht es nun um die Unabhängigkeit des Geistes von den Physischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0532] Homunculus und Herr Nemo Die Doktoren und Homunculus traten an die Telephone, und der Ge¬ heimrat rückte an einem Zeiger. Sofort begann sich die Walze langsam zu drehen. Zunächst war nichts zu bemerken. Das Gehirn mit den Nerven daran lag unbeweglich, als ob nicht das Geringste in ihm vorginge. Man hörte nur das Summen der elektrischen Maschinen. Der Geheimrat nahm ebenfalls ein Telephon zur Hand. Nach etwa einer Minute vernahm man einen Seufzer. So Hans — sagte dann eine tiefe Stimme —, nun hätten wir ja die Hauptsache überstanden und müssen gleich oben sein. Siebenundvierzigtausend Fuß über dem Meeres¬ spiegel ist freilich keine Kleinigkeit, und noch dazu bei der Hitze, die Sonne brennt ja wie noch nie. Als ich das letztemal oben war, vor fünfzig Jahren, war ich freilich noch rüstiger. Nun erfolgte eine Pause. Jetzt antwortet ihm sein Freund, sagte der Geheimrat. Ah, siehst du, um kommt die Aussicht heraus — ließ sich die Stimme wieder vernehmen —, herrlich, wirklich herrlich, sieh nur das Meer unten mit den unzähligen Schiffen, die wie kleine Punkte aussehen, und dann die Berge drüben! Ja, der hohe hier rechts ist der Nephelvphoros, der höchste Berg des Gebirges. Wie wundervoll es sich macht, der Fuß im ewigen Schnee und der Gipfel mit Palmen und Chpresseu bedeckt! Du möchtest mein Glas, warte, gleich werde ich es abmachen, so, du mußt noch etwas mehr schrauben, denn ich bin kurzsichtig. Aber lehne dich nicht so über das Geländer, du könntest hinunterstürzen, und die Tiefe ist wirklich schauerlich. Alle diese Reden erfolgten mit kleinen Pansen. Nun blieb es einige Zeit lang stille. Sie gehen jetzt in die Restauration, um sich von den Strapazen ein wenig zu erholen, sagte der Geheunrat. Nein, nicht an jenen Tisch — begann die Stimme wieder —, da sitzt ja der verrückte Mensch, der Professor Tanne, mit dem ich mich neulich so gestritten habe. — Weshalb? — Denke dir, dieser Mensch behauptete, die ganze Welt existire gar nicht, das Leben wäre nur ein Traum, eine Einbildung, und was dergleichen Unsinn mehr war. Nun, ich diente ihm gehörig. Ins Narren¬ haus sperren sollte man solche Leute, anstatt ihnen von Staats wegen Geld dafür zu geben, daß sie mit ihrem Blödsinn den jungen Leuten die Köpfe verdrehen. — Du hast recht, wir wollen lieber die Aussicht genießen, als uns ärgern. Sieh nur, eben geht die erste Sonne unter und die zweite auf. . . . Genug, Herr Geheimrnt — rief Wirklich und ließ sein Telephon fallen —, genug, mir schwindelt! Eine halbe Stunde später stiegen beide Freunde die Treppe des Labora¬ toriums wieder herab. Wie steht es nun um die Unabhängigkeit des Geistes von den Physischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/532
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/532>, abgerufen am 23.07.2024.