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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Homunculus und Herr Nemo

Bilder optisch hervorrufen können. Ich habe das aber nicht gethan, sondern
vorgezogen, nur den Sehnerv selbst anzufertigen und in ihm durch elektrische
Anstöße alle jene Schwingungen und Veränderungen hervorzurufen, die in
der Natur die Einwirkung des Lichts hervorruft. In ganz gleicher Weise
verfahre ich bei den Gehörnerven, ich reize sie elektrisch, und dadurch entsteht
im Gehirn der Eindruck des Tons, ohne daß in Wirklichkeit ein Schall da
ist, und ebenso mache ich es dann mit den Geruchs-, Geschmacks-und Gefühls¬
nerven. Durch das richtige Zusammenwirken aller dieser wird in dem vor
uns liegenden Gehirn dann ein vollständiges Weltbild erzeugt. Selbstver¬
ständlich müssen, um die Täuschung aufrecht zu erhalten, in jedem Augenblick
eine Menge Nerven thätig sein, wie wir ja auch gleichzeitig sehen, hören,
fühlen u. f. w. Da ich nnn nicht an allen Apparaten gleichzeitig sitzen kann,
mußte ich auf ein Mittel sinnen, sie dennoch gleichzeitig in Thätigkeit treten
zu lassen. Das erreichte ich folgendermaßen. Alle diese Apparate sind elek¬
trisch. Es kommt also bei ihnen allen darauf an, Ströme zu unterbrechen
und zu schließen. Dies nun besorgt diese Walze hier, die, wie Sie sehen,
ähnlich der eines Phonographen mit vielen Erhöhungen und Eindrücken ver¬
sehen ist. Sie steht mit allen Leitungen in Verbindung, und bei ihrer Um¬
drehung wird immer eine Anzahl geöffnet oder geschlossen. Auf diese
Walze habe ich die ganze Lebensgeschichte meines Präparats eingegraben,
sobald ich sie in Bewegung setze, erhält das Gehirn sinnliche Eindrücke, macht
sich infolge davon Vorstellungen, beginnt zu denken, zu wollen und glaubt
mich zu handeln.

Wirklich hatte aufmerksam zugehört. Haben Sie schon mit dem Apparat
gearbeitet, Herr Geheimrat? fragte er dann. Noch nicht -- erwiderte dieser --,
Sie selbst sollten Zeuge seiner ersten Thätigkeit sein.

Allen Respekt vor Ihrem eminenten Wissen und Können, aber diesmal,
fürchte ich, wird die Sache nicht gehen.

Und weshalb uicht? fragte der Geheimrat.

Nun, Sie können durch Ihre Apparate alle möglichen Vorstellungen in
dem Gehirn hier wachrufen, Sie können aber nicht bestimmen und nicht wissen,
wie das Gehirn auf diese Vorstellungen reagiren wird; und doch wird Ihr
ganzes Weltbild wie ein Kartenhaus zusammenfallen, wenn Vorstellung und
Reaktion nicht auf einander passen. Ich will mich deutlicher ausdrücken.
Sie können nicht wissen, ob das Gehirn jetzt den Kopf nach rechts oder nach
links drehen will, und doch müssen Sie das wissen, denn Sie müssen darnach
die Bilder ändern, die Sie ihm erscheinen lassen. Sie können irgend einen
Menschen zu ihm sprechen lassen, aber Sie können nicht wissen, was das
Gehirn darauf antworten will, und doch müssen Sie das wissen, denn Sie
müssen es seine eigne" Worte vernehmen lassen, wenn die Tnuschnng weiter
bestehen soll.


Homunculus und Herr Nemo

Bilder optisch hervorrufen können. Ich habe das aber nicht gethan, sondern
vorgezogen, nur den Sehnerv selbst anzufertigen und in ihm durch elektrische
Anstöße alle jene Schwingungen und Veränderungen hervorzurufen, die in
der Natur die Einwirkung des Lichts hervorruft. In ganz gleicher Weise
verfahre ich bei den Gehörnerven, ich reize sie elektrisch, und dadurch entsteht
im Gehirn der Eindruck des Tons, ohne daß in Wirklichkeit ein Schall da
ist, und ebenso mache ich es dann mit den Geruchs-, Geschmacks-und Gefühls¬
nerven. Durch das richtige Zusammenwirken aller dieser wird in dem vor
uns liegenden Gehirn dann ein vollständiges Weltbild erzeugt. Selbstver¬
ständlich müssen, um die Täuschung aufrecht zu erhalten, in jedem Augenblick
eine Menge Nerven thätig sein, wie wir ja auch gleichzeitig sehen, hören,
fühlen u. f. w. Da ich nnn nicht an allen Apparaten gleichzeitig sitzen kann,
mußte ich auf ein Mittel sinnen, sie dennoch gleichzeitig in Thätigkeit treten
zu lassen. Das erreichte ich folgendermaßen. Alle diese Apparate sind elek¬
trisch. Es kommt also bei ihnen allen darauf an, Ströme zu unterbrechen
und zu schließen. Dies nun besorgt diese Walze hier, die, wie Sie sehen,
ähnlich der eines Phonographen mit vielen Erhöhungen und Eindrücken ver¬
sehen ist. Sie steht mit allen Leitungen in Verbindung, und bei ihrer Um¬
drehung wird immer eine Anzahl geöffnet oder geschlossen. Auf diese
Walze habe ich die ganze Lebensgeschichte meines Präparats eingegraben,
sobald ich sie in Bewegung setze, erhält das Gehirn sinnliche Eindrücke, macht
sich infolge davon Vorstellungen, beginnt zu denken, zu wollen und glaubt
mich zu handeln.

Wirklich hatte aufmerksam zugehört. Haben Sie schon mit dem Apparat
gearbeitet, Herr Geheimrat? fragte er dann. Noch nicht — erwiderte dieser —,
Sie selbst sollten Zeuge seiner ersten Thätigkeit sein.

Allen Respekt vor Ihrem eminenten Wissen und Können, aber diesmal,
fürchte ich, wird die Sache nicht gehen.

Und weshalb uicht? fragte der Geheimrat.

Nun, Sie können durch Ihre Apparate alle möglichen Vorstellungen in
dem Gehirn hier wachrufen, Sie können aber nicht bestimmen und nicht wissen,
wie das Gehirn auf diese Vorstellungen reagiren wird; und doch wird Ihr
ganzes Weltbild wie ein Kartenhaus zusammenfallen, wenn Vorstellung und
Reaktion nicht auf einander passen. Ich will mich deutlicher ausdrücken.
Sie können nicht wissen, ob das Gehirn jetzt den Kopf nach rechts oder nach
links drehen will, und doch müssen Sie das wissen, denn Sie müssen darnach
die Bilder ändern, die Sie ihm erscheinen lassen. Sie können irgend einen
Menschen zu ihm sprechen lassen, aber Sie können nicht wissen, was das
Gehirn darauf antworten will, und doch müssen Sie das wissen, denn Sie
müssen es seine eigne» Worte vernehmen lassen, wenn die Tnuschnng weiter
bestehen soll.


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[0530] Homunculus und Herr Nemo Bilder optisch hervorrufen können. Ich habe das aber nicht gethan, sondern vorgezogen, nur den Sehnerv selbst anzufertigen und in ihm durch elektrische Anstöße alle jene Schwingungen und Veränderungen hervorzurufen, die in der Natur die Einwirkung des Lichts hervorruft. In ganz gleicher Weise verfahre ich bei den Gehörnerven, ich reize sie elektrisch, und dadurch entsteht im Gehirn der Eindruck des Tons, ohne daß in Wirklichkeit ein Schall da ist, und ebenso mache ich es dann mit den Geruchs-, Geschmacks-und Gefühls¬ nerven. Durch das richtige Zusammenwirken aller dieser wird in dem vor uns liegenden Gehirn dann ein vollständiges Weltbild erzeugt. Selbstver¬ ständlich müssen, um die Täuschung aufrecht zu erhalten, in jedem Augenblick eine Menge Nerven thätig sein, wie wir ja auch gleichzeitig sehen, hören, fühlen u. f. w. Da ich nnn nicht an allen Apparaten gleichzeitig sitzen kann, mußte ich auf ein Mittel sinnen, sie dennoch gleichzeitig in Thätigkeit treten zu lassen. Das erreichte ich folgendermaßen. Alle diese Apparate sind elek¬ trisch. Es kommt also bei ihnen allen darauf an, Ströme zu unterbrechen und zu schließen. Dies nun besorgt diese Walze hier, die, wie Sie sehen, ähnlich der eines Phonographen mit vielen Erhöhungen und Eindrücken ver¬ sehen ist. Sie steht mit allen Leitungen in Verbindung, und bei ihrer Um¬ drehung wird immer eine Anzahl geöffnet oder geschlossen. Auf diese Walze habe ich die ganze Lebensgeschichte meines Präparats eingegraben, sobald ich sie in Bewegung setze, erhält das Gehirn sinnliche Eindrücke, macht sich infolge davon Vorstellungen, beginnt zu denken, zu wollen und glaubt mich zu handeln. Wirklich hatte aufmerksam zugehört. Haben Sie schon mit dem Apparat gearbeitet, Herr Geheimrat? fragte er dann. Noch nicht — erwiderte dieser —, Sie selbst sollten Zeuge seiner ersten Thätigkeit sein. Allen Respekt vor Ihrem eminenten Wissen und Können, aber diesmal, fürchte ich, wird die Sache nicht gehen. Und weshalb uicht? fragte der Geheimrat. Nun, Sie können durch Ihre Apparate alle möglichen Vorstellungen in dem Gehirn hier wachrufen, Sie können aber nicht bestimmen und nicht wissen, wie das Gehirn auf diese Vorstellungen reagiren wird; und doch wird Ihr ganzes Weltbild wie ein Kartenhaus zusammenfallen, wenn Vorstellung und Reaktion nicht auf einander passen. Ich will mich deutlicher ausdrücken. Sie können nicht wissen, ob das Gehirn jetzt den Kopf nach rechts oder nach links drehen will, und doch müssen Sie das wissen, denn Sie müssen darnach die Bilder ändern, die Sie ihm erscheinen lassen. Sie können irgend einen Menschen zu ihm sprechen lassen, aber Sie können nicht wissen, was das Gehirn darauf antworten will, und doch müssen Sie das wissen, denn Sie müssen es seine eigne» Worte vernehmen lassen, wenn die Tnuschnng weiter bestehen soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/530>, abgerufen am 26.08.2024.