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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zu Franz Bopps hundertsten Geburtstage

dischen und Deutschen," die von 1833 bis 1852 erschien, und die er selbst
uoch in einer zweiten Auflage herausgeben konnte. Übersetzungen in das Eng¬
lische und Französische legten Zeugnis dafür ab, welches Interesse mau auch
in diesen Ländern der jung aufblühenden Wissenschaft entgegenbrachte. Aber
mit den hier behandelten Sprachen war der Kreis der verwandten noch nicht
erschöpft; uoch fehlten von größern Sprachfamilien das slawische, das Keltische,
das Armenische und das Albanesische. Aber auch deren indogermanischen Ur¬
sprung hat zum Teil Bopp selbst noch in glänzenden Untersuchungen dar¬
gelegt. Die nachfolgenden Geschlechter haben zwar den stolzen Bau im Innern
noch schöner zu gestalten, auch ihn noch höher zu führen vermocht, aber zu
dem von Bopp gegründeten Fundament haben sie nicht viel hinzufügen, auch
nichts hinwegnehmen können. Selbst den folgenschwersten Gedanken der neuern
Sprachforschung von der Ursprünglichkeit des europäischen Vokalismus mit
seinem 6 und o gegenüber dem einförmigen sanskritischen a finden wir schon
in der ersten Schrift Bopps ausgesprochen. Leider hat sich Bopp später durch
Jakob Grimm verleiten lassen, diese Ansicht aufzugeben.

Eines solchen Mannes zu seinem hundertsten Geburtstage zu gedenken,
ist unsre Ehrenpflicht. Gehört doch Bopp mit zu denen, die den deutschen
Namen in einer Zeit, wo unser Vaterland in viele Teile gespalten politisch
ohnmächtig darniederlag, zu Ehren gebracht haben. Denn in vielen Ländern
hat man die Ergebnisse der Sprachforschung freudig begrüßt und nach manchen
Seiten zu verwerten sich bemüht. Aber auch ihren weitern Ausbau verdankt
sie im wesentlichen Deutschen, die übrigen Völker verhalten sich, von einzelnen,
glänzenden Ausnahmen abgesehen -- ich brauche nur an den Italiener Ascvli
und den Amerikaner Whitney zu erinnern, die auch in Deutschland in hohem
Ansehen stehen -- mehr rezeptiv, und so können wir die Sprachwissenschaft
zugleich die deutscheste aller Wissenschaften nennen. Zwar scheint es, als ob
sich diese Lage der Dinge heute ändern wollte. Die Amerikaner und vor .allen
Skandinavier nehmen kräftig an dem Ausbau der Wissenschaft teil, und wenn
auch die Amerikaner ihre erste Belehrung noch vielfach in Deutschland selbst
suchen , und an manchen Universitäten eine größere Zahl zu den Sprachwissen-
schaftstudirenden stellen als die Deutschen selbst, so dürfte doch die Zeit nicht
mehr fern sein, wo sie nicht mehr zu diesem Zweck übers Meer kommen
werden. Die geistige Führung aber wird, wenn nicht für immer, so doch noch
für lange Zeit unserm Vaterlande verbleiben.

Bopps Leben soll hier nicht erzählt werden. Sein Leben sind seine
Werke, und der Leser findet darüber an manchen Orten, so in jedem Konver¬
sationslexikon, Auskunft. Wir werden uns Bopps große Verdienste besser
vergegenwärtigen, weim wir die Bedeutung der Sprachwissenschaft würdigen,
uns ihre bisher erreichten Ergebnisse vorführen und ihre künftigen Ziele ins
Auge fassen.


Zu Franz Bopps hundertsten Geburtstage

dischen und Deutschen," die von 1833 bis 1852 erschien, und die er selbst
uoch in einer zweiten Auflage herausgeben konnte. Übersetzungen in das Eng¬
lische und Französische legten Zeugnis dafür ab, welches Interesse mau auch
in diesen Ländern der jung aufblühenden Wissenschaft entgegenbrachte. Aber
mit den hier behandelten Sprachen war der Kreis der verwandten noch nicht
erschöpft; uoch fehlten von größern Sprachfamilien das slawische, das Keltische,
das Armenische und das Albanesische. Aber auch deren indogermanischen Ur¬
sprung hat zum Teil Bopp selbst noch in glänzenden Untersuchungen dar¬
gelegt. Die nachfolgenden Geschlechter haben zwar den stolzen Bau im Innern
noch schöner zu gestalten, auch ihn noch höher zu führen vermocht, aber zu
dem von Bopp gegründeten Fundament haben sie nicht viel hinzufügen, auch
nichts hinwegnehmen können. Selbst den folgenschwersten Gedanken der neuern
Sprachforschung von der Ursprünglichkeit des europäischen Vokalismus mit
seinem 6 und o gegenüber dem einförmigen sanskritischen a finden wir schon
in der ersten Schrift Bopps ausgesprochen. Leider hat sich Bopp später durch
Jakob Grimm verleiten lassen, diese Ansicht aufzugeben.

Eines solchen Mannes zu seinem hundertsten Geburtstage zu gedenken,
ist unsre Ehrenpflicht. Gehört doch Bopp mit zu denen, die den deutschen
Namen in einer Zeit, wo unser Vaterland in viele Teile gespalten politisch
ohnmächtig darniederlag, zu Ehren gebracht haben. Denn in vielen Ländern
hat man die Ergebnisse der Sprachforschung freudig begrüßt und nach manchen
Seiten zu verwerten sich bemüht. Aber auch ihren weitern Ausbau verdankt
sie im wesentlichen Deutschen, die übrigen Völker verhalten sich, von einzelnen,
glänzenden Ausnahmen abgesehen — ich brauche nur an den Italiener Ascvli
und den Amerikaner Whitney zu erinnern, die auch in Deutschland in hohem
Ansehen stehen — mehr rezeptiv, und so können wir die Sprachwissenschaft
zugleich die deutscheste aller Wissenschaften nennen. Zwar scheint es, als ob
sich diese Lage der Dinge heute ändern wollte. Die Amerikaner und vor .allen
Skandinavier nehmen kräftig an dem Ausbau der Wissenschaft teil, und wenn
auch die Amerikaner ihre erste Belehrung noch vielfach in Deutschland selbst
suchen , und an manchen Universitäten eine größere Zahl zu den Sprachwissen-
schaftstudirenden stellen als die Deutschen selbst, so dürfte doch die Zeit nicht
mehr fern sein, wo sie nicht mehr zu diesem Zweck übers Meer kommen
werden. Die geistige Führung aber wird, wenn nicht für immer, so doch noch
für lange Zeit unserm Vaterlande verbleiben.

Bopps Leben soll hier nicht erzählt werden. Sein Leben sind seine
Werke, und der Leser findet darüber an manchen Orten, so in jedem Konver¬
sationslexikon, Auskunft. Wir werden uns Bopps große Verdienste besser
vergegenwärtigen, weim wir die Bedeutung der Sprachwissenschaft würdigen,
uns ihre bisher erreichten Ergebnisse vorführen und ihre künftigen Ziele ins
Auge fassen.


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[0520] Zu Franz Bopps hundertsten Geburtstage dischen und Deutschen," die von 1833 bis 1852 erschien, und die er selbst uoch in einer zweiten Auflage herausgeben konnte. Übersetzungen in das Eng¬ lische und Französische legten Zeugnis dafür ab, welches Interesse mau auch in diesen Ländern der jung aufblühenden Wissenschaft entgegenbrachte. Aber mit den hier behandelten Sprachen war der Kreis der verwandten noch nicht erschöpft; uoch fehlten von größern Sprachfamilien das slawische, das Keltische, das Armenische und das Albanesische. Aber auch deren indogermanischen Ur¬ sprung hat zum Teil Bopp selbst noch in glänzenden Untersuchungen dar¬ gelegt. Die nachfolgenden Geschlechter haben zwar den stolzen Bau im Innern noch schöner zu gestalten, auch ihn noch höher zu führen vermocht, aber zu dem von Bopp gegründeten Fundament haben sie nicht viel hinzufügen, auch nichts hinwegnehmen können. Selbst den folgenschwersten Gedanken der neuern Sprachforschung von der Ursprünglichkeit des europäischen Vokalismus mit seinem 6 und o gegenüber dem einförmigen sanskritischen a finden wir schon in der ersten Schrift Bopps ausgesprochen. Leider hat sich Bopp später durch Jakob Grimm verleiten lassen, diese Ansicht aufzugeben. Eines solchen Mannes zu seinem hundertsten Geburtstage zu gedenken, ist unsre Ehrenpflicht. Gehört doch Bopp mit zu denen, die den deutschen Namen in einer Zeit, wo unser Vaterland in viele Teile gespalten politisch ohnmächtig darniederlag, zu Ehren gebracht haben. Denn in vielen Ländern hat man die Ergebnisse der Sprachforschung freudig begrüßt und nach manchen Seiten zu verwerten sich bemüht. Aber auch ihren weitern Ausbau verdankt sie im wesentlichen Deutschen, die übrigen Völker verhalten sich, von einzelnen, glänzenden Ausnahmen abgesehen — ich brauche nur an den Italiener Ascvli und den Amerikaner Whitney zu erinnern, die auch in Deutschland in hohem Ansehen stehen — mehr rezeptiv, und so können wir die Sprachwissenschaft zugleich die deutscheste aller Wissenschaften nennen. Zwar scheint es, als ob sich diese Lage der Dinge heute ändern wollte. Die Amerikaner und vor .allen Skandinavier nehmen kräftig an dem Ausbau der Wissenschaft teil, und wenn auch die Amerikaner ihre erste Belehrung noch vielfach in Deutschland selbst suchen , und an manchen Universitäten eine größere Zahl zu den Sprachwissen- schaftstudirenden stellen als die Deutschen selbst, so dürfte doch die Zeit nicht mehr fern sein, wo sie nicht mehr zu diesem Zweck übers Meer kommen werden. Die geistige Führung aber wird, wenn nicht für immer, so doch noch für lange Zeit unserm Vaterlande verbleiben. Bopps Leben soll hier nicht erzählt werden. Sein Leben sind seine Werke, und der Leser findet darüber an manchen Orten, so in jedem Konver¬ sationslexikon, Auskunft. Wir werden uns Bopps große Verdienste besser vergegenwärtigen, weim wir die Bedeutung der Sprachwissenschaft würdigen, uns ihre bisher erreichten Ergebnisse vorführen und ihre künftigen Ziele ins Auge fassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/520>, abgerufen am 26.08.2024.