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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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vielen adlichen und Bürgerhäusern antrifft, wer nicht Katholiken, wie sie
Goethe im Kreise der Fürstin Galitzin fand? Damit wollen wir keineswegs
das Sprüchlein empfohlen haben: "Christ, Jude, Türk und Hottentott, wir
glauben all an einen Gott." Vielmehr besteht das Anziehende solcher Ideal-
gestalten gerade in der eigentümlichen Färbung, die sie von ihrer Konfession
empfangen. Wir wollen nur sagen, daß der edle Kern jeder Konfession erst
nach Abschwächung ihrer im Streit mit den andern übertrieben hervorgekehrten
Eigentümlichkeiten und nur in" einzelnen ihrer Vertreter ungetrübt zur Er¬
scheinung kommt.

In dem Schlamm und dem Gewirr der politischen Parteikämpfe ist der
Zustand der Ungetrübtheit von vornherein ausgeschlossen. Wir können uns die
Untersuchung der politischen Wirkungen des Calvinismus bequem macheu,
indem wir uns an den schon erwähnten Essay Treitschkes über die Republik
der vereinigten Niederlande anlehnen. Treitschke hat darin schon alles gesagt,
was wir zu sagen haben, nur daß er gerade das, worauf es uns ankommt,
mit seiner feurigen Beredsamkeit sich selbst und seinen Lesern auszureden sucht.
Welche beiden ealvinistischen Lehren es waren, die dem Freiheitskämpfe der
Niederländer und ihrem Streben uach Machterweiterung zu Hilfe kamen, dürfen
wir wohl als bekannt voraussetzen. Die eine war die alttestamentliche, daß
dem Volke das Recht der Empörung gegen einen "gottlosen" König zustehe.
"Die unsittliche Lehre vom leidenden Gehorsam -- sagt Treitschke -- sog
den: Lutheraner das Mark des Willens aus den Knochen." Wie unbarmherzig
hat Maeaulah um dieser Lehre willen die englische Staatskirche verspottet, die
dieses lutherische Element mit dem calvinischen Dogma und einer katholischen
Kirchenverfassung und Liturgie zu einem wenig harmonischen, aber für den
Adel des Landes sehr vorteilhaften Ganzen zu verschmelzen gewußt hat!
Über die calvinistische Ansicht sagt Treitschke: "In dem gereinigten Glanben
lag schon der Keim einer neuen menschlichem Staatslehre. Gott hat einen
Bund geschlossen mit seinem gläubigen Volke; das Volk unterwirft sich dem
Fürsten, solange er selber diesem Bunde, dem Gesetze, treu bleibt -- mit solchen
Sätzen begründeten die politischen Denker der Hugenotten das Recht des
Widerstandes." Und da jeder Einzelne den Geist Gottes zu haben glaubte,
so ward jeder gemeine Mann und vollends jeder Prediger zum Propheten,
der, ein andrer Samuel, dem Saul seineu Bundbruch vorhielt und den Ver¬
trag kündigte. Daß aber diese alttestamentlichen Gläubigen einen Papisten,
der ja in ihren Augen ein Götzendiener war, nicht als König anerkennen
konnten, verstand sich für sie von selbst.

Wer nun meint, daß bis dahin in Europa die absolute Monarchie ge¬
herrscht und im Staate kein andres Recht als das unumschränkte Königsrecht
gegolten habe, der muß allerdings die Calvinisten für die Schöpfer nicht allein
der republikanischen Freiheit, sondern anch der konstitutionellen Monarchie an-


vielen adlichen und Bürgerhäusern antrifft, wer nicht Katholiken, wie sie
Goethe im Kreise der Fürstin Galitzin fand? Damit wollen wir keineswegs
das Sprüchlein empfohlen haben: „Christ, Jude, Türk und Hottentott, wir
glauben all an einen Gott." Vielmehr besteht das Anziehende solcher Ideal-
gestalten gerade in der eigentümlichen Färbung, die sie von ihrer Konfession
empfangen. Wir wollen nur sagen, daß der edle Kern jeder Konfession erst
nach Abschwächung ihrer im Streit mit den andern übertrieben hervorgekehrten
Eigentümlichkeiten und nur in" einzelnen ihrer Vertreter ungetrübt zur Er¬
scheinung kommt.

In dem Schlamm und dem Gewirr der politischen Parteikämpfe ist der
Zustand der Ungetrübtheit von vornherein ausgeschlossen. Wir können uns die
Untersuchung der politischen Wirkungen des Calvinismus bequem macheu,
indem wir uns an den schon erwähnten Essay Treitschkes über die Republik
der vereinigten Niederlande anlehnen. Treitschke hat darin schon alles gesagt,
was wir zu sagen haben, nur daß er gerade das, worauf es uns ankommt,
mit seiner feurigen Beredsamkeit sich selbst und seinen Lesern auszureden sucht.
Welche beiden ealvinistischen Lehren es waren, die dem Freiheitskämpfe der
Niederländer und ihrem Streben uach Machterweiterung zu Hilfe kamen, dürfen
wir wohl als bekannt voraussetzen. Die eine war die alttestamentliche, daß
dem Volke das Recht der Empörung gegen einen „gottlosen" König zustehe.
„Die unsittliche Lehre vom leidenden Gehorsam — sagt Treitschke — sog
den: Lutheraner das Mark des Willens aus den Knochen." Wie unbarmherzig
hat Maeaulah um dieser Lehre willen die englische Staatskirche verspottet, die
dieses lutherische Element mit dem calvinischen Dogma und einer katholischen
Kirchenverfassung und Liturgie zu einem wenig harmonischen, aber für den
Adel des Landes sehr vorteilhaften Ganzen zu verschmelzen gewußt hat!
Über die calvinistische Ansicht sagt Treitschke: „In dem gereinigten Glanben
lag schon der Keim einer neuen menschlichem Staatslehre. Gott hat einen
Bund geschlossen mit seinem gläubigen Volke; das Volk unterwirft sich dem
Fürsten, solange er selber diesem Bunde, dem Gesetze, treu bleibt — mit solchen
Sätzen begründeten die politischen Denker der Hugenotten das Recht des
Widerstandes." Und da jeder Einzelne den Geist Gottes zu haben glaubte,
so ward jeder gemeine Mann und vollends jeder Prediger zum Propheten,
der, ein andrer Samuel, dem Saul seineu Bundbruch vorhielt und den Ver¬
trag kündigte. Daß aber diese alttestamentlichen Gläubigen einen Papisten,
der ja in ihren Augen ein Götzendiener war, nicht als König anerkennen
konnten, verstand sich für sie von selbst.

Wer nun meint, daß bis dahin in Europa die absolute Monarchie ge¬
herrscht und im Staate kein andres Recht als das unumschränkte Königsrecht
gegolten habe, der muß allerdings die Calvinisten für die Schöpfer nicht allein
der republikanischen Freiheit, sondern anch der konstitutionellen Monarchie an-


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[0504] vielen adlichen und Bürgerhäusern antrifft, wer nicht Katholiken, wie sie Goethe im Kreise der Fürstin Galitzin fand? Damit wollen wir keineswegs das Sprüchlein empfohlen haben: „Christ, Jude, Türk und Hottentott, wir glauben all an einen Gott." Vielmehr besteht das Anziehende solcher Ideal- gestalten gerade in der eigentümlichen Färbung, die sie von ihrer Konfession empfangen. Wir wollen nur sagen, daß der edle Kern jeder Konfession erst nach Abschwächung ihrer im Streit mit den andern übertrieben hervorgekehrten Eigentümlichkeiten und nur in" einzelnen ihrer Vertreter ungetrübt zur Er¬ scheinung kommt. In dem Schlamm und dem Gewirr der politischen Parteikämpfe ist der Zustand der Ungetrübtheit von vornherein ausgeschlossen. Wir können uns die Untersuchung der politischen Wirkungen des Calvinismus bequem macheu, indem wir uns an den schon erwähnten Essay Treitschkes über die Republik der vereinigten Niederlande anlehnen. Treitschke hat darin schon alles gesagt, was wir zu sagen haben, nur daß er gerade das, worauf es uns ankommt, mit seiner feurigen Beredsamkeit sich selbst und seinen Lesern auszureden sucht. Welche beiden ealvinistischen Lehren es waren, die dem Freiheitskämpfe der Niederländer und ihrem Streben uach Machterweiterung zu Hilfe kamen, dürfen wir wohl als bekannt voraussetzen. Die eine war die alttestamentliche, daß dem Volke das Recht der Empörung gegen einen „gottlosen" König zustehe. „Die unsittliche Lehre vom leidenden Gehorsam — sagt Treitschke — sog den: Lutheraner das Mark des Willens aus den Knochen." Wie unbarmherzig hat Maeaulah um dieser Lehre willen die englische Staatskirche verspottet, die dieses lutherische Element mit dem calvinischen Dogma und einer katholischen Kirchenverfassung und Liturgie zu einem wenig harmonischen, aber für den Adel des Landes sehr vorteilhaften Ganzen zu verschmelzen gewußt hat! Über die calvinistische Ansicht sagt Treitschke: „In dem gereinigten Glanben lag schon der Keim einer neuen menschlichem Staatslehre. Gott hat einen Bund geschlossen mit seinem gläubigen Volke; das Volk unterwirft sich dem Fürsten, solange er selber diesem Bunde, dem Gesetze, treu bleibt — mit solchen Sätzen begründeten die politischen Denker der Hugenotten das Recht des Widerstandes." Und da jeder Einzelne den Geist Gottes zu haben glaubte, so ward jeder gemeine Mann und vollends jeder Prediger zum Propheten, der, ein andrer Samuel, dem Saul seineu Bundbruch vorhielt und den Ver¬ trag kündigte. Daß aber diese alttestamentlichen Gläubigen einen Papisten, der ja in ihren Augen ein Götzendiener war, nicht als König anerkennen konnten, verstand sich für sie von selbst. Wer nun meint, daß bis dahin in Europa die absolute Monarchie ge¬ herrscht und im Staate kein andres Recht als das unumschränkte Königsrecht gegolten habe, der muß allerdings die Calvinisten für die Schöpfer nicht allein der republikanischen Freiheit, sondern anch der konstitutionellen Monarchie an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/504>, abgerufen am 23.07.2024.