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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur sozialen Frage

wunden werden können. Der Zusanunenschluß der Arbeitskräfte genügt nicht,
um Kapital und die zur Leitung solcher Unternehmungen erforderlichen Kennt¬
nisse und Kräfte zu schaffen, und da Leitung und Geldmittel zu aller Pro¬
duktion ebenso unentbehrlich sind, wie Arbeitskraft, so haben die Produktiv-
genossenschaften bis jetzt keine Erfolge zu verzeichnen.

Andrerseits haben sich Vereine und Verbände genug gebildet, die den
Zwecken der Arbeiter oder der Unternehmer dienen sollen. Die Kräfte werden
vereinigt und zusammengezogen, aber leider! zum Kampf und zum Kriege,
nicht zu gemeinschaftlichem friedlichen Wirken. Die Arbeitgeber bilden Ver¬
bände, um dem Andrängen der Arbeiter und deren Forderungen besser wider¬
stehen zu können. Die Arbeiter vereinigen sich, um mit vereinten Kräften
ihre Forderungen durchzusetzen, sich gegenseitig bei Streiks zu unterstützen,
alle Berufsgenossen an sich heranzuziehen, den Arbeitgebern allen Zuzug ab¬
zuschneiden -- lauter taktische Maßregeln, die das Endziel haben, die stärkere
Teilnahme der Arbeitenden an dem Ertrage des Unternehmens zu erreichen.
Der Erfolg dieser Bestrebungen ans beiden Seiten ist: Unsicherheit der Pro¬
duktion nach allen Richtungen hiu, die Gefahr, daß einmal unentbehrliche
Güter ganz fehlen werden, die Schwierigkeit, kontraktliche Verpflichtungen zu
übernehmen, endlich Verhetzung und Erbitterung zwischen den verschiednen
Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft, selbst bis zu der Möglichkeit gewaltsamer
Ausbrüche.

Sollte sich nun ans Grund der in: Vorstehenden enthaltenen Ausführungen
kein Weg finden lassen, die Gegensätze zu vereinigen und Frieden und
Einigkeit an die Stelle des Unfriedens und des Klassenkampfes zu setzen?
Sollte man nicht den Arbeitnehmern Einräumungen machen können, die das
Mögliche und Erreichbare gewähren, ohne die Interessen der Arbeitgeber auf
bedenkliche Weise zu verletzen? Sollte es nicht gelingen, das Los der Arbeiter
gründlich zu verbessern, ohne die Ideale eines Bellamy ins Auge zu fassen
oder sozialdemokratischen Utopien nachzujagen? den Gegensatz zwischen So¬
zialismus und Individualismus zu vermitteln, ohne die heutige Gesellschafts¬
ordnung über den Haufen zu werfen?

Wir leben der Überzeugung, daß in der genossenschaftlichen Vereinigung
von Kapitalisten und Unternehmern mit der Arbeitskraft das richtige Mittel
gefunden werden könne.




Zur sozialen Frage

wunden werden können. Der Zusanunenschluß der Arbeitskräfte genügt nicht,
um Kapital und die zur Leitung solcher Unternehmungen erforderlichen Kennt¬
nisse und Kräfte zu schaffen, und da Leitung und Geldmittel zu aller Pro¬
duktion ebenso unentbehrlich sind, wie Arbeitskraft, so haben die Produktiv-
genossenschaften bis jetzt keine Erfolge zu verzeichnen.

Andrerseits haben sich Vereine und Verbände genug gebildet, die den
Zwecken der Arbeiter oder der Unternehmer dienen sollen. Die Kräfte werden
vereinigt und zusammengezogen, aber leider! zum Kampf und zum Kriege,
nicht zu gemeinschaftlichem friedlichen Wirken. Die Arbeitgeber bilden Ver¬
bände, um dem Andrängen der Arbeiter und deren Forderungen besser wider¬
stehen zu können. Die Arbeiter vereinigen sich, um mit vereinten Kräften
ihre Forderungen durchzusetzen, sich gegenseitig bei Streiks zu unterstützen,
alle Berufsgenossen an sich heranzuziehen, den Arbeitgebern allen Zuzug ab¬
zuschneiden — lauter taktische Maßregeln, die das Endziel haben, die stärkere
Teilnahme der Arbeitenden an dem Ertrage des Unternehmens zu erreichen.
Der Erfolg dieser Bestrebungen ans beiden Seiten ist: Unsicherheit der Pro¬
duktion nach allen Richtungen hiu, die Gefahr, daß einmal unentbehrliche
Güter ganz fehlen werden, die Schwierigkeit, kontraktliche Verpflichtungen zu
übernehmen, endlich Verhetzung und Erbitterung zwischen den verschiednen
Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft, selbst bis zu der Möglichkeit gewaltsamer
Ausbrüche.

Sollte sich nun ans Grund der in: Vorstehenden enthaltenen Ausführungen
kein Weg finden lassen, die Gegensätze zu vereinigen und Frieden und
Einigkeit an die Stelle des Unfriedens und des Klassenkampfes zu setzen?
Sollte man nicht den Arbeitnehmern Einräumungen machen können, die das
Mögliche und Erreichbare gewähren, ohne die Interessen der Arbeitgeber auf
bedenkliche Weise zu verletzen? Sollte es nicht gelingen, das Los der Arbeiter
gründlich zu verbessern, ohne die Ideale eines Bellamy ins Auge zu fassen
oder sozialdemokratischen Utopien nachzujagen? den Gegensatz zwischen So¬
zialismus und Individualismus zu vermitteln, ohne die heutige Gesellschafts¬
ordnung über den Haufen zu werfen?

Wir leben der Überzeugung, daß in der genossenschaftlichen Vereinigung
von Kapitalisten und Unternehmern mit der Arbeitskraft das richtige Mittel
gefunden werden könne.




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[0502] Zur sozialen Frage wunden werden können. Der Zusanunenschluß der Arbeitskräfte genügt nicht, um Kapital und die zur Leitung solcher Unternehmungen erforderlichen Kennt¬ nisse und Kräfte zu schaffen, und da Leitung und Geldmittel zu aller Pro¬ duktion ebenso unentbehrlich sind, wie Arbeitskraft, so haben die Produktiv- genossenschaften bis jetzt keine Erfolge zu verzeichnen. Andrerseits haben sich Vereine und Verbände genug gebildet, die den Zwecken der Arbeiter oder der Unternehmer dienen sollen. Die Kräfte werden vereinigt und zusammengezogen, aber leider! zum Kampf und zum Kriege, nicht zu gemeinschaftlichem friedlichen Wirken. Die Arbeitgeber bilden Ver¬ bände, um dem Andrängen der Arbeiter und deren Forderungen besser wider¬ stehen zu können. Die Arbeiter vereinigen sich, um mit vereinten Kräften ihre Forderungen durchzusetzen, sich gegenseitig bei Streiks zu unterstützen, alle Berufsgenossen an sich heranzuziehen, den Arbeitgebern allen Zuzug ab¬ zuschneiden — lauter taktische Maßregeln, die das Endziel haben, die stärkere Teilnahme der Arbeitenden an dem Ertrage des Unternehmens zu erreichen. Der Erfolg dieser Bestrebungen ans beiden Seiten ist: Unsicherheit der Pro¬ duktion nach allen Richtungen hiu, die Gefahr, daß einmal unentbehrliche Güter ganz fehlen werden, die Schwierigkeit, kontraktliche Verpflichtungen zu übernehmen, endlich Verhetzung und Erbitterung zwischen den verschiednen Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft, selbst bis zu der Möglichkeit gewaltsamer Ausbrüche. Sollte sich nun ans Grund der in: Vorstehenden enthaltenen Ausführungen kein Weg finden lassen, die Gegensätze zu vereinigen und Frieden und Einigkeit an die Stelle des Unfriedens und des Klassenkampfes zu setzen? Sollte man nicht den Arbeitnehmern Einräumungen machen können, die das Mögliche und Erreichbare gewähren, ohne die Interessen der Arbeitgeber auf bedenkliche Weise zu verletzen? Sollte es nicht gelingen, das Los der Arbeiter gründlich zu verbessern, ohne die Ideale eines Bellamy ins Auge zu fassen oder sozialdemokratischen Utopien nachzujagen? den Gegensatz zwischen So¬ zialismus und Individualismus zu vermitteln, ohne die heutige Gesellschafts¬ ordnung über den Haufen zu werfen? Wir leben der Überzeugung, daß in der genossenschaftlichen Vereinigung von Kapitalisten und Unternehmern mit der Arbeitskraft das richtige Mittel gefunden werden könne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/502>, abgerufen am 23.07.2024.