Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Homunculus und Herr Nenio

er MI das Lager hinan, blickte einige Augenblicke in das Gesicht des Schlafenden,
faßte ihn dann an der Schulter und rief mit müßig erhobener Stimme: Herr
Homunculus, wachen Sie ans.

Langsam bewegte sich der Kopf nach der andern Seite, langsam erhob
sich die Hand und fuhr über die Augen, während ein langer und tiefer Atem¬
zug hörbar wurde. Dann erhob sich die Gestalt mit kräftigem Nuck, die
Lider waren geöffnet, und zwei helle, blitzende Augen schauten nicht sonderlich
verwundert im Zimmer umher. Jetzt öffneten sich auch die Lippen, und der
neu entstandene Mensch sagte mit noch etwas schlaftrunkener Stimme: Sehen
Sie mal an, Herr Geheimrat, da bin ich also doch eingeschlafen. Der Ungar¬
wein, den Sie mir gütigerweise vorsetzten, war doch etwas schwer, und Sie
haben mich in der That ziemlich lange allein gelassen. Da hat mich denn
selbst der Roman hier nicht wach halten können, übrigens wirklich ein vortreff¬
liches Buch, von dem ich die ersten Kapitel mit vielem Interesse gelesen habe.

Die beiden Freunde standen sprachlos, der Geheimrat schien nicht im
mindesten verwundert, sondern sagte nur: Wie ich sehe, haben Sie auch Ihre
Zigarre ausgehen lassen, darf ich Ihnen mit einer neuen dienen?

Wenn Sie eine von Ihren leichten da haben -- erwiderte Homunculus --,
so bitte ich; die andre war mir etwas zu schwer. Aber wird denn der Besuch,
den Sie erwarten, bald kommen?

Wenn Sie sich umwenden wollen -- sagte der Geheimrat --, es sind
sogar zwei Herren hier, Dr. Wirklich, den Sie ja bereits kennen, und unser
Philosoph or. Simmer, von dem Sie wohl schon gehört haben.

Der neue Mensch wandte sich rasch um: Bitte tausendmal um Vergebung
-- sagte er --, daß ich mich schlafend überraschen ließ. Nun, die Herren haben
ja meine Entschuldigung schon gehört. Dann trat er auf Simmer zu und
sagte mit kurzer Verbeugung: Homunculus; ich schätze es mir zur besondern
Ehre, Herr Doktor, Ihre Bekanntschaft, die ich nur schon lange gewünscht habe,
zu machen.

Simmer war so verwirrt, daß er kaum die Verbeugung erwiderte, aber
"och mehr erstaunte Wirklich, als er von dem sonderbaren Wesen wie ein
guter Bekannter begrüßt wurde: Sieht man Sie endlich einmal wieder, Herr
Doktor! Die Wissenschaften lassen Ihnen wohl gar keine Zeit mehr, sich um
Ihre alten Freunde zu kümmern.

Unwillkürlich stammelte Wirklich: Ich weiß in der That nicht, woher --
als ein heftiges Augenzwinkern des Geheimrath ihn abbrechen ließ. Nun fand
er schnell genug die nötige Fassung, die Anrede seines neuen Freundes ge¬
hörig zu erwidern und sich mit den wirklich dringenden Arbeiten der letzten
Zeit zu entschuldigen.

Die Herren sind wohl gekommen, sich das große Experiment zeigen zu
lassen, das der Herr Geheimrat heute ausführen will, fuhr Homunculus un-


Homunculus und Herr Nenio

er MI das Lager hinan, blickte einige Augenblicke in das Gesicht des Schlafenden,
faßte ihn dann an der Schulter und rief mit müßig erhobener Stimme: Herr
Homunculus, wachen Sie ans.

Langsam bewegte sich der Kopf nach der andern Seite, langsam erhob
sich die Hand und fuhr über die Augen, während ein langer und tiefer Atem¬
zug hörbar wurde. Dann erhob sich die Gestalt mit kräftigem Nuck, die
Lider waren geöffnet, und zwei helle, blitzende Augen schauten nicht sonderlich
verwundert im Zimmer umher. Jetzt öffneten sich auch die Lippen, und der
neu entstandene Mensch sagte mit noch etwas schlaftrunkener Stimme: Sehen
Sie mal an, Herr Geheimrat, da bin ich also doch eingeschlafen. Der Ungar¬
wein, den Sie mir gütigerweise vorsetzten, war doch etwas schwer, und Sie
haben mich in der That ziemlich lange allein gelassen. Da hat mich denn
selbst der Roman hier nicht wach halten können, übrigens wirklich ein vortreff¬
liches Buch, von dem ich die ersten Kapitel mit vielem Interesse gelesen habe.

Die beiden Freunde standen sprachlos, der Geheimrat schien nicht im
mindesten verwundert, sondern sagte nur: Wie ich sehe, haben Sie auch Ihre
Zigarre ausgehen lassen, darf ich Ihnen mit einer neuen dienen?

Wenn Sie eine von Ihren leichten da haben — erwiderte Homunculus —,
so bitte ich; die andre war mir etwas zu schwer. Aber wird denn der Besuch,
den Sie erwarten, bald kommen?

Wenn Sie sich umwenden wollen — sagte der Geheimrat —, es sind
sogar zwei Herren hier, Dr. Wirklich, den Sie ja bereits kennen, und unser
Philosoph or. Simmer, von dem Sie wohl schon gehört haben.

Der neue Mensch wandte sich rasch um: Bitte tausendmal um Vergebung
— sagte er —, daß ich mich schlafend überraschen ließ. Nun, die Herren haben
ja meine Entschuldigung schon gehört. Dann trat er auf Simmer zu und
sagte mit kurzer Verbeugung: Homunculus; ich schätze es mir zur besondern
Ehre, Herr Doktor, Ihre Bekanntschaft, die ich nur schon lange gewünscht habe,
zu machen.

Simmer war so verwirrt, daß er kaum die Verbeugung erwiderte, aber
»och mehr erstaunte Wirklich, als er von dem sonderbaren Wesen wie ein
guter Bekannter begrüßt wurde: Sieht man Sie endlich einmal wieder, Herr
Doktor! Die Wissenschaften lassen Ihnen wohl gar keine Zeit mehr, sich um
Ihre alten Freunde zu kümmern.

Unwillkürlich stammelte Wirklich: Ich weiß in der That nicht, woher —
als ein heftiges Augenzwinkern des Geheimrath ihn abbrechen ließ. Nun fand
er schnell genug die nötige Fassung, die Anrede seines neuen Freundes ge¬
hörig zu erwidern und sich mit den wirklich dringenden Arbeiten der letzten
Zeit zu entschuldigen.

Die Herren sind wohl gekommen, sich das große Experiment zeigen zu
lassen, das der Herr Geheimrat heute ausführen will, fuhr Homunculus un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0487" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290256"/>
          <fw type="header" place="top"> Homunculus und Herr Nenio</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1413" prev="#ID_1412"> er MI das Lager hinan, blickte einige Augenblicke in das Gesicht des Schlafenden,<lb/>
faßte ihn dann an der Schulter und rief mit müßig erhobener Stimme: Herr<lb/>
Homunculus, wachen Sie ans.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1414"> Langsam bewegte sich der Kopf nach der andern Seite, langsam erhob<lb/>
sich die Hand und fuhr über die Augen, während ein langer und tiefer Atem¬<lb/>
zug hörbar wurde. Dann erhob sich die Gestalt mit kräftigem Nuck, die<lb/>
Lider waren geöffnet, und zwei helle, blitzende Augen schauten nicht sonderlich<lb/>
verwundert im Zimmer umher. Jetzt öffneten sich auch die Lippen, und der<lb/>
neu entstandene Mensch sagte mit noch etwas schlaftrunkener Stimme: Sehen<lb/>
Sie mal an, Herr Geheimrat, da bin ich also doch eingeschlafen. Der Ungar¬<lb/>
wein, den Sie mir gütigerweise vorsetzten, war doch etwas schwer, und Sie<lb/>
haben mich in der That ziemlich lange allein gelassen. Da hat mich denn<lb/>
selbst der Roman hier nicht wach halten können, übrigens wirklich ein vortreff¬<lb/>
liches Buch, von dem ich die ersten Kapitel mit vielem Interesse gelesen habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1415"> Die beiden Freunde standen sprachlos, der Geheimrat schien nicht im<lb/>
mindesten verwundert, sondern sagte nur: Wie ich sehe, haben Sie auch Ihre<lb/>
Zigarre ausgehen lassen, darf ich Ihnen mit einer neuen dienen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1416"> Wenn Sie eine von Ihren leichten da haben &#x2014; erwiderte Homunculus &#x2014;,<lb/>
so bitte ich; die andre war mir etwas zu schwer. Aber wird denn der Besuch,<lb/>
den Sie erwarten, bald kommen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1417"> Wenn Sie sich umwenden wollen &#x2014; sagte der Geheimrat &#x2014;, es sind<lb/>
sogar zwei Herren hier, Dr. Wirklich, den Sie ja bereits kennen, und unser<lb/>
Philosoph or. Simmer, von dem Sie wohl schon gehört haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1418"> Der neue Mensch wandte sich rasch um: Bitte tausendmal um Vergebung<lb/>
&#x2014; sagte er &#x2014;, daß ich mich schlafend überraschen ließ. Nun, die Herren haben<lb/>
ja meine Entschuldigung schon gehört. Dann trat er auf Simmer zu und<lb/>
sagte mit kurzer Verbeugung: Homunculus; ich schätze es mir zur besondern<lb/>
Ehre, Herr Doktor, Ihre Bekanntschaft, die ich nur schon lange gewünscht habe,<lb/>
zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1419"> Simmer war so verwirrt, daß er kaum die Verbeugung erwiderte, aber<lb/>
»och mehr erstaunte Wirklich, als er von dem sonderbaren Wesen wie ein<lb/>
guter Bekannter begrüßt wurde: Sieht man Sie endlich einmal wieder, Herr<lb/>
Doktor! Die Wissenschaften lassen Ihnen wohl gar keine Zeit mehr, sich um<lb/>
Ihre alten Freunde zu kümmern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1420"> Unwillkürlich stammelte Wirklich: Ich weiß in der That nicht, woher &#x2014;<lb/>
als ein heftiges Augenzwinkern des Geheimrath ihn abbrechen ließ. Nun fand<lb/>
er schnell genug die nötige Fassung, die Anrede seines neuen Freundes ge¬<lb/>
hörig zu erwidern und sich mit den wirklich dringenden Arbeiten der letzten<lb/>
Zeit zu entschuldigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1421" next="#ID_1422"> Die Herren sind wohl gekommen, sich das große Experiment zeigen zu<lb/>
lassen, das der Herr Geheimrat heute ausführen will, fuhr Homunculus un-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0487] Homunculus und Herr Nenio er MI das Lager hinan, blickte einige Augenblicke in das Gesicht des Schlafenden, faßte ihn dann an der Schulter und rief mit müßig erhobener Stimme: Herr Homunculus, wachen Sie ans. Langsam bewegte sich der Kopf nach der andern Seite, langsam erhob sich die Hand und fuhr über die Augen, während ein langer und tiefer Atem¬ zug hörbar wurde. Dann erhob sich die Gestalt mit kräftigem Nuck, die Lider waren geöffnet, und zwei helle, blitzende Augen schauten nicht sonderlich verwundert im Zimmer umher. Jetzt öffneten sich auch die Lippen, und der neu entstandene Mensch sagte mit noch etwas schlaftrunkener Stimme: Sehen Sie mal an, Herr Geheimrat, da bin ich also doch eingeschlafen. Der Ungar¬ wein, den Sie mir gütigerweise vorsetzten, war doch etwas schwer, und Sie haben mich in der That ziemlich lange allein gelassen. Da hat mich denn selbst der Roman hier nicht wach halten können, übrigens wirklich ein vortreff¬ liches Buch, von dem ich die ersten Kapitel mit vielem Interesse gelesen habe. Die beiden Freunde standen sprachlos, der Geheimrat schien nicht im mindesten verwundert, sondern sagte nur: Wie ich sehe, haben Sie auch Ihre Zigarre ausgehen lassen, darf ich Ihnen mit einer neuen dienen? Wenn Sie eine von Ihren leichten da haben — erwiderte Homunculus —, so bitte ich; die andre war mir etwas zu schwer. Aber wird denn der Besuch, den Sie erwarten, bald kommen? Wenn Sie sich umwenden wollen — sagte der Geheimrat —, es sind sogar zwei Herren hier, Dr. Wirklich, den Sie ja bereits kennen, und unser Philosoph or. Simmer, von dem Sie wohl schon gehört haben. Der neue Mensch wandte sich rasch um: Bitte tausendmal um Vergebung — sagte er —, daß ich mich schlafend überraschen ließ. Nun, die Herren haben ja meine Entschuldigung schon gehört. Dann trat er auf Simmer zu und sagte mit kurzer Verbeugung: Homunculus; ich schätze es mir zur besondern Ehre, Herr Doktor, Ihre Bekanntschaft, die ich nur schon lange gewünscht habe, zu machen. Simmer war so verwirrt, daß er kaum die Verbeugung erwiderte, aber »och mehr erstaunte Wirklich, als er von dem sonderbaren Wesen wie ein guter Bekannter begrüßt wurde: Sieht man Sie endlich einmal wieder, Herr Doktor! Die Wissenschaften lassen Ihnen wohl gar keine Zeit mehr, sich um Ihre alten Freunde zu kümmern. Unwillkürlich stammelte Wirklich: Ich weiß in der That nicht, woher — als ein heftiges Augenzwinkern des Geheimrath ihn abbrechen ließ. Nun fand er schnell genug die nötige Fassung, die Anrede seines neuen Freundes ge¬ hörig zu erwidern und sich mit den wirklich dringenden Arbeiten der letzten Zeit zu entschuldigen. Die Herren sind wohl gekommen, sich das große Experiment zeigen zu lassen, das der Herr Geheimrat heute ausführen will, fuhr Homunculus un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/487
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/487>, abgerufen am 23.07.2024.