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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Naturheilkunde in der Medizin

kann dahingestellt bleiben, ob die Grundsätze der Natnrheilkunde richtig oder
unrichtig seien; jedenfalls hat aber auch der Naturarzt wie jeder andre Arzt die
Verpflichtung, seine Patienten sorgfältig zu behandeln und dann, wenn er sieht,
daß seine Heilmethode nicht anschlägt, rechtzeitig davon abzugehen. So durfte
K. namentlich nach dem Gutachten der Sachverstandigen das kranke Bein nicht
unter Anwendung von Hitze behandeln und mußte, als er den bösen Erfolg
davon sah, rechtzeitig von einer weitern derartigen Behandlung absehen. Daß
er dies nicht gethan hat, begründet den Thatbestand des groben Verfahrens."

Andrerseits ist auf der Jahreskonferenz der freien Vereinigung der säch¬
sischen Ortskrankenkassen, die am 24. und 25. Mai dieses Jahres in Chemnitz
getagt hat, u. a. die Zulassung von Naturheilkundigen zur Behandlung von
Kranken der Ortskraukeukassen als wünschenswert bezeichnet worden.

Gegenüber den in jenen richterlichen Entscheidungen enthaltenen Sätzen:
"Es könne im gegebnen Falle außer Betracht bleiben, ob die sogenannte
Naturheilmethode als ein zweckentsprechendes und auf wissenschaftlicher Grund¬
lage beruhendes Verfahren anzusehen sei" und "ob die Grundsätze der Natur¬
heilmethode richtig oder unrichtig seien," andrerseits gegenüber dem Beschluß der
Konferenz der Ortskrankenkassen, Naturheilkundige zur Mitgliederbehandluug
zuzulassen, erscheint es rütlich, einmal allgemeinverständlich festzustellen, was
denn die sogenannte Naturheilkuude und Naturheilmethode eigentlich ist, und
warum ein Teil des Publikums von einer besondern Naturheilkunde mehr
erwartet als von der gesamten Heilkunde.

Unter Naturheilkunde wird im allgemeinen das Wasserheilverfahren ver¬
standen, und zwar im besondern dann, wenn es nicht bloß bei bestimmten
Krankheitsfällen und Krankheitserscheinungen, sondern als ausschließliches Heil¬
verfahren bei allen möglichen Erkrankungen angewandt wird. Die Jünger
dieser Naturheilkunde, die sich "Naturärzte" nennen, sind fast ausschließlich
Laien, meist Leute, die ihren bürgerlichen Beruf verfehlt haben und nun gleich¬
wohl sich leichtfertig anmaßen, in dem schweren und verantwortungsvollen
Beruf der Heilkunst ohne Lehrzeit und Prüfung gleich als Meister aufzutreten.
Um ihre Berechtigung zum Heilkünstler darzuthun, legen sie sich einfach selbst
den Titel "Naturärzte" oder "Naturheilknndige" bei und schimpfen wacker auf
die "Mediziuärzte." Leider haben es auch Ärzte nicht verschmäht, sich dieser
Schar anzureihen, sich "Naturärzte" oder "Phhsiater" zu nennen und Lehr^
bücher der "Naturheilkunde" zu schreiben.

Unter einem "Naturarzte" muß man wörtlich einen Heilkünstler verstehen,
der die Krankheit durch die Regelung einer natürlichen Lebensweise zu ver-
hüten sucht, und der den Krankheitsverlauf durch Unterstützung der Natur¬
kräfte des menschlichen Körpers, sei es durch Stärkungs- oder Reizungs-,
Dämpfungs- oder Ableitungsmittel fördert und regelt. Danach ist jeder ver¬
nünftige Arzt ein Naturarzt. Er nennt sich aber nicht so, weil das selbst-


Die Naturheilkunde in der Medizin

kann dahingestellt bleiben, ob die Grundsätze der Natnrheilkunde richtig oder
unrichtig seien; jedenfalls hat aber auch der Naturarzt wie jeder andre Arzt die
Verpflichtung, seine Patienten sorgfältig zu behandeln und dann, wenn er sieht,
daß seine Heilmethode nicht anschlägt, rechtzeitig davon abzugehen. So durfte
K. namentlich nach dem Gutachten der Sachverstandigen das kranke Bein nicht
unter Anwendung von Hitze behandeln und mußte, als er den bösen Erfolg
davon sah, rechtzeitig von einer weitern derartigen Behandlung absehen. Daß
er dies nicht gethan hat, begründet den Thatbestand des groben Verfahrens."

Andrerseits ist auf der Jahreskonferenz der freien Vereinigung der säch¬
sischen Ortskrankenkassen, die am 24. und 25. Mai dieses Jahres in Chemnitz
getagt hat, u. a. die Zulassung von Naturheilkundigen zur Behandlung von
Kranken der Ortskraukeukassen als wünschenswert bezeichnet worden.

Gegenüber den in jenen richterlichen Entscheidungen enthaltenen Sätzen:
„Es könne im gegebnen Falle außer Betracht bleiben, ob die sogenannte
Naturheilmethode als ein zweckentsprechendes und auf wissenschaftlicher Grund¬
lage beruhendes Verfahren anzusehen sei" und „ob die Grundsätze der Natur¬
heilmethode richtig oder unrichtig seien," andrerseits gegenüber dem Beschluß der
Konferenz der Ortskrankenkassen, Naturheilkundige zur Mitgliederbehandluug
zuzulassen, erscheint es rütlich, einmal allgemeinverständlich festzustellen, was
denn die sogenannte Naturheilkuude und Naturheilmethode eigentlich ist, und
warum ein Teil des Publikums von einer besondern Naturheilkunde mehr
erwartet als von der gesamten Heilkunde.

Unter Naturheilkunde wird im allgemeinen das Wasserheilverfahren ver¬
standen, und zwar im besondern dann, wenn es nicht bloß bei bestimmten
Krankheitsfällen und Krankheitserscheinungen, sondern als ausschließliches Heil¬
verfahren bei allen möglichen Erkrankungen angewandt wird. Die Jünger
dieser Naturheilkunde, die sich „Naturärzte" nennen, sind fast ausschließlich
Laien, meist Leute, die ihren bürgerlichen Beruf verfehlt haben und nun gleich¬
wohl sich leichtfertig anmaßen, in dem schweren und verantwortungsvollen
Beruf der Heilkunst ohne Lehrzeit und Prüfung gleich als Meister aufzutreten.
Um ihre Berechtigung zum Heilkünstler darzuthun, legen sie sich einfach selbst
den Titel „Naturärzte" oder „Naturheilknndige" bei und schimpfen wacker auf
die „Mediziuärzte." Leider haben es auch Ärzte nicht verschmäht, sich dieser
Schar anzureihen, sich „Naturärzte" oder „Phhsiater" zu nennen und Lehr^
bücher der „Naturheilkunde" zu schreiben.

Unter einem „Naturarzte" muß man wörtlich einen Heilkünstler verstehen,
der die Krankheit durch die Regelung einer natürlichen Lebensweise zu ver-
hüten sucht, und der den Krankheitsverlauf durch Unterstützung der Natur¬
kräfte des menschlichen Körpers, sei es durch Stärkungs- oder Reizungs-,
Dämpfungs- oder Ableitungsmittel fördert und regelt. Danach ist jeder ver¬
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[0472] Die Naturheilkunde in der Medizin kann dahingestellt bleiben, ob die Grundsätze der Natnrheilkunde richtig oder unrichtig seien; jedenfalls hat aber auch der Naturarzt wie jeder andre Arzt die Verpflichtung, seine Patienten sorgfältig zu behandeln und dann, wenn er sieht, daß seine Heilmethode nicht anschlägt, rechtzeitig davon abzugehen. So durfte K. namentlich nach dem Gutachten der Sachverstandigen das kranke Bein nicht unter Anwendung von Hitze behandeln und mußte, als er den bösen Erfolg davon sah, rechtzeitig von einer weitern derartigen Behandlung absehen. Daß er dies nicht gethan hat, begründet den Thatbestand des groben Verfahrens." Andrerseits ist auf der Jahreskonferenz der freien Vereinigung der säch¬ sischen Ortskrankenkassen, die am 24. und 25. Mai dieses Jahres in Chemnitz getagt hat, u. a. die Zulassung von Naturheilkundigen zur Behandlung von Kranken der Ortskraukeukassen als wünschenswert bezeichnet worden. Gegenüber den in jenen richterlichen Entscheidungen enthaltenen Sätzen: „Es könne im gegebnen Falle außer Betracht bleiben, ob die sogenannte Naturheilmethode als ein zweckentsprechendes und auf wissenschaftlicher Grund¬ lage beruhendes Verfahren anzusehen sei" und „ob die Grundsätze der Natur¬ heilmethode richtig oder unrichtig seien," andrerseits gegenüber dem Beschluß der Konferenz der Ortskrankenkassen, Naturheilkundige zur Mitgliederbehandluug zuzulassen, erscheint es rütlich, einmal allgemeinverständlich festzustellen, was denn die sogenannte Naturheilkuude und Naturheilmethode eigentlich ist, und warum ein Teil des Publikums von einer besondern Naturheilkunde mehr erwartet als von der gesamten Heilkunde. Unter Naturheilkunde wird im allgemeinen das Wasserheilverfahren ver¬ standen, und zwar im besondern dann, wenn es nicht bloß bei bestimmten Krankheitsfällen und Krankheitserscheinungen, sondern als ausschließliches Heil¬ verfahren bei allen möglichen Erkrankungen angewandt wird. Die Jünger dieser Naturheilkunde, die sich „Naturärzte" nennen, sind fast ausschließlich Laien, meist Leute, die ihren bürgerlichen Beruf verfehlt haben und nun gleich¬ wohl sich leichtfertig anmaßen, in dem schweren und verantwortungsvollen Beruf der Heilkunst ohne Lehrzeit und Prüfung gleich als Meister aufzutreten. Um ihre Berechtigung zum Heilkünstler darzuthun, legen sie sich einfach selbst den Titel „Naturärzte" oder „Naturheilknndige" bei und schimpfen wacker auf die „Mediziuärzte." Leider haben es auch Ärzte nicht verschmäht, sich dieser Schar anzureihen, sich „Naturärzte" oder „Phhsiater" zu nennen und Lehr^ bücher der „Naturheilkunde" zu schreiben. Unter einem „Naturarzte" muß man wörtlich einen Heilkünstler verstehen, der die Krankheit durch die Regelung einer natürlichen Lebensweise zu ver- hüten sucht, und der den Krankheitsverlauf durch Unterstützung der Natur¬ kräfte des menschlichen Körpers, sei es durch Stärkungs- oder Reizungs-, Dämpfungs- oder Ableitungsmittel fördert und regelt. Danach ist jeder ver¬ nünftige Arzt ein Naturarzt. Er nennt sich aber nicht so, weil das selbst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/472>, abgerufen am 23.07.2024.