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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Ortszeit, lveltzeit, Gisenbcchnzeit, Zonenzeit

zwölf Stunden, die wir von Mitternacht bis Mittag und dann nochmals von
Mittag bis Mitternacht zählen. Nun aber hat die Sonne, indem sie die Erde
umkreist, innerhalb der 24 Stunden des Tages 360 Längengrade zu durch¬
laufen. Daraus ergiebt sich, daß in der Richtung von Osten nach Westen
jeder Ort, je nach dem Zeitpunkt, wo die Sonne in seinen Meridian tritt,
seinen besondern Tag hat, und daß diese Verschiedenheit des Tages für jeden
Längengrad, um den ein Ort von dem andern westlich oder östlich entfernt
liegt, vier Minuten beträgt. Diese dnrch den Stand der Sonne über jedem Orte,
also durch deu Längengrad des Ortes bestimmte Zeit nennen wir die Ortszeit.

Die Verschiedenheit der Ortszeit hat unter anderm die Folge, daß ein
einheitlicher Tag, wie er durch das dem Tage beigelegte Datum zum Aus¬
druck kommt, auf der Erde gar nicht besteht. Nehmen wir als Ausgangspunkt
sür die Zählung der Längengrade, wie dies jetzt fast allgemein üblich ist, die
Sternwarte zu Greenwich an, und denken wir uns, daß an: heutigen Tag,
sagen wir am 3. August, die Sonne gerade im Meridian von Greenwich steht,
so ist in demselben Augenblicke unterm 180. Längengrad Mitternacht, mit der
ein Tag endet und ein neuer Tag beginnt. Dabei ist aber der Unterschied,
daß östlich vom 180. Längengrad der 2. August endet und der 3. August be¬
ginnt, dagegen westlich vom 180. Längengrad der 3. August zu Ende geht
und der 4. August seineu Anfang nimmt. Dieser neu begonnene 4. August
setzt dann seine Reise um die Erde fort, bis er nach zwölf Stunden Green¬
wich und nach 24 Stunden wieder deu 180. Längengrad erreicht. In keinem
Augenblicke ist also auf der ganzen Erde dasselbe Datum.

Eine so mannichfache Bezeichnung desselben irdischen Zeitpunktes konnte
einer Wissenschaft nicht genügen, die in ihren Berechnungen vielfach die Erde
nur als einen einheitlichen Punkt des gauzen Weltgebäudes in Betracht zu
ziehen hat. Das ist die Astronomie. Sie bedurfte also einer andern Art der
Zeitbestimmung. Da ihre praktische Thätigkeit mehr in der Nacht als am
Tage liegt, so verlegte sie den Anfang ihres Tages von Mitternacht auf den
Mittag des Nulllängengrades (Greenwich) und zählte von da an ohne Rück¬
sicht auf den Stand der Sonne 24 Stunden weiter. So schuf sich die Astro¬
nomie eine Bezeichnung der Zeit, die für die ganze Erde in jedem Augenblicke
dieselbe ist. Man hat diese Zeit die "Weltzeit" genannt, obgleich vielleicht
der Name "Erdzeit" richtiger wäre. Soweit dagegen die Astronomie mit den
Entfernungen auf der Erde zu rechnen hat, kommt natürlich für ihre Berech¬
nungen nur die Ortszeit in Betracht.

Für die Ordnung der bürgerlichen Thätigkeit war bis vor kurzem überall
die Ortszeit maßgebend; und man kann zugeben, daß dies auch zunächst ganz
naturgemäß ist. Die Verschiedenheit der Ortszeit für die einzelnen Orte in
ihrer Richtung von Osten nach Westen hatte solange nichts Störendes, als
die räumliche Entfernung der Orte diese zugleich zeitlich in größerer Trennung


Ortszeit, lveltzeit, Gisenbcchnzeit, Zonenzeit

zwölf Stunden, die wir von Mitternacht bis Mittag und dann nochmals von
Mittag bis Mitternacht zählen. Nun aber hat die Sonne, indem sie die Erde
umkreist, innerhalb der 24 Stunden des Tages 360 Längengrade zu durch¬
laufen. Daraus ergiebt sich, daß in der Richtung von Osten nach Westen
jeder Ort, je nach dem Zeitpunkt, wo die Sonne in seinen Meridian tritt,
seinen besondern Tag hat, und daß diese Verschiedenheit des Tages für jeden
Längengrad, um den ein Ort von dem andern westlich oder östlich entfernt
liegt, vier Minuten beträgt. Diese dnrch den Stand der Sonne über jedem Orte,
also durch deu Längengrad des Ortes bestimmte Zeit nennen wir die Ortszeit.

Die Verschiedenheit der Ortszeit hat unter anderm die Folge, daß ein
einheitlicher Tag, wie er durch das dem Tage beigelegte Datum zum Aus¬
druck kommt, auf der Erde gar nicht besteht. Nehmen wir als Ausgangspunkt
sür die Zählung der Längengrade, wie dies jetzt fast allgemein üblich ist, die
Sternwarte zu Greenwich an, und denken wir uns, daß an: heutigen Tag,
sagen wir am 3. August, die Sonne gerade im Meridian von Greenwich steht,
so ist in demselben Augenblicke unterm 180. Längengrad Mitternacht, mit der
ein Tag endet und ein neuer Tag beginnt. Dabei ist aber der Unterschied,
daß östlich vom 180. Längengrad der 2. August endet und der 3. August be¬
ginnt, dagegen westlich vom 180. Längengrad der 3. August zu Ende geht
und der 4. August seineu Anfang nimmt. Dieser neu begonnene 4. August
setzt dann seine Reise um die Erde fort, bis er nach zwölf Stunden Green¬
wich und nach 24 Stunden wieder deu 180. Längengrad erreicht. In keinem
Augenblicke ist also auf der ganzen Erde dasselbe Datum.

Eine so mannichfache Bezeichnung desselben irdischen Zeitpunktes konnte
einer Wissenschaft nicht genügen, die in ihren Berechnungen vielfach die Erde
nur als einen einheitlichen Punkt des gauzen Weltgebäudes in Betracht zu
ziehen hat. Das ist die Astronomie. Sie bedurfte also einer andern Art der
Zeitbestimmung. Da ihre praktische Thätigkeit mehr in der Nacht als am
Tage liegt, so verlegte sie den Anfang ihres Tages von Mitternacht auf den
Mittag des Nulllängengrades (Greenwich) und zählte von da an ohne Rück¬
sicht auf den Stand der Sonne 24 Stunden weiter. So schuf sich die Astro¬
nomie eine Bezeichnung der Zeit, die für die ganze Erde in jedem Augenblicke
dieselbe ist. Man hat diese Zeit die „Weltzeit" genannt, obgleich vielleicht
der Name „Erdzeit" richtiger wäre. Soweit dagegen die Astronomie mit den
Entfernungen auf der Erde zu rechnen hat, kommt natürlich für ihre Berech¬
nungen nur die Ortszeit in Betracht.

Für die Ordnung der bürgerlichen Thätigkeit war bis vor kurzem überall
die Ortszeit maßgebend; und man kann zugeben, daß dies auch zunächst ganz
naturgemäß ist. Die Verschiedenheit der Ortszeit für die einzelnen Orte in
ihrer Richtung von Osten nach Westen hatte solange nichts Störendes, als
die räumliche Entfernung der Orte diese zugleich zeitlich in größerer Trennung


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[0442] Ortszeit, lveltzeit, Gisenbcchnzeit, Zonenzeit zwölf Stunden, die wir von Mitternacht bis Mittag und dann nochmals von Mittag bis Mitternacht zählen. Nun aber hat die Sonne, indem sie die Erde umkreist, innerhalb der 24 Stunden des Tages 360 Längengrade zu durch¬ laufen. Daraus ergiebt sich, daß in der Richtung von Osten nach Westen jeder Ort, je nach dem Zeitpunkt, wo die Sonne in seinen Meridian tritt, seinen besondern Tag hat, und daß diese Verschiedenheit des Tages für jeden Längengrad, um den ein Ort von dem andern westlich oder östlich entfernt liegt, vier Minuten beträgt. Diese dnrch den Stand der Sonne über jedem Orte, also durch deu Längengrad des Ortes bestimmte Zeit nennen wir die Ortszeit. Die Verschiedenheit der Ortszeit hat unter anderm die Folge, daß ein einheitlicher Tag, wie er durch das dem Tage beigelegte Datum zum Aus¬ druck kommt, auf der Erde gar nicht besteht. Nehmen wir als Ausgangspunkt sür die Zählung der Längengrade, wie dies jetzt fast allgemein üblich ist, die Sternwarte zu Greenwich an, und denken wir uns, daß an: heutigen Tag, sagen wir am 3. August, die Sonne gerade im Meridian von Greenwich steht, so ist in demselben Augenblicke unterm 180. Längengrad Mitternacht, mit der ein Tag endet und ein neuer Tag beginnt. Dabei ist aber der Unterschied, daß östlich vom 180. Längengrad der 2. August endet und der 3. August be¬ ginnt, dagegen westlich vom 180. Längengrad der 3. August zu Ende geht und der 4. August seineu Anfang nimmt. Dieser neu begonnene 4. August setzt dann seine Reise um die Erde fort, bis er nach zwölf Stunden Green¬ wich und nach 24 Stunden wieder deu 180. Längengrad erreicht. In keinem Augenblicke ist also auf der ganzen Erde dasselbe Datum. Eine so mannichfache Bezeichnung desselben irdischen Zeitpunktes konnte einer Wissenschaft nicht genügen, die in ihren Berechnungen vielfach die Erde nur als einen einheitlichen Punkt des gauzen Weltgebäudes in Betracht zu ziehen hat. Das ist die Astronomie. Sie bedurfte also einer andern Art der Zeitbestimmung. Da ihre praktische Thätigkeit mehr in der Nacht als am Tage liegt, so verlegte sie den Anfang ihres Tages von Mitternacht auf den Mittag des Nulllängengrades (Greenwich) und zählte von da an ohne Rück¬ sicht auf den Stand der Sonne 24 Stunden weiter. So schuf sich die Astro¬ nomie eine Bezeichnung der Zeit, die für die ganze Erde in jedem Augenblicke dieselbe ist. Man hat diese Zeit die „Weltzeit" genannt, obgleich vielleicht der Name „Erdzeit" richtiger wäre. Soweit dagegen die Astronomie mit den Entfernungen auf der Erde zu rechnen hat, kommt natürlich für ihre Berech¬ nungen nur die Ortszeit in Betracht. Für die Ordnung der bürgerlichen Thätigkeit war bis vor kurzem überall die Ortszeit maßgebend; und man kann zugeben, daß dies auch zunächst ganz naturgemäß ist. Die Verschiedenheit der Ortszeit für die einzelnen Orte in ihrer Richtung von Osten nach Westen hatte solange nichts Störendes, als die räumliche Entfernung der Orte diese zugleich zeitlich in größerer Trennung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/442>, abgerufen am 23.07.2024.