Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.Wilhelm Zeusen auf deutungsvollen Steinen der Vorzeit an einsamen Strande des ewig gleichen In dieser übrigens für Jensens Stil und Wortgebrauch charakteristi¬ Wilhelm Zeusen auf deutungsvollen Steinen der Vorzeit an einsamen Strande des ewig gleichen In dieser übrigens für Jensens Stil und Wortgebrauch charakteristi¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290183"/> <fw type="header" place="top"> Wilhelm Zeusen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1172" prev="#ID_1171"> auf deutungsvollen Steinen der Vorzeit an einsamen Strande des ewig gleichen<lb/> Meeres bei einander ruhen. Die eine „trug dunkles, fast nächtig schwarzes<lb/> Haar zu ernster Tracht um das Haupt gefesselt. Ihre Züge waren unbeweg¬<lb/> lich ruhevoll, wie die sterngleicheu Augen, die sich über die unabsehbare Weite<lb/> des Meeres fortrichteten. Sie gewahrten nichts um sich her; ihr Blick ward<lb/> von einer Leuchtkraft aus dem eignen Innern erhellt; doch auch ein fremdes<lb/> Licht, das mir nicht sichtbar von unendlicher Ferne kommen mußte, spiegelte<lb/> sich zwischen ihren weit offenen Lidern. Ein schwärmerischer Glanz ging aus<lb/> ihnen hervor, doch ohne Wärme, wie Stcrngefnnkel einer Winternacht, streng<lb/> und kalt." So also sind der Glaube und die abstrakte Theologie in Jensens<lb/> Auffassung beschaffen. Die Gestalt giebt auf die Frage nach ihrem Wesen<lb/> den Bescheid „mit metallener Stimme gleich dem Anschlag einer Erzglocke:<lb/> Ich schaue die Ewigkeit des Lebens." Dem zweiten symbolischen Frauenbilde<lb/> streift das blonde Haar ins Aschenfarbene und wirft im Meerwinde flatternd<lb/> Schatten wie Faltenstriche des Alters über das Antlitz. „Ihre Augen nahmen<lb/> auf, was um sie lag, doch sie waren glanzlos, stumpf, leer und gleichgiltig.<lb/> Auf den Lippen kauerte eine Regung des Gemütes, aber wenn sie zum Laut<lb/> wurde, konnte sie sich nur in ein Wort bitteren Hohnes umsetzen." Ihre<lb/> Antwort, mit dem Klang der gesprungenen, zerrissenen Glocke: „Ich schaue die<lb/> Nichtigkeit des Lebens." Die dritte, in wunderbarer Schönheit geschildert,<lb/> am meisten wie ein irdisches Weib, sie allein unter diesen dreien ihre Hoheit<lb/> als eine unbewußte Mitgift tragend, im Antlitz Glück und Trauer wundersam<lb/> gemischt und auf den lebenswcmnen blühenden Lippen eine zuckende Regung<lb/> zwischen Lachen und Weinen. „Was bleibt dir noch andres zu thun übrig?"<lb/> fragt sie der Blick, nachdem der Mund jene beiden ersten Antworten erhalten<lb/> hat. „Da wandten (Imsen schreibt wendeten) sich ihre Augen mir entgegen,<lb/> warm wie Sonne des Frühlings und blau gleich seinen Veilchen. Mein Herz<lb/> erzitterte seltsam unter dem Blick, süß und bang, denn es ward aus ihm von<lb/> allem durchflossen, was es je in sich empfunden. Und eine weiche Menschen¬<lb/> stimme sprach — und wieder klang es mir bis ins Herz, wundersam von<lb/> seliger Wonne und tiefem Weh zugleich durchbebt: »Ich schaue die Flüchtigkeit<lb/> des Lebens.« Mir aber flog von den Lippen, aus tief aufatmender Brust:<lb/> »O du Liebreiche, Hohe, du Göttlich-Menschliche, laß mich dir noch in das<lb/> schöne, beglückende, trauernde Auge sehen!«"</p><lb/> <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> In dieser übrigens für Jensens Stil und Wortgebrauch charakteristi¬<lb/> schen Stelle der „Runensteine" ist der goldene Schlüssel zu Jensens hoher,<lb/> wehmütiger Schönheitsreligivn gegeben. Freilich die „Runensteine" selber<lb/> halten nicht völlig, was sie versprechen; die erzählende Durchführung wird<lb/> der monumentalen Größe des in der Einleitung gegebenen Programms doch<lb/> nicht vollkommen gerecht. Desto näher aber begegnen wir der dritten, der<lb/> göttlich-menschlichen jener drei Nornen des Dichters im „Vorherbst" wieder,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0414]
Wilhelm Zeusen
auf deutungsvollen Steinen der Vorzeit an einsamen Strande des ewig gleichen
Meeres bei einander ruhen. Die eine „trug dunkles, fast nächtig schwarzes
Haar zu ernster Tracht um das Haupt gefesselt. Ihre Züge waren unbeweg¬
lich ruhevoll, wie die sterngleicheu Augen, die sich über die unabsehbare Weite
des Meeres fortrichteten. Sie gewahrten nichts um sich her; ihr Blick ward
von einer Leuchtkraft aus dem eignen Innern erhellt; doch auch ein fremdes
Licht, das mir nicht sichtbar von unendlicher Ferne kommen mußte, spiegelte
sich zwischen ihren weit offenen Lidern. Ein schwärmerischer Glanz ging aus
ihnen hervor, doch ohne Wärme, wie Stcrngefnnkel einer Winternacht, streng
und kalt." So also sind der Glaube und die abstrakte Theologie in Jensens
Auffassung beschaffen. Die Gestalt giebt auf die Frage nach ihrem Wesen
den Bescheid „mit metallener Stimme gleich dem Anschlag einer Erzglocke:
Ich schaue die Ewigkeit des Lebens." Dem zweiten symbolischen Frauenbilde
streift das blonde Haar ins Aschenfarbene und wirft im Meerwinde flatternd
Schatten wie Faltenstriche des Alters über das Antlitz. „Ihre Augen nahmen
auf, was um sie lag, doch sie waren glanzlos, stumpf, leer und gleichgiltig.
Auf den Lippen kauerte eine Regung des Gemütes, aber wenn sie zum Laut
wurde, konnte sie sich nur in ein Wort bitteren Hohnes umsetzen." Ihre
Antwort, mit dem Klang der gesprungenen, zerrissenen Glocke: „Ich schaue die
Nichtigkeit des Lebens." Die dritte, in wunderbarer Schönheit geschildert,
am meisten wie ein irdisches Weib, sie allein unter diesen dreien ihre Hoheit
als eine unbewußte Mitgift tragend, im Antlitz Glück und Trauer wundersam
gemischt und auf den lebenswcmnen blühenden Lippen eine zuckende Regung
zwischen Lachen und Weinen. „Was bleibt dir noch andres zu thun übrig?"
fragt sie der Blick, nachdem der Mund jene beiden ersten Antworten erhalten
hat. „Da wandten (Imsen schreibt wendeten) sich ihre Augen mir entgegen,
warm wie Sonne des Frühlings und blau gleich seinen Veilchen. Mein Herz
erzitterte seltsam unter dem Blick, süß und bang, denn es ward aus ihm von
allem durchflossen, was es je in sich empfunden. Und eine weiche Menschen¬
stimme sprach — und wieder klang es mir bis ins Herz, wundersam von
seliger Wonne und tiefem Weh zugleich durchbebt: »Ich schaue die Flüchtigkeit
des Lebens.« Mir aber flog von den Lippen, aus tief aufatmender Brust:
»O du Liebreiche, Hohe, du Göttlich-Menschliche, laß mich dir noch in das
schöne, beglückende, trauernde Auge sehen!«"
In dieser übrigens für Jensens Stil und Wortgebrauch charakteristi¬
schen Stelle der „Runensteine" ist der goldene Schlüssel zu Jensens hoher,
wehmütiger Schönheitsreligivn gegeben. Freilich die „Runensteine" selber
halten nicht völlig, was sie versprechen; die erzählende Durchführung wird
der monumentalen Größe des in der Einleitung gegebenen Programms doch
nicht vollkommen gerecht. Desto näher aber begegnen wir der dritten, der
göttlich-menschlichen jener drei Nornen des Dichters im „Vorherbst" wieder,
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