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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Sprachgrenze in Lothringen

Verhalten Deutschlands beinahe umgekehrt. Der deutsche Elsnsser verarge es
eben wegen seiner amphibischen Neigungen der deutschen Regierung, daß sie
den französischen Sprachunterricht aus der Schule entfernt hat, weil er den
Kindern keinen Ersatz dafür im Hause bieten kann, und weil so die Möglich¬
keit der sprachlichen Erziehung ,,fürs Frankreich" benommen wird. Der fran¬
zösische Lothringer dagegen ist für Einführung des deutschen Sprachunterrichts
dankbar, der dem. Nachwüchse die nützliche und allenthalben verwertbare
Kenntnis beider Sprachen sichert. Dabei wird überdies der deutschen Aufgabe,
die Kenntnis der deutschen Sprache im französischen Lothringen zu verbreiten
und dort ein sprachlich gemischtes Gebiet zu schaffen, einerseits der unleugbare
Zug nach dem Westen, die fortwährend deutsche Einwanderung und zwar
weit mehr nach Lothringen als ins Elsaß führt, andrerseits die Neigung der
Lothringer zur Auswanderung zu statten kommen. Das sind günstige Be¬
dingungen, die man ruhig mit der Zuversicht weiter wirken lassen kann, daß
das Ergebnis für Deutschland vorteilhaft sein werde. Die deutschen Eiferer, die
aus der wohlbegründeten Entrüstung über sprachliche Kundgebungen im Reichs¬
lande den Schluß ziehen, daß man Kraftanstrengungen machen müsse, um die
französische Sprache und sei es dnrch die Mittel auszurotten, die unter ganz
andern Verhältnissen Ludwig XIV. anzuwenden in der Lage war, die mag
man mit ihren grnndumkehreuden Vorschlägen sich ruhig austoben lassen.
Es ist ja eine alte Erfahrung, daß die Höhenlage der Bildung oder der
Stellung nicht immer der Weite des politischen Gesichtskreises entspricht.
Zur deutschen Verwaltung können wir das volle Vertrauen haben, daß sie sich
durch untergeordnete leidenschaftliche Beweggründe nie wird bestimmen lassen.
Wenn man aber fragte, bis wann etwa ein den deutschen Erwartungen ent¬
sprechender Zustand eintreten wird, so läßt sich darauf nur antworten, daß
der Gang der Dinge weder dnrch die Schule, noch durch das Heer, auch nicht
durch Zwangsmaßregeln und durch deutsche Einwanderung wesentlich be¬
schleunigt werden wird. Ein rascher Umschwung wird aber von dem Zeit-
Punkte ab eintreten, wo es der deutschen Handels- und Verkehrspolitik gelingen
wird, den Wandertrieb nach Westen, wenn auch nicht in eine rückläufige Be¬
wegung zu bringen, so doch aufzuhalten und Vorteile aus den Beziehungen
zum Osten in Aussicht zu stellen. Dann werden die Erinnerungen an die
Vergangenheit verblassen, und wir werden die in den Berichten aus vergangne"
Jahrhunderten bestätigte Erfahrung machen, daß die Volkssprache keine ma߬
gebende Bedingung für die Neigungen im Staatsleben ist. Wir können daher
zur Zeit nur die Hoffnung aussprechen, daß das deutsche Reich die sich
bietenden Gelegenheiten, wie die Kcmalisirung der Mosel, als Anlässe zur
Erfüllung nationaler Aufgaben benutzen werde. Aber auch dünn darf man
nicht gleich mit ungestümen Hoffnungen vorgehen; je sichrer die sachliche
Grundlage ist, mit desto größrer Gelassenheit mag das weitre abgewartet werden.


Die Sprachgrenze in Lothringen

Verhalten Deutschlands beinahe umgekehrt. Der deutsche Elsnsser verarge es
eben wegen seiner amphibischen Neigungen der deutschen Regierung, daß sie
den französischen Sprachunterricht aus der Schule entfernt hat, weil er den
Kindern keinen Ersatz dafür im Hause bieten kann, und weil so die Möglich¬
keit der sprachlichen Erziehung ,,fürs Frankreich" benommen wird. Der fran¬
zösische Lothringer dagegen ist für Einführung des deutschen Sprachunterrichts
dankbar, der dem. Nachwüchse die nützliche und allenthalben verwertbare
Kenntnis beider Sprachen sichert. Dabei wird überdies der deutschen Aufgabe,
die Kenntnis der deutschen Sprache im französischen Lothringen zu verbreiten
und dort ein sprachlich gemischtes Gebiet zu schaffen, einerseits der unleugbare
Zug nach dem Westen, die fortwährend deutsche Einwanderung und zwar
weit mehr nach Lothringen als ins Elsaß führt, andrerseits die Neigung der
Lothringer zur Auswanderung zu statten kommen. Das sind günstige Be¬
dingungen, die man ruhig mit der Zuversicht weiter wirken lassen kann, daß
das Ergebnis für Deutschland vorteilhaft sein werde. Die deutschen Eiferer, die
aus der wohlbegründeten Entrüstung über sprachliche Kundgebungen im Reichs¬
lande den Schluß ziehen, daß man Kraftanstrengungen machen müsse, um die
französische Sprache und sei es dnrch die Mittel auszurotten, die unter ganz
andern Verhältnissen Ludwig XIV. anzuwenden in der Lage war, die mag
man mit ihren grnndumkehreuden Vorschlägen sich ruhig austoben lassen.
Es ist ja eine alte Erfahrung, daß die Höhenlage der Bildung oder der
Stellung nicht immer der Weite des politischen Gesichtskreises entspricht.
Zur deutschen Verwaltung können wir das volle Vertrauen haben, daß sie sich
durch untergeordnete leidenschaftliche Beweggründe nie wird bestimmen lassen.
Wenn man aber fragte, bis wann etwa ein den deutschen Erwartungen ent¬
sprechender Zustand eintreten wird, so läßt sich darauf nur antworten, daß
der Gang der Dinge weder dnrch die Schule, noch durch das Heer, auch nicht
durch Zwangsmaßregeln und durch deutsche Einwanderung wesentlich be¬
schleunigt werden wird. Ein rascher Umschwung wird aber von dem Zeit-
Punkte ab eintreten, wo es der deutschen Handels- und Verkehrspolitik gelingen
wird, den Wandertrieb nach Westen, wenn auch nicht in eine rückläufige Be¬
wegung zu bringen, so doch aufzuhalten und Vorteile aus den Beziehungen
zum Osten in Aussicht zu stellen. Dann werden die Erinnerungen an die
Vergangenheit verblassen, und wir werden die in den Berichten aus vergangne»
Jahrhunderten bestätigte Erfahrung machen, daß die Volkssprache keine ma߬
gebende Bedingung für die Neigungen im Staatsleben ist. Wir können daher
zur Zeit nur die Hoffnung aussprechen, daß das deutsche Reich die sich
bietenden Gelegenheiten, wie die Kcmalisirung der Mosel, als Anlässe zur
Erfüllung nationaler Aufgaben benutzen werde. Aber auch dünn darf man
nicht gleich mit ungestümen Hoffnungen vorgehen; je sichrer die sachliche
Grundlage ist, mit desto größrer Gelassenheit mag das weitre abgewartet werden.


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[0407] Die Sprachgrenze in Lothringen Verhalten Deutschlands beinahe umgekehrt. Der deutsche Elsnsser verarge es eben wegen seiner amphibischen Neigungen der deutschen Regierung, daß sie den französischen Sprachunterricht aus der Schule entfernt hat, weil er den Kindern keinen Ersatz dafür im Hause bieten kann, und weil so die Möglich¬ keit der sprachlichen Erziehung ,,fürs Frankreich" benommen wird. Der fran¬ zösische Lothringer dagegen ist für Einführung des deutschen Sprachunterrichts dankbar, der dem. Nachwüchse die nützliche und allenthalben verwertbare Kenntnis beider Sprachen sichert. Dabei wird überdies der deutschen Aufgabe, die Kenntnis der deutschen Sprache im französischen Lothringen zu verbreiten und dort ein sprachlich gemischtes Gebiet zu schaffen, einerseits der unleugbare Zug nach dem Westen, die fortwährend deutsche Einwanderung und zwar weit mehr nach Lothringen als ins Elsaß führt, andrerseits die Neigung der Lothringer zur Auswanderung zu statten kommen. Das sind günstige Be¬ dingungen, die man ruhig mit der Zuversicht weiter wirken lassen kann, daß das Ergebnis für Deutschland vorteilhaft sein werde. Die deutschen Eiferer, die aus der wohlbegründeten Entrüstung über sprachliche Kundgebungen im Reichs¬ lande den Schluß ziehen, daß man Kraftanstrengungen machen müsse, um die französische Sprache und sei es dnrch die Mittel auszurotten, die unter ganz andern Verhältnissen Ludwig XIV. anzuwenden in der Lage war, die mag man mit ihren grnndumkehreuden Vorschlägen sich ruhig austoben lassen. Es ist ja eine alte Erfahrung, daß die Höhenlage der Bildung oder der Stellung nicht immer der Weite des politischen Gesichtskreises entspricht. Zur deutschen Verwaltung können wir das volle Vertrauen haben, daß sie sich durch untergeordnete leidenschaftliche Beweggründe nie wird bestimmen lassen. Wenn man aber fragte, bis wann etwa ein den deutschen Erwartungen ent¬ sprechender Zustand eintreten wird, so läßt sich darauf nur antworten, daß der Gang der Dinge weder dnrch die Schule, noch durch das Heer, auch nicht durch Zwangsmaßregeln und durch deutsche Einwanderung wesentlich be¬ schleunigt werden wird. Ein rascher Umschwung wird aber von dem Zeit- Punkte ab eintreten, wo es der deutschen Handels- und Verkehrspolitik gelingen wird, den Wandertrieb nach Westen, wenn auch nicht in eine rückläufige Be¬ wegung zu bringen, so doch aufzuhalten und Vorteile aus den Beziehungen zum Osten in Aussicht zu stellen. Dann werden die Erinnerungen an die Vergangenheit verblassen, und wir werden die in den Berichten aus vergangne» Jahrhunderten bestätigte Erfahrung machen, daß die Volkssprache keine ma߬ gebende Bedingung für die Neigungen im Staatsleben ist. Wir können daher zur Zeit nur die Hoffnung aussprechen, daß das deutsche Reich die sich bietenden Gelegenheiten, wie die Kcmalisirung der Mosel, als Anlässe zur Erfüllung nationaler Aufgaben benutzen werde. Aber auch dünn darf man nicht gleich mit ungestümen Hoffnungen vorgehen; je sichrer die sachliche Grundlage ist, mit desto größrer Gelassenheit mag das weitre abgewartet werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/407>, abgerufen am 23.07.2024.