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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Sprachgrenze in Lothringen

ursprünglichen Volkssprache, sondern Anleihen und Anklänge, die sich durch
die deutsche Nachbarschaft und durch Einwanderung erklären.

Es ist überhaupt nicht recht begreiflich, warum deutsche Chauvinisten
durchaus noch Beweise für die Annahme suchen, daß die Hauptstadt von
Austrasien jemals urdeutsch gewesen sei. Soll damit eine ethnographische oder
nationale Rechtfertigung des Frankfurter Friedens angestrebt werden? Wir
möchten diesen Eiferern die Erwägung entgegenhalten, daß aus solchen An¬
nahmen sicher keine Genugthuung für Deutschland abzuleiten ist; es müßte ja
dann das Zugeständnis gemacht werden, daß die französische Sprache im Laufe
der Jahrhunderte weit größere Fortschritte gemacht habe, als selbst französische
Forscher beanspruchen. Wenn Frankreich im dreizehnten Jahrhundert mit dem
Kirchenbanne belegt war, so fand der Bannfluch seinen Abschluß in den Ar-
gonnen an dem Flüßchen Bienne oder Vienne, denn da lagen, wie 1289 die
kaiserlichen Bevollmächtigten, Anselm von Parroye, Erhard von Lcmdsperg
und Hartmann von Ratsamhausen an Ort und Stelle durch Vernehmung von
Zeugen nachgewiesen haben, die Grenzen zwischen Frankreich und dem deutschen
Reiche; in Vaucouleurs bei Toul, an der Reichsgrenze, verhandelten 1224
und 1299 Kaiser und König über zweifelhafte Fälle, die die Grenze der Mach t-
befugnisfe betrafen. Zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts gehörte nun
Metz mit Umgegend unzweifelhaft nicht mehr dem deutschen Sprachgebiete an.
Wer die Grenzen der deutschen Sprache an den Grenzen des deutschen Reiches
sucht, müßte also nachweisen, daß die ganze Grafschaft Bar auch dem deutschen
Sprachgebiete angehört habe. So vermessen war aber noch keiner. Begnügen
wir uns also mit dem Thatsächlichen. Das alte deutsche Reich hat über
Franzosen geherrscht, und heute ist dies, in weit geringerm Maße allerdings,
wieder der Fall; was soll dabei bedenklich sein? Mußten doch vor wenigen
Jahren die Flugschriften für Boulanger in Hunderttausenden von Exemplaren
ins Mimische übersetzt und verbreitet werdeu, um Stimmung zu machen; kein
französischer Patriot hat darüber ein Wort verloren.

Die Fortschritte der französischen Sprache gegen Osten waren seit den
Zeiten der Völkerwanderung sehr gering. Selbst während der letzten drei
Jahrhunderte, wo Frankreich rechtlich oder thatsächlich im Bistum Metz und
im Herzogtum Lothringen die Herrschaft geführt hat, ist die Sprachgrenze,
mit Einschluß des Gebietes, wo die deutsche Bevölkerung verschwunden und
durch Franzosen ersetzt worden war, nur um etwa 180 Gemeindefluren
zurückgeschoben worden. Das ist -- in sprachlicher Beziehung -- das End¬
ergebnis des mehr als tausendjährigen politischen Wettstreites zwischen Frank¬
reich und Deutschland!

Zur Erhaltung der deutschen Sprache im Metzer Lande und in Lothringen
hat wohl neben der französischen Zollpolitik, die Lothringen und die Bistümer
gleich dem Auslande behandelte, auch die fortgesetzte Einwanderung aus dem


Die Sprachgrenze in Lothringen

ursprünglichen Volkssprache, sondern Anleihen und Anklänge, die sich durch
die deutsche Nachbarschaft und durch Einwanderung erklären.

Es ist überhaupt nicht recht begreiflich, warum deutsche Chauvinisten
durchaus noch Beweise für die Annahme suchen, daß die Hauptstadt von
Austrasien jemals urdeutsch gewesen sei. Soll damit eine ethnographische oder
nationale Rechtfertigung des Frankfurter Friedens angestrebt werden? Wir
möchten diesen Eiferern die Erwägung entgegenhalten, daß aus solchen An¬
nahmen sicher keine Genugthuung für Deutschland abzuleiten ist; es müßte ja
dann das Zugeständnis gemacht werden, daß die französische Sprache im Laufe
der Jahrhunderte weit größere Fortschritte gemacht habe, als selbst französische
Forscher beanspruchen. Wenn Frankreich im dreizehnten Jahrhundert mit dem
Kirchenbanne belegt war, so fand der Bannfluch seinen Abschluß in den Ar-
gonnen an dem Flüßchen Bienne oder Vienne, denn da lagen, wie 1289 die
kaiserlichen Bevollmächtigten, Anselm von Parroye, Erhard von Lcmdsperg
und Hartmann von Ratsamhausen an Ort und Stelle durch Vernehmung von
Zeugen nachgewiesen haben, die Grenzen zwischen Frankreich und dem deutschen
Reiche; in Vaucouleurs bei Toul, an der Reichsgrenze, verhandelten 1224
und 1299 Kaiser und König über zweifelhafte Fälle, die die Grenze der Mach t-
befugnisfe betrafen. Zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts gehörte nun
Metz mit Umgegend unzweifelhaft nicht mehr dem deutschen Sprachgebiete an.
Wer die Grenzen der deutschen Sprache an den Grenzen des deutschen Reiches
sucht, müßte also nachweisen, daß die ganze Grafschaft Bar auch dem deutschen
Sprachgebiete angehört habe. So vermessen war aber noch keiner. Begnügen
wir uns also mit dem Thatsächlichen. Das alte deutsche Reich hat über
Franzosen geherrscht, und heute ist dies, in weit geringerm Maße allerdings,
wieder der Fall; was soll dabei bedenklich sein? Mußten doch vor wenigen
Jahren die Flugschriften für Boulanger in Hunderttausenden von Exemplaren
ins Mimische übersetzt und verbreitet werdeu, um Stimmung zu machen; kein
französischer Patriot hat darüber ein Wort verloren.

Die Fortschritte der französischen Sprache gegen Osten waren seit den
Zeiten der Völkerwanderung sehr gering. Selbst während der letzten drei
Jahrhunderte, wo Frankreich rechtlich oder thatsächlich im Bistum Metz und
im Herzogtum Lothringen die Herrschaft geführt hat, ist die Sprachgrenze,
mit Einschluß des Gebietes, wo die deutsche Bevölkerung verschwunden und
durch Franzosen ersetzt worden war, nur um etwa 180 Gemeindefluren
zurückgeschoben worden. Das ist — in sprachlicher Beziehung — das End¬
ergebnis des mehr als tausendjährigen politischen Wettstreites zwischen Frank¬
reich und Deutschland!

Zur Erhaltung der deutschen Sprache im Metzer Lande und in Lothringen
hat wohl neben der französischen Zollpolitik, die Lothringen und die Bistümer
gleich dem Auslande behandelte, auch die fortgesetzte Einwanderung aus dem


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[0402] Die Sprachgrenze in Lothringen ursprünglichen Volkssprache, sondern Anleihen und Anklänge, die sich durch die deutsche Nachbarschaft und durch Einwanderung erklären. Es ist überhaupt nicht recht begreiflich, warum deutsche Chauvinisten durchaus noch Beweise für die Annahme suchen, daß die Hauptstadt von Austrasien jemals urdeutsch gewesen sei. Soll damit eine ethnographische oder nationale Rechtfertigung des Frankfurter Friedens angestrebt werden? Wir möchten diesen Eiferern die Erwägung entgegenhalten, daß aus solchen An¬ nahmen sicher keine Genugthuung für Deutschland abzuleiten ist; es müßte ja dann das Zugeständnis gemacht werden, daß die französische Sprache im Laufe der Jahrhunderte weit größere Fortschritte gemacht habe, als selbst französische Forscher beanspruchen. Wenn Frankreich im dreizehnten Jahrhundert mit dem Kirchenbanne belegt war, so fand der Bannfluch seinen Abschluß in den Ar- gonnen an dem Flüßchen Bienne oder Vienne, denn da lagen, wie 1289 die kaiserlichen Bevollmächtigten, Anselm von Parroye, Erhard von Lcmdsperg und Hartmann von Ratsamhausen an Ort und Stelle durch Vernehmung von Zeugen nachgewiesen haben, die Grenzen zwischen Frankreich und dem deutschen Reiche; in Vaucouleurs bei Toul, an der Reichsgrenze, verhandelten 1224 und 1299 Kaiser und König über zweifelhafte Fälle, die die Grenze der Mach t- befugnisfe betrafen. Zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts gehörte nun Metz mit Umgegend unzweifelhaft nicht mehr dem deutschen Sprachgebiete an. Wer die Grenzen der deutschen Sprache an den Grenzen des deutschen Reiches sucht, müßte also nachweisen, daß die ganze Grafschaft Bar auch dem deutschen Sprachgebiete angehört habe. So vermessen war aber noch keiner. Begnügen wir uns also mit dem Thatsächlichen. Das alte deutsche Reich hat über Franzosen geherrscht, und heute ist dies, in weit geringerm Maße allerdings, wieder der Fall; was soll dabei bedenklich sein? Mußten doch vor wenigen Jahren die Flugschriften für Boulanger in Hunderttausenden von Exemplaren ins Mimische übersetzt und verbreitet werdeu, um Stimmung zu machen; kein französischer Patriot hat darüber ein Wort verloren. Die Fortschritte der französischen Sprache gegen Osten waren seit den Zeiten der Völkerwanderung sehr gering. Selbst während der letzten drei Jahrhunderte, wo Frankreich rechtlich oder thatsächlich im Bistum Metz und im Herzogtum Lothringen die Herrschaft geführt hat, ist die Sprachgrenze, mit Einschluß des Gebietes, wo die deutsche Bevölkerung verschwunden und durch Franzosen ersetzt worden war, nur um etwa 180 Gemeindefluren zurückgeschoben worden. Das ist — in sprachlicher Beziehung — das End¬ ergebnis des mehr als tausendjährigen politischen Wettstreites zwischen Frank¬ reich und Deutschland! Zur Erhaltung der deutschen Sprache im Metzer Lande und in Lothringen hat wohl neben der französischen Zollpolitik, die Lothringen und die Bistümer gleich dem Auslande behandelte, auch die fortgesetzte Einwanderung aus dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/402>, abgerufen am 26.08.2024.