Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Sprachgrenze in Lothringen

outrv los AiAnäo8 surprises as kiZ,us8"ze<Z2 cilli s'/ xouvoiont vominottrs. Diese
K'lagen hatten wohl mir für einen kleinen Teil des bischöflichen Gebietes
Berechtigung. Die königlichen Kommissare verschweigen auch wohlweislich,
daß die Unterthanen des Bischofs aus dem weit überwiegenden deutscheu
Sprachgebiete jedesmal vorsorglich beider Sprachen kundige Vertreter aus
Hagenau oder Zcibern bestellten, wenn sie bei Gericht in Vie etwas zu ver¬
fechten hatten. Der König von Frankreich unterwarf aber gleichwohl 1633
das ganze bischöfliche Gebiet der Gerichtsbarkeit des neu errichteten Parlaments
zu Metz, und dieser Gewaltakt wurde im Westfälischen Frieden bestätigt.

Aus einer Reihe von Beispielen über die Amtssprache, ferner, mit wvhl-
augebrachter Vorsicht, aus Orts- und Flurnamen und aus Namen der Ein¬
wohner selbst in den Dörfern an der Sprachscheide zieht Witte den Schluß,
daß vor 1600 nur ein kleines (ehemalig luxemburgisches Gebiet) nördlich von
Metz und, wie schou erwähnt, Marsal dem deutschen Sprachgebiete verloren
gegangen seien, daß aber von 1600 bis 1870 die Sprachgrenze auf der Strecke
von Deutsch-Oth an der luxemburgischen Grenze bis zum Forste von Remilly
durchschnittlich um etwa fünf Kilometer gegen Osten zurückgedrängt worden
sei. Längs der Ostgrenze dieses Forstes verläuft heute noch die Sprachgrenze
wie um 1600; von da ab beginnt die starke Einbuchtung gegen Osten, die
sich ungefähr von Mörchingen bis zum Donon zieht. Auf dieser südlichen
Strecke ist die Sprachgrenze seit 1600 stellenweise um 20 bis 25 Kilometer
zurückgewichen. Es sind dies die durch Krieg und Pest entvölkerten Gegenden,
wo, wie schon gesagt, zwischen 1680 und 1720 Kvlonen aus dem Westen
eingeführt worden sind. Witte glaubt, daß sich bis 1600 die Sprachgrenze
seit der Einwanderung der Franken nicht wesentlich verschoben habe.

Das also war das ganze Ergebnis der Zusammengehörigkeit mit Frank¬
reich oder doch der völligen Abhängigkeit dieser Gebiete von dem großen
Nachbarstaate im Verlaufe von 270 Jahren! Wo die Siedelung keine andern
Störungen erlitten hat, als die durch Handel und Verkehr und durch die
Zugehörigkeit zu einem mächtigen zentmlisirten Staatswesen verursachten
Wanderungen, da waren die großen Machtmittel des Staates und da war
der Zauber Frankreichs nicht ausreichend, die deutsche Volkssprache in nennens¬
werter Weise zu verdrängen. Bei diesem Vergleiche mit dem Zustande um
die Wende des sechzehnten auf das siebzehnte Jahrhundert haben wir -- wor¬
auf wir noch besonders hinweisen müssen -- die von dem Franzosen Pfister
als richtig gezogen anerkannte Sprachgrenze nach den Ermittlungen von This
benutzt. Und auf solche Errungenschaften gestützt, will Frankreich unter Be¬
rufung auf das Nationalitätsprinzip ganz Elsaß-Lothringen oder doch das
Land in Anspruch nehmen, das wir heute Lothringen nennen?

Bei Betrachtung solcher sprachlichen Endergebnisse aus vielhundertjährigen
Bemühungen um die staatliche Ausdehnung drängen sich dem unbefangnen


Die Sprachgrenze in Lothringen

outrv los AiAnäo8 surprises as kiZ,us8«ze<Z2 cilli s'/ xouvoiont vominottrs. Diese
K'lagen hatten wohl mir für einen kleinen Teil des bischöflichen Gebietes
Berechtigung. Die königlichen Kommissare verschweigen auch wohlweislich,
daß die Unterthanen des Bischofs aus dem weit überwiegenden deutscheu
Sprachgebiete jedesmal vorsorglich beider Sprachen kundige Vertreter aus
Hagenau oder Zcibern bestellten, wenn sie bei Gericht in Vie etwas zu ver¬
fechten hatten. Der König von Frankreich unterwarf aber gleichwohl 1633
das ganze bischöfliche Gebiet der Gerichtsbarkeit des neu errichteten Parlaments
zu Metz, und dieser Gewaltakt wurde im Westfälischen Frieden bestätigt.

Aus einer Reihe von Beispielen über die Amtssprache, ferner, mit wvhl-
augebrachter Vorsicht, aus Orts- und Flurnamen und aus Namen der Ein¬
wohner selbst in den Dörfern an der Sprachscheide zieht Witte den Schluß,
daß vor 1600 nur ein kleines (ehemalig luxemburgisches Gebiet) nördlich von
Metz und, wie schou erwähnt, Marsal dem deutschen Sprachgebiete verloren
gegangen seien, daß aber von 1600 bis 1870 die Sprachgrenze auf der Strecke
von Deutsch-Oth an der luxemburgischen Grenze bis zum Forste von Remilly
durchschnittlich um etwa fünf Kilometer gegen Osten zurückgedrängt worden
sei. Längs der Ostgrenze dieses Forstes verläuft heute noch die Sprachgrenze
wie um 1600; von da ab beginnt die starke Einbuchtung gegen Osten, die
sich ungefähr von Mörchingen bis zum Donon zieht. Auf dieser südlichen
Strecke ist die Sprachgrenze seit 1600 stellenweise um 20 bis 25 Kilometer
zurückgewichen. Es sind dies die durch Krieg und Pest entvölkerten Gegenden,
wo, wie schon gesagt, zwischen 1680 und 1720 Kvlonen aus dem Westen
eingeführt worden sind. Witte glaubt, daß sich bis 1600 die Sprachgrenze
seit der Einwanderung der Franken nicht wesentlich verschoben habe.

Das also war das ganze Ergebnis der Zusammengehörigkeit mit Frank¬
reich oder doch der völligen Abhängigkeit dieser Gebiete von dem großen
Nachbarstaate im Verlaufe von 270 Jahren! Wo die Siedelung keine andern
Störungen erlitten hat, als die durch Handel und Verkehr und durch die
Zugehörigkeit zu einem mächtigen zentmlisirten Staatswesen verursachten
Wanderungen, da waren die großen Machtmittel des Staates und da war
der Zauber Frankreichs nicht ausreichend, die deutsche Volkssprache in nennens¬
werter Weise zu verdrängen. Bei diesem Vergleiche mit dem Zustande um
die Wende des sechzehnten auf das siebzehnte Jahrhundert haben wir — wor¬
auf wir noch besonders hinweisen müssen — die von dem Franzosen Pfister
als richtig gezogen anerkannte Sprachgrenze nach den Ermittlungen von This
benutzt. Und auf solche Errungenschaften gestützt, will Frankreich unter Be¬
rufung auf das Nationalitätsprinzip ganz Elsaß-Lothringen oder doch das
Land in Anspruch nehmen, das wir heute Lothringen nennen?

Bei Betrachtung solcher sprachlichen Endergebnisse aus vielhundertjährigen
Bemühungen um die staatliche Ausdehnung drängen sich dem unbefangnen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290169"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Sprachgrenze in Lothringen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1138" prev="#ID_1137"> outrv los AiAnäo8 surprises as kiZ,us8«ze&lt;Z2 cilli s'/ xouvoiont vominottrs. Diese<lb/>
K'lagen hatten wohl mir für einen kleinen Teil des bischöflichen Gebietes<lb/>
Berechtigung. Die königlichen Kommissare verschweigen auch wohlweislich,<lb/>
daß die Unterthanen des Bischofs aus dem weit überwiegenden deutscheu<lb/>
Sprachgebiete jedesmal vorsorglich beider Sprachen kundige Vertreter aus<lb/>
Hagenau oder Zcibern bestellten, wenn sie bei Gericht in Vie etwas zu ver¬<lb/>
fechten hatten. Der König von Frankreich unterwarf aber gleichwohl 1633<lb/>
das ganze bischöfliche Gebiet der Gerichtsbarkeit des neu errichteten Parlaments<lb/>
zu Metz, und dieser Gewaltakt wurde im Westfälischen Frieden bestätigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1139"> Aus einer Reihe von Beispielen über die Amtssprache, ferner, mit wvhl-<lb/>
augebrachter Vorsicht, aus Orts- und Flurnamen und aus Namen der Ein¬<lb/>
wohner selbst in den Dörfern an der Sprachscheide zieht Witte den Schluß,<lb/>
daß vor 1600 nur ein kleines (ehemalig luxemburgisches Gebiet) nördlich von<lb/>
Metz und, wie schou erwähnt, Marsal dem deutschen Sprachgebiete verloren<lb/>
gegangen seien, daß aber von 1600 bis 1870 die Sprachgrenze auf der Strecke<lb/>
von Deutsch-Oth an der luxemburgischen Grenze bis zum Forste von Remilly<lb/>
durchschnittlich um etwa fünf Kilometer gegen Osten zurückgedrängt worden<lb/>
sei. Längs der Ostgrenze dieses Forstes verläuft heute noch die Sprachgrenze<lb/>
wie um 1600; von da ab beginnt die starke Einbuchtung gegen Osten, die<lb/>
sich ungefähr von Mörchingen bis zum Donon zieht. Auf dieser südlichen<lb/>
Strecke ist die Sprachgrenze seit 1600 stellenweise um 20 bis 25 Kilometer<lb/>
zurückgewichen. Es sind dies die durch Krieg und Pest entvölkerten Gegenden,<lb/>
wo, wie schon gesagt, zwischen 1680 und 1720 Kvlonen aus dem Westen<lb/>
eingeführt worden sind. Witte glaubt, daß sich bis 1600 die Sprachgrenze<lb/>
seit der Einwanderung der Franken nicht wesentlich verschoben habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1140"> Das also war das ganze Ergebnis der Zusammengehörigkeit mit Frank¬<lb/>
reich oder doch der völligen Abhängigkeit dieser Gebiete von dem großen<lb/>
Nachbarstaate im Verlaufe von 270 Jahren! Wo die Siedelung keine andern<lb/>
Störungen erlitten hat, als die durch Handel und Verkehr und durch die<lb/>
Zugehörigkeit zu einem mächtigen zentmlisirten Staatswesen verursachten<lb/>
Wanderungen, da waren die großen Machtmittel des Staates und da war<lb/>
der Zauber Frankreichs nicht ausreichend, die deutsche Volkssprache in nennens¬<lb/>
werter Weise zu verdrängen. Bei diesem Vergleiche mit dem Zustande um<lb/>
die Wende des sechzehnten auf das siebzehnte Jahrhundert haben wir &#x2014; wor¬<lb/>
auf wir noch besonders hinweisen müssen &#x2014; die von dem Franzosen Pfister<lb/>
als richtig gezogen anerkannte Sprachgrenze nach den Ermittlungen von This<lb/>
benutzt. Und auf solche Errungenschaften gestützt, will Frankreich unter Be¬<lb/>
rufung auf das Nationalitätsprinzip ganz Elsaß-Lothringen oder doch das<lb/>
Land in Anspruch nehmen, das wir heute Lothringen nennen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1141" next="#ID_1142"> Bei Betrachtung solcher sprachlichen Endergebnisse aus vielhundertjährigen<lb/>
Bemühungen um die staatliche Ausdehnung drängen sich dem unbefangnen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] Die Sprachgrenze in Lothringen outrv los AiAnäo8 surprises as kiZ,us8«ze<Z2 cilli s'/ xouvoiont vominottrs. Diese K'lagen hatten wohl mir für einen kleinen Teil des bischöflichen Gebietes Berechtigung. Die königlichen Kommissare verschweigen auch wohlweislich, daß die Unterthanen des Bischofs aus dem weit überwiegenden deutscheu Sprachgebiete jedesmal vorsorglich beider Sprachen kundige Vertreter aus Hagenau oder Zcibern bestellten, wenn sie bei Gericht in Vie etwas zu ver¬ fechten hatten. Der König von Frankreich unterwarf aber gleichwohl 1633 das ganze bischöfliche Gebiet der Gerichtsbarkeit des neu errichteten Parlaments zu Metz, und dieser Gewaltakt wurde im Westfälischen Frieden bestätigt. Aus einer Reihe von Beispielen über die Amtssprache, ferner, mit wvhl- augebrachter Vorsicht, aus Orts- und Flurnamen und aus Namen der Ein¬ wohner selbst in den Dörfern an der Sprachscheide zieht Witte den Schluß, daß vor 1600 nur ein kleines (ehemalig luxemburgisches Gebiet) nördlich von Metz und, wie schou erwähnt, Marsal dem deutschen Sprachgebiete verloren gegangen seien, daß aber von 1600 bis 1870 die Sprachgrenze auf der Strecke von Deutsch-Oth an der luxemburgischen Grenze bis zum Forste von Remilly durchschnittlich um etwa fünf Kilometer gegen Osten zurückgedrängt worden sei. Längs der Ostgrenze dieses Forstes verläuft heute noch die Sprachgrenze wie um 1600; von da ab beginnt die starke Einbuchtung gegen Osten, die sich ungefähr von Mörchingen bis zum Donon zieht. Auf dieser südlichen Strecke ist die Sprachgrenze seit 1600 stellenweise um 20 bis 25 Kilometer zurückgewichen. Es sind dies die durch Krieg und Pest entvölkerten Gegenden, wo, wie schon gesagt, zwischen 1680 und 1720 Kvlonen aus dem Westen eingeführt worden sind. Witte glaubt, daß sich bis 1600 die Sprachgrenze seit der Einwanderung der Franken nicht wesentlich verschoben habe. Das also war das ganze Ergebnis der Zusammengehörigkeit mit Frank¬ reich oder doch der völligen Abhängigkeit dieser Gebiete von dem großen Nachbarstaate im Verlaufe von 270 Jahren! Wo die Siedelung keine andern Störungen erlitten hat, als die durch Handel und Verkehr und durch die Zugehörigkeit zu einem mächtigen zentmlisirten Staatswesen verursachten Wanderungen, da waren die großen Machtmittel des Staates und da war der Zauber Frankreichs nicht ausreichend, die deutsche Volkssprache in nennens¬ werter Weise zu verdrängen. Bei diesem Vergleiche mit dem Zustande um die Wende des sechzehnten auf das siebzehnte Jahrhundert haben wir — wor¬ auf wir noch besonders hinweisen müssen — die von dem Franzosen Pfister als richtig gezogen anerkannte Sprachgrenze nach den Ermittlungen von This benutzt. Und auf solche Errungenschaften gestützt, will Frankreich unter Be¬ rufung auf das Nationalitätsprinzip ganz Elsaß-Lothringen oder doch das Land in Anspruch nehmen, das wir heute Lothringen nennen? Bei Betrachtung solcher sprachlichen Endergebnisse aus vielhundertjährigen Bemühungen um die staatliche Ausdehnung drängen sich dem unbefangnen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/400>, abgerufen am 26.08.2024.