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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Sprachgrenze in Lothringen

den Verlauf dieser Dinge finden wir im "Jahrbuch der Gesellschaft für
Lothringische Geschichte und Altertumskunde" (2. Jahrgang, 1890) in einer
Abhandlung von Dr. Hans Witte in Straßburg: ,,Zur Geschichte des Deutsch¬
tums in Lothringen." Diesen Forschungen, die sich auf die Urkunden und
Kartnlarien der bischöflichen Kanzlei stützen, kommt der Umstand zu statten,
daß der lothringische Teil des untersuchten Gebietes in geistlichen Dingen zum
bischöflichen Sprengel von Metz gehörte. So konnte schon ans diesen Quellen
und ohne Heranziehung weiterer Beweise aus Urkunden der Herzoge von
Lothringen oder andrer deutscher Herren im Westrich über die Sprach¬
verhältnisse des ganze": Landes ein Überblick gewonnen werden. Die Bischöfe
mußten der Verschiedenheit der Sprachverhältnisse in ihrem weltlichen Gebiete
noch im sechzehnten Jahrhundert Rechnung tragen. Als am 26. Juli 1564
der Kardinal von Lothringen und Bischof von Metz, nachdem er die während
seiner Abwesenheit beim Konzil zu Trient eingerissenen Unordnungen abgestellt
und Adel und Geistlichkeit des Bistums in Vic versammelt hatte, um deu
Stand der Dinge zu befestigen, da hielt er znuüchst eine lateinische und dann
eine französische Ansprache, worauf des Kardinals Neffe, der junge Herzog
von Guise, den deutschen Herren die Sache verdeutschte.

Um die Ausdehnung, die das französische Sprachgebiet etwa im Zeit¬
räume von 1350 bis 1600 gewonnen hat, zu ermitteln, hat Dr. Witte die
Kartnlarien der bischöflichen Kanzlei durchforscht. Die erste deutsche Urkunde
findet sich vereinzelt im Jahre 1343. Erst Bischof Konrad Bayer von Bop-
pard (1417 bis 1457) ordnete den ziemlich willkürlichen Gebrauch beider
Sprachen durch die aus deu Urkunden zu entnehmende, wenn auch nicht mehr
nachweisbare Bestimmung, daß für die Wahl der einen oder andern Sprache
nicht die zufällige Sprachkenutnis des Empfängers des Briefes, sondern die
Sprache des Aufenthaltsortes maßgebend sein solle. So läßt sich aus der
Übung der Kanzlei räumlich wie zeitlich mit ziemlicher Sicherheit auf die Sprach¬
verhältnisse schließen, wobei der Verfasser aus der Fülle des Stoffes reichliche
Bestätigung für deu richtig wahrgenommenen Grundsatz bietet; Schwankungen
und Unregelmäßigkeiten sind dabei freilich nicht zu verkeimen. Unter Bischof
Georg von Baden (1457 bis 1484) blieben im großen und ganzen die gleichen
Grundsätze für die bischöfliche Kanzlei bestimmend, während unter seinem
Nachfolger, Heinrich von Lothringen (1484 bis 1505), die Abweichungen von
der hergebrachten Regel deutlich die Neigung verraten, der französischen
Sprache Zugeständnisse zu machen. Unverkennbar wird dieser Zug unter
Kardinal Johann von Lothringen (1505 bis 1550). In einer aus Se. Germain
en Laye datirten Urkunde vom 28. Februar 1548 wird auf Vorstellung der
bischöflichen Prokuratoren von Marsal, die berichten, daß nur noch ein kleiner
Teil der Bevölkerung deutsch verstehe, verordnet, daß die französische Gerichts¬
sprache fortan dort ausschließlich Geltung haben soll, nouolastMt l'-iuoisn "eng se


Die Sprachgrenze in Lothringen

den Verlauf dieser Dinge finden wir im „Jahrbuch der Gesellschaft für
Lothringische Geschichte und Altertumskunde" (2. Jahrgang, 1890) in einer
Abhandlung von Dr. Hans Witte in Straßburg: ,,Zur Geschichte des Deutsch¬
tums in Lothringen." Diesen Forschungen, die sich auf die Urkunden und
Kartnlarien der bischöflichen Kanzlei stützen, kommt der Umstand zu statten,
daß der lothringische Teil des untersuchten Gebietes in geistlichen Dingen zum
bischöflichen Sprengel von Metz gehörte. So konnte schon ans diesen Quellen
und ohne Heranziehung weiterer Beweise aus Urkunden der Herzoge von
Lothringen oder andrer deutscher Herren im Westrich über die Sprach¬
verhältnisse des ganze«: Landes ein Überblick gewonnen werden. Die Bischöfe
mußten der Verschiedenheit der Sprachverhältnisse in ihrem weltlichen Gebiete
noch im sechzehnten Jahrhundert Rechnung tragen. Als am 26. Juli 1564
der Kardinal von Lothringen und Bischof von Metz, nachdem er die während
seiner Abwesenheit beim Konzil zu Trient eingerissenen Unordnungen abgestellt
und Adel und Geistlichkeit des Bistums in Vic versammelt hatte, um deu
Stand der Dinge zu befestigen, da hielt er znuüchst eine lateinische und dann
eine französische Ansprache, worauf des Kardinals Neffe, der junge Herzog
von Guise, den deutschen Herren die Sache verdeutschte.

Um die Ausdehnung, die das französische Sprachgebiet etwa im Zeit¬
räume von 1350 bis 1600 gewonnen hat, zu ermitteln, hat Dr. Witte die
Kartnlarien der bischöflichen Kanzlei durchforscht. Die erste deutsche Urkunde
findet sich vereinzelt im Jahre 1343. Erst Bischof Konrad Bayer von Bop-
pard (1417 bis 1457) ordnete den ziemlich willkürlichen Gebrauch beider
Sprachen durch die aus deu Urkunden zu entnehmende, wenn auch nicht mehr
nachweisbare Bestimmung, daß für die Wahl der einen oder andern Sprache
nicht die zufällige Sprachkenutnis des Empfängers des Briefes, sondern die
Sprache des Aufenthaltsortes maßgebend sein solle. So läßt sich aus der
Übung der Kanzlei räumlich wie zeitlich mit ziemlicher Sicherheit auf die Sprach¬
verhältnisse schließen, wobei der Verfasser aus der Fülle des Stoffes reichliche
Bestätigung für deu richtig wahrgenommenen Grundsatz bietet; Schwankungen
und Unregelmäßigkeiten sind dabei freilich nicht zu verkeimen. Unter Bischof
Georg von Baden (1457 bis 1484) blieben im großen und ganzen die gleichen
Grundsätze für die bischöfliche Kanzlei bestimmend, während unter seinem
Nachfolger, Heinrich von Lothringen (1484 bis 1505), die Abweichungen von
der hergebrachten Regel deutlich die Neigung verraten, der französischen
Sprache Zugeständnisse zu machen. Unverkennbar wird dieser Zug unter
Kardinal Johann von Lothringen (1505 bis 1550). In einer aus Se. Germain
en Laye datirten Urkunde vom 28. Februar 1548 wird auf Vorstellung der
bischöflichen Prokuratoren von Marsal, die berichten, daß nur noch ein kleiner
Teil der Bevölkerung deutsch verstehe, verordnet, daß die französische Gerichts¬
sprache fortan dort ausschließlich Geltung haben soll, nouolastMt l'-iuoisn «eng se


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[0398] Die Sprachgrenze in Lothringen den Verlauf dieser Dinge finden wir im „Jahrbuch der Gesellschaft für Lothringische Geschichte und Altertumskunde" (2. Jahrgang, 1890) in einer Abhandlung von Dr. Hans Witte in Straßburg: ,,Zur Geschichte des Deutsch¬ tums in Lothringen." Diesen Forschungen, die sich auf die Urkunden und Kartnlarien der bischöflichen Kanzlei stützen, kommt der Umstand zu statten, daß der lothringische Teil des untersuchten Gebietes in geistlichen Dingen zum bischöflichen Sprengel von Metz gehörte. So konnte schon ans diesen Quellen und ohne Heranziehung weiterer Beweise aus Urkunden der Herzoge von Lothringen oder andrer deutscher Herren im Westrich über die Sprach¬ verhältnisse des ganze«: Landes ein Überblick gewonnen werden. Die Bischöfe mußten der Verschiedenheit der Sprachverhältnisse in ihrem weltlichen Gebiete noch im sechzehnten Jahrhundert Rechnung tragen. Als am 26. Juli 1564 der Kardinal von Lothringen und Bischof von Metz, nachdem er die während seiner Abwesenheit beim Konzil zu Trient eingerissenen Unordnungen abgestellt und Adel und Geistlichkeit des Bistums in Vic versammelt hatte, um deu Stand der Dinge zu befestigen, da hielt er znuüchst eine lateinische und dann eine französische Ansprache, worauf des Kardinals Neffe, der junge Herzog von Guise, den deutschen Herren die Sache verdeutschte. Um die Ausdehnung, die das französische Sprachgebiet etwa im Zeit¬ räume von 1350 bis 1600 gewonnen hat, zu ermitteln, hat Dr. Witte die Kartnlarien der bischöflichen Kanzlei durchforscht. Die erste deutsche Urkunde findet sich vereinzelt im Jahre 1343. Erst Bischof Konrad Bayer von Bop- pard (1417 bis 1457) ordnete den ziemlich willkürlichen Gebrauch beider Sprachen durch die aus deu Urkunden zu entnehmende, wenn auch nicht mehr nachweisbare Bestimmung, daß für die Wahl der einen oder andern Sprache nicht die zufällige Sprachkenutnis des Empfängers des Briefes, sondern die Sprache des Aufenthaltsortes maßgebend sein solle. So läßt sich aus der Übung der Kanzlei räumlich wie zeitlich mit ziemlicher Sicherheit auf die Sprach¬ verhältnisse schließen, wobei der Verfasser aus der Fülle des Stoffes reichliche Bestätigung für deu richtig wahrgenommenen Grundsatz bietet; Schwankungen und Unregelmäßigkeiten sind dabei freilich nicht zu verkeimen. Unter Bischof Georg von Baden (1457 bis 1484) blieben im großen und ganzen die gleichen Grundsätze für die bischöfliche Kanzlei bestimmend, während unter seinem Nachfolger, Heinrich von Lothringen (1484 bis 1505), die Abweichungen von der hergebrachten Regel deutlich die Neigung verraten, der französischen Sprache Zugeständnisse zu machen. Unverkennbar wird dieser Zug unter Kardinal Johann von Lothringen (1505 bis 1550). In einer aus Se. Germain en Laye datirten Urkunde vom 28. Februar 1548 wird auf Vorstellung der bischöflichen Prokuratoren von Marsal, die berichten, daß nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung deutsch verstehe, verordnet, daß die französische Gerichts¬ sprache fortan dort ausschließlich Geltung haben soll, nouolastMt l'-iuoisn «eng se

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/398>, abgerufen am 23.07.2024.