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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur politischen Lage

die das Ansehen des Katholizismus in der Levante der russisch-französischen
Freundschaft rückhaltlos opferte. Das Possenspiel französischer Proteste, wo¬
durch man den Rückzug zu verdecken bemüht war, ist längst als solches er¬
kannt, und neuerdings ist Kardinal Nampolla sogar soweit gegangen, durch den
0"8vrvat.or<z Uoirmno dem Dreibünde eine offne Kriegserklärung zugehen zu lassen.

Nun ist man allerdings in den Kreisen der Katholiken Deutschlands stutzig
geworden. Mau fragt sich mit Recht, ob denn die deutschen Katholiken die
Stiefkinder der Kurie seien, und ob es sich mit der Weltstellung des Papstes
vereinbaren lasse, daß er Bestrebungen befördert, die rwäe et cruels als letztes
Ziel die Zertrümmerung Deutschlands und Italiens und die Herrschaft des
Kvsakentums vou der einen und der kommunistischen Republik von der andern
Seite ins Auge fasse", deren Verwirklichung gleichbedeutend wäre mit dem
Umsturz aller geltenden Ordnungen. Die Absage des Freiherrn von Schor-
leiuer an den <)88örva.loro Romano ist eine erste Warnung nach Rom hin.
Wir zweifeln uicht daran, daß die deutscheu Katholiken im Augenblick der
Entscheidung wissen werden, wohin sie gehören.

In engem Zusammenhang mit diesen politischen Wetterzeichcn stehen die
orientalischen Dinge. Es fehlt nicht an Anzeichen, daß auch hier die Vor¬
bereitungen zu einer künftigen Aktion getroffen werden. Rußland arbeitet
gleichzeitig daran, in Rumänien und Serbien jede Befestigung der Verhältnisse
zu verhindern, und steht in beiden Staaten in engster Beziehung zu den radi¬
kalen Elementen. Dazu läßt es die Dardanellenfrage nicht ruhen, sondern
sucht bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande die Pforte daran zu
gewöhnen, daß militärisch bemannte russische Schiffe die Meerenge Passiren.

Unter französischem und russischem Druck ist die ägyptische Frage wieder
aufgerollt worden, und nicht zu übersehende Anzeichen weisen darauf hin, daß
sich Montenegro zu regen gedenkt. Die jüngste Reise des jungen Serben¬
königs nach Rußland ist nichts als eine Maske gewesen, man hat in Peters¬
burg kaum ein Hehl daraus gemacht, daß man in ihm nicht mehr als eine
Puppe sieht, die im geeigneten Augenblick beiseite geschoben werden kann.

Zu alledem kommen die panslawistischen Wühlereien auf österreichischem,
insbesondre auf böhmischen Boden. Der Erfolg dieser kaum noch verhüllte"
Thätigkeit scheint in Moskau bereits so günstig zu liegen, daß neuerdings ein
Moskaner Blatt triumphirend ausruft, es sei kein Zweifel mehr, Österreich
werde, dnrch seine innern nationalen Gegensätze gelähmt, im Fall eines Krieges
weit härtere schlüge erleiden als einst bei Sadowa!

Man hat es in Deutschland nicht genügend beachtet, daß sich Rußland
und Frankreich mit ähnlichen Hoffnungen in Bezug auf partikularistische
Strömungen bei uns tragen. Und allerdings, wenn man Blätter wie das
Bairische Vaterland als Quelle benutzt, muß man meinen, daß der Zerfall des
Reiches unmittelbar bevorstehe. Wir halten es für einen Schimpf und eine


Zur politischen Lage

die das Ansehen des Katholizismus in der Levante der russisch-französischen
Freundschaft rückhaltlos opferte. Das Possenspiel französischer Proteste, wo¬
durch man den Rückzug zu verdecken bemüht war, ist längst als solches er¬
kannt, und neuerdings ist Kardinal Nampolla sogar soweit gegangen, durch den
0«8vrvat.or<z Uoirmno dem Dreibünde eine offne Kriegserklärung zugehen zu lassen.

Nun ist man allerdings in den Kreisen der Katholiken Deutschlands stutzig
geworden. Mau fragt sich mit Recht, ob denn die deutschen Katholiken die
Stiefkinder der Kurie seien, und ob es sich mit der Weltstellung des Papstes
vereinbaren lasse, daß er Bestrebungen befördert, die rwäe et cruels als letztes
Ziel die Zertrümmerung Deutschlands und Italiens und die Herrschaft des
Kvsakentums vou der einen und der kommunistischen Republik von der andern
Seite ins Auge fasse», deren Verwirklichung gleichbedeutend wäre mit dem
Umsturz aller geltenden Ordnungen. Die Absage des Freiherrn von Schor-
leiuer an den <)88örva.loro Romano ist eine erste Warnung nach Rom hin.
Wir zweifeln uicht daran, daß die deutscheu Katholiken im Augenblick der
Entscheidung wissen werden, wohin sie gehören.

In engem Zusammenhang mit diesen politischen Wetterzeichcn stehen die
orientalischen Dinge. Es fehlt nicht an Anzeichen, daß auch hier die Vor¬
bereitungen zu einer künftigen Aktion getroffen werden. Rußland arbeitet
gleichzeitig daran, in Rumänien und Serbien jede Befestigung der Verhältnisse
zu verhindern, und steht in beiden Staaten in engster Beziehung zu den radi¬
kalen Elementen. Dazu läßt es die Dardanellenfrage nicht ruhen, sondern
sucht bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande die Pforte daran zu
gewöhnen, daß militärisch bemannte russische Schiffe die Meerenge Passiren.

Unter französischem und russischem Druck ist die ägyptische Frage wieder
aufgerollt worden, und nicht zu übersehende Anzeichen weisen darauf hin, daß
sich Montenegro zu regen gedenkt. Die jüngste Reise des jungen Serben¬
königs nach Rußland ist nichts als eine Maske gewesen, man hat in Peters¬
burg kaum ein Hehl daraus gemacht, daß man in ihm nicht mehr als eine
Puppe sieht, die im geeigneten Augenblick beiseite geschoben werden kann.

Zu alledem kommen die panslawistischen Wühlereien auf österreichischem,
insbesondre auf böhmischen Boden. Der Erfolg dieser kaum noch verhüllte»
Thätigkeit scheint in Moskau bereits so günstig zu liegen, daß neuerdings ein
Moskaner Blatt triumphirend ausruft, es sei kein Zweifel mehr, Österreich
werde, dnrch seine innern nationalen Gegensätze gelähmt, im Fall eines Krieges
weit härtere schlüge erleiden als einst bei Sadowa!

Man hat es in Deutschland nicht genügend beachtet, daß sich Rußland
und Frankreich mit ähnlichen Hoffnungen in Bezug auf partikularistische
Strömungen bei uns tragen. Und allerdings, wenn man Blätter wie das
Bairische Vaterland als Quelle benutzt, muß man meinen, daß der Zerfall des
Reiches unmittelbar bevorstehe. Wir halten es für einen Schimpf und eine


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[0391] Zur politischen Lage die das Ansehen des Katholizismus in der Levante der russisch-französischen Freundschaft rückhaltlos opferte. Das Possenspiel französischer Proteste, wo¬ durch man den Rückzug zu verdecken bemüht war, ist längst als solches er¬ kannt, und neuerdings ist Kardinal Nampolla sogar soweit gegangen, durch den 0«8vrvat.or<z Uoirmno dem Dreibünde eine offne Kriegserklärung zugehen zu lassen. Nun ist man allerdings in den Kreisen der Katholiken Deutschlands stutzig geworden. Mau fragt sich mit Recht, ob denn die deutschen Katholiken die Stiefkinder der Kurie seien, und ob es sich mit der Weltstellung des Papstes vereinbaren lasse, daß er Bestrebungen befördert, die rwäe et cruels als letztes Ziel die Zertrümmerung Deutschlands und Italiens und die Herrschaft des Kvsakentums vou der einen und der kommunistischen Republik von der andern Seite ins Auge fasse», deren Verwirklichung gleichbedeutend wäre mit dem Umsturz aller geltenden Ordnungen. Die Absage des Freiherrn von Schor- leiuer an den <)88örva.loro Romano ist eine erste Warnung nach Rom hin. Wir zweifeln uicht daran, daß die deutscheu Katholiken im Augenblick der Entscheidung wissen werden, wohin sie gehören. In engem Zusammenhang mit diesen politischen Wetterzeichcn stehen die orientalischen Dinge. Es fehlt nicht an Anzeichen, daß auch hier die Vor¬ bereitungen zu einer künftigen Aktion getroffen werden. Rußland arbeitet gleichzeitig daran, in Rumänien und Serbien jede Befestigung der Verhältnisse zu verhindern, und steht in beiden Staaten in engster Beziehung zu den radi¬ kalen Elementen. Dazu läßt es die Dardanellenfrage nicht ruhen, sondern sucht bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande die Pforte daran zu gewöhnen, daß militärisch bemannte russische Schiffe die Meerenge Passiren. Unter französischem und russischem Druck ist die ägyptische Frage wieder aufgerollt worden, und nicht zu übersehende Anzeichen weisen darauf hin, daß sich Montenegro zu regen gedenkt. Die jüngste Reise des jungen Serben¬ königs nach Rußland ist nichts als eine Maske gewesen, man hat in Peters¬ burg kaum ein Hehl daraus gemacht, daß man in ihm nicht mehr als eine Puppe sieht, die im geeigneten Augenblick beiseite geschoben werden kann. Zu alledem kommen die panslawistischen Wühlereien auf österreichischem, insbesondre auf böhmischen Boden. Der Erfolg dieser kaum noch verhüllte» Thätigkeit scheint in Moskau bereits so günstig zu liegen, daß neuerdings ein Moskaner Blatt triumphirend ausruft, es sei kein Zweifel mehr, Österreich werde, dnrch seine innern nationalen Gegensätze gelähmt, im Fall eines Krieges weit härtere schlüge erleiden als einst bei Sadowa! Man hat es in Deutschland nicht genügend beachtet, daß sich Rußland und Frankreich mit ähnlichen Hoffnungen in Bezug auf partikularistische Strömungen bei uns tragen. Und allerdings, wenn man Blätter wie das Bairische Vaterland als Quelle benutzt, muß man meinen, daß der Zerfall des Reiches unmittelbar bevorstehe. Wir halten es für einen Schimpf und eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/391>, abgerufen am 23.07.2024.