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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Zur politischen Lage

wenn heute die politische Arbeit dahin zielt, eine wirtschaftliche Einigung damit
zu verbinden, so gilt es auch hier, einer Zukunftsgefahr rechtzeitig vorzubauen.

Ob es freilich klug war, die Thatsache jeuer Bundeserueuerung sofort
zu verkündigen, ist eine andre Frage; Fürst Bismarck hat den Abschluß des
Dreibundes fast ein Jahrzehnt lang geheim gehalten, und als er mit der Ver¬
kündigung hervortrat, damit einen großen politischen Effekt erreicht. Bekannt¬
lich geschah die erste Mitteilung von der vollzogenen Thatsache dnrch Rudini
in der italienischen Kammer, darnach bestätigte Kaiser Wilhelm die Nachricht
kurz vor seiner englischen Reise. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß die
nächste Folge jene russisch-französische Annäherung war, unter deren Eindruck
wir heute stehen, aber niemand wird beweisen können, daß die Dinge ohne
diese Voraussetzung einen audern Verlauf genommen hätten. Wir betonen
das, weil russischerseits die angebliche Herausforderung benutzt worden ist, um
die Kronstädter Tage zu rechtfertigen, wie denn in Petersburg und Paris
geflissentlich darauf hingearbeitet wird, in der öffentlichen Meinung dieser
Länder die Vorstellung lebendig zu erhalten, daß es gelte, einen nahe bevor¬
stehenden Ansturm der drei abzuwehren.

Diese Behauptung ist eine jener großen Lügen, mit denen wir zu kämpfen
haben. Jedermann weiß bei uns, daß Deutschland, Österreich und Italien
das Schwert nur zur Verteidigung ziehen werden, und Kaiser Wilhelm hat
noch jüngst den Beweis geliefert, wie sehr ihm die Erhaltung des Friedens
am Herzen liegt. Als in der französischen Kammer die Verhandlungen wegen
der Paßfrage schwebten, hat es nur die entschieden friedliche Haltung Deutsch¬
lands verhindert, daß dieses Nichts wie vor einundzwanzig Jahren zu einem
bslli aufgebauscht wurde.

Der Kaiser hatte damals eben England verlassen -- auch der englische
Besuch ist ihm von Nußland und Frankreich als Herausforderung ausgelegt
worden. Eine wahrhaft thörichte Behauptung, die sich schon durch die Zeit¬
folge der Ereignisse widerlegt, da die Reise des französischen Geschwaders
nach Kronstäbe bereits vereinbart war, ehe das Programm der Fahrt nach
England feststand, wahrscheinlich sogar ehe irgend etwas von der Absicht des
Kaisers, England zu besuchen, verlautet hatte. Doch das ist schließlich gleich-
giltig; es folgt nur aus alledem, daß es eine Stufe nationaler Erregung giebt,
wo jeder Vorwand gut ist.

Die russisch-französische Verbrüderung, wie sie sich in Kronstäbe, Peters¬
burg und Moskau vollzogen hat, ist jedenfalls eine höchst bedrohliche politische
Thatsache, und wir müssen uns darüber klar sein>, daß fortan der Weltfriede
abhängt von den unberechenbaren Erregungen des französischen Temperaments
und des russischen Hasses. So eifrig jetzt auch von offizieller russischer wie
französischer Seite versucht wird, die von beiden Seiten sich übertrumpfenden
Freundschaftsbezeugungen in eine möglichst harmlose Beleuchtung zu rücken, es


Zur politischen Lage

wenn heute die politische Arbeit dahin zielt, eine wirtschaftliche Einigung damit
zu verbinden, so gilt es auch hier, einer Zukunftsgefahr rechtzeitig vorzubauen.

Ob es freilich klug war, die Thatsache jeuer Bundeserueuerung sofort
zu verkündigen, ist eine andre Frage; Fürst Bismarck hat den Abschluß des
Dreibundes fast ein Jahrzehnt lang geheim gehalten, und als er mit der Ver¬
kündigung hervortrat, damit einen großen politischen Effekt erreicht. Bekannt¬
lich geschah die erste Mitteilung von der vollzogenen Thatsache dnrch Rudini
in der italienischen Kammer, darnach bestätigte Kaiser Wilhelm die Nachricht
kurz vor seiner englischen Reise. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß die
nächste Folge jene russisch-französische Annäherung war, unter deren Eindruck
wir heute stehen, aber niemand wird beweisen können, daß die Dinge ohne
diese Voraussetzung einen audern Verlauf genommen hätten. Wir betonen
das, weil russischerseits die angebliche Herausforderung benutzt worden ist, um
die Kronstädter Tage zu rechtfertigen, wie denn in Petersburg und Paris
geflissentlich darauf hingearbeitet wird, in der öffentlichen Meinung dieser
Länder die Vorstellung lebendig zu erhalten, daß es gelte, einen nahe bevor¬
stehenden Ansturm der drei abzuwehren.

Diese Behauptung ist eine jener großen Lügen, mit denen wir zu kämpfen
haben. Jedermann weiß bei uns, daß Deutschland, Österreich und Italien
das Schwert nur zur Verteidigung ziehen werden, und Kaiser Wilhelm hat
noch jüngst den Beweis geliefert, wie sehr ihm die Erhaltung des Friedens
am Herzen liegt. Als in der französischen Kammer die Verhandlungen wegen
der Paßfrage schwebten, hat es nur die entschieden friedliche Haltung Deutsch¬
lands verhindert, daß dieses Nichts wie vor einundzwanzig Jahren zu einem
bslli aufgebauscht wurde.

Der Kaiser hatte damals eben England verlassen — auch der englische
Besuch ist ihm von Nußland und Frankreich als Herausforderung ausgelegt
worden. Eine wahrhaft thörichte Behauptung, die sich schon durch die Zeit¬
folge der Ereignisse widerlegt, da die Reise des französischen Geschwaders
nach Kronstäbe bereits vereinbart war, ehe das Programm der Fahrt nach
England feststand, wahrscheinlich sogar ehe irgend etwas von der Absicht des
Kaisers, England zu besuchen, verlautet hatte. Doch das ist schließlich gleich-
giltig; es folgt nur aus alledem, daß es eine Stufe nationaler Erregung giebt,
wo jeder Vorwand gut ist.

Die russisch-französische Verbrüderung, wie sie sich in Kronstäbe, Peters¬
burg und Moskau vollzogen hat, ist jedenfalls eine höchst bedrohliche politische
Thatsache, und wir müssen uns darüber klar sein>, daß fortan der Weltfriede
abhängt von den unberechenbaren Erregungen des französischen Temperaments
und des russischen Hasses. So eifrig jetzt auch von offizieller russischer wie
französischer Seite versucht wird, die von beiden Seiten sich übertrumpfenden
Freundschaftsbezeugungen in eine möglichst harmlose Beleuchtung zu rücken, es


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[0389] Zur politischen Lage wenn heute die politische Arbeit dahin zielt, eine wirtschaftliche Einigung damit zu verbinden, so gilt es auch hier, einer Zukunftsgefahr rechtzeitig vorzubauen. Ob es freilich klug war, die Thatsache jeuer Bundeserueuerung sofort zu verkündigen, ist eine andre Frage; Fürst Bismarck hat den Abschluß des Dreibundes fast ein Jahrzehnt lang geheim gehalten, und als er mit der Ver¬ kündigung hervortrat, damit einen großen politischen Effekt erreicht. Bekannt¬ lich geschah die erste Mitteilung von der vollzogenen Thatsache dnrch Rudini in der italienischen Kammer, darnach bestätigte Kaiser Wilhelm die Nachricht kurz vor seiner englischen Reise. Es kann kaum zweifelhaft sein, daß die nächste Folge jene russisch-französische Annäherung war, unter deren Eindruck wir heute stehen, aber niemand wird beweisen können, daß die Dinge ohne diese Voraussetzung einen audern Verlauf genommen hätten. Wir betonen das, weil russischerseits die angebliche Herausforderung benutzt worden ist, um die Kronstädter Tage zu rechtfertigen, wie denn in Petersburg und Paris geflissentlich darauf hingearbeitet wird, in der öffentlichen Meinung dieser Länder die Vorstellung lebendig zu erhalten, daß es gelte, einen nahe bevor¬ stehenden Ansturm der drei abzuwehren. Diese Behauptung ist eine jener großen Lügen, mit denen wir zu kämpfen haben. Jedermann weiß bei uns, daß Deutschland, Österreich und Italien das Schwert nur zur Verteidigung ziehen werden, und Kaiser Wilhelm hat noch jüngst den Beweis geliefert, wie sehr ihm die Erhaltung des Friedens am Herzen liegt. Als in der französischen Kammer die Verhandlungen wegen der Paßfrage schwebten, hat es nur die entschieden friedliche Haltung Deutsch¬ lands verhindert, daß dieses Nichts wie vor einundzwanzig Jahren zu einem bslli aufgebauscht wurde. Der Kaiser hatte damals eben England verlassen — auch der englische Besuch ist ihm von Nußland und Frankreich als Herausforderung ausgelegt worden. Eine wahrhaft thörichte Behauptung, die sich schon durch die Zeit¬ folge der Ereignisse widerlegt, da die Reise des französischen Geschwaders nach Kronstäbe bereits vereinbart war, ehe das Programm der Fahrt nach England feststand, wahrscheinlich sogar ehe irgend etwas von der Absicht des Kaisers, England zu besuchen, verlautet hatte. Doch das ist schließlich gleich- giltig; es folgt nur aus alledem, daß es eine Stufe nationaler Erregung giebt, wo jeder Vorwand gut ist. Die russisch-französische Verbrüderung, wie sie sich in Kronstäbe, Peters¬ burg und Moskau vollzogen hat, ist jedenfalls eine höchst bedrohliche politische Thatsache, und wir müssen uns darüber klar sein>, daß fortan der Weltfriede abhängt von den unberechenbaren Erregungen des französischen Temperaments und des russischen Hasses. So eifrig jetzt auch von offizieller russischer wie französischer Seite versucht wird, die von beiden Seiten sich übertrumpfenden Freundschaftsbezeugungen in eine möglichst harmlose Beleuchtung zu rücken, es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/389>, abgerufen am 23.07.2024.