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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Das Naumburger Airschfest

Gesträuchen und ergötzte sich dann mit Gesang, Tanz und allerhand Spielen
im Freien.

Mit dieser ältern Bedeutung des Naumburger Kirschfestes vermischte sich
aber nun im Laufe der Zeit die Erinnerung an ein Ereignis aus der Kriegs¬
geschichte der Stadt und drängte allmählich den ursprünglichen Sinn des
Festes ganz in den Hintergrund und in Vergessenheit. Die erste Nachricht
dieser Art findet sich 1671 in einem lateinischen Programm des Rektors der
Naumburger Stadtschule, Johann Töpfer. Dieser erzählt (unter allem Vor¬
behalt), es solle einmal ein Feind, der sich vor die Stadt gelegt habe, durch
Fürbitte der hinausgesandten Kinder zum Wegzug bewogen worden sein und
dabei die Kinder sogar mit Kirschen beschenkt haben. Etwa fünfzehn Jahre
später schreibt der Naumburger Stiftssyndikus Ehlenberger in einer hand¬
schriftlich erhaltenen Chronik bei Erzählung des sächsischen Bruderkrieges zum
Jahre 1450, Herzog Wilhelm habe das Stift Naumburg heimgesucht und sich
vor die Stadt Naumburg gelegt, um sie mit Sturm zu erobern. "Die Naum¬
burger schickten ihm aber ihre Kinder mit Zweigen und Früchten entgegen,
die thäten ihm eiuen Fußfall und erlangten Gnade, zumal da er gleich
wider den Herrn zu Gen auch erbittert war, daß er dahin von Naumburg
abzöge." Eylenberger unterläßt es hier wie anderwärts, die Quellen zu nennen,
aus denen er geschöpft hat, aber er zeigt sich in allen seinen Arbeiten als
gründlicher und gewissenhafter Mann, und gerade für den von ihm erwähnten
Plünderungszug des Herzogs Wilhelm haben wir noch mehrere andre Zeug-
nisse. Der Statthalter der Deutschvrdensballei Thüringen, Eberhard Holtz,
schreibt am 15. September 1450 aus Zwäzen nach Marienburg an den Hoch¬
meister des Ordens Ludwig I. von Erlichshausen über Beschädigung von Ordens¬
gütern und erzählt dabei, Herzog Wilhelm habe im verflossenen Sommer das
Bistum Naumburg heimgesucht. In der fast gleichzeitigen Chronik des Erfurter
Vikars Konrad Stolle werden diese Vorgänge gleichfalls erwähnt und auf
Ende Juni wie Anfang Juli gelegt. Da uus hierin zwei zeitgenössische glaub¬
würdige Berichte vorliegen, die Ehlenbergers Angabe von der Heimsuchung
des Stifts Naumburg bestätigen, so haben wir keinen Grund, seine ganz an¬
spruchslos daran geknüpfte besondre Meldung über eine Belagerung Naum-
burgs und die Abwendung des Sturmes durch Fürbitten der Kinder zu
bezweifeln. Herzog Wilhelm der Tapfre war ja ein rauher und gegen seine
Gemahlin Anna selbst ein roher Mann, aber sein Herz war auch sanftem
Regungen nicht unzugänglich. Als einmal im Bruderkriege sich einer der
herzoglichen Schützen erbot, den auf feindlicher Seite gerade gegenüberstehenden
Kurfürsten Friedrich den sanftmütigen mit sicherm Schusse niederzustrecken
und so dem ganzen Kriege ein Ende zu bereiten, zeigte sich bei Wilhelm die
brüderliche Liebe doch als stärker, er wies das Ansinnen ohne weitres von
der Hand. Solch einer mildern Regung mag er auch nachgegeben haben,


Das Naumburger Airschfest

Gesträuchen und ergötzte sich dann mit Gesang, Tanz und allerhand Spielen
im Freien.

Mit dieser ältern Bedeutung des Naumburger Kirschfestes vermischte sich
aber nun im Laufe der Zeit die Erinnerung an ein Ereignis aus der Kriegs¬
geschichte der Stadt und drängte allmählich den ursprünglichen Sinn des
Festes ganz in den Hintergrund und in Vergessenheit. Die erste Nachricht
dieser Art findet sich 1671 in einem lateinischen Programm des Rektors der
Naumburger Stadtschule, Johann Töpfer. Dieser erzählt (unter allem Vor¬
behalt), es solle einmal ein Feind, der sich vor die Stadt gelegt habe, durch
Fürbitte der hinausgesandten Kinder zum Wegzug bewogen worden sein und
dabei die Kinder sogar mit Kirschen beschenkt haben. Etwa fünfzehn Jahre
später schreibt der Naumburger Stiftssyndikus Ehlenberger in einer hand¬
schriftlich erhaltenen Chronik bei Erzählung des sächsischen Bruderkrieges zum
Jahre 1450, Herzog Wilhelm habe das Stift Naumburg heimgesucht und sich
vor die Stadt Naumburg gelegt, um sie mit Sturm zu erobern. „Die Naum¬
burger schickten ihm aber ihre Kinder mit Zweigen und Früchten entgegen,
die thäten ihm eiuen Fußfall und erlangten Gnade, zumal da er gleich
wider den Herrn zu Gen auch erbittert war, daß er dahin von Naumburg
abzöge." Eylenberger unterläßt es hier wie anderwärts, die Quellen zu nennen,
aus denen er geschöpft hat, aber er zeigt sich in allen seinen Arbeiten als
gründlicher und gewissenhafter Mann, und gerade für den von ihm erwähnten
Plünderungszug des Herzogs Wilhelm haben wir noch mehrere andre Zeug-
nisse. Der Statthalter der Deutschvrdensballei Thüringen, Eberhard Holtz,
schreibt am 15. September 1450 aus Zwäzen nach Marienburg an den Hoch¬
meister des Ordens Ludwig I. von Erlichshausen über Beschädigung von Ordens¬
gütern und erzählt dabei, Herzog Wilhelm habe im verflossenen Sommer das
Bistum Naumburg heimgesucht. In der fast gleichzeitigen Chronik des Erfurter
Vikars Konrad Stolle werden diese Vorgänge gleichfalls erwähnt und auf
Ende Juni wie Anfang Juli gelegt. Da uus hierin zwei zeitgenössische glaub¬
würdige Berichte vorliegen, die Ehlenbergers Angabe von der Heimsuchung
des Stifts Naumburg bestätigen, so haben wir keinen Grund, seine ganz an¬
spruchslos daran geknüpfte besondre Meldung über eine Belagerung Naum-
burgs und die Abwendung des Sturmes durch Fürbitten der Kinder zu
bezweifeln. Herzog Wilhelm der Tapfre war ja ein rauher und gegen seine
Gemahlin Anna selbst ein roher Mann, aber sein Herz war auch sanftem
Regungen nicht unzugänglich. Als einmal im Bruderkriege sich einer der
herzoglichen Schützen erbot, den auf feindlicher Seite gerade gegenüberstehenden
Kurfürsten Friedrich den sanftmütigen mit sicherm Schusse niederzustrecken
und so dem ganzen Kriege ein Ende zu bereiten, zeigte sich bei Wilhelm die
brüderliche Liebe doch als stärker, er wies das Ansinnen ohne weitres von
der Hand. Solch einer mildern Regung mag er auch nachgegeben haben,


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[0378] Das Naumburger Airschfest Gesträuchen und ergötzte sich dann mit Gesang, Tanz und allerhand Spielen im Freien. Mit dieser ältern Bedeutung des Naumburger Kirschfestes vermischte sich aber nun im Laufe der Zeit die Erinnerung an ein Ereignis aus der Kriegs¬ geschichte der Stadt und drängte allmählich den ursprünglichen Sinn des Festes ganz in den Hintergrund und in Vergessenheit. Die erste Nachricht dieser Art findet sich 1671 in einem lateinischen Programm des Rektors der Naumburger Stadtschule, Johann Töpfer. Dieser erzählt (unter allem Vor¬ behalt), es solle einmal ein Feind, der sich vor die Stadt gelegt habe, durch Fürbitte der hinausgesandten Kinder zum Wegzug bewogen worden sein und dabei die Kinder sogar mit Kirschen beschenkt haben. Etwa fünfzehn Jahre später schreibt der Naumburger Stiftssyndikus Ehlenberger in einer hand¬ schriftlich erhaltenen Chronik bei Erzählung des sächsischen Bruderkrieges zum Jahre 1450, Herzog Wilhelm habe das Stift Naumburg heimgesucht und sich vor die Stadt Naumburg gelegt, um sie mit Sturm zu erobern. „Die Naum¬ burger schickten ihm aber ihre Kinder mit Zweigen und Früchten entgegen, die thäten ihm eiuen Fußfall und erlangten Gnade, zumal da er gleich wider den Herrn zu Gen auch erbittert war, daß er dahin von Naumburg abzöge." Eylenberger unterläßt es hier wie anderwärts, die Quellen zu nennen, aus denen er geschöpft hat, aber er zeigt sich in allen seinen Arbeiten als gründlicher und gewissenhafter Mann, und gerade für den von ihm erwähnten Plünderungszug des Herzogs Wilhelm haben wir noch mehrere andre Zeug- nisse. Der Statthalter der Deutschvrdensballei Thüringen, Eberhard Holtz, schreibt am 15. September 1450 aus Zwäzen nach Marienburg an den Hoch¬ meister des Ordens Ludwig I. von Erlichshausen über Beschädigung von Ordens¬ gütern und erzählt dabei, Herzog Wilhelm habe im verflossenen Sommer das Bistum Naumburg heimgesucht. In der fast gleichzeitigen Chronik des Erfurter Vikars Konrad Stolle werden diese Vorgänge gleichfalls erwähnt und auf Ende Juni wie Anfang Juli gelegt. Da uus hierin zwei zeitgenössische glaub¬ würdige Berichte vorliegen, die Ehlenbergers Angabe von der Heimsuchung des Stifts Naumburg bestätigen, so haben wir keinen Grund, seine ganz an¬ spruchslos daran geknüpfte besondre Meldung über eine Belagerung Naum- burgs und die Abwendung des Sturmes durch Fürbitten der Kinder zu bezweifeln. Herzog Wilhelm der Tapfre war ja ein rauher und gegen seine Gemahlin Anna selbst ein roher Mann, aber sein Herz war auch sanftem Regungen nicht unzugänglich. Als einmal im Bruderkriege sich einer der herzoglichen Schützen erbot, den auf feindlicher Seite gerade gegenüberstehenden Kurfürsten Friedrich den sanftmütigen mit sicherm Schusse niederzustrecken und so dem ganzen Kriege ein Ende zu bereiten, zeigte sich bei Wilhelm die brüderliche Liebe doch als stärker, er wies das Ansinnen ohne weitres von der Hand. Solch einer mildern Regung mag er auch nachgegeben haben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/378>, abgerufen am 26.08.2024.