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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Lhre und der Strafrichter

kennzeichnet. Wie viele gebildete, wohlmeinende und sonst gerecht denkende
Männer setzen aber nicht auch heute uoch diesen Zweck bei jedem voraus, der
auch nur einen sozialdemokratischen Stimmzettel zur Urne getragen hat?

Binding macht darauf aufmerksam, wie verkehrt es sei, wenn das Straf¬
gesetz die Majestüts- und die sogenannte Amtsbeleidigung unter den dürftigen
Gesichtspunkt des Privatverbrechens stellt und zugleich den Begriff der echten
Beleidigung tief erschüttert. Ganz abgesehen von dem Ehrbesitz, der sich nach
der Art der Herrschafts- und der Amtsführung (Dienstehre) bestimmt, komme
dem Herrscher und seinen Beamten ein Anspruch auf Nespcktserweisung zu,
der allein in der Herrscherstelluug des Königs und in der Thatsache, daß
Beamte und Offiziere seine Statthalter sind, wurzelt. Ju der That kann es
theoretisch als ein Mangel des deutschen Strafrechts bezeichnet werden, daß
die eigentliche Amtsehre der Behörden, von den Befugnissen der sogenannten
Sitzungspolizei abgesehen, schutzlos gelassen und nur der Angriff gegen die
Dienstehre mit Strafe bedroht ist. Gleichwohl ist ein praktisches Bedürfnis,
auch die bloßen zu eigentlichen Beleidigungen uoch nicht vorgeschrittenen
Nespektswidrigkeiten gegen Behörden und Beamte ganz allgemein für kriminell
strafbar zu erklären, kaum anzuerkennen. Erführt doch der Begriff der Beamten¬
beleidigung schon von selbst dadurch eine wesentliche Ausdehnung, daß den
Beamten eben kraft des Amtes eine Reihe besondrer Pflichten auferlegt ist,
und daß, wie schon besprochen wurde, der ungerechte Vorwurf der Vernach¬
lässigung einer dieser Pflichten sie verunehrt, beleidigt. Das Ansehen der
deutschen Behörden und Beamten, erworben durch treue Pflichterfüllung, ge¬
festigt durch die auch als Sittengebot empfundene Achtung vor der Obrigkeit,
"die Gewalt über euch hat," steht in der weit überwiegenden Mehrheit unsers
Volkes gottlob noch fest genug, um des Schutzes uoch schärferer Straf¬
bestimmungen entbehren zu können. Ja es fragt sich, ob es auch nur politisch
klug sei, jeder mit genauer Not unter die HZ 185 ff. des Strafgesetzbuches unter¬
zubringenden Beleidigung mit amtlichen Strafanträgen entgegenzutreten. Eine
juristisch allenfalls gerechtfertigte, dem allgemeinen Rechtsgefühl aber nicht
verständliche Verurteilung mag zehn Schlechtgesinnte schrecken und zwanzig
Gegnern behagen, dafür wird sie, vollends wenn sie einen politischen Hinter¬
grund hat, leicht in hundert Gutgesinnten den Unwillen erregen, den der
Verdacht der Gesinnungsverfolgung wachruft. Solange ein Staatswesen noch
im Kerne gesund ist, will uns von den beiden berühmten Methoden: auto-
graphirte Strafanträge vorrätig zu halten oder die Schmähschriften tiefer hängen
zu lassen, die letztere als die bessere erscheinen. Binding zitirt nach Vincenzo
Monti: "Die Injurien machen es wie die Kirchenprozessionen, die stets dahin zurück¬
kehren, von wo sie ausgegangen sind." So läßt sich z. V. gerade in unsern Tagen
beobachten, wie sich die antisemitische Bewegung durch maßlose Ehrverletzungen
die Sympathien ihrer wohlwollendsten Freunde zu verscherzen im Begriff steht.


Die Lhre und der Strafrichter

kennzeichnet. Wie viele gebildete, wohlmeinende und sonst gerecht denkende
Männer setzen aber nicht auch heute uoch diesen Zweck bei jedem voraus, der
auch nur einen sozialdemokratischen Stimmzettel zur Urne getragen hat?

Binding macht darauf aufmerksam, wie verkehrt es sei, wenn das Straf¬
gesetz die Majestüts- und die sogenannte Amtsbeleidigung unter den dürftigen
Gesichtspunkt des Privatverbrechens stellt und zugleich den Begriff der echten
Beleidigung tief erschüttert. Ganz abgesehen von dem Ehrbesitz, der sich nach
der Art der Herrschafts- und der Amtsführung (Dienstehre) bestimmt, komme
dem Herrscher und seinen Beamten ein Anspruch auf Nespcktserweisung zu,
der allein in der Herrscherstelluug des Königs und in der Thatsache, daß
Beamte und Offiziere seine Statthalter sind, wurzelt. Ju der That kann es
theoretisch als ein Mangel des deutschen Strafrechts bezeichnet werden, daß
die eigentliche Amtsehre der Behörden, von den Befugnissen der sogenannten
Sitzungspolizei abgesehen, schutzlos gelassen und nur der Angriff gegen die
Dienstehre mit Strafe bedroht ist. Gleichwohl ist ein praktisches Bedürfnis,
auch die bloßen zu eigentlichen Beleidigungen uoch nicht vorgeschrittenen
Nespektswidrigkeiten gegen Behörden und Beamte ganz allgemein für kriminell
strafbar zu erklären, kaum anzuerkennen. Erführt doch der Begriff der Beamten¬
beleidigung schon von selbst dadurch eine wesentliche Ausdehnung, daß den
Beamten eben kraft des Amtes eine Reihe besondrer Pflichten auferlegt ist,
und daß, wie schon besprochen wurde, der ungerechte Vorwurf der Vernach¬
lässigung einer dieser Pflichten sie verunehrt, beleidigt. Das Ansehen der
deutschen Behörden und Beamten, erworben durch treue Pflichterfüllung, ge¬
festigt durch die auch als Sittengebot empfundene Achtung vor der Obrigkeit,
„die Gewalt über euch hat," steht in der weit überwiegenden Mehrheit unsers
Volkes gottlob noch fest genug, um des Schutzes uoch schärferer Straf¬
bestimmungen entbehren zu können. Ja es fragt sich, ob es auch nur politisch
klug sei, jeder mit genauer Not unter die HZ 185 ff. des Strafgesetzbuches unter¬
zubringenden Beleidigung mit amtlichen Strafanträgen entgegenzutreten. Eine
juristisch allenfalls gerechtfertigte, dem allgemeinen Rechtsgefühl aber nicht
verständliche Verurteilung mag zehn Schlechtgesinnte schrecken und zwanzig
Gegnern behagen, dafür wird sie, vollends wenn sie einen politischen Hinter¬
grund hat, leicht in hundert Gutgesinnten den Unwillen erregen, den der
Verdacht der Gesinnungsverfolgung wachruft. Solange ein Staatswesen noch
im Kerne gesund ist, will uns von den beiden berühmten Methoden: auto-
graphirte Strafanträge vorrätig zu halten oder die Schmähschriften tiefer hängen
zu lassen, die letztere als die bessere erscheinen. Binding zitirt nach Vincenzo
Monti: „Die Injurien machen es wie die Kirchenprozessionen, die stets dahin zurück¬
kehren, von wo sie ausgegangen sind." So läßt sich z. V. gerade in unsern Tagen
beobachten, wie sich die antisemitische Bewegung durch maßlose Ehrverletzungen
die Sympathien ihrer wohlwollendsten Freunde zu verscherzen im Begriff steht.


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[0358] Die Lhre und der Strafrichter kennzeichnet. Wie viele gebildete, wohlmeinende und sonst gerecht denkende Männer setzen aber nicht auch heute uoch diesen Zweck bei jedem voraus, der auch nur einen sozialdemokratischen Stimmzettel zur Urne getragen hat? Binding macht darauf aufmerksam, wie verkehrt es sei, wenn das Straf¬ gesetz die Majestüts- und die sogenannte Amtsbeleidigung unter den dürftigen Gesichtspunkt des Privatverbrechens stellt und zugleich den Begriff der echten Beleidigung tief erschüttert. Ganz abgesehen von dem Ehrbesitz, der sich nach der Art der Herrschafts- und der Amtsführung (Dienstehre) bestimmt, komme dem Herrscher und seinen Beamten ein Anspruch auf Nespcktserweisung zu, der allein in der Herrscherstelluug des Königs und in der Thatsache, daß Beamte und Offiziere seine Statthalter sind, wurzelt. Ju der That kann es theoretisch als ein Mangel des deutschen Strafrechts bezeichnet werden, daß die eigentliche Amtsehre der Behörden, von den Befugnissen der sogenannten Sitzungspolizei abgesehen, schutzlos gelassen und nur der Angriff gegen die Dienstehre mit Strafe bedroht ist. Gleichwohl ist ein praktisches Bedürfnis, auch die bloßen zu eigentlichen Beleidigungen uoch nicht vorgeschrittenen Nespektswidrigkeiten gegen Behörden und Beamte ganz allgemein für kriminell strafbar zu erklären, kaum anzuerkennen. Erführt doch der Begriff der Beamten¬ beleidigung schon von selbst dadurch eine wesentliche Ausdehnung, daß den Beamten eben kraft des Amtes eine Reihe besondrer Pflichten auferlegt ist, und daß, wie schon besprochen wurde, der ungerechte Vorwurf der Vernach¬ lässigung einer dieser Pflichten sie verunehrt, beleidigt. Das Ansehen der deutschen Behörden und Beamten, erworben durch treue Pflichterfüllung, ge¬ festigt durch die auch als Sittengebot empfundene Achtung vor der Obrigkeit, „die Gewalt über euch hat," steht in der weit überwiegenden Mehrheit unsers Volkes gottlob noch fest genug, um des Schutzes uoch schärferer Straf¬ bestimmungen entbehren zu können. Ja es fragt sich, ob es auch nur politisch klug sei, jeder mit genauer Not unter die HZ 185 ff. des Strafgesetzbuches unter¬ zubringenden Beleidigung mit amtlichen Strafanträgen entgegenzutreten. Eine juristisch allenfalls gerechtfertigte, dem allgemeinen Rechtsgefühl aber nicht verständliche Verurteilung mag zehn Schlechtgesinnte schrecken und zwanzig Gegnern behagen, dafür wird sie, vollends wenn sie einen politischen Hinter¬ grund hat, leicht in hundert Gutgesinnten den Unwillen erregen, den der Verdacht der Gesinnungsverfolgung wachruft. Solange ein Staatswesen noch im Kerne gesund ist, will uns von den beiden berühmten Methoden: auto- graphirte Strafanträge vorrätig zu halten oder die Schmähschriften tiefer hängen zu lassen, die letztere als die bessere erscheinen. Binding zitirt nach Vincenzo Monti: „Die Injurien machen es wie die Kirchenprozessionen, die stets dahin zurück¬ kehren, von wo sie ausgegangen sind." So läßt sich z. V. gerade in unsern Tagen beobachten, wie sich die antisemitische Bewegung durch maßlose Ehrverletzungen die Sympathien ihrer wohlwollendsten Freunde zu verscherzen im Begriff steht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/358>, abgerufen am 26.08.2024.