Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die internationale Runstausstellung in Berlin

Raum eng oder weit sein. Diese fast unfehlbare Sicherheit des Seh- und
Darstellungsvermögens kann nur durch beständigen Umgang mit der Natur
erreicht werden, und das ist eine unter den vielen Lehren, die unsre deutschen,
insbesondre die in Berlin thätigen Künstler aus der internationalen Ausstel¬
lung ziehen können, wenn sie wollen. Wir verkennen dabei keineswegs die
ungleich vorteilhaftere Lage, in der sich die südromanischen Künstler gegenüber
ihren nordischen Genossen befinden: sie wachsen mitten in der Natur, mitten
im Volke auf, dessen lebhafte Geberdensprache, dessen ausdrucksvolles Mienen¬
spiel deu plastischen, nachbildenden Sinn frühzeitig erweckt, beständig rege er¬
hält, schärft und schließlich zum Wetteifer mit der Natur selbst befähigt.
Dagegen führt der Bildungsgang unsre deutschen Künstler von der Akademie
mit einer Unterbrechung durch eine meist nur kurz bemessene und flüchtige
Studienreise, die überdies mir der Minderzahl der akademisch gebildeten, auf
ihre eigne Kraft und die akademischen Preise und Stipendien angewiesenen
Kunstjünger ermöglicht wird, in die eigne Werkstatt, wo die Sorge um das
tägliche Brot für lange Zeit das Hauptziel des künstlerischen Strebens bleibt.
Die technische Vorbildung ist in den meisten Fällen unzureichend, und wenn
einmal wirklich ein energischer junger Mann die Zeit gewinnt, ein aus dem
Drange seines Herzens geschaffnes Kunstwerk zur Vollendung zu bringen, so
giebt es trotz der besten, idealsten Absichten, trotz starken Aufschwungs der
Phantasie doch an allen Ecken und Enden der technischen Mängel genug, die
an dem Künstler haften geblieben sind, obwohl er einen von weisen Männern
sehr scharfsinnig und systematisch aufgebauten, akademischen Unterrichtskursus,
vielleicht sogar sunuug. oum lanato oder mit dem großen zweijährigen Neise-
stipendium, durchgemacht hat.

Wir haben auch nach dem Ergebnis der Berliner internationalen Kunst¬
ausstellung nicht die geringste Ursache, an der Triebkraft des deutschen Kunst¬
geistes zu zweifeln oder gar über seinen Niedergang zu klagen. Wenn wir
aber sehen, wie Tüchtiges und Bedeutendes von andern Nationen mit weit
geringerm Aufwande des Staates geleistet wird, so wird uns doch der Gedanke
nahegelegt, ob der in Deutschland übliche akademische Unterricht mit seinen
Vorbereitnngs- und Gipsklassen, mit seinen Aktsälen und seinen Unterweisungen
in Nebenfächern (Ästhetik, Poesie, Kunstgeschichte, Perspektive u. s. w.) wirklich,
den Zweck erreiche, der diesem großen Aufwnnde von Lehrern und Lehrstunden
entspricht, und ob nicht durch Vereinfachung und Verkürzung des akademischen
Unterrichts Mittel erübrigt werden könnten, die' den Kunstjüngern das un¬
mittelbare Studium nach der Natur -- sei es in der Heimat, sei es auf
Reisen -- ermöglichten. In sehr vielen Fällen ist erst der fertige Künstler,
der bereits etwas erworben hat, imstande, seinen Anschauungskreis durch Reisen
zu erweitern, und dann sind nicht wenige schon so stumpf und steif geworden,
daß auch der fremde, frische Wind, der ihnen in die Ohren bläst, kaum noch


Die internationale Runstausstellung in Berlin

Raum eng oder weit sein. Diese fast unfehlbare Sicherheit des Seh- und
Darstellungsvermögens kann nur durch beständigen Umgang mit der Natur
erreicht werden, und das ist eine unter den vielen Lehren, die unsre deutschen,
insbesondre die in Berlin thätigen Künstler aus der internationalen Ausstel¬
lung ziehen können, wenn sie wollen. Wir verkennen dabei keineswegs die
ungleich vorteilhaftere Lage, in der sich die südromanischen Künstler gegenüber
ihren nordischen Genossen befinden: sie wachsen mitten in der Natur, mitten
im Volke auf, dessen lebhafte Geberdensprache, dessen ausdrucksvolles Mienen¬
spiel deu plastischen, nachbildenden Sinn frühzeitig erweckt, beständig rege er¬
hält, schärft und schließlich zum Wetteifer mit der Natur selbst befähigt.
Dagegen führt der Bildungsgang unsre deutschen Künstler von der Akademie
mit einer Unterbrechung durch eine meist nur kurz bemessene und flüchtige
Studienreise, die überdies mir der Minderzahl der akademisch gebildeten, auf
ihre eigne Kraft und die akademischen Preise und Stipendien angewiesenen
Kunstjünger ermöglicht wird, in die eigne Werkstatt, wo die Sorge um das
tägliche Brot für lange Zeit das Hauptziel des künstlerischen Strebens bleibt.
Die technische Vorbildung ist in den meisten Fällen unzureichend, und wenn
einmal wirklich ein energischer junger Mann die Zeit gewinnt, ein aus dem
Drange seines Herzens geschaffnes Kunstwerk zur Vollendung zu bringen, so
giebt es trotz der besten, idealsten Absichten, trotz starken Aufschwungs der
Phantasie doch an allen Ecken und Enden der technischen Mängel genug, die
an dem Künstler haften geblieben sind, obwohl er einen von weisen Männern
sehr scharfsinnig und systematisch aufgebauten, akademischen Unterrichtskursus,
vielleicht sogar sunuug. oum lanato oder mit dem großen zweijährigen Neise-
stipendium, durchgemacht hat.

Wir haben auch nach dem Ergebnis der Berliner internationalen Kunst¬
ausstellung nicht die geringste Ursache, an der Triebkraft des deutschen Kunst¬
geistes zu zweifeln oder gar über seinen Niedergang zu klagen. Wenn wir
aber sehen, wie Tüchtiges und Bedeutendes von andern Nationen mit weit
geringerm Aufwande des Staates geleistet wird, so wird uns doch der Gedanke
nahegelegt, ob der in Deutschland übliche akademische Unterricht mit seinen
Vorbereitnngs- und Gipsklassen, mit seinen Aktsälen und seinen Unterweisungen
in Nebenfächern (Ästhetik, Poesie, Kunstgeschichte, Perspektive u. s. w.) wirklich,
den Zweck erreiche, der diesem großen Aufwnnde von Lehrern und Lehrstunden
entspricht, und ob nicht durch Vereinfachung und Verkürzung des akademischen
Unterrichts Mittel erübrigt werden könnten, die' den Kunstjüngern das un¬
mittelbare Studium nach der Natur — sei es in der Heimat, sei es auf
Reisen — ermöglichten. In sehr vielen Fällen ist erst der fertige Künstler,
der bereits etwas erworben hat, imstande, seinen Anschauungskreis durch Reisen
zu erweitern, und dann sind nicht wenige schon so stumpf und steif geworden,
daß auch der fremde, frische Wind, der ihnen in die Ohren bläst, kaum noch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290087"/>
          <fw type="header" place="top"> Die internationale Runstausstellung in Berlin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_887" prev="#ID_886"> Raum eng oder weit sein. Diese fast unfehlbare Sicherheit des Seh- und<lb/>
Darstellungsvermögens kann nur durch beständigen Umgang mit der Natur<lb/>
erreicht werden, und das ist eine unter den vielen Lehren, die unsre deutschen,<lb/>
insbesondre die in Berlin thätigen Künstler aus der internationalen Ausstel¬<lb/>
lung ziehen können, wenn sie wollen. Wir verkennen dabei keineswegs die<lb/>
ungleich vorteilhaftere Lage, in der sich die südromanischen Künstler gegenüber<lb/>
ihren nordischen Genossen befinden: sie wachsen mitten in der Natur, mitten<lb/>
im Volke auf, dessen lebhafte Geberdensprache, dessen ausdrucksvolles Mienen¬<lb/>
spiel deu plastischen, nachbildenden Sinn frühzeitig erweckt, beständig rege er¬<lb/>
hält, schärft und schließlich zum Wetteifer mit der Natur selbst befähigt.<lb/>
Dagegen führt der Bildungsgang unsre deutschen Künstler von der Akademie<lb/>
mit einer Unterbrechung durch eine meist nur kurz bemessene und flüchtige<lb/>
Studienreise, die überdies mir der Minderzahl der akademisch gebildeten, auf<lb/>
ihre eigne Kraft und die akademischen Preise und Stipendien angewiesenen<lb/>
Kunstjünger ermöglicht wird, in die eigne Werkstatt, wo die Sorge um das<lb/>
tägliche Brot für lange Zeit das Hauptziel des künstlerischen Strebens bleibt.<lb/>
Die technische Vorbildung ist in den meisten Fällen unzureichend, und wenn<lb/>
einmal wirklich ein energischer junger Mann die Zeit gewinnt, ein aus dem<lb/>
Drange seines Herzens geschaffnes Kunstwerk zur Vollendung zu bringen, so<lb/>
giebt es trotz der besten, idealsten Absichten, trotz starken Aufschwungs der<lb/>
Phantasie doch an allen Ecken und Enden der technischen Mängel genug, die<lb/>
an dem Künstler haften geblieben sind, obwohl er einen von weisen Männern<lb/>
sehr scharfsinnig und systematisch aufgebauten, akademischen Unterrichtskursus,<lb/>
vielleicht sogar sunuug. oum lanato oder mit dem großen zweijährigen Neise-<lb/>
stipendium, durchgemacht hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_888" next="#ID_889"> Wir haben auch nach dem Ergebnis der Berliner internationalen Kunst¬<lb/>
ausstellung nicht die geringste Ursache, an der Triebkraft des deutschen Kunst¬<lb/>
geistes zu zweifeln oder gar über seinen Niedergang zu klagen. Wenn wir<lb/>
aber sehen, wie Tüchtiges und Bedeutendes von andern Nationen mit weit<lb/>
geringerm Aufwande des Staates geleistet wird, so wird uns doch der Gedanke<lb/>
nahegelegt, ob der in Deutschland übliche akademische Unterricht mit seinen<lb/>
Vorbereitnngs- und Gipsklassen, mit seinen Aktsälen und seinen Unterweisungen<lb/>
in Nebenfächern (Ästhetik, Poesie, Kunstgeschichte, Perspektive u. s. w.) wirklich,<lb/>
den Zweck erreiche, der diesem großen Aufwnnde von Lehrern und Lehrstunden<lb/>
entspricht, und ob nicht durch Vereinfachung und Verkürzung des akademischen<lb/>
Unterrichts Mittel erübrigt werden könnten, die' den Kunstjüngern das un¬<lb/>
mittelbare Studium nach der Natur &#x2014; sei es in der Heimat, sei es auf<lb/>
Reisen &#x2014; ermöglichten. In sehr vielen Fällen ist erst der fertige Künstler,<lb/>
der bereits etwas erworben hat, imstande, seinen Anschauungskreis durch Reisen<lb/>
zu erweitern, und dann sind nicht wenige schon so stumpf und steif geworden,<lb/>
daß auch der fremde, frische Wind, der ihnen in die Ohren bläst, kaum noch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0318] Die internationale Runstausstellung in Berlin Raum eng oder weit sein. Diese fast unfehlbare Sicherheit des Seh- und Darstellungsvermögens kann nur durch beständigen Umgang mit der Natur erreicht werden, und das ist eine unter den vielen Lehren, die unsre deutschen, insbesondre die in Berlin thätigen Künstler aus der internationalen Ausstel¬ lung ziehen können, wenn sie wollen. Wir verkennen dabei keineswegs die ungleich vorteilhaftere Lage, in der sich die südromanischen Künstler gegenüber ihren nordischen Genossen befinden: sie wachsen mitten in der Natur, mitten im Volke auf, dessen lebhafte Geberdensprache, dessen ausdrucksvolles Mienen¬ spiel deu plastischen, nachbildenden Sinn frühzeitig erweckt, beständig rege er¬ hält, schärft und schließlich zum Wetteifer mit der Natur selbst befähigt. Dagegen führt der Bildungsgang unsre deutschen Künstler von der Akademie mit einer Unterbrechung durch eine meist nur kurz bemessene und flüchtige Studienreise, die überdies mir der Minderzahl der akademisch gebildeten, auf ihre eigne Kraft und die akademischen Preise und Stipendien angewiesenen Kunstjünger ermöglicht wird, in die eigne Werkstatt, wo die Sorge um das tägliche Brot für lange Zeit das Hauptziel des künstlerischen Strebens bleibt. Die technische Vorbildung ist in den meisten Fällen unzureichend, und wenn einmal wirklich ein energischer junger Mann die Zeit gewinnt, ein aus dem Drange seines Herzens geschaffnes Kunstwerk zur Vollendung zu bringen, so giebt es trotz der besten, idealsten Absichten, trotz starken Aufschwungs der Phantasie doch an allen Ecken und Enden der technischen Mängel genug, die an dem Künstler haften geblieben sind, obwohl er einen von weisen Männern sehr scharfsinnig und systematisch aufgebauten, akademischen Unterrichtskursus, vielleicht sogar sunuug. oum lanato oder mit dem großen zweijährigen Neise- stipendium, durchgemacht hat. Wir haben auch nach dem Ergebnis der Berliner internationalen Kunst¬ ausstellung nicht die geringste Ursache, an der Triebkraft des deutschen Kunst¬ geistes zu zweifeln oder gar über seinen Niedergang zu klagen. Wenn wir aber sehen, wie Tüchtiges und Bedeutendes von andern Nationen mit weit geringerm Aufwande des Staates geleistet wird, so wird uns doch der Gedanke nahegelegt, ob der in Deutschland übliche akademische Unterricht mit seinen Vorbereitnngs- und Gipsklassen, mit seinen Aktsälen und seinen Unterweisungen in Nebenfächern (Ästhetik, Poesie, Kunstgeschichte, Perspektive u. s. w.) wirklich, den Zweck erreiche, der diesem großen Aufwnnde von Lehrern und Lehrstunden entspricht, und ob nicht durch Vereinfachung und Verkürzung des akademischen Unterrichts Mittel erübrigt werden könnten, die' den Kunstjüngern das un¬ mittelbare Studium nach der Natur — sei es in der Heimat, sei es auf Reisen — ermöglichten. In sehr vielen Fällen ist erst der fertige Künstler, der bereits etwas erworben hat, imstande, seinen Anschauungskreis durch Reisen zu erweitern, und dann sind nicht wenige schon so stumpf und steif geworden, daß auch der fremde, frische Wind, der ihnen in die Ohren bläst, kaum noch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/318
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/318>, abgerufen am 26.08.2024.