Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

die Schulerziehung übertragen werde. Was aber dort eine Tugend ist, erscheint
hier als ein Laster. Wo die Heereserziehung unbedingt als ein Muster der
Schulerziehung hingestellt wird, da tritt eine ganz heillose Begriffsverwirrung
hervor, die mau im Interesse der Schulerziehung bekämpfen muß.

Denn fragen wir, was beide am letzten Ende bezwecken, so werden wir
bald sehen, daß die Einzelziele doch sehr verschieden sind. Darnach werden
sich aber auch die Wege richten müssen, die zu ihnen hinführen. Sollten auch
die Ziele auf demselben Wege liegen, und zwar so, daß das eine als das
höhere den Endpunkt des ganzen Weges bedeutete, das andre nur als das
Ziel eiuer Teilstrecke erschiene, so wäre damit doch uicht ausgeschlossen, daß
der Weg, der zum ersten Ziele hinführt, einen ander" Charakter trägt als der,
der vom ersten zum zweiten angelegt ist. Und ferner dürfte wohl zu beachten
sein: mit dem Austritt aus dem Heeresdienst ist doch die Erziehung des
jungen Mannes noch nicht vollendet. Wird nicht seine Persönlichkeit sich erst
im Verkehr in Staat, Kirche und Gemeinde recht aufwachsen und je nach
der Beschaffenheit der gesellschaftlichen Kreise, die sich ihrer bemächtigen, ihr
Gepräge erhalten? Freilich ist da kaum noch von bewußter Einwirkung auf
den Einzelnen die Rede, während Schul- und Heereserziehung nach wohl durch¬
dachten Plane ihre Aufgabe zu erfüllen suchen. Welche dies sei, soll in Kürze
gezeigt werden.

Ohne Zweifel hat die Heereserziehung bei der leiblichem und geistigen
Bearbeitung des Soldaten als letztes Ziel die Massenwirkung im Auge. Sie
will den Einzelnen vor allem befähigen, seine Stellung als ein dienendes Glied
des Ganzen wahrzunehmen und auszufüllen. Es besteht eben in dieser Ein¬
richtung die Bedeutung des Einzelnen darin, auf jeden Eigenwillen zu ver¬
zichten und sich als ein williges Glied dem Ganzen einzufügen, damit dieses
wirken könne, wie eine kunstvoll eingerichtete Maschine, deren Teile in
einander greifend auf die Herbeiführung eines Zieles hinarbeiten. Der Mili¬
tarismus betrachtet den Menschen nicht als Einzelwesen, das einen bestimmten
Wirkungskreis seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechend ausfüllen soll,
sondern als Material, wie etwa der Baumeister den Stein bearbeiten läßt,
bis er geeignet erscheint, sich an bestimmter Stelle dem ganzen Bau einzufügen.

Dies soll nun keineswegs ein Vorwurf sein. Die Militärerziehung kann
nicht anders, wenn sie ihr Ziel erreichen soll. Sie braucht eben dazu die
größte Beweglichkeit der Massen, die von einem Geiste geleitet sind. In der
Subjektivität der einzelnen Glieder liegen Gefahren, die, wie die Geschichte
der Kriege lehrt, verderblich genug werden können. Darum die stramme Unter¬
ordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit, die Gleichmäßigkeit in der Aus¬
bildung, die man als Drill oder Dressur zu bezeichnen pflegt.

Ganz anders muß die Jugendbildung verfahren, wenn sie die geistige
Spannkraft der Nation heben will. Allerdings hat sie ja auch den heran-


die Schulerziehung übertragen werde. Was aber dort eine Tugend ist, erscheint
hier als ein Laster. Wo die Heereserziehung unbedingt als ein Muster der
Schulerziehung hingestellt wird, da tritt eine ganz heillose Begriffsverwirrung
hervor, die mau im Interesse der Schulerziehung bekämpfen muß.

Denn fragen wir, was beide am letzten Ende bezwecken, so werden wir
bald sehen, daß die Einzelziele doch sehr verschieden sind. Darnach werden
sich aber auch die Wege richten müssen, die zu ihnen hinführen. Sollten auch
die Ziele auf demselben Wege liegen, und zwar so, daß das eine als das
höhere den Endpunkt des ganzen Weges bedeutete, das andre nur als das
Ziel eiuer Teilstrecke erschiene, so wäre damit doch uicht ausgeschlossen, daß
der Weg, der zum ersten Ziele hinführt, einen ander» Charakter trägt als der,
der vom ersten zum zweiten angelegt ist. Und ferner dürfte wohl zu beachten
sein: mit dem Austritt aus dem Heeresdienst ist doch die Erziehung des
jungen Mannes noch nicht vollendet. Wird nicht seine Persönlichkeit sich erst
im Verkehr in Staat, Kirche und Gemeinde recht aufwachsen und je nach
der Beschaffenheit der gesellschaftlichen Kreise, die sich ihrer bemächtigen, ihr
Gepräge erhalten? Freilich ist da kaum noch von bewußter Einwirkung auf
den Einzelnen die Rede, während Schul- und Heereserziehung nach wohl durch¬
dachten Plane ihre Aufgabe zu erfüllen suchen. Welche dies sei, soll in Kürze
gezeigt werden.

Ohne Zweifel hat die Heereserziehung bei der leiblichem und geistigen
Bearbeitung des Soldaten als letztes Ziel die Massenwirkung im Auge. Sie
will den Einzelnen vor allem befähigen, seine Stellung als ein dienendes Glied
des Ganzen wahrzunehmen und auszufüllen. Es besteht eben in dieser Ein¬
richtung die Bedeutung des Einzelnen darin, auf jeden Eigenwillen zu ver¬
zichten und sich als ein williges Glied dem Ganzen einzufügen, damit dieses
wirken könne, wie eine kunstvoll eingerichtete Maschine, deren Teile in
einander greifend auf die Herbeiführung eines Zieles hinarbeiten. Der Mili¬
tarismus betrachtet den Menschen nicht als Einzelwesen, das einen bestimmten
Wirkungskreis seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechend ausfüllen soll,
sondern als Material, wie etwa der Baumeister den Stein bearbeiten läßt,
bis er geeignet erscheint, sich an bestimmter Stelle dem ganzen Bau einzufügen.

Dies soll nun keineswegs ein Vorwurf sein. Die Militärerziehung kann
nicht anders, wenn sie ihr Ziel erreichen soll. Sie braucht eben dazu die
größte Beweglichkeit der Massen, die von einem Geiste geleitet sind. In der
Subjektivität der einzelnen Glieder liegen Gefahren, die, wie die Geschichte
der Kriege lehrt, verderblich genug werden können. Darum die stramme Unter¬
ordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit, die Gleichmäßigkeit in der Aus¬
bildung, die man als Drill oder Dressur zu bezeichnen pflegt.

Ganz anders muß die Jugendbildung verfahren, wenn sie die geistige
Spannkraft der Nation heben will. Allerdings hat sie ja auch den heran-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290067"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_832" prev="#ID_831"> die Schulerziehung übertragen werde. Was aber dort eine Tugend ist, erscheint<lb/>
hier als ein Laster. Wo die Heereserziehung unbedingt als ein Muster der<lb/>
Schulerziehung hingestellt wird, da tritt eine ganz heillose Begriffsverwirrung<lb/>
hervor, die mau im Interesse der Schulerziehung bekämpfen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_833"> Denn fragen wir, was beide am letzten Ende bezwecken, so werden wir<lb/>
bald sehen, daß die Einzelziele doch sehr verschieden sind. Darnach werden<lb/>
sich aber auch die Wege richten müssen, die zu ihnen hinführen. Sollten auch<lb/>
die Ziele auf demselben Wege liegen, und zwar so, daß das eine als das<lb/>
höhere den Endpunkt des ganzen Weges bedeutete, das andre nur als das<lb/>
Ziel eiuer Teilstrecke erschiene, so wäre damit doch uicht ausgeschlossen, daß<lb/>
der Weg, der zum ersten Ziele hinführt, einen ander» Charakter trägt als der,<lb/>
der vom ersten zum zweiten angelegt ist. Und ferner dürfte wohl zu beachten<lb/>
sein: mit dem Austritt aus dem Heeresdienst ist doch die Erziehung des<lb/>
jungen Mannes noch nicht vollendet. Wird nicht seine Persönlichkeit sich erst<lb/>
im Verkehr in Staat, Kirche und Gemeinde recht aufwachsen und je nach<lb/>
der Beschaffenheit der gesellschaftlichen Kreise, die sich ihrer bemächtigen, ihr<lb/>
Gepräge erhalten? Freilich ist da kaum noch von bewußter Einwirkung auf<lb/>
den Einzelnen die Rede, während Schul- und Heereserziehung nach wohl durch¬<lb/>
dachten Plane ihre Aufgabe zu erfüllen suchen. Welche dies sei, soll in Kürze<lb/>
gezeigt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_834"> Ohne Zweifel hat die Heereserziehung bei der leiblichem und geistigen<lb/>
Bearbeitung des Soldaten als letztes Ziel die Massenwirkung im Auge. Sie<lb/>
will den Einzelnen vor allem befähigen, seine Stellung als ein dienendes Glied<lb/>
des Ganzen wahrzunehmen und auszufüllen. Es besteht eben in dieser Ein¬<lb/>
richtung die Bedeutung des Einzelnen darin, auf jeden Eigenwillen zu ver¬<lb/>
zichten und sich als ein williges Glied dem Ganzen einzufügen, damit dieses<lb/>
wirken könne, wie eine kunstvoll eingerichtete Maschine, deren Teile in<lb/>
einander greifend auf die Herbeiführung eines Zieles hinarbeiten. Der Mili¬<lb/>
tarismus betrachtet den Menschen nicht als Einzelwesen, das einen bestimmten<lb/>
Wirkungskreis seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechend ausfüllen soll,<lb/>
sondern als Material, wie etwa der Baumeister den Stein bearbeiten läßt,<lb/>
bis er geeignet erscheint, sich an bestimmter Stelle dem ganzen Bau einzufügen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_835"> Dies soll nun keineswegs ein Vorwurf sein. Die Militärerziehung kann<lb/>
nicht anders, wenn sie ihr Ziel erreichen soll. Sie braucht eben dazu die<lb/>
größte Beweglichkeit der Massen, die von einem Geiste geleitet sind. In der<lb/>
Subjektivität der einzelnen Glieder liegen Gefahren, die, wie die Geschichte<lb/>
der Kriege lehrt, verderblich genug werden können. Darum die stramme Unter¬<lb/>
ordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit, die Gleichmäßigkeit in der Aus¬<lb/>
bildung, die man als Drill oder Dressur zu bezeichnen pflegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_836" next="#ID_837"> Ganz anders muß die Jugendbildung verfahren, wenn sie die geistige<lb/>
Spannkraft der Nation heben will. Allerdings hat sie ja auch den heran-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0298] die Schulerziehung übertragen werde. Was aber dort eine Tugend ist, erscheint hier als ein Laster. Wo die Heereserziehung unbedingt als ein Muster der Schulerziehung hingestellt wird, da tritt eine ganz heillose Begriffsverwirrung hervor, die mau im Interesse der Schulerziehung bekämpfen muß. Denn fragen wir, was beide am letzten Ende bezwecken, so werden wir bald sehen, daß die Einzelziele doch sehr verschieden sind. Darnach werden sich aber auch die Wege richten müssen, die zu ihnen hinführen. Sollten auch die Ziele auf demselben Wege liegen, und zwar so, daß das eine als das höhere den Endpunkt des ganzen Weges bedeutete, das andre nur als das Ziel eiuer Teilstrecke erschiene, so wäre damit doch uicht ausgeschlossen, daß der Weg, der zum ersten Ziele hinführt, einen ander» Charakter trägt als der, der vom ersten zum zweiten angelegt ist. Und ferner dürfte wohl zu beachten sein: mit dem Austritt aus dem Heeresdienst ist doch die Erziehung des jungen Mannes noch nicht vollendet. Wird nicht seine Persönlichkeit sich erst im Verkehr in Staat, Kirche und Gemeinde recht aufwachsen und je nach der Beschaffenheit der gesellschaftlichen Kreise, die sich ihrer bemächtigen, ihr Gepräge erhalten? Freilich ist da kaum noch von bewußter Einwirkung auf den Einzelnen die Rede, während Schul- und Heereserziehung nach wohl durch¬ dachten Plane ihre Aufgabe zu erfüllen suchen. Welche dies sei, soll in Kürze gezeigt werden. Ohne Zweifel hat die Heereserziehung bei der leiblichem und geistigen Bearbeitung des Soldaten als letztes Ziel die Massenwirkung im Auge. Sie will den Einzelnen vor allem befähigen, seine Stellung als ein dienendes Glied des Ganzen wahrzunehmen und auszufüllen. Es besteht eben in dieser Ein¬ richtung die Bedeutung des Einzelnen darin, auf jeden Eigenwillen zu ver¬ zichten und sich als ein williges Glied dem Ganzen einzufügen, damit dieses wirken könne, wie eine kunstvoll eingerichtete Maschine, deren Teile in einander greifend auf die Herbeiführung eines Zieles hinarbeiten. Der Mili¬ tarismus betrachtet den Menschen nicht als Einzelwesen, das einen bestimmten Wirkungskreis seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechend ausfüllen soll, sondern als Material, wie etwa der Baumeister den Stein bearbeiten läßt, bis er geeignet erscheint, sich an bestimmter Stelle dem ganzen Bau einzufügen. Dies soll nun keineswegs ein Vorwurf sein. Die Militärerziehung kann nicht anders, wenn sie ihr Ziel erreichen soll. Sie braucht eben dazu die größte Beweglichkeit der Massen, die von einem Geiste geleitet sind. In der Subjektivität der einzelnen Glieder liegen Gefahren, die, wie die Geschichte der Kriege lehrt, verderblich genug werden können. Darum die stramme Unter¬ ordnung des Einzelnen unter die Gesamtheit, die Gleichmäßigkeit in der Aus¬ bildung, die man als Drill oder Dressur zu bezeichnen pflegt. Ganz anders muß die Jugendbildung verfahren, wenn sie die geistige Spannkraft der Nation heben will. Allerdings hat sie ja auch den heran-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/298
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/298>, abgerufen am 23.07.2024.