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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

legt, in der Hand einige vergilbte Notenblätter. Viele Leute waren sehr böse
auf ihn. Er Hütte ja nur die Witwe Harding zu heiraten brauchen, dann wäre
alles gut gewesen, sagten sie. Eines Morgens, ganz früh, ward er begraben,
natürlich ganz in der Stille und auf den, Armesünderplätzchen. Er, der so
manchen Wanderern den letzten Choral geblasen hatte, bekam nicht einmal ein
Glockengeläute. Aber die Vögel sangen gerade so süß, als wenn ein großer
Heiliger begraben würde, und die Sonne schien noch einmal auf den Sarg,
ehe er hinabgesenkt wurde in die dunkle Erde.

Damals habe ich die ganze Geschichte nicht verstanden. Aber nach vielen
Jahren bin ich wieder einmal Frau Harding begegnet. Sie ging wieder nähen
und meinte, die Welt sei gerade nicht besser geworden mit dem Alter. "Undank
ist der Welt Lohn!" sagte sie. "Gegen Steinberg bin ich furchtbar gut ge¬
wesen, und er hat mich uicht einmal geheiratet! Jedesmal, wenn ich ihm sagte,
er sollte das Aufgebot bestellen, ging er nach dem Klimperkasten und tippte
drauf herum, oder er guckte das Bild von seiner Frau an! Lieber himm¬
lischer Vater, da war nichts dran zu sehen, ein Gesicht mit ein Paar Augen
drin, das war alles! Na, und als ich ihn mal ordentlich ins Gebet nahm
und ihm sagte, daß er mich heiraten müßte, sonst machte ich Skandal, da schoß
er sich andern Tags tot! Wenn man Verdruß haben soll, dann kommt es
immer, da ist nichts zu machen! Sonst geht es mir ja gut. Viele" Dank
für gütige Nachfrage, bei mir ist allens in Ordnung, bloß die Augen wollen
nicht mehr so recht fort, und deshalb heirate ich wohl den alten Kapitän unter
am Wasser. Er hält furchtbar viel vou mir, und ich werde es gut bei ihm
haben. Meinen Jungens geht es gut: der älteste vou meinem ersten Mann
ist schon in Amerika, und der zweite will auch hinüber. Ich kann mich man
bloß von ihm nicht recht trennen. Der Junge hat so große Augen, gerade
wie Steinberg; aber ich nenne ihn Harding, und wenn er nicht immer mit
'ner Fidel im Arm hernmliefe, würde ich ihn nicht gehen lassen. Aber die alte
Musikantenwirtschaft will ich nicht wieder in der Familie haben! Laß ihn
man Gold graben in Kalifornien, das ist gesünder!"

Noch immer stand ich an dem Armesüuderplätzcheu. Die Musik war in der
Ferne verklungen, und die langen, gelben Kirchhofgräser zitterten im Winde.
Es war ganz still um mich her, nur ein kleiner Vogel sang leise und süß,
süß, daß ich um die Melodie des Stadtmusikanten denken mußte.




Aus dänischer Zeit

legt, in der Hand einige vergilbte Notenblätter. Viele Leute waren sehr böse
auf ihn. Er Hütte ja nur die Witwe Harding zu heiraten brauchen, dann wäre
alles gut gewesen, sagten sie. Eines Morgens, ganz früh, ward er begraben,
natürlich ganz in der Stille und auf den, Armesünderplätzchen. Er, der so
manchen Wanderern den letzten Choral geblasen hatte, bekam nicht einmal ein
Glockengeläute. Aber die Vögel sangen gerade so süß, als wenn ein großer
Heiliger begraben würde, und die Sonne schien noch einmal auf den Sarg,
ehe er hinabgesenkt wurde in die dunkle Erde.

Damals habe ich die ganze Geschichte nicht verstanden. Aber nach vielen
Jahren bin ich wieder einmal Frau Harding begegnet. Sie ging wieder nähen
und meinte, die Welt sei gerade nicht besser geworden mit dem Alter. „Undank
ist der Welt Lohn!" sagte sie. „Gegen Steinberg bin ich furchtbar gut ge¬
wesen, und er hat mich uicht einmal geheiratet! Jedesmal, wenn ich ihm sagte,
er sollte das Aufgebot bestellen, ging er nach dem Klimperkasten und tippte
drauf herum, oder er guckte das Bild von seiner Frau an! Lieber himm¬
lischer Vater, da war nichts dran zu sehen, ein Gesicht mit ein Paar Augen
drin, das war alles! Na, und als ich ihn mal ordentlich ins Gebet nahm
und ihm sagte, daß er mich heiraten müßte, sonst machte ich Skandal, da schoß
er sich andern Tags tot! Wenn man Verdruß haben soll, dann kommt es
immer, da ist nichts zu machen! Sonst geht es mir ja gut. Viele» Dank
für gütige Nachfrage, bei mir ist allens in Ordnung, bloß die Augen wollen
nicht mehr so recht fort, und deshalb heirate ich wohl den alten Kapitän unter
am Wasser. Er hält furchtbar viel vou mir, und ich werde es gut bei ihm
haben. Meinen Jungens geht es gut: der älteste vou meinem ersten Mann
ist schon in Amerika, und der zweite will auch hinüber. Ich kann mich man
bloß von ihm nicht recht trennen. Der Junge hat so große Augen, gerade
wie Steinberg; aber ich nenne ihn Harding, und wenn er nicht immer mit
'ner Fidel im Arm hernmliefe, würde ich ihn nicht gehen lassen. Aber die alte
Musikantenwirtschaft will ich nicht wieder in der Familie haben! Laß ihn
man Gold graben in Kalifornien, das ist gesünder!"

Noch immer stand ich an dem Armesüuderplätzcheu. Die Musik war in der
Ferne verklungen, und die langen, gelben Kirchhofgräser zitterten im Winde.
Es war ganz still um mich her, nur ein kleiner Vogel sang leise und süß,
süß, daß ich um die Melodie des Stadtmusikanten denken mußte.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/295>, abgerufen am 23.07.2024.