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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Aorners Braut

meinte meine französische Bonne, die Schande für mich läge nur darin, daß
ich mich nicht kräftig genug gewehrt hätte. Jede Ungezogenheit war mir er¬
laubt, jeder Mutwille, den ich verübte, wurde als ein Zeichen von Geist bei¬
fällig belächelt, ja oft vor Fremden gepriesen. Und da gerade meine mir dein
Alter nach am nächsten stehenden Geschwister Luise und Pepi phlegmatische
und weinerliche Kinder waren, so erweckte diese Parteilichkeit für mich meinen
ganzen Mutwille". Jeden Augenblick fiel mir ein andrer Schabernack ein,
und immer wurde darüber gelacht, immer wieder alles sehr hübsch gefunden.
Jeder tolle Streich wurde, und zwar je kecker und kühner er war, um so
eifriger belobt, und jede Weichlichkeit, jede Verzagtheit wurde mir immer ver¬
haßter."

Bald aber trat eine Änderung in dieser Erziehung ein, die dazu angethan
war, den begabten Wildfang stiller zu machen. Die Mueller gebar im fünfund-
vierzigsten Lebensjahre noch einmal ein Kind, ein Mädchen, und widmete ihre
ganze Liebe diesem Benjamin der Familie, der mit seiner Schwächlichkeit alle
Mitglieder in Anspruch nahm. Dazu kam, daß die Mutter selbst kränkelte,
reizbarer wurde und sich bei der aufreibenden Thätigkeit für Familie und Bühne
nach Ruhe sehnte, sodaß die früher gehätschelte Tochter nun manchen Schlag
wegen ihrer Unbändigkeit hinnehmen mußte. Nur beim Vater hielt das lebhafte
Mädchen Ruhe, daher hielt er sie oft in seinem Studirzimmer zurück, wo sein
Gesang auf sie bezaubernd und beruhigend wirkte. Als dann rasch ein Unglück
nach dem andern die Familie traf, als in demselben Jahre 1804 Bruder
Vater und Mutter wegstarben und nur der Großvater Jacquet (geb. 1725)
als einziger Schutz der Kinder übrig blieb, da offenbarte sich die ganze sittliche
Kraft des begabten Mädchens, mit aller Macht warf sie sich auf die Studien,
und schon mit achtzehn Jahren wurde sie Mitglied des Burgtheaters.

In der Familie lebte ein guter Geist. Schon die Jacquets hatten streng
auf Zucht und Ordnung gehalten; von der gewöhnlichen Frivolität des
Schauspielervolkes fand nichts Eingang bei ihnen. Vater Jcicquet gewährte nur
verheirateten Schauspielerin Zutritt in sein Haus; die vielumworbene Tochter,
Tonis Mutter, wurde dreißig Jahre alt, ehe sie heiratete; Gespräche mit
Kollegen und Dichtern, wie sie der Beruf forderte, durfte sie nie unter vier
Augen führen. Dieser gute Familiengeist vererbte sich auf Antonien. Ein
andres Erbteil war die gut kaiserliche Gesiummg der Familie. Eine hübsche
Anekdote von einer Begegnung der Großmutter Toms mit der Kaiserin Maria
Theresia wurde in der Familie erzählt. "Ein Zufall fügte es, daß die Kaiserin
eines Tages im Garten des Laxenburger Lustschlosses "reiner j^d. h. des
Historikers Arneth^ Urgroßmutter begegnete, ehe dieselbe sich zurückgezogen hatte,
um sich für das Auftreten auf dem Theater umzukleiden. Eine Schar von
Kindern war ihr zur Seite, und ihr Aussehen verriet, daß sie bald ein neues
erwarte. "Zum wievielten male," fragte die Kaiserin in gütigem Tone. "Zum


Theodor Aorners Braut

meinte meine französische Bonne, die Schande für mich läge nur darin, daß
ich mich nicht kräftig genug gewehrt hätte. Jede Ungezogenheit war mir er¬
laubt, jeder Mutwille, den ich verübte, wurde als ein Zeichen von Geist bei¬
fällig belächelt, ja oft vor Fremden gepriesen. Und da gerade meine mir dein
Alter nach am nächsten stehenden Geschwister Luise und Pepi phlegmatische
und weinerliche Kinder waren, so erweckte diese Parteilichkeit für mich meinen
ganzen Mutwille». Jeden Augenblick fiel mir ein andrer Schabernack ein,
und immer wurde darüber gelacht, immer wieder alles sehr hübsch gefunden.
Jeder tolle Streich wurde, und zwar je kecker und kühner er war, um so
eifriger belobt, und jede Weichlichkeit, jede Verzagtheit wurde mir immer ver¬
haßter."

Bald aber trat eine Änderung in dieser Erziehung ein, die dazu angethan
war, den begabten Wildfang stiller zu machen. Die Mueller gebar im fünfund-
vierzigsten Lebensjahre noch einmal ein Kind, ein Mädchen, und widmete ihre
ganze Liebe diesem Benjamin der Familie, der mit seiner Schwächlichkeit alle
Mitglieder in Anspruch nahm. Dazu kam, daß die Mutter selbst kränkelte,
reizbarer wurde und sich bei der aufreibenden Thätigkeit für Familie und Bühne
nach Ruhe sehnte, sodaß die früher gehätschelte Tochter nun manchen Schlag
wegen ihrer Unbändigkeit hinnehmen mußte. Nur beim Vater hielt das lebhafte
Mädchen Ruhe, daher hielt er sie oft in seinem Studirzimmer zurück, wo sein
Gesang auf sie bezaubernd und beruhigend wirkte. Als dann rasch ein Unglück
nach dem andern die Familie traf, als in demselben Jahre 1804 Bruder
Vater und Mutter wegstarben und nur der Großvater Jacquet (geb. 1725)
als einziger Schutz der Kinder übrig blieb, da offenbarte sich die ganze sittliche
Kraft des begabten Mädchens, mit aller Macht warf sie sich auf die Studien,
und schon mit achtzehn Jahren wurde sie Mitglied des Burgtheaters.

In der Familie lebte ein guter Geist. Schon die Jacquets hatten streng
auf Zucht und Ordnung gehalten; von der gewöhnlichen Frivolität des
Schauspielervolkes fand nichts Eingang bei ihnen. Vater Jcicquet gewährte nur
verheirateten Schauspielerin Zutritt in sein Haus; die vielumworbene Tochter,
Tonis Mutter, wurde dreißig Jahre alt, ehe sie heiratete; Gespräche mit
Kollegen und Dichtern, wie sie der Beruf forderte, durfte sie nie unter vier
Augen führen. Dieser gute Familiengeist vererbte sich auf Antonien. Ein
andres Erbteil war die gut kaiserliche Gesiummg der Familie. Eine hübsche
Anekdote von einer Begegnung der Großmutter Toms mit der Kaiserin Maria
Theresia wurde in der Familie erzählt. „Ein Zufall fügte es, daß die Kaiserin
eines Tages im Garten des Laxenburger Lustschlosses „reiner j^d. h. des
Historikers Arneth^ Urgroßmutter begegnete, ehe dieselbe sich zurückgezogen hatte,
um sich für das Auftreten auf dem Theater umzukleiden. Eine Schar von
Kindern war ihr zur Seite, und ihr Aussehen verriet, daß sie bald ein neues
erwarte. »Zum wievielten male,« fragte die Kaiserin in gütigem Tone. »Zum


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[0287] Theodor Aorners Braut meinte meine französische Bonne, die Schande für mich läge nur darin, daß ich mich nicht kräftig genug gewehrt hätte. Jede Ungezogenheit war mir er¬ laubt, jeder Mutwille, den ich verübte, wurde als ein Zeichen von Geist bei¬ fällig belächelt, ja oft vor Fremden gepriesen. Und da gerade meine mir dein Alter nach am nächsten stehenden Geschwister Luise und Pepi phlegmatische und weinerliche Kinder waren, so erweckte diese Parteilichkeit für mich meinen ganzen Mutwille». Jeden Augenblick fiel mir ein andrer Schabernack ein, und immer wurde darüber gelacht, immer wieder alles sehr hübsch gefunden. Jeder tolle Streich wurde, und zwar je kecker und kühner er war, um so eifriger belobt, und jede Weichlichkeit, jede Verzagtheit wurde mir immer ver¬ haßter." Bald aber trat eine Änderung in dieser Erziehung ein, die dazu angethan war, den begabten Wildfang stiller zu machen. Die Mueller gebar im fünfund- vierzigsten Lebensjahre noch einmal ein Kind, ein Mädchen, und widmete ihre ganze Liebe diesem Benjamin der Familie, der mit seiner Schwächlichkeit alle Mitglieder in Anspruch nahm. Dazu kam, daß die Mutter selbst kränkelte, reizbarer wurde und sich bei der aufreibenden Thätigkeit für Familie und Bühne nach Ruhe sehnte, sodaß die früher gehätschelte Tochter nun manchen Schlag wegen ihrer Unbändigkeit hinnehmen mußte. Nur beim Vater hielt das lebhafte Mädchen Ruhe, daher hielt er sie oft in seinem Studirzimmer zurück, wo sein Gesang auf sie bezaubernd und beruhigend wirkte. Als dann rasch ein Unglück nach dem andern die Familie traf, als in demselben Jahre 1804 Bruder Vater und Mutter wegstarben und nur der Großvater Jacquet (geb. 1725) als einziger Schutz der Kinder übrig blieb, da offenbarte sich die ganze sittliche Kraft des begabten Mädchens, mit aller Macht warf sie sich auf die Studien, und schon mit achtzehn Jahren wurde sie Mitglied des Burgtheaters. In der Familie lebte ein guter Geist. Schon die Jacquets hatten streng auf Zucht und Ordnung gehalten; von der gewöhnlichen Frivolität des Schauspielervolkes fand nichts Eingang bei ihnen. Vater Jcicquet gewährte nur verheirateten Schauspielerin Zutritt in sein Haus; die vielumworbene Tochter, Tonis Mutter, wurde dreißig Jahre alt, ehe sie heiratete; Gespräche mit Kollegen und Dichtern, wie sie der Beruf forderte, durfte sie nie unter vier Augen führen. Dieser gute Familiengeist vererbte sich auf Antonien. Ein andres Erbteil war die gut kaiserliche Gesiummg der Familie. Eine hübsche Anekdote von einer Begegnung der Großmutter Toms mit der Kaiserin Maria Theresia wurde in der Familie erzählt. „Ein Zufall fügte es, daß die Kaiserin eines Tages im Garten des Laxenburger Lustschlosses „reiner j^d. h. des Historikers Arneth^ Urgroßmutter begegnete, ehe dieselbe sich zurückgezogen hatte, um sich für das Auftreten auf dem Theater umzukleiden. Eine Schar von Kindern war ihr zur Seite, und ihr Aussehen verriet, daß sie bald ein neues erwarte. »Zum wievielten male,« fragte die Kaiserin in gütigem Tone. »Zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/287>, abgerufen am 26.08.2024.