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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdeniokratischen Staates

Furcht. Dennoch wird man in Bezug ans das öffentliche Leben zweierlei
Ehrgeiz unterscheiden müssen: der Ehrgeizige der ersten Art will bloß den
allgemeinen sittlichen Anforderungen der Gesellschaft so weit entsprechen, als
dies durchschnittlich geschieht; er will seineu Platz in der Welt unter Berück¬
sichtigung seiner Fähigkeiten und der ihn eingehenden Verhältnisse so gut
ausfüllen wie jeder andre; diese Art von Ehrgeiz pflegt man meist gar nicht
Ehrgeiz zu nennen, mau Pflegt daher jemand, der ihn nicht hat, einen Menschen
von geringem Ehrgefühl zu nennen. Ich mochte ihn den negativen Ehrgeiz
nennen, weil sein Mangel, nicht sein Vorhandensein auffällt. Diese Art
Ehrgeiz ist in jedem Staate notwendig, das wird auch allgemein zugestanden
werden. Aber das Maß dieses Ehrgeizes kann in verschiedenen Staaten und
zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden sein; es wird sich richten nach den
Anforderungen, die die Gesellschaft an den Einzelnen stellt, nach jenem Maß
der Leistung des Einzelnen, womit die meisten, die davon mittelbar und
unmittelbar betroffen werden, sich noch zufrieden geben, damit sie diesen Ein¬
zelnen weder von ihrem geschäftlichen noch von ihrem gesellschaftlichen Ver¬
kehr ausschließen.

Dieses geforderte Maß der Leistung des Einzelnen würde aber immer die
Neigung haben, zu sinken, wenn sich jeder den zum Muster nehmen wollte, der
den Anforderungen der Gesellschaft eben noch entspricht, denn die natürliche
Trägheit des Einzelnen würde dieses Maß allmählich Herabdrücken, und die
Gesellschaft würde sich allmählich daran gewöhnen. Es ist daher notwendig,
daß die Leistungen Einzelner hervorraget: über dieses Maß, daß Einzelne da¬
durch Macht und Ansehen gewinnen, Bewunderung erregen und dadurch zur
Nachahmung anreizen. Jedes Volk bedarf großer Beispiele, und wo es diese
nicht hat, da schafft es sie sich künstlich durch Verehrung und Bewunderung
von Männern, die es nicht verdienen, die kaum das Mittelmaß der Leistungen
überschritten haben, diese werden auf das Piedestal der Volksverehrung gestellt,
weil niemand anders daist, der Anspruch darauf machen könnte. Das Volk
fühlt sich in feinen großen Männern geehrt, und ihre Thaten belebe" den Ehr¬
geiz der Einzelnen, daß er nicht unter das Mittelmaß sinkt. Gäbe es nicht
Männer, die über das Volk emporragend Macht und Ansehen gewinnen, so
würde bald das notwendige Maß des Ehrgeizes verschwunden sein, oder viel¬
mehr es wäre ein Zeichen, daß es verschwunden ist.

Diese zweite Art des Ehrgeizes kann viel Schaden verursachen, großes
Unglück anrichten, aber sie ist für jeden Staat so notwendig wie die erste Art,
wenn er nicht rückwärts statt vorwärts schreiten will; auch der sozialdemo¬
kratische Staat wird ihn nicht entbehren können. Ehrgeiz ist aber nicht mög¬
lich ohne Erwerbung von Macht, der eigentliche Ehrgeiz besteht ja darin, daß
man mehr Macht haben will als andre, daß man andre beherrschen will, sei
es durch Liebe oder Furcht. Wer aber Macht hat, der will sie behalten, ja


Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdeniokratischen Staates

Furcht. Dennoch wird man in Bezug ans das öffentliche Leben zweierlei
Ehrgeiz unterscheiden müssen: der Ehrgeizige der ersten Art will bloß den
allgemeinen sittlichen Anforderungen der Gesellschaft so weit entsprechen, als
dies durchschnittlich geschieht; er will seineu Platz in der Welt unter Berück¬
sichtigung seiner Fähigkeiten und der ihn eingehenden Verhältnisse so gut
ausfüllen wie jeder andre; diese Art von Ehrgeiz pflegt man meist gar nicht
Ehrgeiz zu nennen, mau Pflegt daher jemand, der ihn nicht hat, einen Menschen
von geringem Ehrgefühl zu nennen. Ich mochte ihn den negativen Ehrgeiz
nennen, weil sein Mangel, nicht sein Vorhandensein auffällt. Diese Art
Ehrgeiz ist in jedem Staate notwendig, das wird auch allgemein zugestanden
werden. Aber das Maß dieses Ehrgeizes kann in verschiedenen Staaten und
zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden sein; es wird sich richten nach den
Anforderungen, die die Gesellschaft an den Einzelnen stellt, nach jenem Maß
der Leistung des Einzelnen, womit die meisten, die davon mittelbar und
unmittelbar betroffen werden, sich noch zufrieden geben, damit sie diesen Ein¬
zelnen weder von ihrem geschäftlichen noch von ihrem gesellschaftlichen Ver¬
kehr ausschließen.

Dieses geforderte Maß der Leistung des Einzelnen würde aber immer die
Neigung haben, zu sinken, wenn sich jeder den zum Muster nehmen wollte, der
den Anforderungen der Gesellschaft eben noch entspricht, denn die natürliche
Trägheit des Einzelnen würde dieses Maß allmählich Herabdrücken, und die
Gesellschaft würde sich allmählich daran gewöhnen. Es ist daher notwendig,
daß die Leistungen Einzelner hervorraget: über dieses Maß, daß Einzelne da¬
durch Macht und Ansehen gewinnen, Bewunderung erregen und dadurch zur
Nachahmung anreizen. Jedes Volk bedarf großer Beispiele, und wo es diese
nicht hat, da schafft es sie sich künstlich durch Verehrung und Bewunderung
von Männern, die es nicht verdienen, die kaum das Mittelmaß der Leistungen
überschritten haben, diese werden auf das Piedestal der Volksverehrung gestellt,
weil niemand anders daist, der Anspruch darauf machen könnte. Das Volk
fühlt sich in feinen großen Männern geehrt, und ihre Thaten belebe» den Ehr¬
geiz der Einzelnen, daß er nicht unter das Mittelmaß sinkt. Gäbe es nicht
Männer, die über das Volk emporragend Macht und Ansehen gewinnen, so
würde bald das notwendige Maß des Ehrgeizes verschwunden sein, oder viel¬
mehr es wäre ein Zeichen, daß es verschwunden ist.

Diese zweite Art des Ehrgeizes kann viel Schaden verursachen, großes
Unglück anrichten, aber sie ist für jeden Staat so notwendig wie die erste Art,
wenn er nicht rückwärts statt vorwärts schreiten will; auch der sozialdemo¬
kratische Staat wird ihn nicht entbehren können. Ehrgeiz ist aber nicht mög¬
lich ohne Erwerbung von Macht, der eigentliche Ehrgeiz besteht ja darin, daß
man mehr Macht haben will als andre, daß man andre beherrschen will, sei
es durch Liebe oder Furcht. Wer aber Macht hat, der will sie behalten, ja


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[0255] Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdeniokratischen Staates Furcht. Dennoch wird man in Bezug ans das öffentliche Leben zweierlei Ehrgeiz unterscheiden müssen: der Ehrgeizige der ersten Art will bloß den allgemeinen sittlichen Anforderungen der Gesellschaft so weit entsprechen, als dies durchschnittlich geschieht; er will seineu Platz in der Welt unter Berück¬ sichtigung seiner Fähigkeiten und der ihn eingehenden Verhältnisse so gut ausfüllen wie jeder andre; diese Art von Ehrgeiz pflegt man meist gar nicht Ehrgeiz zu nennen, mau Pflegt daher jemand, der ihn nicht hat, einen Menschen von geringem Ehrgefühl zu nennen. Ich mochte ihn den negativen Ehrgeiz nennen, weil sein Mangel, nicht sein Vorhandensein auffällt. Diese Art Ehrgeiz ist in jedem Staate notwendig, das wird auch allgemein zugestanden werden. Aber das Maß dieses Ehrgeizes kann in verschiedenen Staaten und zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden sein; es wird sich richten nach den Anforderungen, die die Gesellschaft an den Einzelnen stellt, nach jenem Maß der Leistung des Einzelnen, womit die meisten, die davon mittelbar und unmittelbar betroffen werden, sich noch zufrieden geben, damit sie diesen Ein¬ zelnen weder von ihrem geschäftlichen noch von ihrem gesellschaftlichen Ver¬ kehr ausschließen. Dieses geforderte Maß der Leistung des Einzelnen würde aber immer die Neigung haben, zu sinken, wenn sich jeder den zum Muster nehmen wollte, der den Anforderungen der Gesellschaft eben noch entspricht, denn die natürliche Trägheit des Einzelnen würde dieses Maß allmählich Herabdrücken, und die Gesellschaft würde sich allmählich daran gewöhnen. Es ist daher notwendig, daß die Leistungen Einzelner hervorraget: über dieses Maß, daß Einzelne da¬ durch Macht und Ansehen gewinnen, Bewunderung erregen und dadurch zur Nachahmung anreizen. Jedes Volk bedarf großer Beispiele, und wo es diese nicht hat, da schafft es sie sich künstlich durch Verehrung und Bewunderung von Männern, die es nicht verdienen, die kaum das Mittelmaß der Leistungen überschritten haben, diese werden auf das Piedestal der Volksverehrung gestellt, weil niemand anders daist, der Anspruch darauf machen könnte. Das Volk fühlt sich in feinen großen Männern geehrt, und ihre Thaten belebe» den Ehr¬ geiz der Einzelnen, daß er nicht unter das Mittelmaß sinkt. Gäbe es nicht Männer, die über das Volk emporragend Macht und Ansehen gewinnen, so würde bald das notwendige Maß des Ehrgeizes verschwunden sein, oder viel¬ mehr es wäre ein Zeichen, daß es verschwunden ist. Diese zweite Art des Ehrgeizes kann viel Schaden verursachen, großes Unglück anrichten, aber sie ist für jeden Staat so notwendig wie die erste Art, wenn er nicht rückwärts statt vorwärts schreiten will; auch der sozialdemo¬ kratische Staat wird ihn nicht entbehren können. Ehrgeiz ist aber nicht mög¬ lich ohne Erwerbung von Macht, der eigentliche Ehrgeiz besteht ja darin, daß man mehr Macht haben will als andre, daß man andre beherrschen will, sei es durch Liebe oder Furcht. Wer aber Macht hat, der will sie behalten, ja

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/255>, abgerufen am 26.08.2024.