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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Antisemitische Litteratur

Wenn Berg annimmt, die gesamte jüdisch-sozialdemokratische Agitation
arbeite nach gemeinschaftlichem festem Plan, so übersieht er, wie es scheint,
gewisse Eigenschaften des jüdischen Volkscharakters. Es ist gern zu glauben,
daß gewisse Personen die Beteiligung an der Arbeiterbewegung als eine Asse¬
kuranz betrachten nach dem Grundsatze: "Verschon mein Haus, zünd andre
an!" Es ist nicht zu bezweifeln, daß mancher in der allgemeinen Proletari-
sirung die Verwirklichung der Weltherrschaftsträume des Stammes erblickt.
Aber auch der gewaltige Drang, irgend eine Rolle in der Welt zu spielen,
muß mit in Rechnung gezogen werden. Damit erklärte z. B. Hehn in einem
seiner Briefe den Übertritt des Herrn Paul Singer ans dem freisinnigen in
das sozialdemokratische Lager. Unter den Freisinnigen gab es zu viele seines-
gleichen, als daß er darauf rechnen konnte, bemerkt zu werden. Und dazu
kommt der Hang, zu kritisiren, zu negiren, durch Scharfsinn zu glänzen und
das eigentümliche Gemisch von Wagehalsigkeit und Zaghaftigkeit, das im täg¬
lichen Leben dazu antreibt, alles, was neu und einigermaßen gefährlich ist,
mitzumachen, aber doch mit Beobachtung großer Vorsicht, und das so viele
Juden zu Verschwörern von Profession macht. Von Paris oder doch von
einem für sicher gehaltenen Versteck aus Bombenwerfer und Minengrüber in
Rußland zu kommandiren, das reizt Leute, die sich gewiß so wenig träumen
lassen, die Ermordung eines Zaren werde ihnen persönlich Vorteil bringen,
als ihnen an dem Lose der russischen Nation gelegen ist.

Sehr beachtenswert ist des Verfassers Darstellung der einseitigen, materia¬
listischen, wie er sagt spezifisch jüdischen Geschichtsauffassung in der Marxschen
Lehre, derzufolge "das, was auf dem wirtschaftlichen Gebiete vorgeht und sich
entwickelt, das für die Gestaltung aller zukünftigen Verhältnisse einzig be¬
stimmende, die Beherrschung der Produktionsverhältnisse gleichbedeutend mit
der absoluten politischen Allmacht sei, und also mit dem konzentrirtesten und
umfassendsten Besitze des Mittels, mit dem der größte Einfluß auf dieselben
flie Produktionsverhältnisse^ erlangt werden kann, d. h. mit dem Besitze des
mobilen Geldkapitals, unweigerlich die größte und unerschütterlichste Macht
innerhalb der Nationen verbunden sein müsse." Auf der Überzeugung, daß
endlich auch der deutsche Arbeiter einsehen müsse, das Verharren in dieser
Geschichtsauffassung könne keine andre Folge haben, als die Verewigung der
"modernen anarchistischen Produktionsweise," beruht die Hoffnung des Ver¬
fassers auf die Erlösung des wahren Sozialismus aus den Banden der
Marxschen Lehre.

Es ist zu bedauern, daß Berg durch langatmigen Satzbau und Vorliebe
für philosophische Schulausdrücke gerade dem Publikum, von dem er vor allem
gelesen werden sollte, das Verständnis erschwert hat.




Antisemitische Litteratur

Wenn Berg annimmt, die gesamte jüdisch-sozialdemokratische Agitation
arbeite nach gemeinschaftlichem festem Plan, so übersieht er, wie es scheint,
gewisse Eigenschaften des jüdischen Volkscharakters. Es ist gern zu glauben,
daß gewisse Personen die Beteiligung an der Arbeiterbewegung als eine Asse¬
kuranz betrachten nach dem Grundsatze: „Verschon mein Haus, zünd andre
an!" Es ist nicht zu bezweifeln, daß mancher in der allgemeinen Proletari-
sirung die Verwirklichung der Weltherrschaftsträume des Stammes erblickt.
Aber auch der gewaltige Drang, irgend eine Rolle in der Welt zu spielen,
muß mit in Rechnung gezogen werden. Damit erklärte z. B. Hehn in einem
seiner Briefe den Übertritt des Herrn Paul Singer ans dem freisinnigen in
das sozialdemokratische Lager. Unter den Freisinnigen gab es zu viele seines-
gleichen, als daß er darauf rechnen konnte, bemerkt zu werden. Und dazu
kommt der Hang, zu kritisiren, zu negiren, durch Scharfsinn zu glänzen und
das eigentümliche Gemisch von Wagehalsigkeit und Zaghaftigkeit, das im täg¬
lichen Leben dazu antreibt, alles, was neu und einigermaßen gefährlich ist,
mitzumachen, aber doch mit Beobachtung großer Vorsicht, und das so viele
Juden zu Verschwörern von Profession macht. Von Paris oder doch von
einem für sicher gehaltenen Versteck aus Bombenwerfer und Minengrüber in
Rußland zu kommandiren, das reizt Leute, die sich gewiß so wenig träumen
lassen, die Ermordung eines Zaren werde ihnen persönlich Vorteil bringen,
als ihnen an dem Lose der russischen Nation gelegen ist.

Sehr beachtenswert ist des Verfassers Darstellung der einseitigen, materia¬
listischen, wie er sagt spezifisch jüdischen Geschichtsauffassung in der Marxschen
Lehre, derzufolge „das, was auf dem wirtschaftlichen Gebiete vorgeht und sich
entwickelt, das für die Gestaltung aller zukünftigen Verhältnisse einzig be¬
stimmende, die Beherrschung der Produktionsverhältnisse gleichbedeutend mit
der absoluten politischen Allmacht sei, und also mit dem konzentrirtesten und
umfassendsten Besitze des Mittels, mit dem der größte Einfluß auf dieselben
flie Produktionsverhältnisse^ erlangt werden kann, d. h. mit dem Besitze des
mobilen Geldkapitals, unweigerlich die größte und unerschütterlichste Macht
innerhalb der Nationen verbunden sein müsse." Auf der Überzeugung, daß
endlich auch der deutsche Arbeiter einsehen müsse, das Verharren in dieser
Geschichtsauffassung könne keine andre Folge haben, als die Verewigung der
„modernen anarchistischen Produktionsweise," beruht die Hoffnung des Ver¬
fassers auf die Erlösung des wahren Sozialismus aus den Banden der
Marxschen Lehre.

Es ist zu bedauern, daß Berg durch langatmigen Satzbau und Vorliebe
für philosophische Schulausdrücke gerade dem Publikum, von dem er vor allem
gelesen werden sollte, das Verständnis erschwert hat.




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[0231] Antisemitische Litteratur Wenn Berg annimmt, die gesamte jüdisch-sozialdemokratische Agitation arbeite nach gemeinschaftlichem festem Plan, so übersieht er, wie es scheint, gewisse Eigenschaften des jüdischen Volkscharakters. Es ist gern zu glauben, daß gewisse Personen die Beteiligung an der Arbeiterbewegung als eine Asse¬ kuranz betrachten nach dem Grundsatze: „Verschon mein Haus, zünd andre an!" Es ist nicht zu bezweifeln, daß mancher in der allgemeinen Proletari- sirung die Verwirklichung der Weltherrschaftsträume des Stammes erblickt. Aber auch der gewaltige Drang, irgend eine Rolle in der Welt zu spielen, muß mit in Rechnung gezogen werden. Damit erklärte z. B. Hehn in einem seiner Briefe den Übertritt des Herrn Paul Singer ans dem freisinnigen in das sozialdemokratische Lager. Unter den Freisinnigen gab es zu viele seines- gleichen, als daß er darauf rechnen konnte, bemerkt zu werden. Und dazu kommt der Hang, zu kritisiren, zu negiren, durch Scharfsinn zu glänzen und das eigentümliche Gemisch von Wagehalsigkeit und Zaghaftigkeit, das im täg¬ lichen Leben dazu antreibt, alles, was neu und einigermaßen gefährlich ist, mitzumachen, aber doch mit Beobachtung großer Vorsicht, und das so viele Juden zu Verschwörern von Profession macht. Von Paris oder doch von einem für sicher gehaltenen Versteck aus Bombenwerfer und Minengrüber in Rußland zu kommandiren, das reizt Leute, die sich gewiß so wenig träumen lassen, die Ermordung eines Zaren werde ihnen persönlich Vorteil bringen, als ihnen an dem Lose der russischen Nation gelegen ist. Sehr beachtenswert ist des Verfassers Darstellung der einseitigen, materia¬ listischen, wie er sagt spezifisch jüdischen Geschichtsauffassung in der Marxschen Lehre, derzufolge „das, was auf dem wirtschaftlichen Gebiete vorgeht und sich entwickelt, das für die Gestaltung aller zukünftigen Verhältnisse einzig be¬ stimmende, die Beherrschung der Produktionsverhältnisse gleichbedeutend mit der absoluten politischen Allmacht sei, und also mit dem konzentrirtesten und umfassendsten Besitze des Mittels, mit dem der größte Einfluß auf dieselben flie Produktionsverhältnisse^ erlangt werden kann, d. h. mit dem Besitze des mobilen Geldkapitals, unweigerlich die größte und unerschütterlichste Macht innerhalb der Nationen verbunden sein müsse." Auf der Überzeugung, daß endlich auch der deutsche Arbeiter einsehen müsse, das Verharren in dieser Geschichtsauffassung könne keine andre Folge haben, als die Verewigung der „modernen anarchistischen Produktionsweise," beruht die Hoffnung des Ver¬ fassers auf die Erlösung des wahren Sozialismus aus den Banden der Marxschen Lehre. Es ist zu bedauern, daß Berg durch langatmigen Satzbau und Vorliebe für philosophische Schulausdrücke gerade dem Publikum, von dem er vor allem gelesen werden sollte, das Verständnis erschwert hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/231>, abgerufen am 23.07.2024.