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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

diese Einrichtungen in dem Zustande der Völker Europas begründet, und sie
haben sich unter denselben Verhältnissen ganz ähnlich bei andern Völkern,
z. B. bei den Indern, den alten Griechen, den Türken entwickelt. Wo immer
die Bedingungen für Zustände, die wir modern nennen, die aber auch schon
vor alten Zeiten in China und im Nömerreich dagewesen sind, eintraten, da
fanden sich auch diese Zustände ein, und die Kirche vermochte daran nichts
zu andern. Die italienischen Städte vernichteten schon im vierzehnten Jahr¬
hundert den Feudalismus, brachten die Geldwirtschaft zu hoher Vollkommen¬
heit, und die florentinischen Kaufleute hatten bis nach Peking hin Nieder¬
lassungen zum Absatz ihrer Gewebe und zum Einkauf vou Rohmaterialien,
während der Zwischenhandel Venedigs alle damals bekannten Länder der Erde
mit einander verband. Was aber die Verschmelzung des öffentlichen Rechtes
mit dem Privatrecht anlangt, so ist diese etwas Urgermanisches. Der Ger¬
mane kannte z. B. keine Kriminaljustiz, keinen öffentlichen Ankläger, sondern
bei allen Verbrechen, Mord und Rotznase eingeschlossen, nur die öffentliche
Festsetzung der Sühne für den Fall der Verzichtleistung auf die Privatrache.
Offenbar uoch unrichtiger ist es, wenn Elater es aus dem religiös-kirchlichen
System der Zeit erklären will, daß Kunsthandwerk und Industrie nur in be¬
scheidenen Anfängen vorhanden gewesen, die Wohnungen einfach, wo nicht
ärmlich eingerichtet geblieben seien. Wo sollen denn in einem Lande wie
Deutschland, das um 800 noch ein reines Bcmeruland und stellenweise mit
Urwald bewachsen war oder sonst wüst lag, und in dem es kaum ein Dutzend
Städte gab, die diesen Namen verdienten, wo sollten da, mochte die Religion
sein, welche sie wollte, geschwind reiche und schöne Hauseinrichtungen her¬
kommen? sechshundert Jahre später fehlte es daran nicht mehr, und wenn nun
ein Bürger von Augsburg schöner eingerichtet war als der König von Schott-
land, so kam auch das wieder nicht daher, daß etwa die nordischen Könige
mehr von dem Geiste der Askese beeinflußt wordeu wären, sondern von der
Schwierigkeit, den im Süden bereits vorhandenen Reichtum bis in den hohen
Norden zu verbreiten. Auch sind Kunsthandwerk und Industrie keineswegs
in bescheidenen Anfängen stecken geblieben, sondern das Kunsthandwerk hat
bekanntlich um 1500 seine höchste Blute entfaltet, und der Industrie fehlte
zur Blüte nichts als die Dampfmaschine, die glücklicherweise damals noch nicht
erfunden war. Wäre sie bereits vorhanden gewesen, so hätte sie das Kunst-
Handwerk und uoch so manches andre im Keim erstickt. Die Einfachheit der
Privatwohnungen wurde übrigens auch noch bei beginnendem Reichtnme von
jenem republikanischen Gemeinsinn eine Zeit lang gefordert, der es für unan¬
ständig hält, daß der Privatmann kostbarer eingerichtet sei als das Gemein¬
wesen in seinen Kirchen und Palästen. Diesen Gemeinsinn charakterisirt unter
andern die venetianische Sitte, daß jeder Kaufmann aus der Ferne ein Kleinod
zum Schmuck von San Marco mitbrachte, der Beschluß der Ulmer, zu ihrem


Geschichtsphilosophische Gedanken

diese Einrichtungen in dem Zustande der Völker Europas begründet, und sie
haben sich unter denselben Verhältnissen ganz ähnlich bei andern Völkern,
z. B. bei den Indern, den alten Griechen, den Türken entwickelt. Wo immer
die Bedingungen für Zustände, die wir modern nennen, die aber auch schon
vor alten Zeiten in China und im Nömerreich dagewesen sind, eintraten, da
fanden sich auch diese Zustände ein, und die Kirche vermochte daran nichts
zu andern. Die italienischen Städte vernichteten schon im vierzehnten Jahr¬
hundert den Feudalismus, brachten die Geldwirtschaft zu hoher Vollkommen¬
heit, und die florentinischen Kaufleute hatten bis nach Peking hin Nieder¬
lassungen zum Absatz ihrer Gewebe und zum Einkauf vou Rohmaterialien,
während der Zwischenhandel Venedigs alle damals bekannten Länder der Erde
mit einander verband. Was aber die Verschmelzung des öffentlichen Rechtes
mit dem Privatrecht anlangt, so ist diese etwas Urgermanisches. Der Ger¬
mane kannte z. B. keine Kriminaljustiz, keinen öffentlichen Ankläger, sondern
bei allen Verbrechen, Mord und Rotznase eingeschlossen, nur die öffentliche
Festsetzung der Sühne für den Fall der Verzichtleistung auf die Privatrache.
Offenbar uoch unrichtiger ist es, wenn Elater es aus dem religiös-kirchlichen
System der Zeit erklären will, daß Kunsthandwerk und Industrie nur in be¬
scheidenen Anfängen vorhanden gewesen, die Wohnungen einfach, wo nicht
ärmlich eingerichtet geblieben seien. Wo sollen denn in einem Lande wie
Deutschland, das um 800 noch ein reines Bcmeruland und stellenweise mit
Urwald bewachsen war oder sonst wüst lag, und in dem es kaum ein Dutzend
Städte gab, die diesen Namen verdienten, wo sollten da, mochte die Religion
sein, welche sie wollte, geschwind reiche und schöne Hauseinrichtungen her¬
kommen? sechshundert Jahre später fehlte es daran nicht mehr, und wenn nun
ein Bürger von Augsburg schöner eingerichtet war als der König von Schott-
land, so kam auch das wieder nicht daher, daß etwa die nordischen Könige
mehr von dem Geiste der Askese beeinflußt wordeu wären, sondern von der
Schwierigkeit, den im Süden bereits vorhandenen Reichtum bis in den hohen
Norden zu verbreiten. Auch sind Kunsthandwerk und Industrie keineswegs
in bescheidenen Anfängen stecken geblieben, sondern das Kunsthandwerk hat
bekanntlich um 1500 seine höchste Blute entfaltet, und der Industrie fehlte
zur Blüte nichts als die Dampfmaschine, die glücklicherweise damals noch nicht
erfunden war. Wäre sie bereits vorhanden gewesen, so hätte sie das Kunst-
Handwerk und uoch so manches andre im Keim erstickt. Die Einfachheit der
Privatwohnungen wurde übrigens auch noch bei beginnendem Reichtnme von
jenem republikanischen Gemeinsinn eine Zeit lang gefordert, der es für unan¬
ständig hält, daß der Privatmann kostbarer eingerichtet sei als das Gemein¬
wesen in seinen Kirchen und Palästen. Diesen Gemeinsinn charakterisirt unter
andern die venetianische Sitte, daß jeder Kaufmann aus der Ferne ein Kleinod
zum Schmuck von San Marco mitbrachte, der Beschluß der Ulmer, zu ihrem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/220>, abgerufen am 23.07.2024.