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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

fangen die Italiener an, ihren Gegensatz zu den Deutschen von der politischen
Seite her anzusehen. Seit dem Untergange der Hohenstaufen hatten sich die
italienischen Verhältnisse ungestört von ausländischen Einflüssen entwickelt.
In das Ringen der Bürgerschaften mit den Adelsgeschlechtern, der Städte
und kleinen Fürsten unter einander hatte keine übermächtige fremde Gewalt
eingegriffen, sondern überall der von Natur stärkere und tüchtigere Teil ge¬
siegt. Als nun bekannt wurde, daß Heinrich vom Papste eingeladen und von
einigen italienischen Verbannten gedrängt, mit Heeresmacht herannahe, da ward
den meisten Italienern sehr unbehaglich zu Mute. Guido della Torre, der
die Wiedereinsetzung der Visconti zu fürchten hatte, rannte im Stadtpalaste
zu Mailand, wo sich die Lvmbardenfürsten zur Beratung versammelt hatten,
wie wahnsinnig umher nud rief einmal über das andre: "Sagt mir doch,
sind wir diesem Heinrich von Luxemburg, diesem -- ich weiß nicht, ist
er ein Teutone oder ein Allobroger -- in irgend einer Weise verpflichtet?
Hat er uns irgend etwas gegeben, was er zurückzufordern berechtigt wäre?"
Zu vollkommener Klarheit aber über die politische Seite des nationalen Gegen¬
satzes gelangen die Florentiner. Sie sprechen es in ihrer Korrespondenz wieder¬
holt ans, daß das deutsche Königtum mit der städtischen Freiheit, auf der in
Mittel- und Oberitnlicn das gesamte öffentliche Leben, ja die Kultur beruht,
unvereinbar sei. Sie nennen Heinrich nur einmal nach seiner Krönung "König
der Römer" und niemals Kaiser, sondern den Alamannenkönig oder zur Ab¬
wechslung einmal den Tyrannen. Sie schreiben in völlig richtiger Beurteilung
der Lage um den König Robert: "Ist Heinrich einmal vernichtet, dann sind
wir sicher, daß es kein Störenfried mehr wagen wird, uus unter dem Vor-
wande des Kaisertums zu beunruhigen." Den Lncchesen melden sie am
27. August 1313, daß "jener höchst grausame Tyrann, Heinrich, vormals
Graf von Luxemburg, den die Abtrünnigen und die alten Verfolger der Kirche,
nämlich die Ghibellinen, eure und unsre treulosen Feinde, eiuen König der
Römer und Kaiser von Deutschland nannten, und der unter dem Vorwande
des Kaisertums bereits die Provinzen Lombardier! und Tuseien zu einem
großen Teile verzehrt und in Brand gesteckt hatte, vorigen Freitag den
24. August zu Buonconvento verschieden ist. Freut euch also, wir bitten,
mit uns, ihr teuersten Brüder!" Die Florentiner sprechen also den Anhängern
der Kaiseridee geradezu die bang. naifs ab, sie erniedrigen diese Idee zu einem
Vorwande gemeiner Habsucht und Raubgier. Über den Jubel, mit dem der
Tod Heinrichs als größtes Freudenfest gefeiert wurde, berichtet Mussatus.
Die Geistlichen veranstalteten Dankprvzessionen, die Städte wurden des Nachts
mit Fackeln festlich erleuchtet; das Volk feierte Kampfspiele in neuen Gewändern;
die Weiber führten ans Straßen und Plätzen ausgelassene Tänze auf, die
Gerichte hielten Ferien, die Gefängnisse wurden geöffnet, die Gefangenen frei
gelassen. Zu Ehren des heiligen Barthvlomüus, "der den durchs Kaisertum


Geschichtsphilosophische Gedanken

fangen die Italiener an, ihren Gegensatz zu den Deutschen von der politischen
Seite her anzusehen. Seit dem Untergange der Hohenstaufen hatten sich die
italienischen Verhältnisse ungestört von ausländischen Einflüssen entwickelt.
In das Ringen der Bürgerschaften mit den Adelsgeschlechtern, der Städte
und kleinen Fürsten unter einander hatte keine übermächtige fremde Gewalt
eingegriffen, sondern überall der von Natur stärkere und tüchtigere Teil ge¬
siegt. Als nun bekannt wurde, daß Heinrich vom Papste eingeladen und von
einigen italienischen Verbannten gedrängt, mit Heeresmacht herannahe, da ward
den meisten Italienern sehr unbehaglich zu Mute. Guido della Torre, der
die Wiedereinsetzung der Visconti zu fürchten hatte, rannte im Stadtpalaste
zu Mailand, wo sich die Lvmbardenfürsten zur Beratung versammelt hatten,
wie wahnsinnig umher nud rief einmal über das andre: „Sagt mir doch,
sind wir diesem Heinrich von Luxemburg, diesem — ich weiß nicht, ist
er ein Teutone oder ein Allobroger — in irgend einer Weise verpflichtet?
Hat er uns irgend etwas gegeben, was er zurückzufordern berechtigt wäre?"
Zu vollkommener Klarheit aber über die politische Seite des nationalen Gegen¬
satzes gelangen die Florentiner. Sie sprechen es in ihrer Korrespondenz wieder¬
holt ans, daß das deutsche Königtum mit der städtischen Freiheit, auf der in
Mittel- und Oberitnlicn das gesamte öffentliche Leben, ja die Kultur beruht,
unvereinbar sei. Sie nennen Heinrich nur einmal nach seiner Krönung „König
der Römer" und niemals Kaiser, sondern den Alamannenkönig oder zur Ab¬
wechslung einmal den Tyrannen. Sie schreiben in völlig richtiger Beurteilung
der Lage um den König Robert: „Ist Heinrich einmal vernichtet, dann sind
wir sicher, daß es kein Störenfried mehr wagen wird, uus unter dem Vor-
wande des Kaisertums zu beunruhigen." Den Lncchesen melden sie am
27. August 1313, daß „jener höchst grausame Tyrann, Heinrich, vormals
Graf von Luxemburg, den die Abtrünnigen und die alten Verfolger der Kirche,
nämlich die Ghibellinen, eure und unsre treulosen Feinde, eiuen König der
Römer und Kaiser von Deutschland nannten, und der unter dem Vorwande
des Kaisertums bereits die Provinzen Lombardier! und Tuseien zu einem
großen Teile verzehrt und in Brand gesteckt hatte, vorigen Freitag den
24. August zu Buonconvento verschieden ist. Freut euch also, wir bitten,
mit uns, ihr teuersten Brüder!" Die Florentiner sprechen also den Anhängern
der Kaiseridee geradezu die bang. naifs ab, sie erniedrigen diese Idee zu einem
Vorwande gemeiner Habsucht und Raubgier. Über den Jubel, mit dem der
Tod Heinrichs als größtes Freudenfest gefeiert wurde, berichtet Mussatus.
Die Geistlichen veranstalteten Dankprvzessionen, die Städte wurden des Nachts
mit Fackeln festlich erleuchtet; das Volk feierte Kampfspiele in neuen Gewändern;
die Weiber führten ans Straßen und Plätzen ausgelassene Tänze auf, die
Gerichte hielten Ferien, die Gefängnisse wurden geöffnet, die Gefangenen frei
gelassen. Zu Ehren des heiligen Barthvlomüus, „der den durchs Kaisertum


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[0214] Geschichtsphilosophische Gedanken fangen die Italiener an, ihren Gegensatz zu den Deutschen von der politischen Seite her anzusehen. Seit dem Untergange der Hohenstaufen hatten sich die italienischen Verhältnisse ungestört von ausländischen Einflüssen entwickelt. In das Ringen der Bürgerschaften mit den Adelsgeschlechtern, der Städte und kleinen Fürsten unter einander hatte keine übermächtige fremde Gewalt eingegriffen, sondern überall der von Natur stärkere und tüchtigere Teil ge¬ siegt. Als nun bekannt wurde, daß Heinrich vom Papste eingeladen und von einigen italienischen Verbannten gedrängt, mit Heeresmacht herannahe, da ward den meisten Italienern sehr unbehaglich zu Mute. Guido della Torre, der die Wiedereinsetzung der Visconti zu fürchten hatte, rannte im Stadtpalaste zu Mailand, wo sich die Lvmbardenfürsten zur Beratung versammelt hatten, wie wahnsinnig umher nud rief einmal über das andre: „Sagt mir doch, sind wir diesem Heinrich von Luxemburg, diesem — ich weiß nicht, ist er ein Teutone oder ein Allobroger — in irgend einer Weise verpflichtet? Hat er uns irgend etwas gegeben, was er zurückzufordern berechtigt wäre?" Zu vollkommener Klarheit aber über die politische Seite des nationalen Gegen¬ satzes gelangen die Florentiner. Sie sprechen es in ihrer Korrespondenz wieder¬ holt ans, daß das deutsche Königtum mit der städtischen Freiheit, auf der in Mittel- und Oberitnlicn das gesamte öffentliche Leben, ja die Kultur beruht, unvereinbar sei. Sie nennen Heinrich nur einmal nach seiner Krönung „König der Römer" und niemals Kaiser, sondern den Alamannenkönig oder zur Ab¬ wechslung einmal den Tyrannen. Sie schreiben in völlig richtiger Beurteilung der Lage um den König Robert: „Ist Heinrich einmal vernichtet, dann sind wir sicher, daß es kein Störenfried mehr wagen wird, uus unter dem Vor- wande des Kaisertums zu beunruhigen." Den Lncchesen melden sie am 27. August 1313, daß „jener höchst grausame Tyrann, Heinrich, vormals Graf von Luxemburg, den die Abtrünnigen und die alten Verfolger der Kirche, nämlich die Ghibellinen, eure und unsre treulosen Feinde, eiuen König der Römer und Kaiser von Deutschland nannten, und der unter dem Vorwande des Kaisertums bereits die Provinzen Lombardier! und Tuseien zu einem großen Teile verzehrt und in Brand gesteckt hatte, vorigen Freitag den 24. August zu Buonconvento verschieden ist. Freut euch also, wir bitten, mit uns, ihr teuersten Brüder!" Die Florentiner sprechen also den Anhängern der Kaiseridee geradezu die bang. naifs ab, sie erniedrigen diese Idee zu einem Vorwande gemeiner Habsucht und Raubgier. Über den Jubel, mit dem der Tod Heinrichs als größtes Freudenfest gefeiert wurde, berichtet Mussatus. Die Geistlichen veranstalteten Dankprvzessionen, die Städte wurden des Nachts mit Fackeln festlich erleuchtet; das Volk feierte Kampfspiele in neuen Gewändern; die Weiber führten ans Straßen und Plätzen ausgelassene Tänze auf, die Gerichte hielten Ferien, die Gefängnisse wurden geöffnet, die Gefangenen frei gelassen. Zu Ehren des heiligen Barthvlomüus, „der den durchs Kaisertum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/214>, abgerufen am 26.08.2024.