Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemokratischen Staates

Wäre das Zinsuehmcu und Zinsgeben auch noch so streng verboten, so würden
sich doch immer Leute finden, die Geld (Arbeitsbons) brauchen und dafür
Zins zahlen oder Leistungen gewahren würden, und zwar heimlich, um sich
die Quelle nicht zu verstopfen, aus der sie schöpfen. Würde es aber mit der
Zeit eine genügende Anzahl von geheimen Zinsuehmern und Zinsgebern geben,
dann wären sie auch imstande, einen solchen Einfluß auszuüben, daß das
Zinsnehmen bald öffentlich erlaubt wäre. Wäre es also erlaubt, Privateigen¬
tum, mehr als zum unmittelbaren Gebrauche notwendig ist, anzusammeln, so
wäre die schließliche Kapitalisirung kaum zu vermeiden; ohne ein solches Privat¬
eigentum wäre aber der Einzelne nichts mehr als ein willenloses Glied im
Getriebe der Staatsmaschine.

Entweder also der sozialdemokratische Staat unterdrückt den Selbständig¬
keitstrieb bei seinen Bürgern nicht, dann werden sich die selbständigsten Köpfe
bald der Leitung des Staates bemächtigen und ihn über kurz oder lang dahin
führen, wohin sie der Selbständigkeitstrieb ziehen wird, nämlich zur Schaffung
eines Kapitals, um durch dieses andre zu beherrschen und selbst unabhängig
zu sein. Natürlich werden sich alle selbständigen, findigen Köpfe nnter einander
abfinden müssen, um stark genug zu sein, die unselbständigen zu unterdrücken
und zu kapitalisiren, d. h. für sich arbeiten zu lassen. Oder aber der sozial¬
demokratische Staat unterdrückt alles selbständige Streben, preßt alle gleich¬
mäßig in die soziale Zwangsjacke, dann wird er innerlich versumpfen und
verfaulen. Denn da die Masse des Volkes keine Selbständigkeit des Strebens
haben wird, woher soll sie ihren Leitern kommen, die aus ihr hervorgehen,
die in der Schule der Unselbständigkeit gedrillt worden sind? Der sozial¬
demokratische Staat wäre dann eine bloße Maschine ohne jede psychologische
Triebkraft, deren Bestandteile sich allmählich abnutzen und verrosten würden,
ohne daß jemand da wäre, der die Maschine verstünde, sie ausbessern oder
gar verbessern könnte.

Sollte aber die Selbständigkeit des Wirkens den Leitern des Volkes gewahrt
bleiben, ohne daß sie das Volk selbst besäße, dann wäre die Masse des Volkes
eine Masse von Sklaven gegenüber einer alles beherrschenden kasteuartig abge¬
schlossenen Büreaukratie, die allein das Privilegium Hütte, denkend zu handeln.
Diese Büreaukratie müßte kastenartig abgeschlossen sein, weil sie sich nicht
aus dem Volke ergänzen könnte, ohne im Volke ein selbständiges Denken und
Handeln erzeugt zu haben. Dann würde also die Sozialdemokratie zur
Sklaverei des Volkes, zu seiner vollständigen Unterdrückung führen; dies wäre
der wahrscheinlichste Fall, weil, wie gesagt, zu gemeinschaftlicher Arbeit eine
stramme Disziplin notwendig wäre, also eine starke Herrschaft der Verwal¬
tungsbehörden, wenn nicht heillose Verwirrung und ewiger Zank und Streit
überhaupt jedes gemeinschaftliche Wirken unmöglich machen sollte.

Es ist nun höchst unwahrscheinlich, daß in einem sozialdemokratischen


Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemokratischen Staates

Wäre das Zinsuehmcu und Zinsgeben auch noch so streng verboten, so würden
sich doch immer Leute finden, die Geld (Arbeitsbons) brauchen und dafür
Zins zahlen oder Leistungen gewahren würden, und zwar heimlich, um sich
die Quelle nicht zu verstopfen, aus der sie schöpfen. Würde es aber mit der
Zeit eine genügende Anzahl von geheimen Zinsuehmern und Zinsgebern geben,
dann wären sie auch imstande, einen solchen Einfluß auszuüben, daß das
Zinsnehmen bald öffentlich erlaubt wäre. Wäre es also erlaubt, Privateigen¬
tum, mehr als zum unmittelbaren Gebrauche notwendig ist, anzusammeln, so
wäre die schließliche Kapitalisirung kaum zu vermeiden; ohne ein solches Privat¬
eigentum wäre aber der Einzelne nichts mehr als ein willenloses Glied im
Getriebe der Staatsmaschine.

Entweder also der sozialdemokratische Staat unterdrückt den Selbständig¬
keitstrieb bei seinen Bürgern nicht, dann werden sich die selbständigsten Köpfe
bald der Leitung des Staates bemächtigen und ihn über kurz oder lang dahin
führen, wohin sie der Selbständigkeitstrieb ziehen wird, nämlich zur Schaffung
eines Kapitals, um durch dieses andre zu beherrschen und selbst unabhängig
zu sein. Natürlich werden sich alle selbständigen, findigen Köpfe nnter einander
abfinden müssen, um stark genug zu sein, die unselbständigen zu unterdrücken
und zu kapitalisiren, d. h. für sich arbeiten zu lassen. Oder aber der sozial¬
demokratische Staat unterdrückt alles selbständige Streben, preßt alle gleich¬
mäßig in die soziale Zwangsjacke, dann wird er innerlich versumpfen und
verfaulen. Denn da die Masse des Volkes keine Selbständigkeit des Strebens
haben wird, woher soll sie ihren Leitern kommen, die aus ihr hervorgehen,
die in der Schule der Unselbständigkeit gedrillt worden sind? Der sozial¬
demokratische Staat wäre dann eine bloße Maschine ohne jede psychologische
Triebkraft, deren Bestandteile sich allmählich abnutzen und verrosten würden,
ohne daß jemand da wäre, der die Maschine verstünde, sie ausbessern oder
gar verbessern könnte.

Sollte aber die Selbständigkeit des Wirkens den Leitern des Volkes gewahrt
bleiben, ohne daß sie das Volk selbst besäße, dann wäre die Masse des Volkes
eine Masse von Sklaven gegenüber einer alles beherrschenden kasteuartig abge¬
schlossenen Büreaukratie, die allein das Privilegium Hütte, denkend zu handeln.
Diese Büreaukratie müßte kastenartig abgeschlossen sein, weil sie sich nicht
aus dem Volke ergänzen könnte, ohne im Volke ein selbständiges Denken und
Handeln erzeugt zu haben. Dann würde also die Sozialdemokratie zur
Sklaverei des Volkes, zu seiner vollständigen Unterdrückung führen; dies wäre
der wahrscheinlichste Fall, weil, wie gesagt, zu gemeinschaftlicher Arbeit eine
stramme Disziplin notwendig wäre, also eine starke Herrschaft der Verwal¬
tungsbehörden, wenn nicht heillose Verwirrung und ewiger Zank und Streit
überhaupt jedes gemeinschaftliche Wirken unmöglich machen sollte.

Es ist nun höchst unwahrscheinlich, daß in einem sozialdemokratischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289978"/>
          <fw type="header" place="top"> Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemokratischen Staates</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_571" prev="#ID_570"> Wäre das Zinsuehmcu und Zinsgeben auch noch so streng verboten, so würden<lb/>
sich doch immer Leute finden, die Geld (Arbeitsbons) brauchen und dafür<lb/>
Zins zahlen oder Leistungen gewahren würden, und zwar heimlich, um sich<lb/>
die Quelle nicht zu verstopfen, aus der sie schöpfen. Würde es aber mit der<lb/>
Zeit eine genügende Anzahl von geheimen Zinsuehmern und Zinsgebern geben,<lb/>
dann wären sie auch imstande, einen solchen Einfluß auszuüben, daß das<lb/>
Zinsnehmen bald öffentlich erlaubt wäre. Wäre es also erlaubt, Privateigen¬<lb/>
tum, mehr als zum unmittelbaren Gebrauche notwendig ist, anzusammeln, so<lb/>
wäre die schließliche Kapitalisirung kaum zu vermeiden; ohne ein solches Privat¬<lb/>
eigentum wäre aber der Einzelne nichts mehr als ein willenloses Glied im<lb/>
Getriebe der Staatsmaschine.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_572"> Entweder also der sozialdemokratische Staat unterdrückt den Selbständig¬<lb/>
keitstrieb bei seinen Bürgern nicht, dann werden sich die selbständigsten Köpfe<lb/>
bald der Leitung des Staates bemächtigen und ihn über kurz oder lang dahin<lb/>
führen, wohin sie der Selbständigkeitstrieb ziehen wird, nämlich zur Schaffung<lb/>
eines Kapitals, um durch dieses andre zu beherrschen und selbst unabhängig<lb/>
zu sein. Natürlich werden sich alle selbständigen, findigen Köpfe nnter einander<lb/>
abfinden müssen, um stark genug zu sein, die unselbständigen zu unterdrücken<lb/>
und zu kapitalisiren, d. h. für sich arbeiten zu lassen. Oder aber der sozial¬<lb/>
demokratische Staat unterdrückt alles selbständige Streben, preßt alle gleich¬<lb/>
mäßig in die soziale Zwangsjacke, dann wird er innerlich versumpfen und<lb/>
verfaulen. Denn da die Masse des Volkes keine Selbständigkeit des Strebens<lb/>
haben wird, woher soll sie ihren Leitern kommen, die aus ihr hervorgehen,<lb/>
die in der Schule der Unselbständigkeit gedrillt worden sind? Der sozial¬<lb/>
demokratische Staat wäre dann eine bloße Maschine ohne jede psychologische<lb/>
Triebkraft, deren Bestandteile sich allmählich abnutzen und verrosten würden,<lb/>
ohne daß jemand da wäre, der die Maschine verstünde, sie ausbessern oder<lb/>
gar verbessern könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_573"> Sollte aber die Selbständigkeit des Wirkens den Leitern des Volkes gewahrt<lb/>
bleiben, ohne daß sie das Volk selbst besäße, dann wäre die Masse des Volkes<lb/>
eine Masse von Sklaven gegenüber einer alles beherrschenden kasteuartig abge¬<lb/>
schlossenen Büreaukratie, die allein das Privilegium Hütte, denkend zu handeln.<lb/>
Diese Büreaukratie müßte kastenartig abgeschlossen sein, weil sie sich nicht<lb/>
aus dem Volke ergänzen könnte, ohne im Volke ein selbständiges Denken und<lb/>
Handeln erzeugt zu haben. Dann würde also die Sozialdemokratie zur<lb/>
Sklaverei des Volkes, zu seiner vollständigen Unterdrückung führen; dies wäre<lb/>
der wahrscheinlichste Fall, weil, wie gesagt, zu gemeinschaftlicher Arbeit eine<lb/>
stramme Disziplin notwendig wäre, also eine starke Herrschaft der Verwal¬<lb/>
tungsbehörden, wenn nicht heillose Verwirrung und ewiger Zank und Streit<lb/>
überhaupt jedes gemeinschaftliche Wirken unmöglich machen sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_574" next="#ID_575"> Es ist nun höchst unwahrscheinlich, daß in einem sozialdemokratischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0210] Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemokratischen Staates Wäre das Zinsuehmcu und Zinsgeben auch noch so streng verboten, so würden sich doch immer Leute finden, die Geld (Arbeitsbons) brauchen und dafür Zins zahlen oder Leistungen gewahren würden, und zwar heimlich, um sich die Quelle nicht zu verstopfen, aus der sie schöpfen. Würde es aber mit der Zeit eine genügende Anzahl von geheimen Zinsuehmern und Zinsgebern geben, dann wären sie auch imstande, einen solchen Einfluß auszuüben, daß das Zinsnehmen bald öffentlich erlaubt wäre. Wäre es also erlaubt, Privateigen¬ tum, mehr als zum unmittelbaren Gebrauche notwendig ist, anzusammeln, so wäre die schließliche Kapitalisirung kaum zu vermeiden; ohne ein solches Privat¬ eigentum wäre aber der Einzelne nichts mehr als ein willenloses Glied im Getriebe der Staatsmaschine. Entweder also der sozialdemokratische Staat unterdrückt den Selbständig¬ keitstrieb bei seinen Bürgern nicht, dann werden sich die selbständigsten Köpfe bald der Leitung des Staates bemächtigen und ihn über kurz oder lang dahin führen, wohin sie der Selbständigkeitstrieb ziehen wird, nämlich zur Schaffung eines Kapitals, um durch dieses andre zu beherrschen und selbst unabhängig zu sein. Natürlich werden sich alle selbständigen, findigen Köpfe nnter einander abfinden müssen, um stark genug zu sein, die unselbständigen zu unterdrücken und zu kapitalisiren, d. h. für sich arbeiten zu lassen. Oder aber der sozial¬ demokratische Staat unterdrückt alles selbständige Streben, preßt alle gleich¬ mäßig in die soziale Zwangsjacke, dann wird er innerlich versumpfen und verfaulen. Denn da die Masse des Volkes keine Selbständigkeit des Strebens haben wird, woher soll sie ihren Leitern kommen, die aus ihr hervorgehen, die in der Schule der Unselbständigkeit gedrillt worden sind? Der sozial¬ demokratische Staat wäre dann eine bloße Maschine ohne jede psychologische Triebkraft, deren Bestandteile sich allmählich abnutzen und verrosten würden, ohne daß jemand da wäre, der die Maschine verstünde, sie ausbessern oder gar verbessern könnte. Sollte aber die Selbständigkeit des Wirkens den Leitern des Volkes gewahrt bleiben, ohne daß sie das Volk selbst besäße, dann wäre die Masse des Volkes eine Masse von Sklaven gegenüber einer alles beherrschenden kasteuartig abge¬ schlossenen Büreaukratie, die allein das Privilegium Hütte, denkend zu handeln. Diese Büreaukratie müßte kastenartig abgeschlossen sein, weil sie sich nicht aus dem Volke ergänzen könnte, ohne im Volke ein selbständiges Denken und Handeln erzeugt zu haben. Dann würde also die Sozialdemokratie zur Sklaverei des Volkes, zu seiner vollständigen Unterdrückung führen; dies wäre der wahrscheinlichste Fall, weil, wie gesagt, zu gemeinschaftlicher Arbeit eine stramme Disziplin notwendig wäre, also eine starke Herrschaft der Verwal¬ tungsbehörden, wenn nicht heillose Verwirrung und ewiger Zank und Streit überhaupt jedes gemeinschaftliche Wirken unmöglich machen sollte. Es ist nun höchst unwahrscheinlich, daß in einem sozialdemokratischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/210
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/210>, abgerufen am 23.07.2024.