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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemokratischen Staates

Nehmen wir an, die Verteilung der äußern Glücksgüter würde streng nach
dem Maßstabe der Arbeit durchgeführt; nehmen wir selbst an, was manche
Sozialdemokraten nicht wollen, es fände nicht nur die Arbeitsmenge, sondern
auch ihr Wert für die allgemeinen Ziele der Gesellschaft seine volle Berück¬
sichtigung, und diese Grundsätze der Löhnung der Arbeit würden mit der makel¬
losesten Unparteilichkeit durchgeführt: nur die vollständigste Unkenntnis der
menschlichen Natur könnte dann glauben, den Anlaß zu aller Unzufriedenheit
aus der Welt geschafft zu haben. Mag ein Mensch noch so unparteiisch in
Beziehung auf andre sein, sich selbst wird er stets parteiisch beurteilen, und
uur in den seltensten Füllen wird diese Parteilichkeit zu seinen Ungunsten aus¬
fallen. Daher ist auch jeder Mensch uur zu geneigt, in jeder noch so unpar¬
teiischen Beurteilung seiner selbst durch andre eine Beeinträchtigung seiner
Verdienste zu Gunsten andrer zu sehen. Wie der sozialdemokratische Staat
durch den Neid geschaffen wäre, würde er auch durch den Neid wieder zu
Grunde gehen. Die in ihren tiefsten Tiefen aufgeregten Vergleichungsgefühle
eines jeden würden jedes Mehr an Gütern, das der andre besitzt, als eine
Beeinträchtigung ihrer selbst fühlen, als eine Verkennung ihrer Verdienste.
Und sie Hütten von ihrem Standpunkt aus gar nicht so Unrecht. Jeder leistet
so viel, als er seiner körperlichen, geistigen und vor allem sittlichen Be¬
schaffenheit nach leisten kann. Daß der Faule faul ist, liegt in seiner geistig
sittlichen Beschaffenheit und ihrem physischen Grunde. Was kann er dafür,
daß er faul ist? Weswegen soll er dafür darben, daß er seiner ganzen Natur
nach nicht anders als faul sein kaun, wie andre ihrer Natur nach thätig sein
müssen? Hebt man also den Begriff des Verdienstes auf, dann hat der Faule
das Recht, faul zu sein; begründet man aber diesen Begriff auf irgend eine
Art, dann wird jeder finden, daß er ein größeres Verdienst habe, als ihm
zuerkannt wird, und wenn das Verdienst das Hauptprinzip der Verteilung der
Güter ist, dann wird sie niemand als unparteiisch anerkennen, und Neid und
Haß werden das Ergebnis des rein auf dem Verdienst aufgebauten Staates
sein. Es kann kein Staat bestehen, worin nicht der bei weitem überwiegende
Teil seiner Bürger gelernt hat, sich mit seinem Teil zufrieden zu geben, mag
er auch nach seiner Meinung unter seinem Verdienste sein, wenn er ihm nur
die zur leiblichen und geistigen Gesundheit notwendigen Mittel bietet. Das
Verdienst zum Maßstab der Güterverteilung zu macheu, wird immer eine
psychologische Unmöglichkeit sein.

Und nun bedenke man, daß in einem sozialdemokratischen Staate wie
in jedem andern die Abschätzung des Verdienstes eines jeden nicht unpar¬
teiisch sein würde, daß aber infolge der gegenseitigen Kontrollirung jeder



Da es eine unmögliche Aufgabe für die Staatsorgane wäre, die Arbeit eines jeden
zu kontrolliren, so sollen diese nämlich im sozialdemokratischen Staate durch eine allgemeine
gegenseitige Kvntrollirung unterstützt "verden.
Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemokratischen Staates

Nehmen wir an, die Verteilung der äußern Glücksgüter würde streng nach
dem Maßstabe der Arbeit durchgeführt; nehmen wir selbst an, was manche
Sozialdemokraten nicht wollen, es fände nicht nur die Arbeitsmenge, sondern
auch ihr Wert für die allgemeinen Ziele der Gesellschaft seine volle Berück¬
sichtigung, und diese Grundsätze der Löhnung der Arbeit würden mit der makel¬
losesten Unparteilichkeit durchgeführt: nur die vollständigste Unkenntnis der
menschlichen Natur könnte dann glauben, den Anlaß zu aller Unzufriedenheit
aus der Welt geschafft zu haben. Mag ein Mensch noch so unparteiisch in
Beziehung auf andre sein, sich selbst wird er stets parteiisch beurteilen, und
uur in den seltensten Füllen wird diese Parteilichkeit zu seinen Ungunsten aus¬
fallen. Daher ist auch jeder Mensch uur zu geneigt, in jeder noch so unpar¬
teiischen Beurteilung seiner selbst durch andre eine Beeinträchtigung seiner
Verdienste zu Gunsten andrer zu sehen. Wie der sozialdemokratische Staat
durch den Neid geschaffen wäre, würde er auch durch den Neid wieder zu
Grunde gehen. Die in ihren tiefsten Tiefen aufgeregten Vergleichungsgefühle
eines jeden würden jedes Mehr an Gütern, das der andre besitzt, als eine
Beeinträchtigung ihrer selbst fühlen, als eine Verkennung ihrer Verdienste.
Und sie Hütten von ihrem Standpunkt aus gar nicht so Unrecht. Jeder leistet
so viel, als er seiner körperlichen, geistigen und vor allem sittlichen Be¬
schaffenheit nach leisten kann. Daß der Faule faul ist, liegt in seiner geistig
sittlichen Beschaffenheit und ihrem physischen Grunde. Was kann er dafür,
daß er faul ist? Weswegen soll er dafür darben, daß er seiner ganzen Natur
nach nicht anders als faul sein kaun, wie andre ihrer Natur nach thätig sein
müssen? Hebt man also den Begriff des Verdienstes auf, dann hat der Faule
das Recht, faul zu sein; begründet man aber diesen Begriff auf irgend eine
Art, dann wird jeder finden, daß er ein größeres Verdienst habe, als ihm
zuerkannt wird, und wenn das Verdienst das Hauptprinzip der Verteilung der
Güter ist, dann wird sie niemand als unparteiisch anerkennen, und Neid und
Haß werden das Ergebnis des rein auf dem Verdienst aufgebauten Staates
sein. Es kann kein Staat bestehen, worin nicht der bei weitem überwiegende
Teil seiner Bürger gelernt hat, sich mit seinem Teil zufrieden zu geben, mag
er auch nach seiner Meinung unter seinem Verdienste sein, wenn er ihm nur
die zur leiblichen und geistigen Gesundheit notwendigen Mittel bietet. Das
Verdienst zum Maßstab der Güterverteilung zu macheu, wird immer eine
psychologische Unmöglichkeit sein.

Und nun bedenke man, daß in einem sozialdemokratischen Staate wie
in jedem andern die Abschätzung des Verdienstes eines jeden nicht unpar¬
teiisch sein würde, daß aber infolge der gegenseitigen Kontrollirung jeder



Da es eine unmögliche Aufgabe für die Staatsorgane wäre, die Arbeit eines jeden
zu kontrolliren, so sollen diese nämlich im sozialdemokratischen Staate durch eine allgemeine
gegenseitige Kvntrollirung unterstützt »verden.
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[0206] Die psychologische Unmöglichkeit eines sozialdemokratischen Staates Nehmen wir an, die Verteilung der äußern Glücksgüter würde streng nach dem Maßstabe der Arbeit durchgeführt; nehmen wir selbst an, was manche Sozialdemokraten nicht wollen, es fände nicht nur die Arbeitsmenge, sondern auch ihr Wert für die allgemeinen Ziele der Gesellschaft seine volle Berück¬ sichtigung, und diese Grundsätze der Löhnung der Arbeit würden mit der makel¬ losesten Unparteilichkeit durchgeführt: nur die vollständigste Unkenntnis der menschlichen Natur könnte dann glauben, den Anlaß zu aller Unzufriedenheit aus der Welt geschafft zu haben. Mag ein Mensch noch so unparteiisch in Beziehung auf andre sein, sich selbst wird er stets parteiisch beurteilen, und uur in den seltensten Füllen wird diese Parteilichkeit zu seinen Ungunsten aus¬ fallen. Daher ist auch jeder Mensch uur zu geneigt, in jeder noch so unpar¬ teiischen Beurteilung seiner selbst durch andre eine Beeinträchtigung seiner Verdienste zu Gunsten andrer zu sehen. Wie der sozialdemokratische Staat durch den Neid geschaffen wäre, würde er auch durch den Neid wieder zu Grunde gehen. Die in ihren tiefsten Tiefen aufgeregten Vergleichungsgefühle eines jeden würden jedes Mehr an Gütern, das der andre besitzt, als eine Beeinträchtigung ihrer selbst fühlen, als eine Verkennung ihrer Verdienste. Und sie Hütten von ihrem Standpunkt aus gar nicht so Unrecht. Jeder leistet so viel, als er seiner körperlichen, geistigen und vor allem sittlichen Be¬ schaffenheit nach leisten kann. Daß der Faule faul ist, liegt in seiner geistig sittlichen Beschaffenheit und ihrem physischen Grunde. Was kann er dafür, daß er faul ist? Weswegen soll er dafür darben, daß er seiner ganzen Natur nach nicht anders als faul sein kaun, wie andre ihrer Natur nach thätig sein müssen? Hebt man also den Begriff des Verdienstes auf, dann hat der Faule das Recht, faul zu sein; begründet man aber diesen Begriff auf irgend eine Art, dann wird jeder finden, daß er ein größeres Verdienst habe, als ihm zuerkannt wird, und wenn das Verdienst das Hauptprinzip der Verteilung der Güter ist, dann wird sie niemand als unparteiisch anerkennen, und Neid und Haß werden das Ergebnis des rein auf dem Verdienst aufgebauten Staates sein. Es kann kein Staat bestehen, worin nicht der bei weitem überwiegende Teil seiner Bürger gelernt hat, sich mit seinem Teil zufrieden zu geben, mag er auch nach seiner Meinung unter seinem Verdienste sein, wenn er ihm nur die zur leiblichen und geistigen Gesundheit notwendigen Mittel bietet. Das Verdienst zum Maßstab der Güterverteilung zu macheu, wird immer eine psychologische Unmöglichkeit sein. Und nun bedenke man, daß in einem sozialdemokratischen Staate wie in jedem andern die Abschätzung des Verdienstes eines jeden nicht unpar¬ teiisch sein würde, daß aber infolge der gegenseitigen Kontrollirung jeder Da es eine unmögliche Aufgabe für die Staatsorgane wäre, die Arbeit eines jeden zu kontrolliren, so sollen diese nämlich im sozialdemokratischen Staate durch eine allgemeine gegenseitige Kvntrollirung unterstützt »verden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/206>, abgerufen am 26.08.2024.