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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Deutschen Oswald Acheilbach, Flaum, Leu, Lutteroth und andern, die Neapel
ganz anders gesehen haben als er. Braneaceio scheint mit Absicht jeder melo¬
dramatischen Neigung, jeder Verlockung zum Pittoresken und Romantischen
ans dem Wege zu gehen. Was die deutschen Maler in zauberischer, nicht
allzu häufig dem Auge sich darbietender Beleuchtung sehen nud darstellen,
betrachtet er und giebt er wieder als nüchterner Alltagsmensch, in dessen
Rechnung die Zahl der Wochentage die der Festtage übersteigt. Seine An¬
sichten vom Golf von Neapel, seine Blicke vom Meeresufer ans die Stadt,
seine neapolitanischen Straßenbilder sind, soviel wir gesehen haben, ohne Aus¬
nahme Tageslandschaften: kein flanunenspeiendcr Vesuv, kein Sonnenuntergang
mit allen Farben des Spektrums von Orange bis zum absterbenden Violett,
kein Mondcsglanz, kein Feuerwerk, kein elektrisches Licht und keine Gaslaternen.
Entweder ein grnublaner, von der Hitze flimmernder oder ein leichtbewölkter
Himmel, bisweilen much eine aschgraue Negenstimmung oder ein stark von
Fußgängern und Wagen belebtes Strnßenbild nach dem Regen. Ebensowenig,
wie diese Landschaften mit den poetischen Schöpfungen der deutschen Maler
etwas gemein haben, nähern sie sich den: schummerigen Stil der französischen
Stimmnngsmaler oder der skizzenhaften, mit bloßen Andentungen des Tons
sich begnügenden Manier der Impressionisten. Brcmeaecio giebt die Einzel¬
heiten, die Lokalfarben aller Steine, aus denen sich das bunte Mosaik eines
Landschaftsbildes zusammensetzt, fest und bestimmt wieder, mit der geistreichen
Spitzpinselei, die Fortnnh den Spaniern und den Italienern gleich geläufig
gemacht hat, und nicht allein diesen, sondern auch einzelnen dentschen Malern,
die sich neuerdings der Schilderung des italienischen Volkslebens auf der Straße
oder in breiter landschaftlicher Umgebung beflissen haben. Ein charakteristisches
Beispiel dafür hat unsre Ausstellung in einem Bilde von Adolf Leonhard
Müller aus Kassel auszuweisen: einer Partie vom Golf von Neapel, der Villa
Nazionale mit seinem Wagenkorso und dem Getriebe von Spaziergängern,
Händlern, Ausrufern u. f. w. an einen: sonnigen Spätnachmittage im Frühjahr.
Mitten unter den Wagen der des italienischen Königspaares, dem viele der
Begegnenden ihre Grüße darbringen, manche auch mich der Gewohnheit des
Südländers, der sich nicht so leicht aus seiner Ruhe und Bequemlichkeit auf¬
stören läßt, den Rücken lehren. Nur in der feinen Durchbildung der in ein¬
ander verschmolzenen Lufttöne und Luftschwingnugen erkennt man "och den
Deutschen, insbesondre den Düsseldorfer. Aber die Charakteristik der zahl¬
reichen Figuren, die prickelnde Lebendigkeit in der Zeichnung der hellen Um¬
risse, die entschlossene Buntfarbigkeit in allem, was an der Erde haftet, sind
die Eigentümlichkeiten der modernen italienischen Schule, die ein junger, frisch
und unbefangen blickender Mann in sich aufgenommen hat, weil sie offenbar
mit seiner eignen Wahrnehiuuug übereinstimmen.

Da der Italiener und der Spanier die ruhige Stimmungslaudschaft im


Deutschen Oswald Acheilbach, Flaum, Leu, Lutteroth und andern, die Neapel
ganz anders gesehen haben als er. Braneaceio scheint mit Absicht jeder melo¬
dramatischen Neigung, jeder Verlockung zum Pittoresken und Romantischen
ans dem Wege zu gehen. Was die deutschen Maler in zauberischer, nicht
allzu häufig dem Auge sich darbietender Beleuchtung sehen nud darstellen,
betrachtet er und giebt er wieder als nüchterner Alltagsmensch, in dessen
Rechnung die Zahl der Wochentage die der Festtage übersteigt. Seine An¬
sichten vom Golf von Neapel, seine Blicke vom Meeresufer ans die Stadt,
seine neapolitanischen Straßenbilder sind, soviel wir gesehen haben, ohne Aus¬
nahme Tageslandschaften: kein flanunenspeiendcr Vesuv, kein Sonnenuntergang
mit allen Farben des Spektrums von Orange bis zum absterbenden Violett,
kein Mondcsglanz, kein Feuerwerk, kein elektrisches Licht und keine Gaslaternen.
Entweder ein grnublaner, von der Hitze flimmernder oder ein leichtbewölkter
Himmel, bisweilen much eine aschgraue Negenstimmung oder ein stark von
Fußgängern und Wagen belebtes Strnßenbild nach dem Regen. Ebensowenig,
wie diese Landschaften mit den poetischen Schöpfungen der deutschen Maler
etwas gemein haben, nähern sie sich den: schummerigen Stil der französischen
Stimmnngsmaler oder der skizzenhaften, mit bloßen Andentungen des Tons
sich begnügenden Manier der Impressionisten. Brcmeaecio giebt die Einzel¬
heiten, die Lokalfarben aller Steine, aus denen sich das bunte Mosaik eines
Landschaftsbildes zusammensetzt, fest und bestimmt wieder, mit der geistreichen
Spitzpinselei, die Fortnnh den Spaniern und den Italienern gleich geläufig
gemacht hat, und nicht allein diesen, sondern auch einzelnen dentschen Malern,
die sich neuerdings der Schilderung des italienischen Volkslebens auf der Straße
oder in breiter landschaftlicher Umgebung beflissen haben. Ein charakteristisches
Beispiel dafür hat unsre Ausstellung in einem Bilde von Adolf Leonhard
Müller aus Kassel auszuweisen: einer Partie vom Golf von Neapel, der Villa
Nazionale mit seinem Wagenkorso und dem Getriebe von Spaziergängern,
Händlern, Ausrufern u. f. w. an einen: sonnigen Spätnachmittage im Frühjahr.
Mitten unter den Wagen der des italienischen Königspaares, dem viele der
Begegnenden ihre Grüße darbringen, manche auch mich der Gewohnheit des
Südländers, der sich nicht so leicht aus seiner Ruhe und Bequemlichkeit auf¬
stören läßt, den Rücken lehren. Nur in der feinen Durchbildung der in ein¬
ander verschmolzenen Lufttöne und Luftschwingnugen erkennt man »och den
Deutschen, insbesondre den Düsseldorfer. Aber die Charakteristik der zahl¬
reichen Figuren, die prickelnde Lebendigkeit in der Zeichnung der hellen Um¬
risse, die entschlossene Buntfarbigkeit in allem, was an der Erde haftet, sind
die Eigentümlichkeiten der modernen italienischen Schule, die ein junger, frisch
und unbefangen blickender Mann in sich aufgenommen hat, weil sie offenbar
mit seiner eignen Wahrnehiuuug übereinstimmen.

Da der Italiener und der Spanier die ruhige Stimmungslaudschaft im


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[0133] Deutschen Oswald Acheilbach, Flaum, Leu, Lutteroth und andern, die Neapel ganz anders gesehen haben als er. Braneaceio scheint mit Absicht jeder melo¬ dramatischen Neigung, jeder Verlockung zum Pittoresken und Romantischen ans dem Wege zu gehen. Was die deutschen Maler in zauberischer, nicht allzu häufig dem Auge sich darbietender Beleuchtung sehen nud darstellen, betrachtet er und giebt er wieder als nüchterner Alltagsmensch, in dessen Rechnung die Zahl der Wochentage die der Festtage übersteigt. Seine An¬ sichten vom Golf von Neapel, seine Blicke vom Meeresufer ans die Stadt, seine neapolitanischen Straßenbilder sind, soviel wir gesehen haben, ohne Aus¬ nahme Tageslandschaften: kein flanunenspeiendcr Vesuv, kein Sonnenuntergang mit allen Farben des Spektrums von Orange bis zum absterbenden Violett, kein Mondcsglanz, kein Feuerwerk, kein elektrisches Licht und keine Gaslaternen. Entweder ein grnublaner, von der Hitze flimmernder oder ein leichtbewölkter Himmel, bisweilen much eine aschgraue Negenstimmung oder ein stark von Fußgängern und Wagen belebtes Strnßenbild nach dem Regen. Ebensowenig, wie diese Landschaften mit den poetischen Schöpfungen der deutschen Maler etwas gemein haben, nähern sie sich den: schummerigen Stil der französischen Stimmnngsmaler oder der skizzenhaften, mit bloßen Andentungen des Tons sich begnügenden Manier der Impressionisten. Brcmeaecio giebt die Einzel¬ heiten, die Lokalfarben aller Steine, aus denen sich das bunte Mosaik eines Landschaftsbildes zusammensetzt, fest und bestimmt wieder, mit der geistreichen Spitzpinselei, die Fortnnh den Spaniern und den Italienern gleich geläufig gemacht hat, und nicht allein diesen, sondern auch einzelnen dentschen Malern, die sich neuerdings der Schilderung des italienischen Volkslebens auf der Straße oder in breiter landschaftlicher Umgebung beflissen haben. Ein charakteristisches Beispiel dafür hat unsre Ausstellung in einem Bilde von Adolf Leonhard Müller aus Kassel auszuweisen: einer Partie vom Golf von Neapel, der Villa Nazionale mit seinem Wagenkorso und dem Getriebe von Spaziergängern, Händlern, Ausrufern u. f. w. an einen: sonnigen Spätnachmittage im Frühjahr. Mitten unter den Wagen der des italienischen Königspaares, dem viele der Begegnenden ihre Grüße darbringen, manche auch mich der Gewohnheit des Südländers, der sich nicht so leicht aus seiner Ruhe und Bequemlichkeit auf¬ stören läßt, den Rücken lehren. Nur in der feinen Durchbildung der in ein¬ ander verschmolzenen Lufttöne und Luftschwingnugen erkennt man »och den Deutschen, insbesondre den Düsseldorfer. Aber die Charakteristik der zahl¬ reichen Figuren, die prickelnde Lebendigkeit in der Zeichnung der hellen Um¬ risse, die entschlossene Buntfarbigkeit in allem, was an der Erde haftet, sind die Eigentümlichkeiten der modernen italienischen Schule, die ein junger, frisch und unbefangen blickender Mann in sich aufgenommen hat, weil sie offenbar mit seiner eignen Wahrnehiuuug übereinstimmen. Da der Italiener und der Spanier die ruhige Stimmungslaudschaft im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/133>, abgerufen am 26.08.2024.