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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die internationale Annstansstellnng in Berlin

Gcirard, von Canova, Chaudet und Pradier in die Welt gesetzt haben, füllt
einen der ödesten Abschnitte der Geschichte der neuern Kunst. Es ist wohl
mir ein Zufall, aber doch ein merkwürdiger, daß das Ansehen der französischen
.Kunst akademischer Richtung in Italien gerade nur die Zeit ins Wanken geriet,
als der dritte Napoleon seinen kriegerischen Ruhm in Oberitalien aufzufrischen
suchte. Die damalige Stimmung im lombardischen wie im venezianischen
Königreiche war überwiegend frauzvsenfrenndlich, und nur wenige italienische
Patrioten haben damals Trauer empfunden, daß ein zweideutiger Abenteurer
die Führung in dein Kampfe um die italienische Einheit übernahm. Es ist
much eine durchaus falsche Vorstellung, wenn man glaubt, daß Umwälzungen
in der Kunstanschauung, in den künstlerischen Idealen und in der künstlerischen
Technik eines Volkes durch politische Ereignisse, durch siegreiche oder unglück¬
liche Kriege, durch Stärkung oder Schwüchnng des Nativunlgefühls herbei¬
geführt würden. Die künstlerische Bewegung ist -- das haben wir an uns
selbst in diesen zwei Jahrzehnten seit 1870 erfahre" -- von den großen Er¬
eignissen der Zeitgeschichte völlig unabhängig. Der Einfluß der unmittelbar
vorhergegangenen oder gleichzeitigen Vorgänge der politischen und Kultur¬
geschichte ist nur insofern bemerklich, als er sich in der Wahl der Stoffe
kundgiebt und -- je nachdem ein wirtschaftlicher Aufschwung oder ein wirt¬
schaftlicher Rückgang erfolgt ist -- auch auf das materielle Gedeihen der Kunst
und der Künstler, auf Angebot und Nachfrage einwirkt. Wahrhafte Fort¬
schritte, Umwälzungen und Erneuerungen der Kunst sind -- das lehrt uns
wenn auch nicht jedes Handbuch der Kunstgeschichte, so doch die unbefangene
Betrachtung der Kuustdeukmüler -- immer nur durch die Fortschritte und die
weitere Entwicklung des künstlerischen Handwerks, nicht durch neue Gedanken,
dnrch litterarische Bemühungen, sozialpolitische Strömungen, enthusiastische
Äußerungen des Nationalgefühls herbeigeführt worden. Alle philosophischen
Erörterungen für und wider werden durch den Grundsatz der praktischen
Ästhetik widerlegt, daß Kunst von Können kommt.

Da wir hier keine Kunstgeschichte zu lehren haben, mag ein Beispiel,
vielleicht das um meisten entscheidende, genügen. Wenn wir die Geschichte
der Welt nur von oben her betrachten, ohne in die geheimen Gänge des
langsamen Keimens und Werdens einzudringen, werden wir zu der wohl
allgemein giltigen Meinung gelangen, daß keine Umwälzung in religiösen,
politischen und sozialen Anschauungen die Welt so gründlich umgestaltet habe,
wie der endliche Sieg des Christentums über den Polytheismus des römisch-
griechischen Weltreichs. Diese Umwälzung hat aber nicht den geringsten Ein¬
fluß auf eine Umgestaltung der bildenden Künste durch den Geist des Christen¬
tums geübt. Die Motive und der Inhalt der Kunstdarstellungen änderten sich;
aber die Formensprache blieb die der gleichzeitigen heidnischen Kunst, weil das
künstlerische Handwerk in dem Boden der Überlieferung wurzelt, uicht ans


Die internationale Annstansstellnng in Berlin

Gcirard, von Canova, Chaudet und Pradier in die Welt gesetzt haben, füllt
einen der ödesten Abschnitte der Geschichte der neuern Kunst. Es ist wohl
mir ein Zufall, aber doch ein merkwürdiger, daß das Ansehen der französischen
.Kunst akademischer Richtung in Italien gerade nur die Zeit ins Wanken geriet,
als der dritte Napoleon seinen kriegerischen Ruhm in Oberitalien aufzufrischen
suchte. Die damalige Stimmung im lombardischen wie im venezianischen
Königreiche war überwiegend frauzvsenfrenndlich, und nur wenige italienische
Patrioten haben damals Trauer empfunden, daß ein zweideutiger Abenteurer
die Führung in dein Kampfe um die italienische Einheit übernahm. Es ist
much eine durchaus falsche Vorstellung, wenn man glaubt, daß Umwälzungen
in der Kunstanschauung, in den künstlerischen Idealen und in der künstlerischen
Technik eines Volkes durch politische Ereignisse, durch siegreiche oder unglück¬
liche Kriege, durch Stärkung oder Schwüchnng des Nativunlgefühls herbei¬
geführt würden. Die künstlerische Bewegung ist — das haben wir an uns
selbst in diesen zwei Jahrzehnten seit 1870 erfahre« — von den großen Er¬
eignissen der Zeitgeschichte völlig unabhängig. Der Einfluß der unmittelbar
vorhergegangenen oder gleichzeitigen Vorgänge der politischen und Kultur¬
geschichte ist nur insofern bemerklich, als er sich in der Wahl der Stoffe
kundgiebt und — je nachdem ein wirtschaftlicher Aufschwung oder ein wirt¬
schaftlicher Rückgang erfolgt ist — auch auf das materielle Gedeihen der Kunst
und der Künstler, auf Angebot und Nachfrage einwirkt. Wahrhafte Fort¬
schritte, Umwälzungen und Erneuerungen der Kunst sind — das lehrt uns
wenn auch nicht jedes Handbuch der Kunstgeschichte, so doch die unbefangene
Betrachtung der Kuustdeukmüler — immer nur durch die Fortschritte und die
weitere Entwicklung des künstlerischen Handwerks, nicht durch neue Gedanken,
dnrch litterarische Bemühungen, sozialpolitische Strömungen, enthusiastische
Äußerungen des Nationalgefühls herbeigeführt worden. Alle philosophischen
Erörterungen für und wider werden durch den Grundsatz der praktischen
Ästhetik widerlegt, daß Kunst von Können kommt.

Da wir hier keine Kunstgeschichte zu lehren haben, mag ein Beispiel,
vielleicht das um meisten entscheidende, genügen. Wenn wir die Geschichte
der Welt nur von oben her betrachten, ohne in die geheimen Gänge des
langsamen Keimens und Werdens einzudringen, werden wir zu der wohl
allgemein giltigen Meinung gelangen, daß keine Umwälzung in religiösen,
politischen und sozialen Anschauungen die Welt so gründlich umgestaltet habe,
wie der endliche Sieg des Christentums über den Polytheismus des römisch-
griechischen Weltreichs. Diese Umwälzung hat aber nicht den geringsten Ein¬
fluß auf eine Umgestaltung der bildenden Künste durch den Geist des Christen¬
tums geübt. Die Motive und der Inhalt der Kunstdarstellungen änderten sich;
aber die Formensprache blieb die der gleichzeitigen heidnischen Kunst, weil das
künstlerische Handwerk in dem Boden der Überlieferung wurzelt, uicht ans


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/130>, abgerufen am 23.07.2024.