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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Der Landwucher

Lockung zu wucherischer Ausbeutung gegeben ist. Wenn nun der neue Gläu¬
biger dafür, daß er den ältern befriedigt, sich Wuchervvrteile gewähren läßt,
so hat er gegen das Gesetz weder nach seinem, Wortlaut noch nach seinem
Wortsinn verstoßen; denn er hat dem Schuldner ein Darlehn (ein neues näm¬
lich) nicht gewährt, ihm auch keine (ihm, dem Wucherer, schon zustehende) Geld¬
forderung gestundet. Man muß sogar bezweifeln, ob dann, wenn der Schuldner
die Forderung zunächst selbst ausgezahlt und auf seinen eignen Namen im
Grundbuch hat umschreiben lassen, sie aber darauf in Geldnot unter Zu¬
billigung von Wuchervorteilen an einen andern abtritt, im rechtlichen Sinne
ein Darlehn vorlüge, also eine Anwendung des Wuchergesetzes möglich erschiene.
Niemand wird aber bestreiten wollen, daß in allen diesen Fällen, vom Stand¬
punkt des Laien und auch vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus betrachtet,
das Rechtsgeschäft einem Darlehnsgeschäft so ähnlich sieht, wie ein El dem
andern. Darum ist wohl mit Sicherheit auf eine baldige Ausdehnung des
Wucherparagraphen zu rechnen, die diese Ähnlichkeit berücksichtigt. Aber noch
ganz andre versteckte und dunkle Wege, als die eben beleuchteten, hat der
Eigennutz ausfindig gemacht, um seine für eigentliche Darlehnsgeschäfte nicht
mehr verwendbare "Arbeit" in andrer Weise fruchtbar zu machen. Nach
wenigen Jahren schon erkannten die, die diese Angelegenheit aufmerksam ver¬
folgten, mit Schrecken, daß sich eine neue Art der Wucherblume in üppigster
Weise entfaltet hatte, nämlich der Landwucher (auch Grundstückswucher ge¬
nannt). Ich glaube nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß der Landwucher
uoch vor wenigen Jahren in keinem Konversationslexikon oder staatswissen¬
schaftlicher Wörterbuche Aufnahme gefunden hatte, weil er eben in besonders
hervorstechenden Grade sich nicht gezeigt,, sich noch nicht breit gemacht hatte.
Im Vergleich zu dem eigentlichen "Geldwucher," womit ich nnr der Kürze
wegen den unter § 132 a ff des Strafgesetzbuchs fallenden Wucher bezeichnen
will, obwohl das Geld bei jedem Wucher sowohl Mittel als Zweck darstellt,
ist der Landwucher das verzwicktere Geschäft, das sich oft wie ein Polyp mit
seinen Fangarmen ans vielen andern Einzelgeschäften zusammensetzt. Da heißt
es nicht bloß: schreiben und schreiben lassen, seien es Wechsel oder Quittungen,
sondern zum Landwncherer "wills Grütz -- auch gehört dazu ein eignes
Nationalgenie" -- so möchte man dem Räuber Spiegelberg nachsprechen.
Schlauheit und Geriebenheit und die geeignete Spürnase für die Ausfindig-
mnchung des zu erlegenden Wildes, besonders aber eine große Umsicht und
eine eingehende Kenntnis der Wirksamkeit der verschiedenen von den Gesetzen
dargebotenen Nechtsbehelfe zur Fesselung eines Schuldners sind die Erforder¬
nisse. Man kann billig bezweifeln, ob der Deutsche bei einer gewissen ange-
bornen Schwerfälligkeit befähigt genug gewesen wäre, in unserm Vaterlande
jenes neue Schlinggewächs zur Entwicklung zu bringe", wenn nicht ein fremder
eingewanderter Volksstnmm, der die dazu nötigen Eigenschaften besitzt, die


Der Landwucher

Lockung zu wucherischer Ausbeutung gegeben ist. Wenn nun der neue Gläu¬
biger dafür, daß er den ältern befriedigt, sich Wuchervvrteile gewähren läßt,
so hat er gegen das Gesetz weder nach seinem, Wortlaut noch nach seinem
Wortsinn verstoßen; denn er hat dem Schuldner ein Darlehn (ein neues näm¬
lich) nicht gewährt, ihm auch keine (ihm, dem Wucherer, schon zustehende) Geld¬
forderung gestundet. Man muß sogar bezweifeln, ob dann, wenn der Schuldner
die Forderung zunächst selbst ausgezahlt und auf seinen eignen Namen im
Grundbuch hat umschreiben lassen, sie aber darauf in Geldnot unter Zu¬
billigung von Wuchervorteilen an einen andern abtritt, im rechtlichen Sinne
ein Darlehn vorlüge, also eine Anwendung des Wuchergesetzes möglich erschiene.
Niemand wird aber bestreiten wollen, daß in allen diesen Fällen, vom Stand¬
punkt des Laien und auch vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus betrachtet,
das Rechtsgeschäft einem Darlehnsgeschäft so ähnlich sieht, wie ein El dem
andern. Darum ist wohl mit Sicherheit auf eine baldige Ausdehnung des
Wucherparagraphen zu rechnen, die diese Ähnlichkeit berücksichtigt. Aber noch
ganz andre versteckte und dunkle Wege, als die eben beleuchteten, hat der
Eigennutz ausfindig gemacht, um seine für eigentliche Darlehnsgeschäfte nicht
mehr verwendbare „Arbeit" in andrer Weise fruchtbar zu machen. Nach
wenigen Jahren schon erkannten die, die diese Angelegenheit aufmerksam ver¬
folgten, mit Schrecken, daß sich eine neue Art der Wucherblume in üppigster
Weise entfaltet hatte, nämlich der Landwucher (auch Grundstückswucher ge¬
nannt). Ich glaube nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß der Landwucher
uoch vor wenigen Jahren in keinem Konversationslexikon oder staatswissen¬
schaftlicher Wörterbuche Aufnahme gefunden hatte, weil er eben in besonders
hervorstechenden Grade sich nicht gezeigt,, sich noch nicht breit gemacht hatte.
Im Vergleich zu dem eigentlichen „Geldwucher," womit ich nnr der Kürze
wegen den unter § 132 a ff des Strafgesetzbuchs fallenden Wucher bezeichnen
will, obwohl das Geld bei jedem Wucher sowohl Mittel als Zweck darstellt,
ist der Landwucher das verzwicktere Geschäft, das sich oft wie ein Polyp mit
seinen Fangarmen ans vielen andern Einzelgeschäften zusammensetzt. Da heißt
es nicht bloß: schreiben und schreiben lassen, seien es Wechsel oder Quittungen,
sondern zum Landwncherer „wills Grütz — auch gehört dazu ein eignes
Nationalgenie" — so möchte man dem Räuber Spiegelberg nachsprechen.
Schlauheit und Geriebenheit und die geeignete Spürnase für die Ausfindig-
mnchung des zu erlegenden Wildes, besonders aber eine große Umsicht und
eine eingehende Kenntnis der Wirksamkeit der verschiedenen von den Gesetzen
dargebotenen Nechtsbehelfe zur Fesselung eines Schuldners sind die Erforder¬
nisse. Man kann billig bezweifeln, ob der Deutsche bei einer gewissen ange-
bornen Schwerfälligkeit befähigt genug gewesen wäre, in unserm Vaterlande
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eingewanderter Volksstnmm, der die dazu nötigen Eigenschaften besitzt, die


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[0128] Der Landwucher Lockung zu wucherischer Ausbeutung gegeben ist. Wenn nun der neue Gläu¬ biger dafür, daß er den ältern befriedigt, sich Wuchervvrteile gewähren läßt, so hat er gegen das Gesetz weder nach seinem, Wortlaut noch nach seinem Wortsinn verstoßen; denn er hat dem Schuldner ein Darlehn (ein neues näm¬ lich) nicht gewährt, ihm auch keine (ihm, dem Wucherer, schon zustehende) Geld¬ forderung gestundet. Man muß sogar bezweifeln, ob dann, wenn der Schuldner die Forderung zunächst selbst ausgezahlt und auf seinen eignen Namen im Grundbuch hat umschreiben lassen, sie aber darauf in Geldnot unter Zu¬ billigung von Wuchervorteilen an einen andern abtritt, im rechtlichen Sinne ein Darlehn vorlüge, also eine Anwendung des Wuchergesetzes möglich erschiene. Niemand wird aber bestreiten wollen, daß in allen diesen Fällen, vom Stand¬ punkt des Laien und auch vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus betrachtet, das Rechtsgeschäft einem Darlehnsgeschäft so ähnlich sieht, wie ein El dem andern. Darum ist wohl mit Sicherheit auf eine baldige Ausdehnung des Wucherparagraphen zu rechnen, die diese Ähnlichkeit berücksichtigt. Aber noch ganz andre versteckte und dunkle Wege, als die eben beleuchteten, hat der Eigennutz ausfindig gemacht, um seine für eigentliche Darlehnsgeschäfte nicht mehr verwendbare „Arbeit" in andrer Weise fruchtbar zu machen. Nach wenigen Jahren schon erkannten die, die diese Angelegenheit aufmerksam ver¬ folgten, mit Schrecken, daß sich eine neue Art der Wucherblume in üppigster Weise entfaltet hatte, nämlich der Landwucher (auch Grundstückswucher ge¬ nannt). Ich glaube nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß der Landwucher uoch vor wenigen Jahren in keinem Konversationslexikon oder staatswissen¬ schaftlicher Wörterbuche Aufnahme gefunden hatte, weil er eben in besonders hervorstechenden Grade sich nicht gezeigt,, sich noch nicht breit gemacht hatte. Im Vergleich zu dem eigentlichen „Geldwucher," womit ich nnr der Kürze wegen den unter § 132 a ff des Strafgesetzbuchs fallenden Wucher bezeichnen will, obwohl das Geld bei jedem Wucher sowohl Mittel als Zweck darstellt, ist der Landwucher das verzwicktere Geschäft, das sich oft wie ein Polyp mit seinen Fangarmen ans vielen andern Einzelgeschäften zusammensetzt. Da heißt es nicht bloß: schreiben und schreiben lassen, seien es Wechsel oder Quittungen, sondern zum Landwncherer „wills Grütz — auch gehört dazu ein eignes Nationalgenie" — so möchte man dem Räuber Spiegelberg nachsprechen. Schlauheit und Geriebenheit und die geeignete Spürnase für die Ausfindig- mnchung des zu erlegenden Wildes, besonders aber eine große Umsicht und eine eingehende Kenntnis der Wirksamkeit der verschiedenen von den Gesetzen dargebotenen Nechtsbehelfe zur Fesselung eines Schuldners sind die Erforder¬ nisse. Man kann billig bezweifeln, ob der Deutsche bei einer gewissen ange- bornen Schwerfälligkeit befähigt genug gewesen wäre, in unserm Vaterlande jenes neue Schlinggewächs zur Entwicklung zu bringe», wenn nicht ein fremder eingewanderter Volksstnmm, der die dazu nötigen Eigenschaften besitzt, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/128>, abgerufen am 23.07.2024.