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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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wer hat Recht?

Predigt gegen die Sozialdemokraten und gegen ihre verkappten Freunde und
Gönner losgelassen. Daß die Ziele der Sozialdemokratie so aussehen, wie sie
hier nach den Programmen der Partei dargestellt werden, leugnet kein Mensch;
auch der dieser Tage erschienene neue Programmentwnrf ändert trotz einiger
Abschwächungen nichts wesentliches daran; und daß diese Endziele verwerflich
seien, darüber besteht wenigstens unter den Lesern der Grenzboten kein Streit.
Nur fragt mau sich eiuigermnßen verwundert, wozu solche Dinge wiederholt
werden, die jedermann weiß und niemand bestreitet. Freilich giebt der Ver¬
sasser eine Antwort auf diese Frage: er will durch den Hinweis auf das
Wesen der Sozialdemokrntie vor der optimistischen Meinung warnen, die
Münchner Rede Vollmars bedeute einen Anfang der Bekehrung seiner Partei
zur Vernunft, und er will die Leser zur Annahme seines Schlußsatzes bewegen:
"Wenn die Sozialdemokratie irgend eine heilsame Bedeutung heutzutage hat,
so ist es die, daß sie die verschiednen bürgerlichen und kirchlichen Parteien,
die Liebe zum Vaterlande haben, zum Kampf gegen die revolutionäre Partei
zum Ganzen eint." (Vor "zum Ganzen" scheint "hoffentlich" zu fehlen.)
Allein diese Zwecknngabe genügt nicht. Über den Kampf gegen die Svzinl-
demvkmtie ist nun schon eine Bibliothek von vielen tausend Bänden geschrieben
worden, und wenn ein neuer Rufer zum Streit auf den Kampfplatz tritt, so
hat er keine Aussicht, von den des ewigen Liedes müden Ohren gehört zu
werden, wenn er nicht entweder einen neuen Feldzugsplan vorschlägt oder
wenigstens sagt, uach welchem der schon vorhandnen Pläne er die aufgerufenen
Truppen zu führen gedenkt. Die vorhandnen Pläne lassen sich in zwei
Hauptgruppen scheiden. Auf der einen Seite stimmt man bei vielfältiger
Meinungsverschiedenheit im einzelnen doch der Hauptsache uach darin überein,
daß nicht sowohl die Sozialdemokraten, als die sozialen Übel zu bekämpfen
seien, und daß mit der Beseitigung der Ursachen zur Unzufriedenheit diese
selbst schwinden werde samt den revolutionären Bestrebungen, die aus ihr
hervorgehen. Den Männern dieser Seite schwebt die Mahnung des Apostels
vor, man solle das Böse durch das Gute überwinden. Und da soziale Übel
nicht zu Heilen sind, ohne daß der Arzt mit deu Menschen, die daran leiden,
in Verkehr tritt, so ergiebt sich aus diesem Programm die Notwendigkeit von
Unterhandlungen mit den Arbeitern, d. h. mit den Sozialdemokraten, denn die
meisten Arbeiter sind eben leider schon Sozialdemokraten. Indem nun aber
der Verfasser vor solchen Unterhandlungen ausdrücklich warnt, scheint er diese
Methode zu verwerfen, und wenn wir ihn recht verstehen, hat sein Aufsatz
den Zweck, die bürgerlichen und kirchlichen Parteien zu einem Kampfe nach
dein entgegengesetzten Programm zu einigen, d. h. er scheint die gewaltsame
Unterdrückung der Arbeiterbewegung empfehlen zu wollen. Denn daß er unter
dem Kampfe die Abfassung solcher Kampfartikel, wie der seinige einer ist, ver¬
stehen sollte, können wir kaum glauben; daß solche Artikel in den feindlichen


wer hat Recht?

Predigt gegen die Sozialdemokraten und gegen ihre verkappten Freunde und
Gönner losgelassen. Daß die Ziele der Sozialdemokratie so aussehen, wie sie
hier nach den Programmen der Partei dargestellt werden, leugnet kein Mensch;
auch der dieser Tage erschienene neue Programmentwnrf ändert trotz einiger
Abschwächungen nichts wesentliches daran; und daß diese Endziele verwerflich
seien, darüber besteht wenigstens unter den Lesern der Grenzboten kein Streit.
Nur fragt mau sich eiuigermnßen verwundert, wozu solche Dinge wiederholt
werden, die jedermann weiß und niemand bestreitet. Freilich giebt der Ver¬
sasser eine Antwort auf diese Frage: er will durch den Hinweis auf das
Wesen der Sozialdemokrntie vor der optimistischen Meinung warnen, die
Münchner Rede Vollmars bedeute einen Anfang der Bekehrung seiner Partei
zur Vernunft, und er will die Leser zur Annahme seines Schlußsatzes bewegen:
„Wenn die Sozialdemokratie irgend eine heilsame Bedeutung heutzutage hat,
so ist es die, daß sie die verschiednen bürgerlichen und kirchlichen Parteien,
die Liebe zum Vaterlande haben, zum Kampf gegen die revolutionäre Partei
zum Ganzen eint." (Vor „zum Ganzen" scheint „hoffentlich" zu fehlen.)
Allein diese Zwecknngabe genügt nicht. Über den Kampf gegen die Svzinl-
demvkmtie ist nun schon eine Bibliothek von vielen tausend Bänden geschrieben
worden, und wenn ein neuer Rufer zum Streit auf den Kampfplatz tritt, so
hat er keine Aussicht, von den des ewigen Liedes müden Ohren gehört zu
werden, wenn er nicht entweder einen neuen Feldzugsplan vorschlägt oder
wenigstens sagt, uach welchem der schon vorhandnen Pläne er die aufgerufenen
Truppen zu führen gedenkt. Die vorhandnen Pläne lassen sich in zwei
Hauptgruppen scheiden. Auf der einen Seite stimmt man bei vielfältiger
Meinungsverschiedenheit im einzelnen doch der Hauptsache uach darin überein,
daß nicht sowohl die Sozialdemokraten, als die sozialen Übel zu bekämpfen
seien, und daß mit der Beseitigung der Ursachen zur Unzufriedenheit diese
selbst schwinden werde samt den revolutionären Bestrebungen, die aus ihr
hervorgehen. Den Männern dieser Seite schwebt die Mahnung des Apostels
vor, man solle das Böse durch das Gute überwinden. Und da soziale Übel
nicht zu Heilen sind, ohne daß der Arzt mit deu Menschen, die daran leiden,
in Verkehr tritt, so ergiebt sich aus diesem Programm die Notwendigkeit von
Unterhandlungen mit den Arbeitern, d. h. mit den Sozialdemokraten, denn die
meisten Arbeiter sind eben leider schon Sozialdemokraten. Indem nun aber
der Verfasser vor solchen Unterhandlungen ausdrücklich warnt, scheint er diese
Methode zu verwerfen, und wenn wir ihn recht verstehen, hat sein Aufsatz
den Zweck, die bürgerlichen und kirchlichen Parteien zu einem Kampfe nach
dein entgegengesetzten Programm zu einigen, d. h. er scheint die gewaltsame
Unterdrückung der Arbeiterbewegung empfehlen zu wollen. Denn daß er unter
dem Kampfe die Abfassung solcher Kampfartikel, wie der seinige einer ist, ver¬
stehen sollte, können wir kaum glauben; daß solche Artikel in den feindlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/117>, abgerufen am 23.07.2024.