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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Wer hat Recht?

die hierdurch bedingte (?) Abhängigkeit der Arbeiterklasse ist die Ursache des
Elends und der Knechtschaft in allen Formen." Darum müßten die Arbeits¬
mittel, d. h, alles unbewegliche und bewegliche Vermögen, in Gemeingut der
Gesellschaft verwandelt und die Gesamtarbeit genossenschaftlich geregelt, der
Arbeitsertrag gemeinnützig verwendet und gerecht verteilt werden. Die Worte
"gerecht" und "vernunftgemäß" wurden bei der Beratung des Programms
von Hasenelever angegriffen, da der sozialistische Staat ganz von selbst gerecht
sei und seine Angehörigen nur vernunftgemäße Bedürfnisse haben könnten.
Sie wurden aber aus taktischen Gründen beibehalten. Es sind eben Worte,
Worte mit unschuldigem Klang, unter denen die giftige Ware des nacktesten
Kommunismus den entzückten Zuhörern aufgeschwatzt wird. Es klingt ja so
unschuldig, wenn z. B. der Raub des Vermögens eine "Verwandlung der
Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft" genannt wird, oder, wie sich
heutzutage die sozialistische Gaunersprache ausdrückt: "Wir Sozialisten wollen
keinem nehmen, sondern alleu geben."

Wenn nun im Programm der Sozialdemokratie weiter mit der unschul¬
digsten Miene von der Welt die Zerreißung der ganzen bürgerlichen Gesell¬
schaft als Ziel der sozialdemokratischen Thätigkeit mit den Worten empfohlen
wird: "Die Befreiung der Arbeit muß das Ziel der Arbeiterklasse bleiben,
der gegenüber alle andern Klassen nur eine reaktionäre Masse sind," so fragt
man sich mit Recht, ob bei Aufstellung solcher Grundsätze für die staats¬
erhaltenden Parteien noch irgend eine Hoffnung zur Unterhandlung mit der
Sozialdemokratie möglich sei. Wenn es in der Vollmarschen Rede heißt:
"Wo wir den Anfang eines guten Willens finden, müssen wir ihn stärken,
alle schlechten (d. h. nichtsozialdemokratischen) Einflüsse energisch bekämpfen
und das arbeitende Volk zur politisch-wirtschaftlichen Macht organisiren, damit
den Parteifvrdernngen ein kräftiger Nachdruck verliehen werde," so wird es,
wie gesagt, sehr nützlich sein, eben diese Parteiforderuugen uns immer durch
Betrachtung der sozialdemokratischen Ziele vor Augen zu halten.

Sollte zuerst nach Angabe des Gothaer Programms alle politische und
soziale Ungleichheit durch Enteignung der besitzenden Klassen beseitigt werden,
so ist als zweiter Grundgedanke des Programms die Jnternationalität auf¬
gestellt. Die sozialdemokratischen Agitatoren haben bisher so viel in der Be¬
tonung dieses Punktes geleistet, daß Vollmar mit der Versicherung: "Wir
haben den Standpunkt der Jnternationalität nicht einseitig aufgefaßt" in dem
"wir" doch nnr seine Person sehen kann. Auch ist die Jnternationalität in
der That die unveräußerliche Eigenschaft des Sozialismus und hängt mit dem
ersten Grundsatz des sozialistischen Programms, mit seinen wirtschaftlichen
Zielen eng zusammen. Nur "zunächst" soll nach dem Gothaer Programm
die demokratische Arbeiterpartei Deutschlands noch im "nationalen Nahmen"
wirken; aber sie ist sich "des internationalen Charakters der Arbeiterbewegung


Gnmzlwteii UI 1891 14
Wer hat Recht?

die hierdurch bedingte (?) Abhängigkeit der Arbeiterklasse ist die Ursache des
Elends und der Knechtschaft in allen Formen." Darum müßten die Arbeits¬
mittel, d. h, alles unbewegliche und bewegliche Vermögen, in Gemeingut der
Gesellschaft verwandelt und die Gesamtarbeit genossenschaftlich geregelt, der
Arbeitsertrag gemeinnützig verwendet und gerecht verteilt werden. Die Worte
„gerecht" und „vernunftgemäß" wurden bei der Beratung des Programms
von Hasenelever angegriffen, da der sozialistische Staat ganz von selbst gerecht
sei und seine Angehörigen nur vernunftgemäße Bedürfnisse haben könnten.
Sie wurden aber aus taktischen Gründen beibehalten. Es sind eben Worte,
Worte mit unschuldigem Klang, unter denen die giftige Ware des nacktesten
Kommunismus den entzückten Zuhörern aufgeschwatzt wird. Es klingt ja so
unschuldig, wenn z. B. der Raub des Vermögens eine „Verwandlung der
Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft" genannt wird, oder, wie sich
heutzutage die sozialistische Gaunersprache ausdrückt: „Wir Sozialisten wollen
keinem nehmen, sondern alleu geben."

Wenn nun im Programm der Sozialdemokratie weiter mit der unschul¬
digsten Miene von der Welt die Zerreißung der ganzen bürgerlichen Gesell¬
schaft als Ziel der sozialdemokratischen Thätigkeit mit den Worten empfohlen
wird: „Die Befreiung der Arbeit muß das Ziel der Arbeiterklasse bleiben,
der gegenüber alle andern Klassen nur eine reaktionäre Masse sind," so fragt
man sich mit Recht, ob bei Aufstellung solcher Grundsätze für die staats¬
erhaltenden Parteien noch irgend eine Hoffnung zur Unterhandlung mit der
Sozialdemokratie möglich sei. Wenn es in der Vollmarschen Rede heißt:
„Wo wir den Anfang eines guten Willens finden, müssen wir ihn stärken,
alle schlechten (d. h. nichtsozialdemokratischen) Einflüsse energisch bekämpfen
und das arbeitende Volk zur politisch-wirtschaftlichen Macht organisiren, damit
den Parteifvrdernngen ein kräftiger Nachdruck verliehen werde," so wird es,
wie gesagt, sehr nützlich sein, eben diese Parteiforderuugen uns immer durch
Betrachtung der sozialdemokratischen Ziele vor Augen zu halten.

Sollte zuerst nach Angabe des Gothaer Programms alle politische und
soziale Ungleichheit durch Enteignung der besitzenden Klassen beseitigt werden,
so ist als zweiter Grundgedanke des Programms die Jnternationalität auf¬
gestellt. Die sozialdemokratischen Agitatoren haben bisher so viel in der Be¬
tonung dieses Punktes geleistet, daß Vollmar mit der Versicherung: „Wir
haben den Standpunkt der Jnternationalität nicht einseitig aufgefaßt" in dem
„wir" doch nnr seine Person sehen kann. Auch ist die Jnternationalität in
der That die unveräußerliche Eigenschaft des Sozialismus und hängt mit dem
ersten Grundsatz des sozialistischen Programms, mit seinen wirtschaftlichen
Zielen eng zusammen. Nur „zunächst" soll nach dem Gothaer Programm
die demokratische Arbeiterpartei Deutschlands noch im „nationalen Nahmen"
wirken; aber sie ist sich „des internationalen Charakters der Arbeiterbewegung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/113>, abgerufen am 26.08.2024.