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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Gin Ztreifzug durch das Gestrüpp der Lrauenfrage

finden sich neben der zünftigen Handarbeiterin Töchter vou Stabsoffizieren,
hohen Staatsbeamten wie k. k, Sektions- und Nechuuugsräteu, von Professoren
und Schuldirektoren, von akademischen Malern n. s. to., welche alle eine aus¬
gezeichnete Schulbildung genossen und tüchtige Sprachkenntnisse erworben'
haben und dennoch gezwungen (?) sind, ihr Brot mit Handarbeit zu verdienen.
Und es muß gleich hier bemerkt werden, daß gerade die gebildeter" Elemente
unter den auf Handarbeit angewiesenen Frauen die nrmern siud, weil es ihnen
an gelverbsmäßiger Schulung fehlt, weil sie in ihren frühern Verhältnissen
die Handarbeit mehr als einen angenehmen Zeitvertreib und nicht als eruste
Lohnarbeit kennen gelernt haben." Der Segen der Arbeit, wirklicher Arbeit,
im Gegensatz zu bloßer Beschäftigung, erhält dnrch diese Worte eine be¬
herzigenswerte Betonung, und ich möchte hier darauf hinweisen, daß sich an¬
nähernde Beispiele für die Zerrbilder, die gelegentlich von alten Jungfern
entworfen werden, fast ausnahmslos nicht in den zum Dienen und Arbeiten
erzogenen, sondern in den bessern Ständen finden, und daß der charakteristische
Unterschied zwischen den alternden Jungfrauen beider Klaffen darin besteht,
daß die gebildeten durch das Leben enttäuscht wurden, während die andern
den Mühsalen nud Entbehrungen, die es ihnen brachte, von klein auf ins
Auge sahen.

Uns beschäftigen hier weder die von Hause aus armen (Dienstboten,
Handarbeiterinnen u. s. w.), die sich auch für die Freiheit ihres Geschlechts
viel weniger interessiren, als ihre viel freiern Genossinnen in besserer Lebens¬
stellung; noch andre, die sofort uach Zurücklegung einer kurze" Lehrzeit zu
erwerben trachten müssen (Schneiderinnen, Telegraphistinnen, Kassirerinnen,
Lehrerinnen u. s. w.); diesen würden Gymnasien nud andre Einrichtungen, die
eine Lehrzeit vou vielen Jahren erfordern, nichts nützen; auch nicht solche, die,
mit ausgesprochenen Talenten begabt, diese frühzeitig ausbild'en müssen; sondern
jene Mädchen, deren Zeit und deren Gedanken durch die Pflichterfüllung in
und außer dem Hanse beiweitem nicht ausgefüllt werden, bei denen das Streben
nach irgend einem Beruf aus inneren Bedürfnis oder ans dem Wunsch ent¬
springt, allen äußern Wechselfällen des Lebens so gesichert wie möglich be¬
gegnen zu können. Diese Mädchen sind nicht genötigt, ihre besten Jugeud-
jcchre mit aufreibender Arbeit auszufüllen; sie verbrauchen ihre Kräfte so wenig,
daß ihr Vorrat davon weit länger vorhält, als der der cirmeu menschlichen
Arbeitsmaschinen. Sie besitzen einen höhern Grad von Bildung und sind zu¬
nächst nicht darauf angewiesen, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen; sie
können sogar ohne zwingenden Grund nicht aus dem Elternhause scheiden, um
etwa eine Stellung in einem andern anzunehmen. Es quält sie der Drang,
durch das, was ihren Geist beschäftigt, zu nützen, einem bestimmten Ziele zu¬
zusteuern, austatt in den Tag hineinzuleben; aber ihr" Energie wird gelähmt
teils dnrch den Mangel eines, wenn auch mir sittlichen Zwanges, teils durch


Gin Ztreifzug durch das Gestrüpp der Lrauenfrage

finden sich neben der zünftigen Handarbeiterin Töchter vou Stabsoffizieren,
hohen Staatsbeamten wie k. k, Sektions- und Nechuuugsräteu, von Professoren
und Schuldirektoren, von akademischen Malern n. s. to., welche alle eine aus¬
gezeichnete Schulbildung genossen und tüchtige Sprachkenntnisse erworben'
haben und dennoch gezwungen (?) sind, ihr Brot mit Handarbeit zu verdienen.
Und es muß gleich hier bemerkt werden, daß gerade die gebildeter» Elemente
unter den auf Handarbeit angewiesenen Frauen die nrmern siud, weil es ihnen
an gelverbsmäßiger Schulung fehlt, weil sie in ihren frühern Verhältnissen
die Handarbeit mehr als einen angenehmen Zeitvertreib und nicht als eruste
Lohnarbeit kennen gelernt haben." Der Segen der Arbeit, wirklicher Arbeit,
im Gegensatz zu bloßer Beschäftigung, erhält dnrch diese Worte eine be¬
herzigenswerte Betonung, und ich möchte hier darauf hinweisen, daß sich an¬
nähernde Beispiele für die Zerrbilder, die gelegentlich von alten Jungfern
entworfen werden, fast ausnahmslos nicht in den zum Dienen und Arbeiten
erzogenen, sondern in den bessern Ständen finden, und daß der charakteristische
Unterschied zwischen den alternden Jungfrauen beider Klaffen darin besteht,
daß die gebildeten durch das Leben enttäuscht wurden, während die andern
den Mühsalen nud Entbehrungen, die es ihnen brachte, von klein auf ins
Auge sahen.

Uns beschäftigen hier weder die von Hause aus armen (Dienstboten,
Handarbeiterinnen u. s. w.), die sich auch für die Freiheit ihres Geschlechts
viel weniger interessiren, als ihre viel freiern Genossinnen in besserer Lebens¬
stellung; noch andre, die sofort uach Zurücklegung einer kurze» Lehrzeit zu
erwerben trachten müssen (Schneiderinnen, Telegraphistinnen, Kassirerinnen,
Lehrerinnen u. s. w.); diesen würden Gymnasien nud andre Einrichtungen, die
eine Lehrzeit vou vielen Jahren erfordern, nichts nützen; auch nicht solche, die,
mit ausgesprochenen Talenten begabt, diese frühzeitig ausbild'en müssen; sondern
jene Mädchen, deren Zeit und deren Gedanken durch die Pflichterfüllung in
und außer dem Hanse beiweitem nicht ausgefüllt werden, bei denen das Streben
nach irgend einem Beruf aus inneren Bedürfnis oder ans dem Wunsch ent¬
springt, allen äußern Wechselfällen des Lebens so gesichert wie möglich be¬
gegnen zu können. Diese Mädchen sind nicht genötigt, ihre besten Jugeud-
jcchre mit aufreibender Arbeit auszufüllen; sie verbrauchen ihre Kräfte so wenig,
daß ihr Vorrat davon weit länger vorhält, als der der cirmeu menschlichen
Arbeitsmaschinen. Sie besitzen einen höhern Grad von Bildung und sind zu¬
nächst nicht darauf angewiesen, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen; sie
können sogar ohne zwingenden Grund nicht aus dem Elternhause scheiden, um
etwa eine Stellung in einem andern anzunehmen. Es quält sie der Drang,
durch das, was ihren Geist beschäftigt, zu nützen, einem bestimmten Ziele zu¬
zusteuern, austatt in den Tag hineinzuleben; aber ihr« Energie wird gelähmt
teils dnrch den Mangel eines, wenn auch mir sittlichen Zwanges, teils durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/96>, abgerufen am 24.07.2024.