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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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sammentrifft. ni'it raschem Entschluß tritt er in die Mennonitenkolonie Nogat-
Ehre und den großen Haushalt ihres geistliche" Führers, Obadja Hvrnbostel,
ein. Der Vielumhergetriebene verlangt nach Ruhe und einem stillen Glück
und bekämpft das Schuldbewußtsein, das sich in einzelnen Stunden in seiner
Seele regt, mit Arbeit und Hvffuinig. Und der alte Mennvnitenhänptling
empfängt den Dreiuuddreißigjnhrigeu, der in seinem Leben so wenig echte Liebe
empfunden nud erfahren hat, mit den Worten: "Ich hab in euerm Auge ge¬
lesen, und ich kenne euch nun: ihr habt einen Ehrgeiz, und es lastet was auf
eurer Seele, das hat euch bis diese Stunde durch die Welt getrieben, nud
ich sehe das Zeichen auf eurer Stirn. Aber ich weiß auch, daß ihr ein
tapferes Herz habt und einen Edelsinn, der sich nicht verleugnet, wo Liebe
ihn Pflegt, lind diese Liebe soll euch werden. Getröstet euch dessen. Keiner,
der unter dieses Dach getreten, ist ungetröstet von dünnen gegangen." Und
Lehnert fühlt sich nicht bloß von diesem Atem evangelischer Liebe angeweht,
sondern hat gleich bei der ersten Begegnung mit der jugendlichen Ruth Hvrn¬
bostel, der jüngsten Tochter des Mennonitenpredigers, einen beglückenden Ein¬
druck von ihrer Unschuld, ihrer fröhlichen und dabei klugen Gottkiudschaft
erhalten und faßt eine tiefe Neigung zu dem Mädchen. Wohl warnt ihn
Monsieur Camille l'Hermite, ein alter Pariser Kommunard, der bei der grau¬
sigen Erschießuug der ,,Geiseln" und des Erzbischofs von Paris im Jahre
1871 beteiligt gewesen, ans der Verbannung in Um-Knledonien nach Amerika
entkommen ist und in Nogat-Ehre gleich Lehnert Zuflucht und Aufnahme ge¬
funden hat: ,,Non viror airii, es giebt ein Fatum. Und weil es ein Fatum
giebt, geht alles seinen Gang, dunkel und rätselvoll, und nur mitunter blitzt
ein Licht auf und läßt uns gerade so viel sehen, um dem Ewigen und Rätsel¬
haften, oder wie sonst ihrs nennen wollt, seine Launen und Gesetze ab¬
zulauschen. Und ein solches Gesetz ist es auch: wem? man erst mal heraus
ist, kommt man nicht wieder hinein. Und da hilft kein Hoherpriester und
kein Prophet, und wenn es Obadja selber wäre, gleichviel ob der alte oder
der neue. Das Fatum ist eben stärker, nud es ist das Beste, olor Lehnert,
ihr lebt euch mit diesem Gedanken ein. Ich hab es gethan. Und wenn
euch das auch glückt, so werdet ihr wenigstens eiues davon haben, dasselbe,
was ich davon gehabt habe: das Glück der Einsamkeit." Da Lehnert nicht
nur sicher ist, Ruth zu lieben, sondern auch wiedergeliebt zu werden, findet
der Gedanke, auf das hohe, reine und unverdiente Glück, das ihm in Aussicht
steht, zu verzichten, in seiner Seele keinen Raum. Er hofft und wird täglich
gewisser, daß ihm vergeben sei, und daß er Ruth gewinnen dürfe. In dieser
Zeit nun wird Ruths Bruder Tods von einer vorübergehenden Jagdleiden¬
schaft ergriffen, wobei Lehnert, soviel es angeht, seinen Mentor abgiebt. Eines
Tages jedoch, als Tods allein auszieht und sich im Waldgebirge verirrt, ent¬
steht in der friedlichen Menuvnitenniederlasfung die Furcht, daß der junge


Guill

sammentrifft. ni'it raschem Entschluß tritt er in die Mennonitenkolonie Nogat-
Ehre und den großen Haushalt ihres geistliche» Führers, Obadja Hvrnbostel,
ein. Der Vielumhergetriebene verlangt nach Ruhe und einem stillen Glück
und bekämpft das Schuldbewußtsein, das sich in einzelnen Stunden in seiner
Seele regt, mit Arbeit und Hvffuinig. Und der alte Mennvnitenhänptling
empfängt den Dreiuuddreißigjnhrigeu, der in seinem Leben so wenig echte Liebe
empfunden nud erfahren hat, mit den Worten: „Ich hab in euerm Auge ge¬
lesen, und ich kenne euch nun: ihr habt einen Ehrgeiz, und es lastet was auf
eurer Seele, das hat euch bis diese Stunde durch die Welt getrieben, nud
ich sehe das Zeichen auf eurer Stirn. Aber ich weiß auch, daß ihr ein
tapferes Herz habt und einen Edelsinn, der sich nicht verleugnet, wo Liebe
ihn Pflegt, lind diese Liebe soll euch werden. Getröstet euch dessen. Keiner,
der unter dieses Dach getreten, ist ungetröstet von dünnen gegangen." Und
Lehnert fühlt sich nicht bloß von diesem Atem evangelischer Liebe angeweht,
sondern hat gleich bei der ersten Begegnung mit der jugendlichen Ruth Hvrn¬
bostel, der jüngsten Tochter des Mennonitenpredigers, einen beglückenden Ein¬
druck von ihrer Unschuld, ihrer fröhlichen und dabei klugen Gottkiudschaft
erhalten und faßt eine tiefe Neigung zu dem Mädchen. Wohl warnt ihn
Monsieur Camille l'Hermite, ein alter Pariser Kommunard, der bei der grau¬
sigen Erschießuug der ,,Geiseln" und des Erzbischofs von Paris im Jahre
1871 beteiligt gewesen, ans der Verbannung in Um-Knledonien nach Amerika
entkommen ist und in Nogat-Ehre gleich Lehnert Zuflucht und Aufnahme ge¬
funden hat: ,,Non viror airii, es giebt ein Fatum. Und weil es ein Fatum
giebt, geht alles seinen Gang, dunkel und rätselvoll, und nur mitunter blitzt
ein Licht auf und läßt uns gerade so viel sehen, um dem Ewigen und Rätsel¬
haften, oder wie sonst ihrs nennen wollt, seine Launen und Gesetze ab¬
zulauschen. Und ein solches Gesetz ist es auch: wem? man erst mal heraus
ist, kommt man nicht wieder hinein. Und da hilft kein Hoherpriester und
kein Prophet, und wenn es Obadja selber wäre, gleichviel ob der alte oder
der neue. Das Fatum ist eben stärker, nud es ist das Beste, olor Lehnert,
ihr lebt euch mit diesem Gedanken ein. Ich hab es gethan. Und wenn
euch das auch glückt, so werdet ihr wenigstens eiues davon haben, dasselbe,
was ich davon gehabt habe: das Glück der Einsamkeit." Da Lehnert nicht
nur sicher ist, Ruth zu lieben, sondern auch wiedergeliebt zu werden, findet
der Gedanke, auf das hohe, reine und unverdiente Glück, das ihm in Aussicht
steht, zu verzichten, in seiner Seele keinen Raum. Er hofft und wird täglich
gewisser, daß ihm vergeben sei, und daß er Ruth gewinnen dürfe. In dieser
Zeit nun wird Ruths Bruder Tods von einer vorübergehenden Jagdleiden¬
schaft ergriffen, wobei Lehnert, soviel es angeht, seinen Mentor abgiebt. Eines
Tages jedoch, als Tods allein auszieht und sich im Waldgebirge verirrt, ent¬
steht in der friedlichen Menuvnitenniederlasfung die Furcht, daß der junge


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[0631] Guill sammentrifft. ni'it raschem Entschluß tritt er in die Mennonitenkolonie Nogat- Ehre und den großen Haushalt ihres geistliche» Führers, Obadja Hvrnbostel, ein. Der Vielumhergetriebene verlangt nach Ruhe und einem stillen Glück und bekämpft das Schuldbewußtsein, das sich in einzelnen Stunden in seiner Seele regt, mit Arbeit und Hvffuinig. Und der alte Mennvnitenhänptling empfängt den Dreiuuddreißigjnhrigeu, der in seinem Leben so wenig echte Liebe empfunden nud erfahren hat, mit den Worten: „Ich hab in euerm Auge ge¬ lesen, und ich kenne euch nun: ihr habt einen Ehrgeiz, und es lastet was auf eurer Seele, das hat euch bis diese Stunde durch die Welt getrieben, nud ich sehe das Zeichen auf eurer Stirn. Aber ich weiß auch, daß ihr ein tapferes Herz habt und einen Edelsinn, der sich nicht verleugnet, wo Liebe ihn Pflegt, lind diese Liebe soll euch werden. Getröstet euch dessen. Keiner, der unter dieses Dach getreten, ist ungetröstet von dünnen gegangen." Und Lehnert fühlt sich nicht bloß von diesem Atem evangelischer Liebe angeweht, sondern hat gleich bei der ersten Begegnung mit der jugendlichen Ruth Hvrn¬ bostel, der jüngsten Tochter des Mennonitenpredigers, einen beglückenden Ein¬ druck von ihrer Unschuld, ihrer fröhlichen und dabei klugen Gottkiudschaft erhalten und faßt eine tiefe Neigung zu dem Mädchen. Wohl warnt ihn Monsieur Camille l'Hermite, ein alter Pariser Kommunard, der bei der grau¬ sigen Erschießuug der ,,Geiseln" und des Erzbischofs von Paris im Jahre 1871 beteiligt gewesen, ans der Verbannung in Um-Knledonien nach Amerika entkommen ist und in Nogat-Ehre gleich Lehnert Zuflucht und Aufnahme ge¬ funden hat: ,,Non viror airii, es giebt ein Fatum. Und weil es ein Fatum giebt, geht alles seinen Gang, dunkel und rätselvoll, und nur mitunter blitzt ein Licht auf und läßt uns gerade so viel sehen, um dem Ewigen und Rätsel¬ haften, oder wie sonst ihrs nennen wollt, seine Launen und Gesetze ab¬ zulauschen. Und ein solches Gesetz ist es auch: wem? man erst mal heraus ist, kommt man nicht wieder hinein. Und da hilft kein Hoherpriester und kein Prophet, und wenn es Obadja selber wäre, gleichviel ob der alte oder der neue. Das Fatum ist eben stärker, nud es ist das Beste, olor Lehnert, ihr lebt euch mit diesem Gedanken ein. Ich hab es gethan. Und wenn euch das auch glückt, so werdet ihr wenigstens eiues davon haben, dasselbe, was ich davon gehabt habe: das Glück der Einsamkeit." Da Lehnert nicht nur sicher ist, Ruth zu lieben, sondern auch wiedergeliebt zu werden, findet der Gedanke, auf das hohe, reine und unverdiente Glück, das ihm in Aussicht steht, zu verzichten, in seiner Seele keinen Raum. Er hofft und wird täglich gewisser, daß ihm vergeben sei, und daß er Ruth gewinnen dürfe. In dieser Zeit nun wird Ruths Bruder Tods von einer vorübergehenden Jagdleiden¬ schaft ergriffen, wobei Lehnert, soviel es angeht, seinen Mentor abgiebt. Eines Tages jedoch, als Tods allein auszieht und sich im Waldgebirge verirrt, ent¬ steht in der friedlichen Menuvnitenniederlasfung die Furcht, daß der junge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/631>, abgerufen am 24.07.2024.