Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches So ist bei uns der Unterschied zwischen n und gedehntem c (Ähre und Uns dünkt, die Schule müßte auch diesem Übelstand ihr Augenmerk zuwenden.
Zum Altreichskanzler wird uns mitgeteilt, daß es wahrscheinlich eine , Das ist alles recht schön und gut. In Baden betont man jedenfalls auch Maßgebliches und Unmaßgebliches So ist bei uns der Unterschied zwischen n und gedehntem c (Ähre und Uns dünkt, die Schule müßte auch diesem Übelstand ihr Augenmerk zuwenden.
Zum Altreichskanzler wird uns mitgeteilt, daß es wahrscheinlich eine , Das ist alles recht schön und gut. In Baden betont man jedenfalls auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0544" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210411"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1502"> So ist bei uns der Unterschied zwischen n und gedehntem c (Ähre und<lb/> Ehre) beinahe vollständig verschwunden; ö wird zu e, ü zu i, al und el sind ein<lb/> Laut (es kommt vor, daß Schüler, die von zu Hanse die richtige Aussprache mitge¬<lb/> bracht haben, vom Lehrer deswegen verspottet werden), und an und en sind viel¬<lb/> fach auch uur noch verschiedne Zeichen für el; andernfalls werden sie eins mit ol.<lb/> Die Verwechslung von b und p ist längst nicht mehr ausschließliches Eigentum der<lb/> Sachsen. G als j am Anfange und als es oder k am Ende greift immer weiter<lb/> um sich: jeunes, oder vielmehr jenuchch, jraß, jlaß, jink, Bejejnunk u, f. w. Wer<lb/> ein richtiges Zungen-r spricht, fällt förmlich auf. Manches hiervon verschulden<lb/> Mundarten, die, vom Hochdeutschen unterdrückt, sich rächen wie unterworfene Völker,<lb/> indem sie dem Unterdrücker ihre Unarten vererben; andres stammt von läppischen<lb/> Gewohnheiten der großstädtischen Bevölkerung. Berliner litterarische Gigerl suchen<lb/> ja jetzt etwas darin, uns andern ihren Jargon aufzunötigen. So begegnet man<lb/> täglich dem gedruckten „mal" anstatt „einmal." Warum nicht auch fach für ein¬<lb/> fach, faltig für einfältig, lei für einerlei, zeln für einzeln? Und da es Sprach-<lb/> verbesferern solcher Art nicht auf Herkunft und Sinn ankommt, könnte gleich Bildung<lb/> für Einbildung gesagt werden, was Eingebildete und Ungebildete gewiß als eine<lb/> glückliche Neuerung begrüßen würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1503"> Uns dünkt, die Schule müßte auch diesem Übelstand ihr Augenmerk zuwenden.<lb/> An Beispielen, die zugleich als vcMrcs msirwrürlW dienen könnten, wäre kein<lb/> Mangel. Es braucht nur an ein berühmtes Frühlingslied erinnert zu werden:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_10" type="poem"> <l> Leise zieht durch mein Gemüt<lb/> Liebliches Geläute,<lb/> Klinge, kleines Frühlings tut.<lb/> Kling hinaus ins Wände.<lb/> Kling hinaus bis ein das Haus,<lb/> Wo die Blumen sprieße»,<lb/> Wen» du eine Rose schaus,<lb/> Sag, ich laß sie grießen.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1504"> Zum Altreichskanzler wird uns mitgeteilt, daß es wahrscheinlich eine<lb/> süddeutsche, eine badische Zeitung gewesen sei, die den Ausdruck zuerst gebraucht<lb/> habe. Ju Baden, auch in der Schweiz, sei es üblich, daß mau — übrigens<lb/> offenbar nnter dem Einflüsse des französischen anoisir — von Altbürger¬<lb/> meister, von Altregierungsrat, von Altlöwenwirt spreche. Auch im Tell<lb/> heiße es: Steht nicht Herr Reding hier, der Altlandammann?</p><lb/> <p xml:id="ID_1505"> , Das ist alles recht schön und gut. In Baden betont man jedenfalls auch<lb/> der Altreichskanzler. Der norddeutsche aber, der das Wort zum erstenmale liest<lb/> und die süddcictschen Analogien nicht keimt, kauu nach'den ihm bekannten Analogien<lb/> nur Attrsichskanzler betonen, und denn entsteht eben Unsinn. Was wir den<lb/> Zeitungen immer und immer wieder zum Vorwurfe machen, ist das, daß sie es<lb/> bei dem Herübernehmen von Mitteilungen aus andern Zeitungen (was freilich in<lb/> der Regel nicht mit der Feder, sondern mit der Schere geschieht) nicht einmal für<lb/> der Mühe wert halten, die offenbarsten Provinzialismen zu beseitigen. Namentlich<lb/> von Österreich ans, aber auch von Berlin ans werden wir von Jahr zu Fahr<lb/> mit immer mehr Sprachuurat durch die Zeitungen überschwemmt. Im vorliegenden<lb/> Falle zwar haben wohl die wenigsten gewußt, daß es sich um einen süddeutschen<lb/> Provinzialismus handelt. Aber das Wort mußte ihnen doch auffallen! War es<lb/> da eine so große Mühe, dafür zu schreiben, wie es in dem landläufigen, überall<lb/> giltigen guten Schriftdeutsch üblich ist: der frühere Reichskanzler?</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0544]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
So ist bei uns der Unterschied zwischen n und gedehntem c (Ähre und
Ehre) beinahe vollständig verschwunden; ö wird zu e, ü zu i, al und el sind ein
Laut (es kommt vor, daß Schüler, die von zu Hanse die richtige Aussprache mitge¬
bracht haben, vom Lehrer deswegen verspottet werden), und an und en sind viel¬
fach auch uur noch verschiedne Zeichen für el; andernfalls werden sie eins mit ol.
Die Verwechslung von b und p ist längst nicht mehr ausschließliches Eigentum der
Sachsen. G als j am Anfange und als es oder k am Ende greift immer weiter
um sich: jeunes, oder vielmehr jenuchch, jraß, jlaß, jink, Bejejnunk u, f. w. Wer
ein richtiges Zungen-r spricht, fällt förmlich auf. Manches hiervon verschulden
Mundarten, die, vom Hochdeutschen unterdrückt, sich rächen wie unterworfene Völker,
indem sie dem Unterdrücker ihre Unarten vererben; andres stammt von läppischen
Gewohnheiten der großstädtischen Bevölkerung. Berliner litterarische Gigerl suchen
ja jetzt etwas darin, uns andern ihren Jargon aufzunötigen. So begegnet man
täglich dem gedruckten „mal" anstatt „einmal." Warum nicht auch fach für ein¬
fach, faltig für einfältig, lei für einerlei, zeln für einzeln? Und da es Sprach-
verbesferern solcher Art nicht auf Herkunft und Sinn ankommt, könnte gleich Bildung
für Einbildung gesagt werden, was Eingebildete und Ungebildete gewiß als eine
glückliche Neuerung begrüßen würden.
Uns dünkt, die Schule müßte auch diesem Übelstand ihr Augenmerk zuwenden.
An Beispielen, die zugleich als vcMrcs msirwrürlW dienen könnten, wäre kein
Mangel. Es braucht nur an ein berühmtes Frühlingslied erinnert zu werden:
Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute,
Klinge, kleines Frühlings tut.
Kling hinaus ins Wände.
Kling hinaus bis ein das Haus,
Wo die Blumen sprieße»,
Wen» du eine Rose schaus,
Sag, ich laß sie grießen.
Zum Altreichskanzler wird uns mitgeteilt, daß es wahrscheinlich eine
süddeutsche, eine badische Zeitung gewesen sei, die den Ausdruck zuerst gebraucht
habe. Ju Baden, auch in der Schweiz, sei es üblich, daß mau — übrigens
offenbar nnter dem Einflüsse des französischen anoisir — von Altbürger¬
meister, von Altregierungsrat, von Altlöwenwirt spreche. Auch im Tell
heiße es: Steht nicht Herr Reding hier, der Altlandammann?
, Das ist alles recht schön und gut. In Baden betont man jedenfalls auch
der Altreichskanzler. Der norddeutsche aber, der das Wort zum erstenmale liest
und die süddcictschen Analogien nicht keimt, kauu nach'den ihm bekannten Analogien
nur Attrsichskanzler betonen, und denn entsteht eben Unsinn. Was wir den
Zeitungen immer und immer wieder zum Vorwurfe machen, ist das, daß sie es
bei dem Herübernehmen von Mitteilungen aus andern Zeitungen (was freilich in
der Regel nicht mit der Feder, sondern mit der Schere geschieht) nicht einmal für
der Mühe wert halten, die offenbarsten Provinzialismen zu beseitigen. Namentlich
von Österreich ans, aber auch von Berlin ans werden wir von Jahr zu Fahr
mit immer mehr Sprachuurat durch die Zeitungen überschwemmt. Im vorliegenden
Falle zwar haben wohl die wenigsten gewußt, daß es sich um einen süddeutschen
Provinzialismus handelt. Aber das Wort mußte ihnen doch auffallen! War es
da eine so große Mühe, dafür zu schreiben, wie es in dem landläufigen, überall
giltigen guten Schriftdeutsch üblich ist: der frühere Reichskanzler?
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