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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

Deal eben für das Lebensalter, in das der gewünschte ernstlichere Unterricht in
neuerer Geschichte (vom sechzehnten bis zum neunzehnten Jahre) hauptsächlich
fallen dürfte, kommt es darauf an, eine gesicherte Grundlage zu gewinnen, und
diese kann nur eine positive staatsrechtliche sein. Aber diese Grundlage wird
nicht sowohl dadurch wirksam werden, daß man viele staatsrechtliche Er¬
örterungen anstellt, zu denen immer die am geneigtesten sind, die am wenigsten
davon verstehen, sondern dadurch, daß der Lehrer sie recht fest in sich hat.
In sich haben wird er sie aber nur dann, wenn er die nötigen volkswirt¬
schaftlichen, Staats- und völkerrechtlichen Studien betrieben hat. Dabei ist mir
die Thatsache weder unbekannt noch dem Gedächtnis entschwunden, daß Niebuhr
die herrlichsten Vorlesungen über die französische Revolution gehalten hat;
aber hier ist nicht davon die Rede, was das Genie zu leisten imstande ist,
sondern es handelt sich um die durchschnittlich zu empfehlende Bildung, die
man sich zweckmäßiger Weise nngedeihen läßt, um einen gewissen Beruf vou
vornherein richtig anzugreifen. Ich kenne auch zahlreiche Fälle, wo junge
Philologen, nachdem sie sich in höchst ehrenwerter Weise in ihren Fächern
bewährt hatte", von geringfügigen Eindrücken erfüllt, sich immer tiefer in das
historische Fach einlebten und schließlich an Eifer und Verständnis vielleicht
ihren Lehrmeister übertrafen. Aber von allen solchen Besonderheiten soll hier
nicht geredet werden, wenn mau sich zu der Überzeugung bekennt, daß es
durchschnittlich und im großen und ganzen in Deutschland zwar viele vor¬
treffliche, hochachtbare Philologen, aber so gut wie keine direkt vorbereiteten
und für diesen Zweck ausgebildete Lehrer der neuesten Geschichte an deu höhern
Schulen giebt.

Daß zur Erreichung dieses schwierigen und hohen Ziels unbedingt eine
gewisse juristische Bildung erforderlich sei, ist übrigens durchaus keine neue
Behauptung, vielmehr hat selbst der preußische Gesetzgeber, der vor Jahren
die Vestimmnngen über das Staatsexamen für die höhern Schulanstalten ent¬
worfen und auch noch neuestens wiederholt hat, offenbar hier ganz ähnliche
Gedanken gehegt. Es ist nur bezeichnend, daß er mit einer, man möchte sagen,
philologischen Akribie den Fleck genau neben das Loch gesetzt hat.

Seit dem Beginn des Jahrhunderts sind die Forschungen über die Ver¬
fassungen der alten Staaten mit Vorliebe betrieben worden, und die Altertums¬
wissenschaften haben auf diesen Gebieten die vorzüglichsten Früchte gezeitigt.
Der preußische Gesetzgeber glaubte daher auch von den Schulamtskandidaten
verlangen zu können, daß sie diesen Dingen eine möglichst große Aufmerk¬
samkeit schenkten, und die Prüfuugsordnuugeu legten fast in allen Ländern
auf die Kenntnis des Verfassungswesens großes Gewicht. Ich weiß nicht, ob
dies der geschichtlichen Bildung im allgemeinen wesentlichen Nutzen brachte,
sicherlich wurde die Sache mitunter übertrieben. Ich kannte einen gelehrten
Philologen, dessen Steckenpferd der attische Prozeß gewesen war. Wenn er


Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

Deal eben für das Lebensalter, in das der gewünschte ernstlichere Unterricht in
neuerer Geschichte (vom sechzehnten bis zum neunzehnten Jahre) hauptsächlich
fallen dürfte, kommt es darauf an, eine gesicherte Grundlage zu gewinnen, und
diese kann nur eine positive staatsrechtliche sein. Aber diese Grundlage wird
nicht sowohl dadurch wirksam werden, daß man viele staatsrechtliche Er¬
örterungen anstellt, zu denen immer die am geneigtesten sind, die am wenigsten
davon verstehen, sondern dadurch, daß der Lehrer sie recht fest in sich hat.
In sich haben wird er sie aber nur dann, wenn er die nötigen volkswirt¬
schaftlichen, Staats- und völkerrechtlichen Studien betrieben hat. Dabei ist mir
die Thatsache weder unbekannt noch dem Gedächtnis entschwunden, daß Niebuhr
die herrlichsten Vorlesungen über die französische Revolution gehalten hat;
aber hier ist nicht davon die Rede, was das Genie zu leisten imstande ist,
sondern es handelt sich um die durchschnittlich zu empfehlende Bildung, die
man sich zweckmäßiger Weise nngedeihen läßt, um einen gewissen Beruf vou
vornherein richtig anzugreifen. Ich kenne auch zahlreiche Fälle, wo junge
Philologen, nachdem sie sich in höchst ehrenwerter Weise in ihren Fächern
bewährt hatte», von geringfügigen Eindrücken erfüllt, sich immer tiefer in das
historische Fach einlebten und schließlich an Eifer und Verständnis vielleicht
ihren Lehrmeister übertrafen. Aber von allen solchen Besonderheiten soll hier
nicht geredet werden, wenn mau sich zu der Überzeugung bekennt, daß es
durchschnittlich und im großen und ganzen in Deutschland zwar viele vor¬
treffliche, hochachtbare Philologen, aber so gut wie keine direkt vorbereiteten
und für diesen Zweck ausgebildete Lehrer der neuesten Geschichte an deu höhern
Schulen giebt.

Daß zur Erreichung dieses schwierigen und hohen Ziels unbedingt eine
gewisse juristische Bildung erforderlich sei, ist übrigens durchaus keine neue
Behauptung, vielmehr hat selbst der preußische Gesetzgeber, der vor Jahren
die Vestimmnngen über das Staatsexamen für die höhern Schulanstalten ent¬
worfen und auch noch neuestens wiederholt hat, offenbar hier ganz ähnliche
Gedanken gehegt. Es ist nur bezeichnend, daß er mit einer, man möchte sagen,
philologischen Akribie den Fleck genau neben das Loch gesetzt hat.

Seit dem Beginn des Jahrhunderts sind die Forschungen über die Ver¬
fassungen der alten Staaten mit Vorliebe betrieben worden, und die Altertums¬
wissenschaften haben auf diesen Gebieten die vorzüglichsten Früchte gezeitigt.
Der preußische Gesetzgeber glaubte daher auch von den Schulamtskandidaten
verlangen zu können, daß sie diesen Dingen eine möglichst große Aufmerk¬
samkeit schenkten, und die Prüfuugsordnuugeu legten fast in allen Ländern
auf die Kenntnis des Verfassungswesens großes Gewicht. Ich weiß nicht, ob
dies der geschichtlichen Bildung im allgemeinen wesentlichen Nutzen brachte,
sicherlich wurde die Sache mitunter übertrieben. Ich kannte einen gelehrten
Philologen, dessen Steckenpferd der attische Prozeß gewesen war. Wenn er


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[0528] Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte Deal eben für das Lebensalter, in das der gewünschte ernstlichere Unterricht in neuerer Geschichte (vom sechzehnten bis zum neunzehnten Jahre) hauptsächlich fallen dürfte, kommt es darauf an, eine gesicherte Grundlage zu gewinnen, und diese kann nur eine positive staatsrechtliche sein. Aber diese Grundlage wird nicht sowohl dadurch wirksam werden, daß man viele staatsrechtliche Er¬ örterungen anstellt, zu denen immer die am geneigtesten sind, die am wenigsten davon verstehen, sondern dadurch, daß der Lehrer sie recht fest in sich hat. In sich haben wird er sie aber nur dann, wenn er die nötigen volkswirt¬ schaftlichen, Staats- und völkerrechtlichen Studien betrieben hat. Dabei ist mir die Thatsache weder unbekannt noch dem Gedächtnis entschwunden, daß Niebuhr die herrlichsten Vorlesungen über die französische Revolution gehalten hat; aber hier ist nicht davon die Rede, was das Genie zu leisten imstande ist, sondern es handelt sich um die durchschnittlich zu empfehlende Bildung, die man sich zweckmäßiger Weise nngedeihen läßt, um einen gewissen Beruf vou vornherein richtig anzugreifen. Ich kenne auch zahlreiche Fälle, wo junge Philologen, nachdem sie sich in höchst ehrenwerter Weise in ihren Fächern bewährt hatte», von geringfügigen Eindrücken erfüllt, sich immer tiefer in das historische Fach einlebten und schließlich an Eifer und Verständnis vielleicht ihren Lehrmeister übertrafen. Aber von allen solchen Besonderheiten soll hier nicht geredet werden, wenn mau sich zu der Überzeugung bekennt, daß es durchschnittlich und im großen und ganzen in Deutschland zwar viele vor¬ treffliche, hochachtbare Philologen, aber so gut wie keine direkt vorbereiteten und für diesen Zweck ausgebildete Lehrer der neuesten Geschichte an deu höhern Schulen giebt. Daß zur Erreichung dieses schwierigen und hohen Ziels unbedingt eine gewisse juristische Bildung erforderlich sei, ist übrigens durchaus keine neue Behauptung, vielmehr hat selbst der preußische Gesetzgeber, der vor Jahren die Vestimmnngen über das Staatsexamen für die höhern Schulanstalten ent¬ worfen und auch noch neuestens wiederholt hat, offenbar hier ganz ähnliche Gedanken gehegt. Es ist nur bezeichnend, daß er mit einer, man möchte sagen, philologischen Akribie den Fleck genau neben das Loch gesetzt hat. Seit dem Beginn des Jahrhunderts sind die Forschungen über die Ver¬ fassungen der alten Staaten mit Vorliebe betrieben worden, und die Altertums¬ wissenschaften haben auf diesen Gebieten die vorzüglichsten Früchte gezeitigt. Der preußische Gesetzgeber glaubte daher auch von den Schulamtskandidaten verlangen zu können, daß sie diesen Dingen eine möglichst große Aufmerk¬ samkeit schenkten, und die Prüfuugsordnuugeu legten fast in allen Ländern auf die Kenntnis des Verfassungswesens großes Gewicht. Ich weiß nicht, ob dies der geschichtlichen Bildung im allgemeinen wesentlichen Nutzen brachte, sicherlich wurde die Sache mitunter übertrieben. Ich kannte einen gelehrten Philologen, dessen Steckenpferd der attische Prozeß gewesen war. Wenn er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/528>, abgerufen am 24.07.2024.