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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

dilettirt, dann sich einem Examen nnter anderm auch aus diesem gedächtnis¬
schweren Gegenstand unterzogen und vielleicht seit Jahren seine alte Ge¬
schichte vorgetragen hat, wird das nicht gern hören und zugeben wollen.
Wenn er so in sein Museum gebannt ist und sieht die Welt kaum einen
Feiertag, so wird er sein Gewissen durch den tröstlichen Gedanken beruhigen,
daß am Ende die Grundlagen alles heutigen Rechtes doch im Altertum zu
finden seien; er wird etwas von der Wichtigkeit des "römischen Staatsrechts,"
das er ja in der Lehrerbibliothek stehn hat, träumen und dann mit der Selbst¬
gewißheit, die den Vertretern uralter Glaubenswahrheiten natürlich sind, seinen
Unterricht über den Wiener Kongreß oder die Bundesakte oder die land-
stündischen Verfassungen ruhig fortsetzen.

Ich will ihn darin nicht stören, sondern bitte mir meinerseits nur ganz
bescheiden aus, die Gründe angeben zu dürfen, warum eine gewisse juristische
Bildung unbedingt erforderlich ist. Alles geschichtliche Leben erscheint auf den
ersten Blick als eine Wirkung der persönlichen Willensakte der Menschen, und
das jugendliche Alter, mit dem es der Lehrer auf den Gymnasien zu thun hat,
macht es am wenigsten wünschenswert, sich bei Gelegenheit des Geschichts¬
unterrichts in die Fragen der Willensfreiheit zu vertiefen. Wenn nun der
Lehrer nicht snttelsest im Staats- und Völkerrecht ist, so wird sein Unterricht
in der neuesten Geschichte nicht nur hie und da auf Klippen stoßen, sondern
er wird sogar zu Verkehrtheiten Anlaß geben, die den Wert des neuesten
Geschichtsnnterrichts recht zweifelhaft machen können. sattelfest im StaatS-
nnd Völkerrecht zu sein will aber immerhin etwas sagen; selbst der gelehrteste
Philologe kann es nicht auf dein Wege klassischer Inspiration besitzen. Dann
aber handelt es sich bei dem zu erwerbenden Verständnis für die moderne
Geschichte gar nicht etwa bloß um eine Summe von Gesetzeskenntnissen, sondern
um die rechtsverstüudige Denkungsart, die eben doch ans keinem andern Wege
erworben werden kann, als dadurch, daß bis zu einem gewissen Grade juristische
Studien gemacht worden sind. Daraus ergiebt sich, daß das wirkliche Studium
der neuern Geschichte ganz anders beschaffen sein müßte, als es von Seiten
der Philologen betrieben zu werden pflegt, wenn der Unterricht in diesen jetzt
meistenteils unbekannt gebliebenen Gegenständen auf den Mittelschulen nützlich
werden sollte.

In erster Linie wird sich der Student der neuern Geschichte als ein
Fachverwandter der staatswissenschaftlicher Fakultät betrachten müssen, wenn
er planmäßig seine Bildung anstrebt, und umgekehrt sollte vou den Regierungen
niemandem gestattet werden, diesen Gegenstand zu lehren, der sich nicht über
einige Studien in diesen staatswissenschaftlicher Fächern auszuweisen imstande
wäre. Das moderne politische Leben beruht auf drei großen Grundlagen, auf
Volkswirtschaft, auf Staats- und ans Völkerrecht, und von keinem dieser großen
Wissenszweige vermag der neuere Historiker auch nnr einen Augenblick abzn-


Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

dilettirt, dann sich einem Examen nnter anderm auch aus diesem gedächtnis¬
schweren Gegenstand unterzogen und vielleicht seit Jahren seine alte Ge¬
schichte vorgetragen hat, wird das nicht gern hören und zugeben wollen.
Wenn er so in sein Museum gebannt ist und sieht die Welt kaum einen
Feiertag, so wird er sein Gewissen durch den tröstlichen Gedanken beruhigen,
daß am Ende die Grundlagen alles heutigen Rechtes doch im Altertum zu
finden seien; er wird etwas von der Wichtigkeit des „römischen Staatsrechts,"
das er ja in der Lehrerbibliothek stehn hat, träumen und dann mit der Selbst¬
gewißheit, die den Vertretern uralter Glaubenswahrheiten natürlich sind, seinen
Unterricht über den Wiener Kongreß oder die Bundesakte oder die land-
stündischen Verfassungen ruhig fortsetzen.

Ich will ihn darin nicht stören, sondern bitte mir meinerseits nur ganz
bescheiden aus, die Gründe angeben zu dürfen, warum eine gewisse juristische
Bildung unbedingt erforderlich ist. Alles geschichtliche Leben erscheint auf den
ersten Blick als eine Wirkung der persönlichen Willensakte der Menschen, und
das jugendliche Alter, mit dem es der Lehrer auf den Gymnasien zu thun hat,
macht es am wenigsten wünschenswert, sich bei Gelegenheit des Geschichts¬
unterrichts in die Fragen der Willensfreiheit zu vertiefen. Wenn nun der
Lehrer nicht snttelsest im Staats- und Völkerrecht ist, so wird sein Unterricht
in der neuesten Geschichte nicht nur hie und da auf Klippen stoßen, sondern
er wird sogar zu Verkehrtheiten Anlaß geben, die den Wert des neuesten
Geschichtsnnterrichts recht zweifelhaft machen können. sattelfest im StaatS-
nnd Völkerrecht zu sein will aber immerhin etwas sagen; selbst der gelehrteste
Philologe kann es nicht auf dein Wege klassischer Inspiration besitzen. Dann
aber handelt es sich bei dem zu erwerbenden Verständnis für die moderne
Geschichte gar nicht etwa bloß um eine Summe von Gesetzeskenntnissen, sondern
um die rechtsverstüudige Denkungsart, die eben doch ans keinem andern Wege
erworben werden kann, als dadurch, daß bis zu einem gewissen Grade juristische
Studien gemacht worden sind. Daraus ergiebt sich, daß das wirkliche Studium
der neuern Geschichte ganz anders beschaffen sein müßte, als es von Seiten
der Philologen betrieben zu werden pflegt, wenn der Unterricht in diesen jetzt
meistenteils unbekannt gebliebenen Gegenständen auf den Mittelschulen nützlich
werden sollte.

In erster Linie wird sich der Student der neuern Geschichte als ein
Fachverwandter der staatswissenschaftlicher Fakultät betrachten müssen, wenn
er planmäßig seine Bildung anstrebt, und umgekehrt sollte vou den Regierungen
niemandem gestattet werden, diesen Gegenstand zu lehren, der sich nicht über
einige Studien in diesen staatswissenschaftlicher Fächern auszuweisen imstande
wäre. Das moderne politische Leben beruht auf drei großen Grundlagen, auf
Volkswirtschaft, auf Staats- und ans Völkerrecht, und von keinem dieser großen
Wissenszweige vermag der neuere Historiker auch nnr einen Augenblick abzn-


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[0526] Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte dilettirt, dann sich einem Examen nnter anderm auch aus diesem gedächtnis¬ schweren Gegenstand unterzogen und vielleicht seit Jahren seine alte Ge¬ schichte vorgetragen hat, wird das nicht gern hören und zugeben wollen. Wenn er so in sein Museum gebannt ist und sieht die Welt kaum einen Feiertag, so wird er sein Gewissen durch den tröstlichen Gedanken beruhigen, daß am Ende die Grundlagen alles heutigen Rechtes doch im Altertum zu finden seien; er wird etwas von der Wichtigkeit des „römischen Staatsrechts," das er ja in der Lehrerbibliothek stehn hat, träumen und dann mit der Selbst¬ gewißheit, die den Vertretern uralter Glaubenswahrheiten natürlich sind, seinen Unterricht über den Wiener Kongreß oder die Bundesakte oder die land- stündischen Verfassungen ruhig fortsetzen. Ich will ihn darin nicht stören, sondern bitte mir meinerseits nur ganz bescheiden aus, die Gründe angeben zu dürfen, warum eine gewisse juristische Bildung unbedingt erforderlich ist. Alles geschichtliche Leben erscheint auf den ersten Blick als eine Wirkung der persönlichen Willensakte der Menschen, und das jugendliche Alter, mit dem es der Lehrer auf den Gymnasien zu thun hat, macht es am wenigsten wünschenswert, sich bei Gelegenheit des Geschichts¬ unterrichts in die Fragen der Willensfreiheit zu vertiefen. Wenn nun der Lehrer nicht snttelsest im Staats- und Völkerrecht ist, so wird sein Unterricht in der neuesten Geschichte nicht nur hie und da auf Klippen stoßen, sondern er wird sogar zu Verkehrtheiten Anlaß geben, die den Wert des neuesten Geschichtsnnterrichts recht zweifelhaft machen können. sattelfest im StaatS- nnd Völkerrecht zu sein will aber immerhin etwas sagen; selbst der gelehrteste Philologe kann es nicht auf dein Wege klassischer Inspiration besitzen. Dann aber handelt es sich bei dem zu erwerbenden Verständnis für die moderne Geschichte gar nicht etwa bloß um eine Summe von Gesetzeskenntnissen, sondern um die rechtsverstüudige Denkungsart, die eben doch ans keinem andern Wege erworben werden kann, als dadurch, daß bis zu einem gewissen Grade juristische Studien gemacht worden sind. Daraus ergiebt sich, daß das wirkliche Studium der neuern Geschichte ganz anders beschaffen sein müßte, als es von Seiten der Philologen betrieben zu werden pflegt, wenn der Unterricht in diesen jetzt meistenteils unbekannt gebliebenen Gegenständen auf den Mittelschulen nützlich werden sollte. In erster Linie wird sich der Student der neuern Geschichte als ein Fachverwandter der staatswissenschaftlicher Fakultät betrachten müssen, wenn er planmäßig seine Bildung anstrebt, und umgekehrt sollte vou den Regierungen niemandem gestattet werden, diesen Gegenstand zu lehren, der sich nicht über einige Studien in diesen staatswissenschaftlicher Fächern auszuweisen imstande wäre. Das moderne politische Leben beruht auf drei großen Grundlagen, auf Volkswirtschaft, auf Staats- und ans Völkerrecht, und von keinem dieser großen Wissenszweige vermag der neuere Historiker auch nnr einen Augenblick abzn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/526>, abgerufen am 24.07.2024.